Schlag 5
Der nächste Tag ist davon gekennzeichnet, dass er langweilig und ordinär ist. So langweilig und ohne große Sachen, dass Matthew nach seiner Arbeit noch einmal durch die Stadt schlendert, wo er in einem kleinen Café landet.
Auch wenn er früher hier gelebt hat. kennt er das Café nicht und freut sich etwas über diese Entdeckung. Wenigtens eine Sache, die seinem Tag ein wenig Farbe verleiht.
Er bestellt sich einen einfachen Milchkaffee und setzt sich dann mit seiner heißen Tasse an eines der kleine Tischchen. Direkt neben eines der Fenster. Von hieraus kann er gut die Leute beobachten, die auf den Straßen umher schlendern.
Er ist kein Fan von kleinen Städten, weil man so schnell alles erkundet hat und die Aufregung schließlich vorbei ist. Man setzt sich dann immer in die gleichen Cafés und Restaurants und man geht in die immer wieder gleichen Läden.
Aber das schlimmste an kleinen Orten sind die Leute. Die Leute, die nicht wechseln.
Er vermisst das Leben in einer größeren Stadt, weil man da fast nie die gleichen Personen sieht. Hier hingegen kann er sogar aus dem Augenwinkel feststellen, wer gerade am Fenster vorbei gegangen ist.
Er nippt an seinem Kaffee und fährt sich nachdenkend mit der Zunge über die Lippen.
Er wäre gern wieder in der Stadt. Wenn auch nicht bei William, dann doch trotzdem an der Universität, wo er mit Miranda die Kurse besucht und gemeinsam mit ihr auf die ein oder andere Party geht.
Hier passiert nicht sonderlich viel. Hier gibt es auch Partys, aber wirklich abwechslungsreich sind sie nicht.
Er vermisst Miranda. Und er vermisst es, jeden Tag in der kleinen Bude aufzuwachen, sich aus dem Bett zu quälen und sich unter die moderige Dusche zu stellen, die der Hausmeister schon längst hätte erneuern sollen.
Aber was er nicht vermisst, sind die Kurse, die Themen, die ihn nicht interessieren und allgemein alles was mit Lernen zu tun hat.
Auf der anderen Seite vermisst er es etwas Neues zu lernen. Es ist manchmal genau der richtige Ausgleich. Denn während er auf der Arbeit immer die gleichen Figuren abstaubt, lernt er so viel, wenn er an der Uni ist. und jeden Tag in diesem kleinen Laden zu sein, wo er so gut wie nichts zu tun hat, lässt zahlreiche seiner Gehirnzellen verkümmern.
Er hätte das mit siebzehn wahrscheinlich nie geglaubt, dass er diesen Satz eines Tages denken wird, aber er vermisst das Arbeiten. Das Lernen und selbst das Schreiben von Prüfungen.
In Gedanken verloren merkt Matthew nicht, dass er seinen Milchkaffee ausgetrunken hat. Er stellt die Tasse dann schließlich zurück auf den Tisch und wird von einer Stimme aus seinen philosophierenden Gedanken gerissen.
„Soll ich nachfüllen?"
Matthews Blick zuckt nach oben. Der Kellner, der gerade hinter der Theke seinen Kaffee abgefüllt hatte, steht nun vor ihm. Eine dampfende Kanne in der Hand.
„Ähm ja, wieso nicht", meint Matthew und schiebt dem Mann seine Tasse hin.
Erst wollte er ein komisches Kommentar machen wie: „Ihr benutzt Filterkaffee? In welchem Jahrhundert bin ich gelandet?"
Aber die Augen des Mannes sind so dröge, dass Matthew den Spruch sein lässt und sogar lächelt, als er sich bedankt.
„Du warst noch nie hier", meint der Kellner dann, als er schon fast am weggehen ist. „Bist du neu in der Stadt?"
Matthew fühlt sich wieder etwas aus der Bahn geworfen, fängt sich aber schnell wieder. „Nein, ich... wohne hier schon lang." Er lässt mal den Abschnitt seines Lebens aus, an den er gerade denken musste.
Der Kellner nickt. „Aber noch nie hier im Café", stellt er fest.
„Ist das ein Verhör?", platzt es aus Matthew raus.
Der Mann, der nicht viel älter als Matthew selbst zu sein scheint, zuckt kurz zusammen. Wahrscheinlich hatte er mit dieser unfreundlichen Antwort nicht gerechnet.
„Tut mir leid. Ich langweile mich heute sehr und versuche nur jemanden zu finden, mit dem ich reden kann", murmelt er und will sich diesmal wirklich umdrehen.
Matthew beißt sich auf die Zähne. Will wirklich erst sagen, dass er sich Freunde suchen soll.
Aber er lässt es.
„Ich auch", sagt er stattdessen. „Ich langweile mich heute auch sehr."
Der Mann schaut ihn an. Er war schon auf halbem Weg zum Tresen.
„Oh", kommt es dann nickend aus seinem Mund.
„Die Stadt ist so klein", seufzt Matthew. „Ich will hier am liebsten weg."
Der Mann stellt die Kanne Kaffee auf den Tresen und verschränkt die Arme vor der Brust, während er sich locker an den Tresen hinter sich lehnt.
„Dann geh doch", sagt er. Jetzt lächelt er sogar kurz.
Matthew schüttelt den Kopf. „Und dann? Ich arbeite in einem Dekoladen. Super Qualifikation für andere Jobs und die Semester der Universitäten fangen erst nächstes Frühjahr wieder an." Er nimmt einen Schluck seines heißen Kaffees und schaut kurz von dem Mann weg.
Er schämt sich etwas. Er ist wieder da, wo er vor ein paar Jahren war.
„Man kann seine Zeit immer produktiv nutzen", zuckt der Mann mit den Schultern.
„Ach und wie?", fragt Matthew und lehnt sich in dem nicht sehr bequemen Stuhl zurück, Blick auf den Kellner gerichtet.
Dieser zuckt wieder mit den Schultern und schaut auf den Boden. Erst denkt Matthew, dass er darauf doch nicht wirklich eine Antwort hat, aber dann sagt er schließlich. „So lange man etwas macht was einem Spaß macht, kann man auch ein halbes oder ganzes Jahr überbrücken."
„Wenn ich nur Hobbys hätte", lacht Matthew und rollt dann mit den Augen.
„Man kann sich ja Hobbys suchen", meint der Mann.
„Hast du Hobbys?", fragt Matthew nach.
Der Mann lacht kurz. „Ich schreibe dumme Kurzgeschichten."
„Dumm, ah ha", nickt Matthew zögerlich. „In wie fern dumm?"
Der Mann schaut ihn kurz an, dann wieder weg. „Science-Fiction... Horror, so was in der Art."
„Klingt nicht allzu dumm", bemerkt Matthew.
Dann hört er einen Klingelton.
Er denkt erstm es sei das Handy des Kellners, aber dann fällt ihm ein, dass er einen anderen Klingelton für William eingestellt hat, als für alle anderen.
Er holt sein Handy aus der Hosentasche und drückt auf den roten Hörer.
Dann schreibt er eine kurze Nachricht an William: Ich ruf dich gleich zurück. gerade ist es schlecht.
Ein Okay folgt und dann wendet er sich wieder an den Mann.
„Wow, das war gerade eine starke Veränderung in deinem Gesicht. Wer auch immer das war, den musst du sehr mögen."
Und Matthew findet das Kommentar ein bisschen merkwürdig, aber was soll man denn von einem einsamen Kellner, der Science-Fiction und Horror in seiner Freizeit schreibt, erwarten?
-
Williams Telefon klingelt ein paar Minuten später. Er hört, dass Matthew gerade draußen ist und geht. Der Wind pustet an das Mikrofon, weswegen William den Ton leiser stellt.
„Hallo", sagt er mit einem Lächeln.
„Hallo", antwortet Matthew.
William sitzt im Auto, ist auf dem Weg nach Hause und da er es bis da nicht aushalten konnte, dachte er sich, dass er Matthew jetzt schon anruft. Schaden kann es ja nicht, oder?
„Wie war dein Tag?", erkundigt sich William und biegt ab.
„Wie immer", seufzt Matthew.
Dann ist es kurz still.
William erwartet so etwas wie: Und wie war deiner?
Aber stattdessen fragt Matthew: „Sollte ich ein Hobby haben?"
„Was?", runzelt William die Stirn. „Wieso?"
„Ich meine, wieso nicht, oder?"
„Wie du meinst. Wenn du dir ein Hobby zulegen willst, dann tu das doch", zuckt William mit den Schultern. Draußen fängt es gerade an zu regnen.
„Vielleicht sollte ich das", murmelt Matthew nachdenklich.
William schätzt, dass er gerade auf dem Weg nach Hause ist. Aber darauf spricht er ihn natürlich nicht an.
„Ich vermisse die Großstadt", seufzt Matthew. „Ich glaube hier finde ich keine Hobbys."
„Dann fahr in die Stadt", schlägt William das Offensichtliche vor.
Aber da ist auch wieder dieser unangenehme Knoten in seinem Bauch. Der Knoten, der immer dann kommt, wenn er sich fragt, was nun mit ihnen ist.
„Ich...", murmelt William dann krächzend. „Wollen wir uns mal treffen?"
Der pustende Wind ist das einzige was William danach hört. Für eine lange Zeit.
„Nur wenn du willst", fügt er noch hinzu. „Wenn du zu beschäftigt bist oder mich einfach nicht sehen willst, ist das okay. Wir können auch nur telefonieren."
William sieht es nicht, aber mitten in der Eiseskälte des Winters steht Matthew Wellington auf dem Gehweg und hat ein blasses Gesicht. Und zwar von diesem Kommentar, dass wie ein verlockendes Angebot klingt.
Wirklich sehr verlockend.
Aber sollte er es riskieren?
Sein Mund wird trocken, als er versucht mit einem Nein zu antworten.
Er kriegt das Wort nicht heraus und vielleicht ist das ja ein Zeichen.
„Wieso nicht", flüstert er dann, ungläubig über sich selbst.
Er hat Angst davor, William wiederzusehen. Denn William bedeutet Gefühle und Gefühle bedeuten keine Kontrolle über das haben was er sagt und tut.
Nun ist es William, der ruhig ist. Matthew hört nur die lauten Scheibenwischer des Autos.
Dann: „Gut. Das klingt gut. Was... Wir könnten, was können wir machen, ähm..."
„Lass uns doch in einem Café treffen", schlägt Matthew die unoriginellste Idee des Jahrtausends vor.
„Super, ja, wieso nicht. Ich suche eins aus... Oder hast du eins im Kopf? Ich richte mich nach dir. Hauptsache es gibt da Kaffee, haha, wäre komisch, wenn es da keinen gäbe, oder? Ohne ich... bzz... hab... krrr... schlechte Verbindung..."
Dann legt William auf.
Matthew sieht nicht wie sich William selbst verflucht und seine Stirn kurz auf sein Lenkrad haut und sich danach gleich wieder dafür verflucht.
Aber was Matthew weiß, ist dass William nervös ist und dass sicher nicht, weil ihm Matthew so egal ist.
Auch wenn sie an diesem Tag nur wenig telefoniert haben, muss Matthew lächeln.
Das Lächeln verschwindet auch nicht, als er in das etwas zu kalte Haus seiner Eltern geht. Und sogar nicht, als er Vincent und Albertus sieht.
Das ist ein sehr guter Fortschritt.
Vielleicht ist William ja sein Hobby.
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