⏳VI - Levia⏳
Das weiße Oberteil bedeckte ihre Haut wie eine zweite, und in der Taille zerfloss es zu bronzen schimmernden Blüten. Von den Knien abwärts fächerte sich der Rock wieder ein wenig auf. Schwarz glimmende Ornamente sandten ein sanftes Leuchten aus.
Atemlos drehte sich Levia ein klein wenig nach rechts, dann wieder nach links. Ihr unverändert weizenblondes Haar war zu einem schlichten Dutt zurückgesteckt. Bronzefarbene Kontaktlinsen leuchteten aus dramatisch umrandeten Augen, Wangenknochen stachen geradezu aus blasser Haut, dunkle Brauen wölbten sich über einem nahezu übernatürlichen Gesicht.
Wieder kein Ich.
Niemals. Aber zum ersten Mal schien ihr das eine akzeptable Unannehmlichkeit zu sein... schon beim Gedanken daran, dass sie dieses strahlende Etwas im Spiegel war, umspülte sie der ungläubige Stolz mit goldenen Wellen.
"Das ist... Mercy... das- atemberaubend." Fasziniert tasteten ihre Finger über ihr Kinn. Die des Wesens im Spiegel taten dasselbe.
"Gern geschehen, Levi. Ich denke, so kann man dich unter die Leute gehen lassen." Mercy musterte zufrieden ihr Werk. "Jetzt musst du dich nur noch angemessen verhalten-" Ein scharfer Blick- "damit es auch du bist... und nicht nur eine angemalte Puppe. Oder eine einzige Beleidigung für-"
Genervt verdrehte Levia die Augen. "Alles klar, kommt nicht wieder vor. Wobei mir in diesem Aufzug ohnehin niemand ein schlechtes Wort abnehmen würde."
"Die Schneiderin muss großartig sein, ja..." Träumerisch lehnte sich Mercy gegen eine Kommode und breitete die Arme aus. "Du darfst fliegen, Levi! Endlich fliegen! Das ist eine unfassbar große Chance für dich. Mach sie nicht kaputt, oder du verlierst deine Federn."
Selbstzufrieden schloss sie die Augen und ließ den Kopf nach hinten fallen.
Levia strich fasziniert über den Stoff...
Ein melodischer Vierton-Laut vibrierte durch die Luft.
Mercy quitschte aufgeregt und zerrte ihr Kleid zurecht, dann eilte sie zur Tür, um den wartenden Scurio hereinzulassen- ein in einen klassisch marineblauen Anzug gehüllter Mann mit makellosen Gesichtszügen und einem sympathischen Lächeln, das unnatürliche Wärme ausstrahlte.
Noch bevor Levia ihn überhaupt mustern konnte, hatte ihm Mercy bereits die Tasche mit den anderen Kleidungsstücken in die Arme gedrückt und mit ihrem iPersonal einige Anweisungen übermittelt.
"Ich soll Miss Pernal zum Wagen begleiten", setzte der Roboter in die Luft. Etwas an seiner durchaus offenen Aura rief in Levia den heftigen Drang nach Bewunderung für seinen Schaffer hervor- was nur ließ ein Antlitz so sprechen, das nur aus Kunststoff und Metallen bestand? Ein Gehirn solche Reaktionen entwickeln, das auf Drähten und Funken basierte?
"Ja, ich komme." Sie hob erneut den Blick zu dem Geschöpf im Spiegel, dessen Augen funkelten wie Sterne auf weichem Samt. "Ich glaube... ich bin bereit."
Dass dieser Abend einer gehobenen Klasse gehörte, zeigte schon das Gefährt: anstatt sie mit einer Bubble zu eskortieren, geleitete sie der Scurio zu einer luxuriösen Limousine. Der schwarze Lack glänzte in den letzten Sonnenstrahlen dieses Jahres, und die verspiegelten Glasscheiben zogen bereits einige neugierige Blicke auf sich... ganz zu schweigen von Levias futuristischem Aufzug. Sie genoss die brennenden Blicke mit einer solchen Intensität, dass es fast schon weh tat.
Der Scurio zog die Tür auf und bedeutete ihr, einzusteigen. Im Inneren befanden sich bereits zwei Männer: Damien Cafarel, der sich in einem tadellos sitzenden Jackett auf einer Couch fläzte, und ein nervös umherrutschender Engländer, der an seiner Kamera umherfriemelte.
"Hi, Lev." Damien tippte sich mit zwei Finger grinsend gegen die von einem Hut beschattete Stirn. "Gut siehst du aus... so ganz ohne Kameramann." Levia runzelte die Stirn, setzte kurz zu einer Antwort an, stockte- atmete tief durch und schloss kurz die Augen, bevor sie sich wieder fassen konnte. "Ich sehe dich täglich, Damien, und da siehst du leider auch nicht besser aus als heute", erwiderte sie zuckersüß und dankte allen übernatürlichen Mächten für die dicke Schicht Make-Up über ihren zweifellos signalroten Wangen.
Wie nicht anders zu erwarten, hatte ihr Gegenüber nichts als ein spöttisches Grinsen für sie übrig. "Ich weiß, ich bin wirklich hinreißend. Diese Stylisten sind große Klasse."
"Ach, sei doch einmal still", fauchte sie wütend und ließ sich möglichst elegant auf ein Sofa sinken, gleich neben dem Kameramann, der ihr sofort einen verzweifelten Blick zuwarf, ein wenig von ihr abrückte und fieberhaft an diversen Knöpfen drehte.
"Das", erwähnte Damien beiläufig, "ist übrigens mein Kameramann für heute, Stephen Launch. Stephen, das ist die Frau, mit der wir uns die nächste Stunde herumschlagen werden." Stephen nickte abgehackt und murmelte einen Gruß, den Levia mit einem gekünstelten Lächeln ihrerseits quittierte. Sie konnte gerade noch an sich halten, um Damien nicht an die Kehle zu gehen.
Großartig. Keine zwei Minuten mit ihm, und ihre Stimmung hatte bereits unterirdische Gefilde erreicht.
"Ich vermute, der Ablauf ist dir klar, Lev."
Nicht zum ersten Mal stand sie kurz davor, ihm den lächerlichen Spitznamen auszutreiben. Aber ein leises Stimmchen in ihr hielt sie davon ab, das laut auch nur mit einem Wort zu erwähnen. Schon das hätte Splitter in die zarte gläserne Brücke treiben und sie zerfallen lassen können... und die Brücke war alles, was ihr von ihrer Kindheit noch geblieben war.
Und von Daim.
"Allerdings." Ihre Stimme klang spitz, so unglaublich voreingenommen, arrogant... sie hasste sie in diesem Augenblick mehr als den, an den sie sich richtete. "Und obwohl du den mehr als deutlich dargelegt hast, habe ich mich für eine andere Variante entschieden."
Das unterdrückte Kichern trieb sie erneut gefährlich nahe in Richtung der Grenze. "Na, also das will ich sehen."
Die zirkulierende Luft im Wageninneren verwandelte sich in eine wabernde, stickige Masse aus lauerndem Druck.
Und was sagst du jetzt, hm?
"Wirst du."
Der war schwach.
Stephen Launch, der Zappelnde mit der Kamera, runzelte die Stirn und projizierte mit seinem iPersonal ein dreidimensionales Modell der hochmodernen Spiegelrefelex über seine Hände, als ob ihm das gerade erst eingefallen wäre.
Damien zuckte unbeschwert die Achseln. "Bitte, ich will dich nicht in deinem Glauben beeinflussen... nur..." Er senkte die Stimme auf eine Art, die bei jedem anderen respektvoll erschienen wäre, so aber eine einzige Hommage an die Beleidigung war. "Sieh zu, dass du aufhörst, bevor du dich..." Und jetzt dieser unterwürfige Blick auf seine Hände- Levia kochte vor Wut, als sie ihn seinen Gebärden die Reaktion auf den Typus einundzwanzig erkannte. Selbstgerecht, kritikunfähig, egoistisch und so weiter.
"...du weißt schon. Überforderst."
Er hatte sie so absolut unter seiner Kontrolle. Jedes gehässige Wort war ein weiterer Salzkristall in der Wunde, die täglich bei seinem Anblick wieder aufriss.
Levia konnte gerade noch an sich halten, ihm nicht einige dermaßen unflätige Worte an den Kopf zu werfen, dass Stephen dem Kameramann sein teures Stück aus den Händen gefallen wäre.
"Vielleicht behälst du deine Kommentare lieber für dich, bevor ich hier noch zu heulen anfange und das Make-Up verschmiere", schoss sie nicht besonders ungerührt, dafür aber energisch zurück und presste die Fäuste in das weiche Lederfutter der Polsterung.
Damien grinste abfällig, wandte dann nach einigen endlosen Sekunden aber endlich den Blick ab und musterte mit schläfriger Gleichgültigkeit die vorbeifliegenden Menschen und Straßen.
Aufgebracht ließ sie sich zurück in die Polster fallen. Sie verabscheute die Vehemenz und kindische Aggression, die in diesem Moment durch ihren Körper pulsierten. Sie konnte so etwas nicht gebrauchen... nicht jetzt. Dieser Abend schenkte ihr Flügel, aber es war noch lange nicht entschieden, ob sie sie nach oben oder aber nach unten tragen würden.
Und sie würde sich diese Entscheidung nicht von Damien abnehmen lassen.
Je näher die Limousine dem Zentrum kam, desto öfter drückte der Bremswiderstand die Passagiere in die tiefschwarzen Polster. Scurios in grau-blau gemusterten Anzügen beugten sich durch das Fahrerfenster, kontrollierten die Seriennummer des Chauffeurs und nahmen gelegentlich auch Stichproben der anderen iPersonals. Die Boulevards wurden langsam imposanter, die Fahrspur beanspruchte über zehn Meter in der Breite. Scurios patrouillierten zwischen den Luxuskarossen. Einmal wurde eine junge Frau in einem barocken Reifrock aus einem ultramarinblauen Mercedes gezerrt und mit einer Handfessel fortgeführt. Ihre prostestierenden Schreie und die grauenhafte Stille, die auf ein leises, elektrisches Summen antwortete, erschütterten Levia bis ins Mark.
"Entschuldigung?" Sie tippte auf den Mikrofonknopf, um Verbindung mit ihrem Fahrer aufzunehmen. "Wir... sind wir bald da?"
"Unter normalen Umständen könnten Sie den Wagen in wenigen Minuten verlassen, doch die Kontrollen werden noch etwa eine Stunde andauern", erteilte er ihr bereitwillig Auskunft. Der Server in seinem Kopf filterte Informationen aus der Umwelt, so selbstverständlich, wie ein Mensch eben dachte... in diesem Moment wäre Levia allerdings eindeutig lieber gewesen, er hätte ihr nicht die Wahrheit sagen können.
Sie wollte am liebsten nie wieder aussteigen.
Die erste wirkliche polizeiliche Kontrolle blockierte die gesamte Straße mit glänzenden pechschwarzen Einsatzfahrzeugen.
"Verzeihen Sie mir dieses plötzliche Eindringen, Miss- Sirs-" Der dunkelhäutige Mann, der den Kopf in den Hinterraum der Limousine streckte, neigte respektvoll den Kopf. "Aber ich muss sie bitten, sich auszuweisen."
Arme reckten sich nach vorn, der Polizist schob sich ein in schwarzen Kunststoff eingefasstes Glaskonstrukt auf die Nase. Das sanft blinkende rote Licht in der einen Ecke der Brille verriet Levia, dass sich auf der Innenseite, nur für den Mann sichtbar, ihre Lebensgeschichte auflistete. Die Vorstellung jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Der Polizist klappte den Knower zusammen und schickte ein weiteres entschuldigendes Lächeln in die Runde. Jedes ID-Hologramm wurde mit einem speziellen Lesegerät geprüft, bevor sie ihren Weg fortsetzen konnten.
"Das ist... gruselig", murmelte Stephen Launch, Mr. Kamera, und äußerte damit die ersten Worte, die sie von ihm hörte. Seine Stimme war nicht mehr als ein Hauch von einem Krächzen. "Sie reden ja doch", platzte Levia überrascht heraus. Stephen Launch grinste vorsichtig. "Nicht gerne."
Sie zog fragend eine Augenbraue hoch.
"Ich gehöre hinter und nicht vor die Linse." Dann wandte er sich wortlos ab und beschäftigte sich wieder mit seiner Kamera.
Die zweite Kontrolle verlief nicht ganz so angenehm. Auf ein brüskes "Los, Arm her" folgte das gewaltsame Injizieren einer Nadel in die Ellebeuge. Ein schmaler Blutfaden sammelte sich in einem winzigen Glasröhrchen, ein DNA-Scanner filterte die Identität aus dem Lebenssaft.
Die Übelkeit kehrte mit einer Intensität in Levias Körper zurück, dass sie sich würgend zur Seite warf und nur mühsam die Tränen zurückhielt. Die schwarzen Löcher, die sich vor ihren Augen auftaten, bohrten wieder und wieder ihre dämonischen Fänge in die Realität und zerrissen sie Stück für Stück in Fetzen aus nachtfarbener Leere und bruchstückhaften Albträumen...-
"Levia? Sie ist weg."
Die ausgefransten Ränder der Realität verwoben sich wieder miteinander und offenbarten das Bild von Damien, der nach wie vor entspannt herumlümmelte und interessiert seine Finger betrachtete.
Die Sache mit dem Blut war schon in besseren Jahren ein in Watte gepacktes Tabuthema gewesen, nachdem der Versuch einer provisorischen Therapie à la Damien Cafarel gescheitert war... aber auch seither nahm er- äußerst untypisch und daher lobenswert- einen bemerkenswerten Abstand zu dem Thema ein, ohne sie deswegen zu triezen.
Der Wagen bremste mit einer so fließenden Bewegung, dass Levia es noch nicht einmal bemerkte, bis der Scurio die Tür aufzog.
"Wir sind angekommen." Natürlich war ihr klar, dass es nichts als Einbildung war, doch irgendwie kam es ihr so vor, als ob seine Augen vor Begeisterung aufleuchten würden... wie ein Spiegel ihrer eigenen.
Das Cauvér-Theater, ein gewaltiger Steinbau im klassizistischen Stil, reckte sich weit in den zunehmend dunkleren Himmel. Imposante Säulen säumten einen breiten Aufgang, der sich nach oben hin verjüngte und auf ein atemberaubendes Portal zustrebte.
Riesige, in die Länge gezogene Glasfenster, eingefasst von reinem Weiß, unterbrachen die saubere Fassade in regelmäßigen Abständen.
Die Karossen, die am Fuß der Treppe parkten, blitzten dermaßen hell, dass der Betrachter gezwungen wurde, den Blick abzuwenden... und doch nicht anders konnte, als die futuristischen Formen und extravaganten Gestalten anzustarren. Es schien Levia fast wie ein gewaltiges Gemälde, so voll von vielfältigen Sinnesreizen, dass Jahre nicht gereicht hätten, um alles einzeln wahrzunehmen.
"Wow..." Damien blieb der Mund einen kostbaren Moment lang offenstehen, seine Arme froren in der Luft fest. Stephens Gesicht war noch nicht einmal sichtbar. Das Kameraobjektiv nahm den ganzen Platz vor seinem Kopf ein, und das unablässige leise Klicken übertönte seine unregelmäßigen, nervösen Stolperschritte auf dem perfekten Straßenbelag.
Levias Augen waren nicht groß genug, um diese Welt wahrzunehmen. Ihre Sinne waren komplett überfordert. Sie spürte, wie ihre Lungen sich ausdehnten, anspannten in dem hoffnungslosen Versuch, den endlosen Reichtum und Prunk aufzusaugen...
Sie zuckte erschreckt vor der sanften Berührung des Scurios zurück, der sie auf der einen und Damien auf der anderen Seite am Arm ergriffen hatte.
"Sir Cafarel, Sir Launch, ich bringe Sie zum Jounalistentreffpunkt. Dort erhalten Sie weitere Anweisungen, wie Sie sich bewegen dürfen. Miss Pernal- auf Sie wartet jemand. Ich bringe Sie danach zu der Person."
Horlan.
In ihr platzte eine unsichtbare Blase auf und jagte eine weitere Welle aus Adrenalin und Endorphinen durch ihr Blut. Horlan. Er hatte ihr vergeben, ihr eine Chance geschenkt... sie würde sie nutzen.
Klick. Klick. Klick.
Levia dankte allen Göttern, von denen sie wusste, dafür, dass sie auf der Schule Kilometer um Kilometer in Stöckelschuhen hatte laufen und rennen müssen... ihre Füße taten ihre Arbeit ganz von allein. Was auch gut so war. Ihr Gehirn war mit allem anderen beschäftigt, es verarbeitete auf Hochtouren die makellosen, hohen Wände, die vielfarbigen, exotischen Topfpflanzen und Palmen, die zahllosen Scurios, die sich an ihre Herren hielten und die einzigen grauen Flecken inmitten von all den überwältigenden Farben und Formen...
An den Wänden reihten sich Millionen-Gemälde. Goldene Schirmhalter und Haken. Prunkvolle Kronleuchter, die ihre überladenen Arme tief über die Menschenmenge herabsenkten, wie ein Baum die mit überreifen Früchten beladenen Äste.
Damien hatte recht gehabt... das hier war eine Nummer zu groß für sie.
Aber es war auch zu groß für Stephen Launch. Und vor allem zu groß für ihn selbst.
Die Jounalistengruppe, zu der der Scurio Damien und den Kameramann geleitete, war ein Haufen aus nervös aufeinander einredenden, sich misstrauisch beäugenden Menschen in allen Altersgruppen. Ein paar von der Älteren wirkten ein klein wenig gefasster, doch alles in allem war sichtlich keiner immun gegen den eindrucksvollen, allgegenwärtigen Lebensstil der Reichen und Schönen.
Und Himmel- alle waren da.
Im Vorbeigehen erhaschte Levia Blicke auf eine Gruppe japanischer Wissenschaftler, eine amerikanische Modebloggerin- von nicht wenigen unwilligen Blicken bedacht-, einen berühmten deutschen Fotografen, der den Kopf mit einigen russischen Designern zusammensteckte; da waren einige Schauspieler und Sänger, Minister aus allen möglichen Ländern, Scheichs und Königsfamilien...
Und Horlan.
Sobald sie einen Blick auf sein Profil erhaschen konnte, durchzuckte sie ein Stromstoß. Wiederum hatte er sich nicht zu einem Anzug herabgelassen, sondern fühlte sich sichtlich wohl in dem schlichten dunklen Jackett. Er unterhielt sich angeregt mit einem älteren Herrn, an dessem Arm sich eine schlanke Frau festhielt.
Die zwei marineblau gewandeten Scurios wandten wie ein Wesen die Köpfe, sobald Levia den offenbaren Grenzstrich übertreten hatte.
Einer machte einen bedrohlichen kleinen Schritt auf sie zu, doch dann wandte Aidan Horlan den Kopf.
Seine Augen leuchteten kurz auf, als er sie von Kopf bis Fuß musterte, bevor er rasch auf sie zukam. Unkonventionelles Küsschen auf die Wange. Danke auch.
"Sie sehen bezaubernd aus." Er lächelte sie offen an und hielt ihr die Hand hin.
"Danke, gleichfalls." Sie überspielte ihre Nervosität gekonnt mit einem Strahlen, das von Herzen kam. Dinge, die man einmal erlernt hatte, vergaß man eben nicht so schnell... und was sie ihre Ausbildung gelehrt hatte- grenzenlos viele, teilweise außerordentlich nützliche Dinge. Glücklich sein, zum Beispiel. Oder glücklich sein, ohne glücklich zu sein.
"Levia, darf ich vorstellen?- Mein Adoptivvater. Somnus DeClaire. Somnus, das ist die Journalistin, von der ich dir erzählt hatte."
Somnus DeClaire war ein hochgewachsener, schlanker Mann in den Mittfünfzigern. Auf den ersten Blick schienen seine von weißen Härchen durchwachsenen Schläfen und der schmächtige Körper nicht sonderlich außergewöhnlich oder eindrucksvoll, doch die dunklen Augen leuchteten in den Höhlen wie Sterne und sein Rückgrat war gewunden wie das eines Panthers. Die stolze Haltung schrie seine Stellung heraus- reichster Mann Britanniens. Aus einem Nichts heraus hatte er ein Vermögen aufgebaut.
"Levia?" Die Stimme ließ die Luft in rauen Tönen vibrieren... er war ein noch viel besserer Redner als Horlan, zweifelsohne. "Nun... der Name passt, nicht war?" Ein durchwachsenes Lächeln. "Und damit alle Bescheid wissen- das hier ist Anastasia Agnikow." Die kleine Frau nickte knapp. Blasse Haut, platinblondes, wallendes Haar und ein schmales Gesicht mit verkniffenen Lippen. Ihre Aura war wie eine Welle aus Eis, doch Levia konnte gar nicht anders, als die großen, außergewöhnlich azurblauen Augen zu bewundern... manche Augen sprachen vielleicht, aber die von Anastasia Agnikow sangen.
"Ach, Levia?- Sie wollen nicht zufällig mit mir kommen und sich den iQaster nochmal aus der Nähe ansehen, bevor er der breiten Masse präsentiert wird...?" Mit einem raschen Blick auf Somnus DeClaire fügte Horlan in verschwörerischem Tonfall hinzu: "Sie geben mir nämlich das Gefühl, etwas wieder gut machen zu müssen."
Schon allein die Vorstellung, dass sie- eine einfache Journalistin, niemand Besonderes- eine solche Chance bekommen sollte...
"Zu gern", hauchte sie und achtete genau auf ihre Stimmfarbe. Ein dunkler, sehnsüchtiger Ton. Genau das, was ein Typus 27 von Zeit zu Zeit benötigte, um sein Selbstbewusstsein zu stärken.
Sein erfreutes Lächeln belohnte ihre Anstrengungen, und der dargebotene Arm unterstrich ihren Erfolg. Levia musste sich noch nicht einmal darum bemühen, das unterwürfige Strahlen beizubehalten... es stahl sich ganz von selbst in ihre Züge. Horlan war diese eine hohe Sprosse in ihrer Erfolgsleiter. Sie würde sie bezwingen, zweifellos.
Das Glücksgefühl rauschte golden in ihrer Bauchgegend, als sie ihm durch das Meer aus Gold und Juwelen folgte.
Nur ein paar Worte spukten ihr noch im Kopf herum.
Levia...? ...Der Name passt, nicht wahr?
'Levia' war Latein... für 'leichtsinnige Dinge'.
Was hatte sie getan?
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