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30. Noblesse oblige [1]

Auf ihrem Rückweg zum Schloss wehte Emma ein kalter Wind entgegen. Ein Unwetter schien sich über der Morgenwind zusammenzubrauen. Dunkle Wolken türmten sich am Himmel auf. Emma wusste nicht, wie man diesen Wolkentyp nannte, aber sie hätte ihn Monstrocumulus getauft, wenn es an ihr gewesen wäre, einen Namen dafür zu finden.

Zu ihrer Überraschung fand Emma den Baron nicht im Bett, sondern im Ballsaal des Schlosses vor, wo er sich von Bewohner zu Bewohner schleppte, um jedem seinen Dank auszusprechen und Zuversicht zu verbreiten. Er tat dies ganz offensichtlich im Angesicht großer, kaum zu ertragender Schmerzen, die er bis auf ein gelegentliches Zittern oder Zucken gut zu verbergen wusste. Wenn ihm das Reden zu anstrengend wurde, ließ er seine Untertanen zu Wort kommen, und wenn er sich nicht mehr fortbewegen konnte, stützte er sich unauffällig an einem Tisch oder Stuhl ab. Kamilla und Miragel wichen ihm nicht von der Seite und belauerten jede seiner Bewegungen, als erwarteten sie, dass er jederzeit ohnmächtig werden könnte. Vermutlich stimmte das sogar.

Ungeduldig wartete Emma darauf, dass er seine Runde durch den Saal beendete, doch Kilian ließ sich Zeit – und je mehr Schmerzen er hatte, desto mehr Zeit ließ er sich.

»Was ist denn los?«, fragte Derrick und glitt mehr oder weniger lautlos an ihre Seite. »Du siehst ja aus, als hättest du dir in die Hose gemacht.«

Emma schürzte die Lippen. »Keine Sorge. Falls es soweit kommt, erfährst du es als Erster.« Sie verdrehte über ihren eigenen dummen Spruch die Augen und musterte Derrick, dessen linkes Auge von einem frischen Veilchen geziert wurde. »Was ist denn mit dir passiert?« Ihr Blick wanderte zu Rasputin, der mit Derrick den Saal betreten hatte, aber im Gegensatz zu Derrick frisch und ausgeruht, satt und zufrieden wirkte. »War er das?«

Derrick winkte ab. »Nein. Wir hatten ein wenig Ärger mit einem der Zuhälter. Wäre Rasputin nicht gewesen, hätte es mich wohl noch schlimmer erwischt.«

»Aber was ist denn passiert?«, wollte Emma wissen.

»Das glaubt mir eh keiner«, erwiderte Derrick, aber dann erzählte er es trotzdem. »Die Damen und Herren aus dem horizontalen Gewerbe haben sich geweigert, Bezahlung anzunehmen. Das wiederum hat ihren Zuhältern gar nicht gefallen.«

»Sie haben sich geweigert, Bezahlung anzunehmen?«, echote Emma wenig geistreich.

Derrick schielte zu Rasputin und fuhr im Flüsterton fort: »Ich weiß nicht, wie er das macht, aber seine Dienstleister waren derart beglückt, dass sie der Meinung waren, ihn für seinen Einsatz entlohnen zu müssen.« Er rieb sich die Nasenwurzel. »Jedenfalls ... ein Wort ergab das andere. Rasputin war nicht besonders kooperativ. Und Schwupps ... befinde ich mich mit mitten in einer Prügelei mit einem Pavian im lila Lycra-Hemd und fetten Goldringen an jedem Finger.«

Emma bemühte sich, nicht zu lachen. »Und dann?«

Derrick bedeutete Emma, ihn anzusehen. »Sehe ich für dich vielleicht aus wie jemand, der sich gern prügelt? Diese Halbaffen hätten mir alle Zähne ausgeschlagen, wenn Rasputin nicht gewesen wäre. Er hat ihnen demonstriert, was sie in der Hölle erwartet, wenn sie weiterhin so wenig kundenorientiert arbeiten. Danach haben wir uns aus dem Staub gemacht.«

»Tut mir echt leid, dass das so blöd gelaufen ist«, meinte Emma und sah zu Kilian, der sich zu Finka und Penny gekniet hatte, damit sie ihm ihre Ängste anvertrauen konnten. Seine Nähe ließ die sonst so vorlaute Penny ganz schüchtern werden. Unruhig scharrte sie mit dem Fuß und knetete ihre Finger.

Während Finka dem Baron etwas ins Ohr flüsterte, trafen sich Kilians und Emmas Blicke. Sie versuchte, ihm zu signalisieren, dass sie etwas Wichtiges miteinander zu besprechen hatten. Daraufhin lächelte er und nickte ihr unauffällig zu.

Das Unwetter nutzte genau diesen Moment, um über das Schloss hereinzubrechen. Ein heftiger Regenschauer brandete gegen die Fensterscheiben. Unter den Platzregen mischten sich Hagelkörner, die ein dumpfes Trommelgeräusch verursachten. Emma konnte den Wind um die Schlosstürme heulen hören. In der Ferne rumpelte ein Donner. Instinktiv rückten die Bewohner enger zusammen. Dabei war das Wetter vermutlich ein gutes Zeichen. Es würde sie vor den Geflügelten beschützen.

Nachdem Kilian mit den beiden Mädchen gesprochen hatte, raunte ihm Miragel etwas zu. Es schien ihn ziemliche Überwindung zu kosten, aber schließlich willigte Kilian ein und ließ sich von seiner Schwester zur Tür geleiten. »Hallo, Emma«, sagte er. »Wie geht es dir?«

Emma nahm seine Hand, damit er sich an ihr festhalten konnte. »Mir geht es gut, aber du solltest dich ausruhen.«

»Das werde ich«, erwiderte Kilian. »Sobald Zeit dazu ist.« Er drückte ihre Hand. »Worüber willst du mit mir sprechen?«

»Ich möchte dich um Erlaubnis fragen«, antwortete Emma.

Kilian sah ihr unverwandt in die Augen. »Um was zu tun?«

»Um mit der Prinzessin zu sprechen.« Emma bemerkte die Verwunderung in Kilians Blick und ergänzte: »Ich habe den begründeten Verdacht, dass sie nicht ist, was sie zu sein vorgibt.«

»Wie meint Ihr das?«, mischte sich Miragel ein.

»Ich glaube, der große Megamon ist immer noch in der Stadt«, fuhr Emma fort. »Und ich glaube, er gibt sich auch noch immer als die Prinzessin aus – so wie er es vermutlich schon seit Monaten oder gar Jahren tut. Vielleicht sogar schon seit Jahrhunderten.«

Als ihr die Dimensionen ihrer Anschuldigung bewusst wurden, fühlte sie sich ganz schwindelig. Doch die Worte waren raus und ließen sich nicht mehr zurücknehmen. Stockend berichtete sie Kilian von ihrem Traum und ihrer Entdeckung am Hof der Morgena.

»Ich vermute, die Morgena wollte mich in meinen Träumen darauf aufmerksam machen, dass die Prinzessin in Wirklichkeit ein Megamon ist. Dieser Megamon muss sich irgendwann in die Stadt geschlichen und die Rolle der Prinzessin angenommen haben. Danach hat er euch von der Villa Rosso aus beobachtet, euch belauscht und gewartet. Und dann hat er diese Unfälle inszeniert.«

»Glaubt Ihr das wirklich?«, erwiderte Miragel höhnisch. »Weshalb sollte die Morgena ausgerechnet mit Euch sprechen, mit einer Fremden?«

»Weil ihr niemand anders zugehört hat«, entgegnete Emma hitzig. »Wie erklärst du dir sonst die ganzen unterbewussten Botschaften, die sie ausgesendet hat? All die Jahre lang ... ohne, dass irgendein Baron sie beachtet hätte?«

»Das ist anmaßend«, sagte Miragel. Seine grauen Augen hatten die Farbe des Sturms, der um die Schlossmauern wütete. »Die Morgena würde niemals mit einer Fremden sprechen. Und was die Bücher der Bestimmung angeht – Ihr hättet sie nicht einmal sehen dürfen, geschweige denn, berühren.«

»Ihr könnt froh sein, dass ich sie mir angesehen habe«, konterte Emma. »Wer sollte diesen Megamon sonst aufhalten?«

»Ich habe auch in den Büchern der Bestimmung gelesen«, meinte Derrick. »Und kann daher bestätigen, was Emma gesagt hat.«

Kilian schwieg angestrengt, aber seine Schwester war nicht so zurückhaltend. »Es stimmt«, gab sie zu. »Diese Kritzeleien existieren, aber Vater hat uns gelehrt, sie zu ignorieren. Sie haben keinerlei Bedeutung.«

Emma wandte sich direkt an Kilian: »Bitte. Lass mich mit der Prinzessin sprechen. Vielleicht kann ich sie dazu bringen, sich zu offenbaren.«

»Das ist absurd«, zischte Miragel. »Die Prinzessin ist die Prinzessin und kein Megamon. Ich habe sie gesehen.»

»Ach ja? Und was war vorletzte Nacht?«, erwiderte Emma aufgebracht. »Da hast du dich auch geirrt. Anscheinend hat der Megamon keine Probleme damit, deine Ach-so-guten Augen zu überlisten.« Ihr war klar, dass sie das besser nicht gesagt hätte. Miragels Augen blitzten gefährlich und es war Emma, als könnte sie die Luft zwischen ihnen knistern hören.

»Ihr solltet sie wenigstens anhören«, sagte Rasputin und legte Emma eine Hand auf die Schulter. Sie schüttelte ihn ab, aber der Dämon achtete nur auf Miragel, als erwartete er, der Elf könnte die Nerven verlieren.

»Genug«, befahl Kilian. »Die Prinzessin steht unter meinem Schutz, Emma. Und sie ist sehr, sehr empfindlich. Du hast sie doch kennengelernt.«

»Was, wenn das alles nur Fassade ist?«, entgegnete Emma. Ihr wurde bewusst, dass ihr Gespräch inzwischen allerlei neugierige Zuhörer angezogen hatte. Jeder schien auf ihre Worte zu lauschen. »Dieser Megamon muss schon lange unter euch leben. Er hat sogar gelernt, Laurents Nase und Belles und Miragels Augen zu täuschen.«

»Aber wieso das alles?«, fragte Kilian. »Wieso diese Unfälle? Wieso jetzt?«

»Weil wir dem Untergang geweiht sind«, sagte Derrick. Seinen Worten folgte ein dröhnender Donner, der die Wände des Schlosses erzittern ließ und Finka in Laurents Arme trieb. »Der Megamon hat diese Unfälle inszeniert, um uns ganz langsam fertigzumachen. Ohne dass wir ihm dabei auf die Schliche kommen. Jetzt sind wir geschwächt und die Morgenwind liegt im Sterben. Deswegen haben sich auch die Geflügelten die Ehre gegeben. Um uns den Gnadenstoß zu versetzen. Sie wollten es persönlich zu Ende bringen.«

»Diese Theorie würde ich unterstützen«, meldete sich Anoushka zu Wort und trat hinter Emma, wobei sie sorgsam darauf achtete, Rasputin nicht zu nahe zu kommen. »Meine Testergebnisse deuten darauf hin, dass Euer Vater, Herr Kilian, sukzessive vergiftet worden ist – und zwar mit dem Gift des Megamon, der auch Euren Bruder angegriffen hat.«

»Ich wusste es!«, vernahm Emma Karels Stimme über das Prasseln des Regens und das Rumpeln der Donner. »Vater ist nicht einfach so gestorben! Er wurde ermordet!«

Ungläubiges Gemurmel breitete sich im Ballsaal aus.

»Ich nehme an, dass dieser Megamon viel intelligenter als seine Artgenossen ist«, fuhr Anoushka fort. »Er hat unseren Bestand ausgedünnt und uns anschließend gegeneinander aufgehetzt. Auf diese Weise hat er die einzigen Bewohner aus der Stadt vertrieben, die den Geflügelten gefährlich werden konnten.« Sie deutete mit ihrem Zauberstab erst auf sich, dann auf Rasputin, der sie dabei misstrauisch beäugte. »Nachdem wir die Stadt verlassen hatten, musste er die Morgenwind nur noch lange genug aufhalten, damit die Geflügelten ihren Angriff vorbereiten konnten. Zum Beispiel durch ein großes Feuer.«

»Aber das bedeutet nicht, dass sich dieser Megamon in Gestalt der Prinzessin versteckt«, erwiderte Miragel. Dann schien er es sich anders zu überlegen und lächelte herablassend. »Doch nehmen wir mal an, es wäre so. Was glaubt Ihr, wo sich die echte Prinzessin befindet?«

»Vielleicht hat er sie über die Kante geworfen«, schlug Emma vor.

»Das wüssten wir«, sagte Kamilla. »Die Prinzessin ist mit dieser Stadt verbunden. Wir würden es merken, wenn sie nicht mehr hier wäre.«

Emma wandte sich wieder an Kilian: »Wenn du nicht willst, dass ich mit der Prinzessin rede, können wir auch den Sehenden verwenden. Das wäre doch auch eine Möglichkeit, oder etwa nicht?«

»Es reicht jetzt«, erklärte Kilian. Er sprach nicht wirklich laut, aber etwas an seiner Stimme sorgte dafür, dass man sie auch bis in den hintersten Winkel des Saals hören konnte. »Die Prinzessin obliegt meiner Verantwortung. Ich muss sie beschützen.«

»Aber diese Kreatur in der Villa Rosso ist nicht die Prinzessin«, wandte Emma ein.

»Die Prinzessin ist für uns wie eine Heilige«, fuhr Kilian fort, mit einer Strenge, die Emma Angst einjagte. »Und die Villa Rosso ist ihr Heiligtum. Es ist ehernes Gesetz, dass wir die Reliquien in ihrer Gegenwart nicht einsetzen. Sie könnte sich dadurch belästigt fühlen. Und das Wohlbefinden der Prinzessin ist unser höchstes Gut. So lauten nun einmal die Gesetze auf der Morgenwind.«

Emma blickte sich hilfesuchend um, doch die meisten Bewohner schienen mit Kilian einer Meinung zu sein. Selbst Derrick nickte zustimmend.

»Es tut mir leid, Emma«, sagte Kilian. »Aber was das angeht, bist du hier oben noch immer eine Fremde. Ich kann dir nicht erlauben, die Prinzessin mit deinen Vorwürfen zu beunruhigen, so angebracht sie dir auch erscheinen mögen.« Sein Blick wurde wieder sanfter. »Bitte, versuch, mich zu verstehen, Emma.«

Emma entzog ihm ihre Hand. »Das kann ich nicht. Du begehst einen großen Fehler.« Mit einem bedauernden Lächeln fügte sie hinzu: »Wirst du irgendwann auch mal auf mich hören? Weil, wenn nicht, dann hat das hier alles überhaupt keinen Sinn.« Sie wartete nicht auf seine Reaktion, sondern wandte sich zum Gehen. Ohne besondere Eile durchquerte sie die düstere Eingangshalle und stieg die Treppe zum Burgfräulein-Zimmer hinauf. Der Sturm tobte derweil unvermindert weiter und breitete sich dabei auch bis in ihr Inneres aus.



*



Das Unwetter tauchte die malerische Landschaft der Morgenwind in tausend unterschiedliche Grauschattierungen. Kein einziger Farbtupfer konnte die Monotonie durchdringen. Tropfen lieferten sich auf den Fensterscheiben ein nicht enden wollendes Wettrennen. Windböen peitschten um den Turm, zerrten an den Mauern und Dachschindeln. Überall konnte man es heulen und klappern hören.

Emma saß im Schneidersitz auf dem Bett und betrachtete ihr zerschundenes Gesicht in einem Handspiegel. Ihre Nase war geschwollen und dunkle Blutergüsse zogen sich wie Tränensäcke unter ihren Augen entlang. Vorsichtig betastete sie ihr Gesicht. Sie sah wirklich schrecklich aus. Und ihre jüngste Auseinandersetzung mit Kilian trug nicht dazu bei, dass sie sich besser fühlte. Dabei hatte sie so sehr gehofft, dass er zur Abwechslung mal etwas riskieren und die Regeln der Morgenwind über Bord werfen würde. Aber ganz offensichtlich hatte sie sich geirrt. Vielleicht würde sich Kilian nie ändern. Und sie würde niemals mehr sein als eine Fremde.

Eine besonders heftige Böe drückte den Regen gegen ihr Fenster. Kurz darauf erhellte das Flackern eines Blitzes den Raum. Das Klopfen an ihrer Tür wurde vom darauffolgenden Donner fast verschluckt.

»Emma?« Klarissa öffnete die Tür einen Spalt breit und zwängte sich hindurch. Dann schloss sie die Tür hinter sich und schlich auf Zehenspitzen zu Emma ans Bett. »Du bist ja noch hier«, sagte sie, wobei sie sich bemühte, leise und deutlich zugleich zu sprechen.

»Wo sollte ich denn sonst sein?«, erwiderte Emma

Klarissa hockte sich auf die Bettkante. »Na ja, auf dem Weg zur Prinzessin.«

»Unsinn«, widersprach Emma, auch wenn sie mit dem Gedanken durchaus gespielt hatte. »Ich will Kilian nicht schon wieder gegen mich aufbringen.«

»Mein Bruder ist auf deiner Seite«, sagte Klarissa und zupfte ihre hochgeschlossene, schwarze Uniformjacke zurecht, die mit Schulterklappen und silbernen Ziernähten versehen war und Emma an die Kleidung ihrer Brüder erinnerte. Vermutlich besaß jedes Familienmitglied eine derartige Uniformjacke.

»Ist das so?«, fragte Emma spöttisch.

Klarissa nickte nachdrücklich, griff in ihre Tasche, zog einen Schlüssel heraus und ließ ihn direkt vor Emmas Augen klimpernd in der Luft tanzen. »Damit können wir alle Türen der Villa Rosso öffnen, für den Fall, dass sie sich eingeschlossen haben sollte.«

»Hat Kilian dir den gegeben?«, hauchte Emma und streckte die Hände nach dem Schlüssel aus.

Klarissa ließ ihn in ihre Handflächen fallen. »Hat er. Karel wartet unten. Wir sollten uns gleich auf den Weg machen.«

»Aber warum so umständlich?«, fragte Emma, während sie den Schlüssel wie einen Schatz in ihren Händen barg. »Warum dieses Theater?«

»Weil er der Baron ist und die Regeln der Morgenwind nicht einfach brechen kann. Er muss sich an das halten, was unser Ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-ur-Großvater dem König aller Welten geschworen hat«, antwortete Klarissa, während sie zur Tür spazierte. »Aber Karel und ich, wir sind dumme Kinder. Und du, du bist eine Fremde. Wenn wir was Idiotisches anstellen, obwohl er uns in aller Öffentlichkeit davon abgeraten hat, wird man uns verzeihen.« Sie machte eine auffordernde Handbewegung. »Also los, komm schon. Wenn es stimmt, dass die Prinzessin in Wahrheit ein Megamon ist, zählt jede Sekunde!«

Das ließ sich Emma nicht zweimal sagen.



*



»Hast du noch dein Messer?«, fragte Karel, nachdem sie sich aus dem Schloss geschlichen hatten und sich abseits der Wege durch das Unwetter kämpften.

»Nein!«, rief Emma. Sie musste fast schreien, um das Tosen des Regens und das Brüllen des Sturms, der über die Felder fegte, zu übertönen. Im Innern einer Waschmaschine musste es derzeit gemütlicher sein als auf der Morgenwind. Das Wasser schien von oben, aber auch von unten zu kommen. Es verwandelte den Boden unter ihren Füßen in eine von Pfützen gesprenkelte Matschlandschaft.

»Verdammt, Emma!«, grollte Karel. »Du solltest ab jetzt immer eine Waffe dabeihaben!«

»Tut mir leid!«, erwiderte Emma, auch wenn sie in Wahrheit froh darüber war, das Messer im Schloss zurückgelassen zu haben. Wahrscheinlich hätte sie sich damit nur selbst verletzt. »Ist die Morgenwind für diesen Sturm verantwortlich?«

Karel wandte sich nach ihr um. Die Böen zerrten an seinen Locken und an seiner Uniformjacke. »Ich glaube schon!«

»Emma hat Recht!«, rief Klarissa. »Wenn die Morgenwind will, dass wir die Prinzessin finden, sollte sie uns dann nicht ein bisschen netter behandeln?«

»Nein!«, widersprach Emma und bemühte sich, zu den zwei Adelskindern aufzuholen. »So meinte ich das nicht. Ich denke, die Morgenwind beschützt uns mit diesem Sturm vor den Geflügelten!«

»So ist es!«

Die fremde Stimme ließ Emma erschrocken zusammenzucken.

Karel erging es genauso. Er fuhr herum, zog sein Schwert und schlug damit zu. Der Fremde wehrte den Angriff mit seiner eigenen Waffe ab. Das Geräusch, mit dem Stahl über Stahl rieb, jagte Emma einen Schauer über den Rücken.

Eine maskierte Gestalt mit einem langen Mantel, der ihren eher zierlichen Körper umflatterte, hatte sich vor ihnen aufgebaut und hielt Karel mit dem Schwert auf Distanz. »Und es kostet sie ihre letzte Kraft. Wenn wir jetzt scheitern, wird die Morgenwind untergehen«, sagte der Fremde.

»Der Einsame Emiel!«, keuchte Karel ehrfürchtig, ließ seine Waffe aber nicht sinken. Aus seinen Augen sprach wilde Entschlossenheit, aber auch glühende Verehrung.

Emma wollte sich die Feuchtigkeit aus dem Gesicht wischen, verteilte sie dabei jedoch nur noch gründlicher. Gut zu wissen, dass wir nicht unter Erfolgsdruck stehen, dachte sie.

»Bist du auf unserer Seite?«, fragte Klarissa.

Ein einzelner Blitz zerriss die Wolkendecke und tauchte die Szenerie für einen kurzen Moment in blendend helles Licht, das von den gekreuzten Klingen reflektiert wurde. »Das bin ich«, sagte der Einsame Emiel in der kurzen Pause zwischen Blitz und Donner. »Das war ich immer.«

»Aber warum?«, wollte Klarissa wissen. »Warum hilfst du uns?«

»Benutze den Sehenden«, erwiderte der Einsame Emiel. »Dann wirst du es verstehen.«

Klarissa ließ die Schultern hängen. Die blonden Haare klebten ihr an Stirn und Wangen. »Das kann ich nicht.«

»Die Wenigsten können das«, sagte der Einsame Emiel ernst. »In der ganzen Geschichte der Morgenwind gab es vielleicht drei Barone von Morgen, die es gekonnt hätten.«

»Drei?«, hauchte Klarissa ungläubig.

Der Einsame Emiel nickte. »Von allen Reliquien verlangt der Sehende die größte innere Stärke. Die Wahrheit nicht nur zu sehen, sondern sie auch noch zu ertragen, erfordert eine ganz besondere Kraft.«

Von den Worten des Einsamen Emiels ermutigt, fasste Klarissa in ihre Tasche und zückte den Sehenden. Vorsichtig klemmte sie ihn sich wie ein Monokel ans Auge. Sofort entwich ihr ein heiserer Schrei. Die Reliquie schien sich tief in ihre Haut zu graben. Blut lief ihr über das Gesicht. Tränengleich stömte es an ihrem Nasenrücken entlang, sammelte sich erst in ihrem Mundwinkel und tropfte ihr dann über das Kinn.

»Hör auf!«, rief Karel. »Du bist zu schwach dafür!«

Klarissa ächzte und taumelte. Ihr Blick wanderte zum Einsamen Emiel und der Schmerz auf ihrem Gesicht verwandelte sich erst in Staunen, dann in grenzenloses Entsetzen. »Du bist es!«, hauchte sie und sank auf Knien in den Matsch.

Der Einsame Emiel wandte sich an Emma: »Du weißt, wer ich bin, oder?«

»Ich habe da so eine Vermutung«, erwiderte Emma, wenngleich sich ihr vager Verdacht erst in den letzten Minuten gefestigt hatte.

»Was hat das zu bedeuten?«, rief Karel und verstärkte den Druck auf die Klinge des Einsamen Emiels, der jedoch keine Probleme hatte, ihm standzuhalten.

»Lass das Schwert sinken, Karel«, meinte Emma. »Vor dir steht Prinzessin Oleanne, die Tochter des Königs aller Welten.«

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