
24 | Zentrum der Aufmerksamkeit
1.965 Worte
Ich genieße den Luxus endlich wieder mit dem Auto zum Gym zu fahren, als ich auf dem Parkplatz halte, den Motor abstelle und nach meiner Tasche greife, die ich auf dem Beifahrersitz deponiert habe.
Bei dem Gedanken gleich wieder mit Reece zu schwimmen, kribbelt mein Bauch vorfreudig und all die negativen Gedanken des Tages rücken weit weg in die hinterste Ecke meines Gehirns. Als würde ich sie durch die verkehrte Seite eines Fernrohres betrachten.
Mit einem sanften Lächeln umfasse ich die Bügel der Tasche fester und steige aus. Schon am Eingang empfängt mich der vertraute Schwimmbadgeruch nach Chlor und schwüler, warmer Luft.
In der Umkleide schlüpfe ich eilig aus meinen Klamotten, den Badeanzug habe ich wie immer schon darunter angezogen, und brause mich bei den Duschen kurz ab, bevor ich das Hallenbad betrete. Wie so oft bin ich vor Reece da.
Ich gehe zur Treppe und steige langsam in das angenehm temperierte Wasser. Dann tauche ich einmal komplett unter Wasser und streiche mir beim Auftauchen die Babyhaare, die sich aus meinem Pferdeschwanz gelöst haben nach hinten.
Weil Reece noch nicht da ist, nutze ich die Zeit, um mich warm zu schwimmen. Außer mir sind nur noch ein älterer Opa und eine Dame in den Fünfzigern im Becken. Ob ich ausprobieren sollte, zu kraulen?
Ich schüttle den Kopf. Lieber nicht. Das ginge wahrscheinlich total peinlich aus, weil ich nach Luft röchelnd absaufen und jeder mich anstarren würde. Also versuche ich stattdessen die Technik, die Reece mir beigebracht hat, zu verfeinern.
Es dauert nur knapp fünf Minuten, in denen ich etwas mehr als drei Bahnen schaffe, als Reece aus der Männerdusche tritt. Am Beckenrand hält er kurz inne und nachdem er mich entdeckt hat, springt er wie immer mit einem eleganten Kopfsprung ins Wasser. Scheinbar mühelos schwimmt er an meine Seite und zieht mit ruhigen, langen Zügen neben mir her.
»Du wirst immer besser«, kommentiert er anerkennend.
Da ich gerade einen schönen Rhythmus gefunden habe, drehe ich nur leicht den Kopf zur Seite, damit er mein Lächeln sieht, ehe ich mit dem nächsten Zug wieder untertauche.
Ich werde fast ein bisschen neidisch, als ich bemerke, wie lässig Reece neben mir herschwimmt. Weil er größer und deutlich trainiert ist als ich, brauche ich zwei Schwimmzüge, wo er nur einen macht. Erst als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht habe, fällt mir auf, dass ich nicht mein Gewicht für diesen Unterschied verantwortlich gemacht habe. Und es auch wirklich so meine.
Ich bin immer noch dick und ich will immer noch abnehmen, aber zu akzeptieren, dass ich nicht schlecht bin, nur weil ich langsamer schwimme, ist ein gewaltiger Schritt.
Ich wünschte, Sammy wäre hier, um ihn mitzuerleben. Das ist doch das, worauf er seit dem Tag, an dem wir uns kennengelernt haben, hingearbeitet hat.
Am Ende der Bahn halte ich an.
»Alles okay?« Reece schwimmt neben mich und legt seinen Unterarm am Beckenrand ab.
Ich nicke, schiebe den Gedanken ganz weit nach hinten zu den anderen und konzentriere mich wieder auf Reece. Herausfordernd hebe ich eine Augenbraue und blicke ihn mit einem Schmunzeln auf den Lippen an. »Willst du jetzt die gesamten sechzig Minuten neben mir schwimmen?«
Er schiebt die Taucherbrille hoch und imitiert meinen Blick. »Soll ich das denn?«
In Sekundenschnelle laufe ich puterrot an.
Ich will nicht Ja sagen, weil das einen völlig falschen Eindruck wecken würde. Aber genauso wenig möchte ich Nein sagen. Es macht Spaß mit ihm zusammen zu schwimmen.
Unbeholfen streiche ich mir wieder ein paar lose Haare hinter die Ohren und schaue zwischen uns auf die Wasseroberfläche, die durch die Schwimmbewegungen der anderen im Becken immer wieder sanft gegen Reece' Oberkörper schwappt. Gegen seinen trainierten Oberkörper.
Ich beiße mir auf die Unterlippe.
Völlig unpassende Gedanken, Giovanna. Völlig unpassend.
Reece schaut mich weiter abwartend an und mir wird bewusst, dass ich ihm noch keine Antwort gegeben habe. »Ich, ähm, also, wenn du magst, aber du musst nicht. Ich meine, ich bin ja viel langsamer als du und das ist dann bestimmt langweilig für dich«, plappere ich und will mir am liebsten die Hand vor den Kopf schlagen.
Reece grinst bloß und funkelt mich aus seinen blauen Augen an. Wasser tropft ihm von den Spitzen seiner Haare auf Nase und Wangen, weshalb er sie lässig nach hinten streicht. »Neben dir zu schwimmen, ist nicht langweilig, Giovanna.«
Atmen, Giovanna, atmen.
Ich nicke und hauche: »Okay.«
Fünfzehn Minuten schwimmen wir einfach nur nebeneinander her. Reece passt sich meinem Tempo an und auch als ich langsamer werde, gibt er keinen Kommentar von sich. Er bleibt an meiner Seite und macht einen Schwimmzug nach dem anderen.
Und ich genieße es. Ich genieße es wie selten etwas in meinem Leben. Er hat sich auf das Schwimmen mit mir gefreut und jetzt schwimmt er neben mir, obwohl er ohne mich viel schneller wäre.
Ich kann nicht fassen, dass er das tut.
Als wir ein weiteres Mal das Ende der Bahn erreichen, halte ich an. »Sicher, dass dir nicht langweilig ist?«
»Ist es so unvorstellbar, dass es Spaß macht mit dir zu schwimmen?«
»Naja, du bist halt viel schneller als ich.«
»Und deshalb ist langsam automatisch langweilig? Bloß weil du rennen kannst, heißt das doch nicht, dass du nie wieder gehen willst.« Sanft schmunzelnd betrachtet er mich.
Er hat recht. »Okay.« Lächelnd stoße ich mich vom Rand ab, während Reece noch ein paar Momente dort verharrt. »Was ist?«
»Wenn es dich so quält, schwimme ich es jetzt so lange so schnell wie ich kann, bis ich dich wieder eingeholt habe.« Im nächsten Moment stößt auch er sich ab und schießt kraulend an mir vorbei.
Ich lache.
Ich schaffe ein Drittel der Bahn, als Reece am Ende plötzlich stoppt. Ich brauche nur den Bruchteil einer Sekunde, um die Ursache dafür zu finden.
Courtney.
Eine von Gingers Speichelleckerinnen, in einem eleganten, schwarzen Badeanzug, der am Rücken und in feinen Streifen am Bauch frei ist.
Sofort ist die gelöste Stimmung der letzten halben Stunde dahein. Ängstlich halte ich inne und verharre in der Mitte des Beckens.
Was macht sie hier?
»Reece, was machst du denn hier?«, fragt sie mit heller, unschuldiger Stimme, während sie am Beckenrand stehen bleibt, die Hände in die schmalen Hüften gestemmt.
»Bowlen.«
Sie ist nur einen Moment irritiert von seiner sarkastischen Antwort auf diese dumme Frage und redet weiter. »Wenn Ginger das gewusst hätte, hätte sie bestimmt auf das Essen mit ihren Eltern verzichtet.«
Augenblicklich weicht ein bisschen meiner Anspannung.
Ginger ist nicht hier.
»Das bezweifle ich«, murmelt Reece und wirft über die Schulter einen Blick zu mir.
Mein Herz setzt aus.
Nein! Warum tust du das?
Courtney folgt seinem Blick und wenige Sekunden später treffen ihre Augen auf meine.
»Na sieh mal einer an. Welche fette Tonne schwimmt denn da im Wasser? Wobei schwimmen wohl übertrieben ist. Fett treibt ja nur.« Gehässig sieht sie auf mich herab.
Eine eisige Hand legt sich um mein Herz und presst es zusammen, während ich flehentlich zu Reece schaue.
Tu doch was!
Er presst die Lippen aufeinander und senkt den Kopf.
Falls möglich, zieht sich mein Herz noch weiter zusammen. Ich wusste es. Ich wusste, dass er noch nicht vor seinen Freunden zu mir stehen würde und trotzdem tut es verdammt weh.
»Wie hältst du es überhaupt aus, mit ihr in einem Becken zu schwimmen? Wenn sie rausgeht, sinkt der Wasserspiegel wahrscheinlich um fünf Zentimeter«, stichelt sie weiter, während ich am liebsten einfach untergehen und nie mehr auftauchen möchte.
Bisher habe ich selten eine von Gingers Gefolgsfreundinnen ohne sie angetroffen. Ich wusste nicht, dass sie ebenso versiert wie sie darin sind mit Worten zu verletzen.
»Lass gut sein, Courtney«, murmelt Reece und schaut zu ihr auf.
Mein.
Atem.
Stockt.
Spöttisch blickt sie auf ihn herab. »Womit?«
»Ich hab gesagt, lass gut sein«, sagt er wieder, diesmal lauter, und stemmt sich aus dem Becken, um mit ihr auf einer Augenhöhe zu sein.
Sie verlagert ihr Gewicht auf eine Seite und sieht ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Wie jetzt? Verteidigst du sie etwa?«
»Wenn's sein muss.«
Völlig überwältigt verfolge ich das Geschehen von der Mitte des Beckens aus und weiß nicht, ob mein Herz schlägt oder stillsteht.
Und dann fängt Courtney an zu lachen. »Guter Witz, Reece. Ich hätte dir wirklich fast abgekauft, dass du die fette Tonne beschützen willst.«
Unbehagen schleicht sich in Reece' Körperhaltung. Er wollte mutig für mich sein, aber er hat nicht damit gerechnet, dass Courtney seinen Versuch als Witz abstempeln würde. Wenn ich will, dass er keinen Rückzieher macht, muss ich zu ihm.
Ich schließe für einen Moment die Augen, dann schwimme ich zu den beiden ans Ende der Bahn und steige aus dem Wasser. Es ist das erste Mal, dass Reece mich außerhalb des Wassers in meinem Badeanzug sieht.
Nicht daran denken, nicht daran denken, nicht daran denken.
»Oh sieh mal, ein gestrandeter Wal.«
Courtneys Worte bohren sich tief in mein Herz und drohen alles zu zerstören, was Sammy und seine Freunde in der letzten Zeit erreicht haben, aber ich schiebe das unbehagliche Gefühl ganz weit von mir weg, indem ich Courtney ignoriere und zu Reece schaue, der mich aus seinen intensiv blauen Augen anschaut. »Komm, lass uns gehen.«
Er nickt und dreht sich mit mir in Richtung der Duschen.
»Wie jetzt? Ihr seid zusammen hier?« Endlich scheint sie zu begreifen, dass Reece' Worte kein Scherz waren. Wir gehen trotzdem weiter.
»Du weißt schon, dass Ginger deine Freundin ist und nicht die Tonne da! Du hast sie gar nicht verdient, du behandelst sie wie Dreck und wenn ich ihr erzähle, mit wem du hier warst, wird sie das vielleicht auch endlich erkennen.«
Er zögert. Für den Bruchteil einer Sekunde hält sein ganzer Körper inne bei ihren Worten.
Er hat Angst. Ich spüre es. Für jeden anderen kaum wahrnehmbar, für mich so deutlich wie das Licht eines Leuchtturms auf offener See. Also tue ich das, was Sammy immer bei mir gemacht hat, um mich zu beruhigen. Ich nehme seine Hand und ziehe ihn weiter. Zum Ausgang, der direkt zu den Umkleiden führt. Dort bleibe ich stehen und wende mich ihm zu.
»Alles okay?«
Er rauft sich die tropfnassen Haare. »Nein. Das heißt, ich weiß es nicht. Verdammt, Giovanna!« Mit der flachen Hand schlägt er an einen der Spinde rechts von ihm.
Ich zucke zusammen. Er bereut es. Er bereut es, sich für mich eingesetzt zu haben. »Machst du dir Sorgen darum, was Courtney Ginger erzählt?«
Er presst die Lippen zusammen und schaut zu Boden.
»Weißt du, das musst du nicht. Ich habe Ginger beobachtet. Sie lechzt förmlich nach deiner Aufmerksamkeit. Eigentlich hast du sie voll in der Hand.« Ich kann nicht fassen, dass ich das gerade gesagt habe.
»Nein, nein, nein. Darum geht es nicht, Giovanna«, sagt er aufgebracht und irgendwie ... hilflos. Reece ist hilflos.
»Worum denn dann?«
»Um dich, verdammt!«
Ich zucke zusammen und mache einen Schritt rückwärts. »Um mich?«, frage ich ungläubig.
Resigniert lässt er die Schultern hängen und seufzt, in seinen blauen Augen tobt ein Sturm an Emotionen. »Ja. In letzter Zeit habe ich versucht, Ginger abzulenken, damit du von ihrem Radar verschwindest.«
Ich halte die Luft an.
Er hat was getan? Warum hat er das gemacht? Warum sollte er so etwas machen?
»Ich glaube, wie du schon selbst bemerkt hast, ist das zwischen Ginger und mir nichts Tiefes. Sie liebt mich nicht und ich liebe sie nicht. Ich bin bloß ein Statussymbole, aber am liebsten wäre ihr natürlich, ich würde mich nach ihr verzehren und sie auf Händen tragen. Das tue ich nicht, aber in letzter Zeit habe ich mir mehr Mühe gegeben, damit sie glücklich ist.«
Wenn sie allein dieser Umstand so glücklich macht, dass sie mich vergisst, glaube ich nicht, dass ihre Gefühle für ihn rein platonisch sind.
»Aber jetzt ... jetzt bist du von ganz weit außerhalb direkt ins Zentrum ihrer Aufmerksamkeit gerückt und ich weiß nicht, wie ich dich da wieder rausholen soll.«
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A./N.: Und noch ein mieser Cliffhanger xD Sorry xD Aber ich hab jetzt zwei Wochen Urlaub und deshalb hoffentlich genug Zeit, um schnell weiterzuschreiben. Was glaubt ihr, wird als nächstes passieren? Ich sage nur: Wir nähern uns dem Ende (so 7 oder 8 Kapitel noch) das heißt, es wird Zeit für die ganzen Auflösungen. Warum Ginger Gio wohl so hasst? Ob Gio sich mit Sammy vertragen kann? Was ist Reece Geheimnis, von dem nur Sammy weiß?
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