Warum man Beziehungen nicht öffentlich machen sollte
Irgendwie hatte ich die Konsequenzen komplett ausgeblendet. In meinen Tagträumen war immer alles so kunterbunt-feucht gewesen und ich war herumstolziert wie ein aufgeblasener Pfau, weil ich mir Alexander geschnappt hatte, aber die Realität sah ganz anders aus.
In der Realität hatte ich urplötzlich panische Angst vor einem offiziellen Outing. Weil ich nie damit gerechnet hatte, mich tatsächlich outen zu müssen. Weil ich eben nicht unbedingt ein Sechser im Lotto war und mir nicht hatte vorstellen können, jemals überhaupt eine Beziehung mit irgendwem zu führen, bevor ich irgendetwas Mitte dreißig war, und erst recht nicht mit ihm. Fantasie-Jonah war vielleicht begehrenswert, der echte eher weniger.
„Es könnte schwierig werden, deine Vorlesungen von hier draußen aus mitzuverfolgen." Seine dummen Bemerkungen durfte Alexander sich gerne sonst wohin stecken. Ich war auch ohne schon erledigt genug!
Ich krallte mich in meinen Rucksack, rührte mich aber ansonsten keinen Millimeter von der Stelle. „Vorlesungen sind überbewertet."
„Findest du?" Warum musste er ständig so komisch gucken? Das irritierte! „Also meinetwegen darfst du gerne all deine Vorlesungen verpassen, durch sämtliche Module fallen und exmatrikuliert werden."
Ich blinzelte, schwenkte meinen Blick von der Kopfstütze vor mir zu ihm rüber. Er hielt mir mittlerweile bestimmt seit geschlagenen fünf Minuten die Tür offen, während ich weiterhin keinerlei Anstalten machte, mich von der Rückbank seines Autos zu erheben. Geduld hatte der Mann, das musste man ihm lassen. „Du willst, dass ich durchfalle? Bist du hohl?"
„Nicht zwangsläufig. Ich bin einfach der Meinung, dass", er beugte sich ins Innere des Wagens hinein, „Sugarbabes weder akademische Titel noch einen Job brauchen."
Gott, ich hätte ihm dieses dämliche Foto niemals schicken dürfen!
Ich kräuselte die Nase und wollte irgendetwas Blödes darauf erwidern, aber die übrigen Studenten, die langsam eintrudelten, machten mir das Denken schwer – zumal Alexander ausgerechnet heute die geniale Idee gehabt hatte, ausnahmsweise nicht auf dem Dozenten-Parkplatz zu halten.
Würde ich jetzt aussteigen und mit ihm zusammen das Wirtschaftsgebäude betreten, wüsste jeder, was Sache war. Ich meine, sich ab und zu mit ihm zu unterhalten, war relativ unauffällig, aber mit ihm zusammen früh morgens aufzutauchen, implizierte doch irgendwie, dass da mehr war, oder?
„Okay", murmelte ich und umarmte meinen Rucksack gleich noch eine Nummer fester. „Dann will ich als Sugarbabe heute ganz offiziell schwänzen."
„Wieso nur habe ich das Gefühl, es hat einen bestimmten Grund, dass du plötzlich so unbedingt schwänzen möchtest?" Ich kannte ihn zwar lange nicht gut genug, um irgendwie erahnen zu können, wie er solche Fragen normalerweise betonte, aber ich war mir trotzdem zu zweihundertfünfzig Prozent sicher, dass seine Stimme nicht klingen sollte, als würde er mich am liebsten köpfen wollen. Wie ein Henker im Mittelalter.
Ich wandte den Blick wieder ab und räusperte mich. „Der Grund ist, dass ich gerade entschieden habe, lieber shoppen gehen zu wollen. Das hast du mir gestern erst versprochen – ergo nehme ich nur von meinem Anrecht auf dein Girokonto Anspruch."
„Wir können gerne shoppen gehen – wenn du dich jetzt vor meinen Augen mit deinem schönen, neuen Handy im Studentenportal anmeldest und dich offiziell exmatrikulierst, wie es sich für ein anständiges Sugarbabe gehört. Oder", er hob beide Brauen, „du sagst mir einfach die Wahrheit. Du hast die Wahl."
Ich schnaubte, aber nervös. „Du hast die dritte Option vergessen: Dich weiter anlügen, weil es allein meine Entscheidung ist, was ich tun und lassen will."
„Falsch. Seit Samstag gehörst du mir." Seine Finger fanden mein Kinn und fast erwartete ich Schmerzen, weil er immer noch seltsam angepisst wirkte, aber sein Griff war so sanft wie sonst auch, wenn er mich berührte. Er streichelte mir sogar über den Kieferknochen, in gleichmäßigen Kreisbewegungen, als wäre ich ein Kätzchen. „Wenn deine Entscheidungen mich demnach in irgendeiner Art und Weise tangieren, habe ich Mitspracherecht."
Mitspracherecht?
Es war absolut krank, dass dieser Satz mir Schauer über den Rücken rieseln ließ, weil ich kein Gegenstand war, über den man nach Lust und Laune mitbestimmen konnte. Ich war ein Mensch mit freiem Willen und Grundrechten, die er mir nicht einfach nehmen konnte, bloß weil er sich gerade danach fühlte – noch nicht einmal dann, wenn die pure Vorstellung davon meinen Penis gegen den Reißverschluss meiner Hose drücken ließ!
Ich riskierte einen unauffälligen Blick in südliche Gefilde – noch keine Beule! – und atmete tief und langsam gegen meine aufkeimende Erregung an. Wie Schwangere gegen die Geburtswehen anatmeten. „... ohne meinen Anwalt sage ich gar nichts."
Die Hand verließ mein Kinn, begleitet von einem ungeduldigen Tsk. „Mir wäre es wirklich lieber, wenn du mir jetzt sofort erklärst, warum nicht möchtest, dass jemand von uns erfährt. Die einzige Erklärung, die ich dafür habe, gefällt mir nämlich überhaupt nicht."
Okay, er wusste scheinbar, dass etwas hinter diesem Affentheater meinerseits steckte, aber trotzdem hatte ich das seltsame Gefühl, dass er auf dem komplett falschen Dampfer war, was die Hintergründe anging. Ich meine, generell konnte ich mir nichts Genialeres vorstellen, als der ganzen Welt unter die Nase zu reiben, dass Alexander mein Freund war. Dass ich dafür gesorgt hatte, dass er vor mir gekommen war, als wäre er die prüde Jungfrau ohne sexuelle Vorerfahrungen und nicht ich.
Doof war allerdings, dass genau diese Offenbarung fatale Folgen mit sich bringen würde: Meine Mutter hatte schon Rechtstreitigkeiten für die Familien meiner Kommilitonen ausgetragen. Es musste nur ein einziger von ihnen es seinen Eltern stecken und meine Mutter würde hundertprozentig davon erfahren. Was ich eventuell abstreiten könnte, wären es nur Gerüchte, wenn man uns aber zusammen – sprich zusammen-zusammen – sah, dann war ich am Arsch. Dann könnte jemand ein Foto schießen und mich an den Pranger stellen. Dann würde keine dämliche Ausrede der Welt mich mehr retten können.
„Jonah." Da zuckte etwas über sein Gesicht, was da definitiv nicht hingehörte. Etwas wie Enttäuschung, als hätte er Erwartungen in mich gehabt, die ich momentan nur zu minus elf Prozent erfüllte – fast, als hätte er eine Cola bestellt und stattdessen ein Wasser bekommen, und das Wasser war ich. Dabei wollte ich kein beschissenes Wasser sein! Ich war ja wohl mindestens eine gefälschte Mezzo-Mix!
Ich entfernte den Rucksack wieder etwas von meiner Brust, knautschte ihn dafür jetzt zwischen meinen Händen zusammen. Wenn ich weiter die Klappe hielt, wäre ich wieder single, bevor unsere Beziehung überhaupt richtig begonnen hatte. Ich musste mich am Riemen reißen, und zwar pronto.
„Meine Mutter kennt die Eltern von ein paar der Leute hier. Und", ich schluckte, „sie wird mich enterben, wenn sie von ihnen erfährt, dass ich Kerle besser finde als Frauen. Und gleich nach der Enterbung wird sie mich rausschmeißen und dann stehe ich da ohne Job und ohne Geld und ohne Dach über dem Kopf und muss-"
„Das ist der Grund." Alexanders Hand, die einfach komplett ohne Vorwarnung ein zweites Mal nach meinem Unterkiefer grapschte, unterbrach meine pessimistische Zukunftsvorhersage. Indem sie meine Wangen so zusammendrückte, dass ich unfreiwillig einen ziemlich hässlichen Kussmund machte. „Und ich habe mir Sorgen gemacht. Völlig umsonst."
Sorgen? Worüber denn bitte? Der Einzige, der seinen Alltag nicht in Ruhe bestreiten konnte, wenn er nicht mindestens neunundneunzig Katastrophen im Hinterkopf hatte, war immer noch ich! Beliebte, hübsche und reiche Menschen hatten gar nicht genug Probleme für irgendwelche Sorgen.
„Muss 's g'heim halt'n." Meine Zunge bewegte sich ungestört, meine Lippen eher weniger. Und Alexander schien nicht einmal daran zu denken, von meiner Visage abzulassen.
Stattdessen machte er meinen Kussmund noch kussmundiger. „Würde deine Mutter Gerüchten glauben, wenn es für sie keine Beweise gibt?"
„Äh?" Ich starrte ihn an, runzelte die Stirn. „Wa'm frags' su?"
„Weil es einen Unterschied macht, ob jemand konkrete Beweise hat oder einfach nur behauptet, etwas zu wissen." Es blitzte erschreckend gruselig in seinen Augen. „Also?"
„Glaub' nich', dass 's glaub'n würd'." Sie glaubte mir ja nicht einmal, dass ich schon volljährig war.
„Perfekt. Dann kann ich es offiziell machen, dass du nicht mehr zur freien Verfügung stehst."
Hatte er mir gerade nicht zugehört?
Mein Stirnrunzeln nahm an Intensität zu. „Wie j'tzt? Will's su mi' do' vor ihr out'n?"
„Selbstverständlich nicht." Keine Ahnung, warum er nicht wie ein normaler Mensch grinsen konnte, ohne dass es sofort einer Teufelsfratze glich. „Aber es sollte kein Problem sein, wenn sich lediglich herumspricht, dass wir ein Paar sind, solange wir uns in aller Öffentlichkeit nicht wie eines benehmen, richtig? Keine Beweise, keine Schwierigkeiten."
Das ... klang irgendwie plausibel.
Ich musterte ihn, und zwar sehr, sehr streng, um ihm zu zeigen, wie verdammt wichtig mir das hier war. Immerhin wäre ich nicht gerne obdachlos. „D's heßt, ke'n Händ'halt'n."
„Einverstanden." Er beugte sich noch tiefer zu mir ins Wageninnere und entkrampfte zeitgleich den Griff seiner Hand, ehe er mit ihr nach meinem Rucksack fischte. „Kein Händchenhalten oder Küssen, solange uns jemand sehen kann."
Und damit hob er meinen Rucksack wie ein Schutzschild direkt vor unsere Gesichter und küsste mich.
Ich hatte genug smutty Badbody-Romane gelesen, um zu wissen, dass mich gerade eigentlich jeder anstarren sollte, so wollte es das offizielle Buch-Gesetz, aber mir wurde tatsächlich kaum Beachtung geschenkt. Ich meine, klar, da waren ein paar kurze Blicke, als wir das Wirtschaftsgebäude betraten und uns an den anderen Studenten vorbei durch die Flure kämpften, aber es waren mehr die Art Blicke, die man bekam, wenn man jemandem über den Weg lief, den man irgendwo schon einmal gesehen hatte – ein Aufflackern von Den kenne ich doch! und dann direkt Desinteresse.
War es normal, dass Alexander so wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde? Hatte ich mir die letzten paar Monate über nur eingebildet, dass jeder um ihn herumbalzte wie ein fickriger Vogel in der Paarungszeit, eben weil ich wie ein fickriger Vogel in der Paarungszeit um ihn herumgebalzt war?
Die Möglichkeit bestand.
„Niemand beachtet uns", äußerte ich meine Beobachtung und lockerte meine Träger etwas, damit mein Rucksack tiefer hing, weil ich verdammt cool war. „Hab mir das irgendwie anders vorgestellt."
„Das liegt daran, dass ich in den letzten zweieinhalb Jahren alle fünf Wochen meine Partnerinnen oder Partner ausgetauscht habe. Keiner wundert sich, mich wieder mit jemand Neuem zu sehen – sie haben sich nicht einmal gewundert, mich mit jemand Neuem zu sehen, wenn ich mich offiziell noch mit wem anders in einer Beziehung befunden habe."
Ich blieb stehen. Zutiefst erschüttert – nicht wegen der Tatsache, dass er Menschen wie Unterwäsche austauschte, sondern wegen seinen anderen Beziehungen. „Du bist fremdgegangen?"
„Ja." Er stoppte ebenfalls, legte dabei den Kopf schief. „Natürlich bin ich fremdgegangen, sie haben mir nichts bedeutet."
„Das", ich senkte die Lautstärke, damit keiner uns belauschen konnte, klang dafür aber umso aufgebrachter, „darf man nicht! Du kannst ... ich meine, wenn du zum Beispiel einem Kerl die Hand absägst, weil er mich unerlaubt angefasst hat, und mir die Hand dann als Warnung per Post schickst, geht das schon in Ordnung, aber Fremdgehen?"
„Es wäre für dich in Ordnung, wenn ich dir abgetrennte Körperteile in den Briefkasten werfe?" Er schnaufte. „Muss ich mir Gedanken darüber machen, dass du dich auf der falschen Seite von BookTok herumtreibst?"
Wenn, dann trieb ich mich auf der allerbesten Seite von BookTok herum! Aber das war hier gar nicht der Punkt.
Ich presste die Lippen zusammen. „Du hast deine Ex-Partner betrogen. Wenn du mir so eine Offenbarung einfach vor die Füße kotzt, wie soll ich denn da wissen, ob du nicht neben mir auch noch zig andere vögelst?"
„Aus zwei simplen Gründen." Er kam einen Schritt näher, dachte aber gar nicht daran, seine Stimme zu drosseln. „Erstens vögeln wir momentan noch nicht miteinander, von daher kann ich neben dir nicht auch zig andere vögeln, und zweitens", er funkelte mich seltsam begeistert an, „bin ich seit deiner kleinen Voyeurismus-Aktion ziemlich heftig verknallt in dich. Es würde also nicht viel Sinn machen, dir fremdzugehen, oder?"
Was zum Teufel?
Ich spürte, wie mir heiß wurde. Heiß und kalt und jedes andere Gefühl auf der Welt. Und vor allem zog es ganz arg in meinem Bauch. „Hör auf, dich über mich lustig zu machen! Du kannst nicht verknallt in mich sein, weil du mich nämlich gar nicht kennst!" Was für mich selbstredend nicht galt. Meine Gefühle waren absolut immer absolut legitim und nachvollziehbar.
„Mich über dich lustig machen?" Er zog die Mundwinkel hoch, bis daraus wieder sein berühmt-berüchtigtes Ekelgrinsen wurde. „Das würde ich nie. Und jetzt", er lehnte sich leicht zu mir vor, „sag mir, was ich tun muss, damit du mir glaubst, dass ich dich mag."
Ich zupfte meinen – seinen – Schal um meinen Hals zurecht. Er war viel zu groß und zu kuschelig und vor allem viel zu selbstgemacht. „... wenn du mir weiter im Weg rumstehst, komme ich zu spät zu meiner ersten Vorlesung." Ich wollte mich an ihm vorbeischieben, doch er packte einfach den Henkel meines Rucksacks und zerrte mich daran zu sich zurück.
„So nicht", meinte er. „Erst beantwortest du mir meine Frage."
Warum konnte er nicht endlich seine Klappe halten, verfluchte Scheiße? Ich wollte mir nicht anhören, dass ich etwas Besonderes für ihn war, sonst glaubte ich ihm am Ende und erlitt Todesqualen, wenn er mich dann doch ohne Ankündigung für den nächstbesten Kerl eintauschte! Und das Schlimmste daran war ja sogar, dass mich der Gedanke an den Herzschmerz irgendwie wuschig machte. Vor allem, wenn das mit uns danach vielleicht zu einer On-Off-Beziehung wurde, weil er mich zwar nicht wollte, aber irgendwie auch nicht ohne meine grandiosen Rummach-Talente konnte und-
Ich räusperte mich und verschränkte die Arme vor der Brust, ihm weiterhin meinen Rücken zugewandt. „Ich will sie dir nicht beantworten und werde sie dir auch nicht beantworten. Du hast halt gerade irgendwie Geschmacksverirrungen und fährst deswegen auf mich ab, aber auf-einen-Abfahren ist nichts Ernstes und in spätestens zwei oder drei Wochen-"
„Wäre deine Mutter keine so liebreizende Person, würde ich ihr dafür danken, dir jegliches Selbstbewusstsein genommen zu haben." Schnauben folgte. „Mitkommen."
„Wohin?" Ich stemmte meine Füße gegen den Boden, als er anfing, mich am Rucksackhenkel mit sich zu schleifen, aber leider war er stärker als mein Widerwillen. Nur aus diesem Grund stolperte ich neben ihm her und nicht etwa, weil ich ihm sowieso überallhin folgen würde, sobald er mit den Fingern schnippte. „Das ist Kidnapping!"
„Nur wenn es auch zur Anzeige gebracht wird. Außerdem", er wirbelte mich herum, damit ich nicht mehr rückwärts neben ihm her durch die Gegend torkelte. Wäre auf den Stufen auch ein bisschen gefährlich geworden, „ist eine öffentlich zugängliche Toilette wohl kaum das passende Ziel für eine Entführung."
Eine öffentlich zugängliche Toilette? Musste er pinkeln? Oder musste ich pinkeln? Es wäre definitiv praktisch, mich nochmal zu entleeren, bevor der Campus und damit auch die Klos vollständig überlaufen waren – oder wollte er mich bloß an einen Ort bringen, wo uns keiner sehen konnte, um mir zu zeigen, dass er mich wirklich mochte?
Oh Gott, ich wollte schon immer mal in einer Toilettenkabine mit jemandem rumknutschen!
„Gut, ich komme mit, aber", ich versuchte, möglichst authentisch die Nase zu rümpfen, während meine Ohren knallrot anliefen, „das ist eine Ausnahme, klar? Weil ich zufällig selbst Lust darauf habe, geküsst zu werden."
„Ach?" Er schmunzelte. „Du denkst, ich nehme dich mit, um dich dort unbeobachtet küssen zu können?"
Etwa nicht?
Meine gerümpfte Nase war schlagartig nicht mehr ganz so gerümpft. „Wozu denn sonst? Das entzückende Ambiente ist ja wohl nicht dein Motiv dahinter."
Aber er ging einfach voraus, achtete gar nicht weiter auf mich, die ganzen Treppenstufen lang nicht, den weitläufigen Flur im Obergeschoss nicht und auch bei der ersten Abzweigung nach rechts nicht. Erst, als vor uns die ersten Pissoires auftauchten, wandte er sich mir zu – nachdem er einen schlaksigen Kerl, der sich gerade an seinem Hosenstall zu schaffen gemacht hatte, als wir reingeplatzt waren, wenig sanft nach draußen komplimentiert hatte. Ohne Händewaschen. Da lief jetzt eine biochemische Keimschleuder durch den Wirtschaftstrakt!
„Also", meinte Alexander und drückte die Tür hinter uns ins Schloss, jetzt, wo wir alleine und ungestört waren, „zurück zum Thema."
„Welches Thema?" Ich ging vorsichtshalber einen Schritt zurück, aber – typisch mein Glück! – da war auch schon besagte Tür.
„Wir wollten darüber reden, was ich tun kann, um dich von meinen Gefühlen zu überzeugen."
„Nein." Ich schüttelte resolut und gar nicht panisch den Kopf. „Nein, ich bin mir sicher, das war nicht, weshalb wir hierhergekommen sind."
„Wenn du mir weiter keine Antwort geben möchtest, muss ich mir eben selbst etwas ausdenken, wie wir dieses Problem lösen können." Seine letzten Worte, bevor er ohne Vorwarnung in die Knie ging. In seiner verfickt teuren Designerhose, die damit enge Freundschaft mit dem viren- und bakterienverseuchten Boden schloss. Aber das war nicht, woran mein Gehirn sich aufhängte, weil seine Hände keine Sekunde später den Gürtel meiner Hose fanden.
Und ihn öffneten.
„Mooomentchen mal!" Ich drängte mich enger an die Tür. „Du ... du willst mir ernsthaft jetzt-"
„Mhm." Seine Finger legten sich erneut auf meine Hüften, dieses Mal allerdings, ohne mich weiter auszuziehen. „Ansonsten sehe ich dich morgen nicht in deinen niedlichen Krokodilshorts, oder? Und, ganz nebenbei, sollte dich das die letzten Zweifel an unserer Beziehung vergessen lassen, weil ich für gewöhnlich keine fremden Körperteile in den Mund nehme." Er hielt kurz inne, schauderte dann. „Bis auf ein einziges Mal, aber das bereue ich bis heute."
Mir war klar, dass seine letzte Aussage vermutlich irgendwie von Bedeutung war, aber sich darauf zu konzentrieren, war echt schwer, weil er im Begriff war, mir einen zu blasen!
Ein überhaupt nicht hilfloses Geräusch entwich meiner Kehle. „Wegen ... wegen vorhin mit dem Nicht-Orgasmus ..."
„Oh, keine Sorge." Der Knopf an meinem Hosenbund sprang auf. „Ich habe nicht vor, dich kommen zu lassen."
Ich schnappte nach Luft, weil das bedeutete, dass ich gleich keinen Höhepunkt haben würde! Er würde mich immer bis kurz vor den Orgasmus treiben und dann aufhören, nur um das Prozedere gleich darauf zu wiederholen, Mal um Mal, bis ich ihn anflehte, mich abspritzen zu lassen.
„Aber ich, ähm, ich weiß, ich habe dir das bei mir zuhause schon gesagt, aber die letzte Dusche war wirklich gestern Abend und, also, seitdem habe ich ein bisschen untenrum geschwitzt, mehr noch als heute Morgen, und pissen war ich auch, deswegen-"
„Du redest zu viel." Mein Reißverschluss folgte dem Beispiel meines Hosenknopfes und keinen abgehackten Atemzug später stand ich in getigerter Unterwäsche vor ihm – in getigerter Unterwäsche, die ganz offensichtlich einen erigierten Penis beherbergte.
„Warte, du", ich schlug mir beide Hände vor den Schritt, „du erinnerst dich doch daran, wie er aussieht, oder?"
„Jonah?"
Ich biss mir auf die Unterlippe. „Ja?"
„Sei still." Er wischte meine Hände zur Seite, hakte seinen linken Zeigefinger unter den Bund meiner Shorts – und dann lag mein gesamter Schambereich offen vor ihm dar. In diesem widerlichen öffentliche-Toiletten-Licht, das einem jede Unreinheit zeigte, die man normalerweise nicht sehen konnte. Und als wäre das nicht genug, bemerkte ich just in diesem Moment, dass ich in meiner rechten Leiste ein paar Härchen nicht ordentlich gestutzt hatte.
Ich krallte mich in mein Hemd, spürte Übelkeit in mir aufwallen – weil ich sein Gesicht nicht lesen konnte. Es sah vollkommen neutral aus und ich wusste nicht, ob das gut oder schlecht war. Selbstverständlich hatte ich keine überschäumende Freude erwartet, immerhin war das da vor ihm bloß mein Penis und kein schicker Ferrari mit Schleife obendrauf, aber trotzdem. Konnte er mir nicht einfach sagen, dass ich nicht vollkommen eklig untenrum war? Oder dass ich nicht seltsam roch? Ich wäre sogar mit einem kurzen Nicken zufrieden, einfach irgendetwas, weil das hier anders war als Samstag. Da hatte es eine andere Beleuchtung gegeben und niemand hatte mir in einem Abstand von zehn Zentimetern direkt aufs Genital gestarrt. Da war ich ganz nackt gewesen, da waren auch andere, weniger intime Teile meines Körpers im Fokus gewesen.
„A-Alex ...?"
„Ja?" Er fuhr über meine Leiste, genau über einen kleinen Rasierpickel.
Gleich musste ich sterben.
„Ähm." Eigentlich wollte ich ihm überhaupt nichts sagen. Ich wollte nur, dass dieses beklemmende Gefühl in meiner Brust nachließ. Dieses Gefühl, nicht schön genug zu sein. Nicht gut genug. „Du ..."
Sein Blick zuckte hoch und seine Hand auf mir stoppte mit der Erkundung. Abrupt. „Soll ich aufhören?"
Nein, sollte er nicht! Er sollte nicht aufhören, er sollte mit mir spielen und mich verrückt machen, aber erst, nachdem er mir gesagt hatte, dass ich nicht potthässlich war!
Ich spürte meine Unterlippe zittern und schaute weg von ihm, aber die Idee entpuppte sich als seltendämlich, weil ich dadurch genau auf die Spiegel über den Waschbecken traf, auf mein verschrecktes Gesicht, die mickrigen Schultern, die gekrümmte Haltung.
Ich war so mittelmäßig – unteres Mittelmaß –, dass es fast wehtat.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal frustriert darüber sein würde, jemandem keinen blasen zu können." Seufzen folgte Alexanders Worten, bevor er sich wieder aufrichtete. „Kriege ich eine Erklärung dafür, warum du aussiehst, als würdest du gleich weinen?"
„Ich sehe überhaupt nicht aus, als würde ich gleich weinen!", sagte ich und zog die Nase hoch. Die nur lief, weil mir kalt war. Aus keinen anderen Gründen. „Und ich bin nicht hässlich. Auch nicht untenrum."
Er hob beide Brauen. „Darüber machst du dir Gedanken? Habe ich dir am Samstag nicht gezeigt, dass du mir gefällst?"
Ich rang meine Hände. „Da war's dunkel und du hast dir meinen Penis nicht aus nächster Nähe angeguckt." Der übrigens immer noch entblößt zwischen uns stand. Wortwörtlich.
„Mit dir werde ich noch einen Haufen Arbeit haben." Die Brauen senkten sich und sein Lächeln kam wieder – nicht sein Grinsen, sondern sein Lächeln. Das, das sogar fast menschlich aussah. „Du bist wunderschön."
Okay, ich hatte zwar Bestätigung gewollt, aber das war extrem. Viel zu viel. Viel zu peinlich.
Mein Bauch kribbelte, als hätte ich tausend Kakerlaken zum Frühstück gehabt. „... das sagst du jetzt nur so."
„Darf ich bitte meine eigene Meinung über dich haben?" Er umfasste mein Gesicht, stupste seine Nase gegen meine.
Das Kribbeln wurde stärker. „Nein, darfst du nicht."
Glucksen und dann küsste er mich und ich vergaß, dass ich untenrum ein bisschen viel Haut zeigte, weil seine Hände exorbitant warm waren und seine Lippen nach Kaffee schmeckten. Weil es sich so echt anfühlte, so ehrlich.
Als hätten wir beide tatsächlichen dieselben Empfindungen füreinander.
Ich seufzte, ein unfreiwilliges Geräusch, während ich meine Finger in seine Schultern grub und versuchte, ihn nachzuahmen. Es war ein bisschen schwierig, weil wir definitiv noch nicht oft genug rumgeknutscht hatten, um mir irgendetwas Hilfreiches beigebracht zu haben. Aber mit Rumknutschen war eh nichts mehr, als Alexanders Hand tiefer glitt, meinen Kehlkopf, meine Brust und schließlich meinen Bauch hinab, bis sie meinen Penis erreichte. Sich um meinen Penis legte.
Es war anders. Es war so verfickt nochmal anders, wenn die Hand nicht einem selbst gehörte. Ich konnte nichts steuern, ich konnte nicht vorhersagen, wie schnell oder langsam die nächsten Bewegungen sein würden, konnte nicht glauben, dass ich gerade allen Ernstes meinen allerersten Handjob überhaupt bekam. Ausgerechnet in einer Unitoilette.
„F-fuck." Ich zitterte. Mein Herz sprang mir gefühlt mit jedem Pulsschlag aus der Brust, mit jedem neuen Auf und Ab unterhalb meiner Gürtellinie. Mit jedem Mal, mit dem Alexanders Daumen über meine Spitze rieb und Feuchtigkeit auf ihr verteilte, für die ich mich eigentlich genieren sollte, weil er noch keine zwei Minuten am Machen und Tun war, aber ich schämte mich nicht. Dazu war ich gerade einfach zu notgeil. Viel zu versessen von dem Gedanken daran, dass mir ernsthaft einer runtergeholt wurde. Dass mich jemand anfassen wollte, dort und zwar ohne Kleidung, obwohl ich das letzte Mal gestern Abend geduscht hatte und seitdem mehrmals pinkeln gewesen war.
„Mh." Alexander fuhr mit seiner Zunge über meine Unterlippe. „Letztes Mal habe ich aber mehr Geräusche aus dir rausgekriegt."
„Du", ich schnappte nach Luft, als er fester zupackte, nicht schmerzhaft-fest, sondern gut-fest, genau-richtig-fest, „bist halt nicht so toll im Runterholen, wie du denkst."
„Bin ich nicht?" Seine Hand verließ meinen Ständer, um in eine andere Richtung zu wandern. An einen Ort, den bisher nur meine Kloschüssel von unten gesehen hatte. „Dann muss ich mich wohl mehr anstrengen."
Das musste er nicht wirklich – tatsächlich musste er nur seinen Zeigefinger an die hinterste Stelle meines Dammes legen. Nicht einmal an mein Loch, sondern davor, und schon entfloh mir ein Stöhnen, als hätte er nicht nur sanft gegen meine Haut getippt, sondern mir den Finger bis zum Anschlag reingedonnert.
Ich benahm mich dermaßen jungfräulich, es war nicht länger feierlich.
„Besser." Alexander schmunzelte und widmete sich erneut meinem Penis, als wäre er eben nicht kurz woanders gewesen, wo er gerne wieder hindürfte. Jetzt sofort, beispielsweise.
Ich wollte mich über den Verlust empören – oder keuchen, vielleicht auch eine Mischung aus beidem –, aber das Tempo, mit dem er urplötzlich anfing, mich zu wichsen, ließ mich stattdessen hilflos aufwimmern und in den Knien einsacken.
Wenn er die Geschwindigkeit nicht in den nächsten Millisekunden drosselte, dann-
„Warte!" Ich krallte mich in seine Handgelenke. „Wenn du so weitermachst-"
„Dann was?" Er streifte meine Lippen erneut mit seinen. „Sag es mir."
„Dann-" Wieso wurde er schneller? Er sollte doch langsamer machen! „Dann ... dann passiert mir ein Missgeschick – also keines mit ekligen Sachen wie Urin, aber schon irgendwie mit anderen Körperflüssigkeiten, die aus meinem Penis austreten könnten, deswegen ... a-also, du hast ja gesagt, dass hier niemand zum Orgasmus kommen wird, und ... ich glaube, ich krieg das nicht hin. Das nicht-Kommen."
„Und das wollen wir ja nicht, oder?" Ich spürte, wie sein Mund sich wieder zu einem Schmunzeln verzog, einem ganz arg fiesen – im gleichen Augenblick, in dem er seinen Griff um meinen Penis lockerte, bevor die Berührung komplett stoppte. Kein sexueller Kontakt mehr, dafür Kontakt mit meinen Shorts und meiner Hose, die ungefragt an ihren Ursprungsort an meinen Hüften zurückkehrten.
Ich starrte ein bisschen perplex auf Alexanders Finger, die mir mein Hemd ordentlich in den Bund stopften. „Weißt du, ich wollte, dass du langsamer machst, und nicht, dass du aufhörst."
„Die Fortsetzung folgt nach unserem Shoppingtrip. Oder", er hob mein Gesicht an und platzierte einen hauchzarten Kuss auf meiner Stirn, „auch währenddessen, wenn du schön artig bist." Keine Sekunde später öffnete sich die Tür in meinem Rücken ein Stückweit, bereit, ihn gehen zu lassen. „Ich hole dich zur Mittagspause ab."
Und Klack ging die Tür wieder zu, nachdem er durch die Lücke verschwunden war, während ich weiterhin wie eine Mischung aus Salzsäule und Wackelpudding an derselben Stelle verharrte und versuchte, zu verarbeiten, was da gerade geschehen war. Was in ein paar Stunden vielleicht wieder geschehen würde.
Oh Gott!
Ich klatschte mir mehrmals hart gegen die Wangen, bis sie nicht nur vor lauter Scham und Erregung feuerwehrautorot aufleuchteten.
Das war ein Traum – einer, aus dem ich definitiv nicht aufwachen wollte. Am besten einfach niemals.
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