•7•
Unruhig rutschte ich auf der Sitzfläche des gepolsterten Stuhles herum. Mein Blick zuckte über die obersten Rangmitglieder, die zu dieser 'Krisensitzung' einberufen worden waren. Dazu zählten ich und mein Vater, in Position gleichzustellen mit dem Beta; Jaxon, der Beta; Nym und Octavian als Alphapaar und vier der obersten Trainer, zwei Kämpfer und zwei Treiber. Normalerweise würde hier auch Rey, der TIC sitzen.
"Schatz es ist alles gut."
Mein Vater, der links neben mir saß, lächelte mich beruhigend an, und auch Jaxon, der uns gegenüber Platz genommen hat, setzte eine aufmunternde Miene auf.
Trotzdem verschwand dieses ungute Gefühl in mir nicht, nein, der Druck in meiner Magengrube verstärkte sich nur noch mehr.
Endlich wurden die Flügeltüren zu dem Saal aufgestoßen und Octavian trat ein, Nym hatte sich bei ihm eingehakt. Bei diesem Anblick setzte mein Herz einen Schlag aus, bei der Art, wie Octavian seine Mate musterte, regte sich etwas in mir.
Unwillkürlich schweiften meine Gedanken zu Lucian ab, wenn auch nur für einen kurzen Moment, da das Alphapaar nun am Tisch angelangt war. Wie es verlangt wurde senkten alle Anwesenden den Kopf und warteten, bis sich die beiden nieder gelassen hatten um die Versammlung zu eröffnen.
"Gut, dass ihr so schnell kommen konntet!"
Octavian sah sich bedeutend in der Runde um und strich währenddessen sanft mit dem Daumen über Nym's Handrücken. Ich schluckte.
"Wie ihr wisst, hat unser Rudel seit einigen Tagen keinen TIC mehr. Wir sind dadurch schwächer geworden, ein leicht angreifbares Ziel. Und genau das wollten unsere Feinde erreichen."
Eine schwere, erdrückende Stille legte sich über uns, keiner wagte es zu sprechen.
Jaxon drehte den schwarzen Ring an seinem Zeigefinger hin und her, das Licht, das sich darin brach, blendete mich unangenehm. Die zwei obersten Kämpfer, Holden und Chase, blickten sich bedeutend an, während Dalia und Farrah, die Treiberinnen, schon an Rachetaktiken zu feilen schienen.
Mein Vater war der erste, der sich zu Wort meldete.
"Ich und Ari werden unsere Ausstattung aufrüsten, damit wir im Falle von Verletzten..."
Octavian hob leicht seine Hand, um meinen Vater zum schweigen zu bringen.
"Genau um das geht es. Ich denke, Kamaria wird das alleine schaffen. Flint, du hast deine Tochter in den letzten Jahren sehr gut ausgebildet", Octavian warf mir ein kurzes und vertrauenswürdiges Lächeln zu, "und ich denke, sie ist bereit, um die offizielle Rudelärztin unseres Packs zu werden.
Und deswegen werden wir in ein paar Tagen auch eine Feier abschließen, nach dem Gebrauch unserer Vorfahren."
Alle Blicke waren nun auf mich gerichtet, ich selbst aber starrte geschockt zu Nym und Octavian. Das konnte nicht wahr sein. Sie scherzten. Wieso sollte ich, gerade ich dazu bereit sein, so eine Verantwortung zu übernehmen?
"Aber wir werden noch etwas feiern. Flint, ich bitte dich, im Rahmen dieser kleinen Runde, der neue TIC unseres Rudels zu werden!"
Die Stimmen um mich herum, die ganzen Glückwünsche, rückten für mich in den Hintergrund. Einzig und allein die Verantwortung, die nun auf mir lastete, schien wichtig zu sein. Sicher, als halb Ausgebildete hatte ich auch schon Verantwortung gehabt, aber nun, so ganz alleine? Was, wenn jemand durch meine Nachlässigkeit sterben würde?
Oh Gott. So viele Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab.
Mittlerweile hatten sich die Anwesenden beruhigt und mein Vater hatte seine Stimme erhoben.
"Es ist eine sehr große Ehre die mir - die uns hier zuteil wird. Mit Freude nehme ich das Amt des TICs an und danke euch, Alpha und Luna, für euer Vertrauen. Kamaria mein Schatz, ich bin mir sicher, du wirst die beste Rudelärztin, die dieses Pack haben könnte. Schon jetzt bist du besser als ich."
Mein Herz wummerte laut in meiner Brust als ich mit tranceähnlichem Blick zu meinem Vater blickte und geistesabwesend nickte.
"Gut, dann kann diese Sitzung hiermit beendet werden. Ich denke ihr beide, Flint und Kamaria, braucht nun etwas Zeit, um das zu verarbeiten."
Nyms Mundwinkel hoben sich und sie stand auf, ihr Mate tat es ihr gleich und zusammen verliesen sie mit eleganten Schritten den Raum. Mit letzten, freudigen Worten verabschiedeten sich auch die anderen, nur Jaxon und mein Vater blieben nun noch bei mir. Mit mahlendem Kiefer erhob ich mich, sah die zwei lange an und hob dann leicht das Kinn.
"Kleine..."
Ich lies Jaxon mit einem bestimmten Kopfschütteln verstummen. Es brachte nichts darüber zu 'reden', es war nun so und ich sollte dankbar dafür sein. Dankbar für diese Chance, für das große Vertrauen mir gegenüber.
Mir selbst Mut zusprechend trat ich aus dem Raum und verlies das Haus.
Am Eingang blieb ich stehen und sah die Treppen hinab. An der untersten Stufe, angelehnt am linken Treppengeländer, stand Lucian. Er hatte seine Arme vor der breiten Brust verschränkte, sein grauer, eng anliegender Sweater umschmeichelte seine Figur und lies mich die Lippen zusammenpressen.
Das half mir im Moment definitiv nicht weiter, also senkte ich den Kopf und stapfte schnellen Schrittes die Stufen hinunter, am rechten Treppengeländer entlang. Vielleicht lies er mich einfach in Ruhe.
"Bambi."
Ich stockte. Bambi? Stirnrunzelnd entgegnete ich seinem belustigt glitzerndem Blick und rümpfte die Nase. Banal, einen Lycanthropen wie ein Rehkitz zu benennen.
"Toll, dass du schon auf den Namen hörst."
Er stieß sich vom Geländer ab und legte den Kopf schief, als würde er abwägen, ob ich wieder vor ihm davon rennen würde.
Nervös nestelte ich an dem Saum meines langärmligen Oberteils herum, hielt jedoch seinem starken Blick stand.
Lucian musterte mein Gesicht, dann wanderte sein Blick langsam an mir hinunter.
"Können wir...reden. Oder naja ich rede und du..."
Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte als er sich geistesabwesend über die linke Brust rieb. Mit einem verneinendem Kopfschütteln wand ich mich zum Gehen, da umschlangen seine langgliedrigen Finger ein weiteres mal mein Handgelenk. Geschockt fuhr ich herum, sah in sein Gesicht, doch sein Blick war stur auf meine Haut gerichtet, die durch den hochgerutschten Ärmel entblößt wurde. Seine Lippen öffneten sich leicht.
"Bambi was ist das?", fragte er gefährlich ruhig.
Schnellstmöglich entwand ich mich seinem Griff und verschränkte die Arme vor der Brust, die Handgelenke nach innen gewand.
Schon jetzt hatte er zuviel gesehen, ich wollte es ihm nicht erklären.
"Bambi?!"
Er zog seine dunklen Augenbrauen zusammen, seine Miene flackerte und seine Gesichtszüge verschärften sich für einen kurzen Augenblick.
"Woher kommen diese Narben?"
Mein Blick huschte rastlos über den Kiesweg, dann schüttelte ich den Kopf und wand mich zum gehen, nicht ohne einen letzten Blick in seine faszinierenden Augen.
Er folgte mir nicht, als ich zu unserem Haus zurück eilte. Ich wagte es nicht einmal mehr, zu ihm zurück zu sehen, stattdessen schloß ich die Tür hinter mir und lehnte mich schwer atmend mit der Stirn daran. Ich wollte nicht mehr darüber nachdenken, doch Lucian brachte das alles ungewollt wieder in mir hoch.
Mit halb geöffneten Augen musterte ich die dünne Haut an meinen Handgelenken, die leichten Erhöhungen an den Stellen, an denen ihre Klingen gesessen hatten. Die schwarze Tinte daneben würde wohl nie verblassen.
Leicht den Kopf schüttelnd stieß ich mich von dem dunklen Holz der Tür ab und schlurfte in die Küche, eine plötzliche und bleierne Erschöpfung machte sich in meinem Körper breit.
Die Schlaflosigkeit setzte mir noch mehr zu als sonst, teilweise lag meine Kraftlosigkeit wahrscheinlich auch an Lucian.
Je mehr ich ihn abwies, desto schwächer würden wir beide werden. Und trotzdessen war es besser für uns beide.
Verdammt, ich dachte schon wieder an ihn.
Tief ein - und ausatmend füllte ich mir ein Glas mit Wasser und blickte nach draußen in die Abenddämmerung. Vielleicht sollte ich mich hinlegen, auch wenn es nur für eine Stunde war.
⋇
Mit einem erstickten Keuchen fuhr ich hoch und krallte meine Finger panisch in die dünne Bettdecke. Heiße Tränen liefen über meine Wangen, lautlos tropften sie von meinem Kinn auf meine verkrampften Finger.
Hinkende, ungleiche Schritte näherten sich mir, das leise Klimpern von Metall war zu hören.
Ich kniff die Augen zusammen und drückte mich an das Holzgestell meines Bettes. Bitte nicht schon wieder.
Er sollte vorbei gehen, umdrehen, nur bloß nicht hier stehen bleiben. Ein braunes Paar Schuhe erschien in meinem verschwommenen Sichtfeld, das rechte Bein schliff steif über den Boden.
Er blieb direkt vor mir stehen, durch die kleinen Abstände zwischen den Eisenstangen erkannte ich den getrockneten Schlamm an den hellen Hosenbeinen.
Die Türklinke meines Zimmers wurde nach unten gedrückt, eine breite Person trat in den dunklen Raum, die Besorgnis, die er ausstrahlte, nahm ich nicht mehr wahr. Stattdessen kauerte ich mich mehr in die Decke und wog ich mich leicht hin und her, wollte diese Gedanken loswerden, aus dieser Welt fliehen.
"Kamaria, was ist los?"
Seine raue, tiefe Stimme drang nicht zu mir hindurch, die Bilder nahmen mich zu sehr in Beschlag. Zittrig hielt ich die Luft an.
Langsam kniete sich der Mann vor mich, ein kaltes Lächeln auf den dünnen, spröden Lippen.
Sekundenschnell saß er bei mir, wollte mich in den Arm nehmen, doch ich zuckte zurück und schob mich noch weiter nach hinten. Mein Herz hatte einen unzähmbaren Takt angenommen und sprang so stark gegen meinen Brustkorb, dass ich glaubte ich würde gleich tot umfallen.
Seine leblosen Augen musterten mich angeekelt, seine große Hand strich grob durch mein verknotetes Haar. Es hinterlies ein Brennen an meiner Kopfhaut, jedoch war es nichts gegen die Schmerzen die ich schon kannte.
"Was passiert mit ihr?"
War es Lucian, der da redete?
"Nein bitte! Lass mich in Ruhe!"
Ich drehte meinen Kopf, bloß weg von seiner Berührung. Doch er lachte nur kurz und tonlos auf.
"Du wirst für heute reichen."
Starke Arme schlangen sich um mich, anscheinend um mich zu beruhigen, doch er erreichte damit genau das Gegenteil. Ich wurde hysterischer, weinte nun haltlose und wollte ihn von mir wegdrücken.
"Du musst sie loslassen, sonst...", erklang eine weitere Stimme, verzerrt. Mein Vater?
Aber es stimmte, er musste mich loslassen. Und daher tat ich das einzige, was ihn in diesem Moment von mir fernhalten würde. Ich wand mich wie wild, griff eisern nach seinem nackten
Handgelenk und krallte mich daran fest.
Dann kniff ich die tränenden Augen zusammen und zeigte ihm eines dieser Bilder, die sich für immer in mir eingebrannt hatten.
Es klappte. Sofort lies er mich los, als hätte ich ihn verbrannt, und sprang vom Bett auf.
Ich kroch blindlings zur Seite, dabei fiel ich aus den Laken auf den Boden und kauerte mich in die Ecke zwischen Bettgestell und Nachttisch. Ich musste meinen Fokus auf etwas Beständiges legen, ich durfte mich nicht wieder in diesen krallenden Sog fallen lassen und darin ertrinken.
"Verdammte Scheiße Kamaria!"
Ein kalt ausgestoßener Fluch von Lucian.
Also konzentrierte ich mich auf ihn und versuchte dort Halt zu finden.
Bei meinem Mate.
Sein stoßweißer Atem, seine starke Aura und Präsenz. Ich lauschte seinem kräftigen Herzschlag, der von der anderen Seite des Bettes bis zu mir hindurch drang. Inhalierte tief die Luft, gefüllt mit seinem Geruch.
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