•3•
Ein Trommelfellzerreißender Ton drang an mein verfluchtes verbessertes Gehör. Mit einem Schmerzenslaut presste ich mir die Handflächen auf die Ohren, um dieses Geräusch zu dämpfen, doch es sickerte weiterhin durch meine Finger hindurch.
Heiße Tränen liefen mir über die Wangen und ich versuchte, mich so klein wie möglich zu machen. Schluchzend drückte ich mich an die Gitterstäbe, ignorierte dabei den heißen Schmerz, den das vergiftete Eisen verursachte.
Schon spürte ich warmes Blut an meinen Fingern, dieser hohe Ton würde mir bald den Verstand rauben.
Jemand schüttelte mich.
"Kamaria, wach auf!"
Ich stieß denjenigen, der mich berührte, mit klammen Fingern von mir und riss die Augen auf. Zitternd drückte ich mich in den Stuhl, auf dem ich saß, meine Augen mussten sich erst an das Zwielicht um mich herum gewöhnen.
Vor mir glitzerten Nym's besorgte Augen.
"Kamaria, alles ist gut. Du bist Zuhause, in Sicherheit."
Mit weit aufgerissenen Augen sah ich mich um. Es stimmte. Ich war im Behandlungszimmer in unserem Haus, hinter Nym konnte ich den friedlich schlafenden Alpha erblicken.
"Hey, beruhige dich. Kann ich dir etwas holen? Ein Glas Wasser?"
Ich fokussierte meinen Blick wieder auf Nym und deutete dann ein steifes Nicken an. Erst jetzt bemerkte ich das Kratzen in meinem staubtrockenem Hals. Wasser würde jetzt wirklich helfen.
Schon war Nym wieder bei mir, ich hatte gar nicht bemerkt, wie sie gegangen war. Mit besorgter Miene drückte sie mir das Glas in die Hand und strich mir eine Strähne aus dem verschwitzten Gesicht. Es grenzte schon fast an mütterliche Fürsorge.
Dann trat sie einen Schritt zurück und ich bekam wieder Luft. Sie wusste, dass sie mir zu nah gewesen war und lächelte mich nun gequält an. Sichtlich erschöpft lies sie sich bei ihrem Mate nieder, wand ihre Augen jedoch nicht von mir ab. Sie schien darauf zu warten, dass ich trank.
Unter ihrem Blick setzte ich das kühle Glas an meine trockenen Lippen und leerte es in einem Zug. Fröstelnd erhob ich mich und umfasste dabei das Glas stärker.
"Ist schon gut, ich passe auf ihn auf."
Fast wie als Beweis griff sie nach der Hand ihres Mates und drückte diese leicht. Kurz warf ich ihr einen dankend Blick zu und eilte hinaus und in die große Küche. Das Gefühl von Platzangst verschwand allmählich und so konnte ich wieder durchatmen.
Nach einiger Zeit, in der sich meine Atmung wieder reguliert hatte, griff ich nach dem Wasserkocher und setzte frisches Wasser auf.
Nach solchen Träumen brauchte ich Tee. Viel Tee.
Während das Wasser heiß wurde lehnte ich mich mit der Hüfte an den Küchentresen und verschränkte die zitternden Arme vor der Brust.
Den starren Blick richtete ich auf das große Fenster vor mir, welches direkt zum Wald hin ausgerichtet war. Hinter den dunklen Baumwipfeln konnte ich bereits das orange-rote Morgenlicht der Sonne ausmachen. Wie lang war ich weggenickt gewesen?
So in Gedanken versunken hörte ich nicht einmal das Pfeifen des Wasserkochers. Erst, als dieser von jemandem ausgeschalten wurde drehte ich meinen Kopf in diese Richtung. Mein Vater stand vor mir mit vom Schlaf verklärtem Blick und gerunzelter Stirn.
Er sah kurz zu der Tasse mit dem Teebeutel darin, die ich davor hergerichtet hatte, und wusste schon, was vor sich ging. Seufzend goß er das dampfende Wasser ein und griff nach einer weiteren Tasse für sich selbst.
"Schatz, du weisst, dass heute Schule ist."
Oh ja, wie könnte ich das vergessen?
"Du solltest dich noch einmal hinlegen, es ist erst halb fünf."
Ich schüttelte den Kopf und griff nach dem dampfenden Getränke.
"Bitte, wenigstens noch ein bisschen. Der Tod von Rey macht uns allen zu schaffen und auch die Ungewissheit, wie es jetzt weiter gehen soll. Ein wenig Ruhe würde dir wirklich gut tun!"
Aber ich sah nur wieder aus dem Fenster und blickte dem kommenden Tag entgegen.
⋇
Der Wald vor den Autofenster zog schnell an uns vorbei. Die Töne von irgendeinem Remix drangen leise aus dem Radio, doch sie wurden fast komplett von den Stimmen der anderen übertönt.
"Du kannst nicht einfach behaupten das der Film besser als das Buch ist. Die haben da die Hälfte rausgeschnitten!", empörte sich Aylin, eine halb ausgebildete Kriegerin aus meinem Rudel.
"Ohh doch, weil sie ja gerade die unwichtigen Szenen aus dem Film geraus gelassen haben!"
Das war Paige, ebenfalls eine halb Ausgebildete aus meinem Rudel, aber diesmal Treiberin. Zugleich fuhr sie den dunkleblauen Volvo, mit dem wir gerade in halsbrecherischem Tempo über den holprigen Waldweg rasten.
"Stimmts, Ari, du pflichtest mir bei!"
Nein tat ich nicht, ich war nämlich zu sehr damit beschäftigt, mich in den weichen Sitz zu krallen und mich nicht zu übergeben. Wie konnte man nur so schlecht Auto fahren?
"Hey hey hey Paige, mach mal langsam, siehst du nicht, dass Ari gleich deinen geliebten Wagen vollkotzt?"
Da machte sich Alec bemerkbar, der zusammen mit Aylin auf der Rückbank saß. Und er hatte recht, mir drehte sich gerade der Magen um und ich glaubte, bald mein Frühstück los zu werden.
Irgendwie war es vor ein paar Jahren passiert, dass ich in diese kleine Gruppe gerutscht war, bestehend aus Alec und Aylin, Geschwister und die Chaosverursacher, Paige, unsere gute Laune, Mir dem "Ruhepol" ( im wahrsten Sinne des Wortes) und Jaxon, dem Verantwortungsbewussten. Dieser hatte es vorgezogen, nicht bei Paige mit zu fahren. Ich konnte auch verstehen wieso.
Er fuhr mit seinen 19 Jahren lieber seinen eigenen Wagen, wobei ich mich fragte, wieso ich nicht bei ihm mitgefahren war.
Mittlerweile hatten wir unser Tempo gedrosselt und waren auf die Hauptstraße abgebogen, von der es nicht mehr weit bis zur Forrest-Akademie war. Es war eine Akademie speziell für übernatürliche Wesen, sprich Waldelfen, Vampire, Hexen, Werwölfe und noch viele andere Arten.
Toll, oder?
"Ladies and Gentleman, Endstation. Ausstieg in Fahrtrichtung: Rechts!"
Paige kicherte, legte die Handbremse ein und sprang mitsamt ihrer Umhängetasche aus dem Wagen. Seit Rey's Tod bemühte sich jeder in unserem Rudel um viel zu viel Fröhlichkeit und mehr Vergessen. Ich fand es nicht richtig den Schmerz zu vergessen. Man musste sich damit auseinander setzen, damit man irgendwann ertragen konnte, aber das sahen die wenigsten so.
Mit diesem Gedanken entfloh ich ebenfalls so schnell wie möglich aus dem Teufelsgefährt und schnappte nach Luft. Man, dieser Fahrstil war echt gewöhnungsbedürftig. Obwohl mir den ganzen Morgen schon so komisch übel war.
"Siehst du, ich hab dir doch gesagt du bist die mieseste Autofahrerin, die die Welt je gesehen hat. Ich glaub echt noch immer, dass deine Eltern dir den Führerschein einfach zu deinem Geburtstag geschenkt haben!"
Jetzt gingen schon wieder diese Zankereien zwischen Paige und Alec los. Aber es war immer wieder witzig ihnen dabei zu zu hören, wie sie sich um die minimalistischsten Dinge stritten.
Während wir zusammen über den Schulhof spazierten wurde ich immer wieder in die Gespräche mit einbezogen. Ich war dankbar dafür, dass diese kleine Truppe mich aufgenommen hatte, da es mir irgendwie Halt gab. Trotzdem hörte ich nur mit einem Ohr zu, nickte oder schüttelte den Kopf und hielt gleichzeitig nach Jaxon Ausschau. Von meinen Freunden war er mir am nähesten, er war seit meiner Geburt für mich da gewesen und hatte mich nie aufgegeben.
Als ich ihn entdeckte schlich sich ein Lächeln auf meine angespannten Gesichtszüge. Was war heut nur los mit mir, dass ich so verspannt drauf war?
Jaxon winkte uns und stieß sich von der Schulmauer ab, an der er bis jetzt lässig gelehnt hatte.
"Hey Bro!"
Alec schlug mit Jaxon ein und die anderen begrüßten ihn ebenfalls, so wie ich.
Nun mit unserer vervollständigten, kleinen Gruppe liefen wir in das kühle Schulhaus. Innen angekommen trennten sich jedoch unsere Wege sofort wieder. Während ich und Alec Wesensgeschichte hatten, hatten die anderen Wesenswirtschaften.
"Hast du eigentlich die Hausaufgaben?"
Alec sah mich fragend an, aber ich schüttelte einfach nur den Kopf und wich weiter den entgegenkommenden Schülern aus, achtete dabei darauf, niemanden zu berühren.
Ich war so durcheinander, dass ich mich nicht mehr auf die Schule konzentrieren konnte.
Mit zusammengepressten Lippen massierte ich mir den Hals und bog um den Schulgang, dorthin, wo unsere Spinde und der Raum für unseren nächsten Kurs lagen. Abrupt blieb ich stehen, als ein dunkles, melodisches Lachen durch den Gang schallte.
Mitten in der Bewegung hielt ich inne und lies meinen Blick hektisch über die Schülermassen zucken.
Der Verursacher dieses Lachens war der breitschultrige Junge, der gerade lässig vor unserem Wesensgeschichteraum lehnte und genau in diesem Moment seinen Kopf in unsere Richtung drehte.
Alec musterte mich besorgt und folgte dann meinem Blick.
"Ari, was ist los?"
Ich schluckte und wollte mich umdrehen, laufen, einfach raus hier. Doch ich konnte mich nicht bewegen, sondern ihn einfach nur anstarren.
Der Junge hatte dunkle, leicht lockige Haare, die ihm neckisch in die Stirn fielen und damit seine grauen Augen umspielten.
Jene faszinierenden Augen blickten gerade, hektisch nach etwas suchend, über die Schülermassen.
Er richtete sich zu voller Größe auf, wobei seine rote Collagejacke leicht über seinen Schulter spannte, und schob seine Freunde ungeachtet ihrer Proteste zur Seite.
Dann trat er in meine Richtung und hob den Kopf.
Seine Augen nahmen einen wölfischen Zug an, glitzerten kurz in einer Mischung aus der verschiedensten Goldtönen auf. Analysierend zuckte sein intensiver Blick durch den Flur, bis er mich erfasste.
Mein Herz hämmerte bei seinem Anblick so unkontrolliert in meiner Brust, das ich schon fast Angst hatte, es würde herausspringen und Hals über Kopf um die Ecke davon rennen.
Er trat einen Schritt auf mich zu, seinen Körper angespannt, sein ausgeprägtes Gesicht ungläubig verzogen.
Bei jedem weiteren Schritt seinerseits wich ich einen kleinen zurück. Er durfte mir nicht so nahe kommen.
Doch da hatte er schon meine Wohlfühlzone durchbrochen und seine muskulösen Arme so zärtlich, wie man es bei seiner Erscheinung nicht erwartet hätte, um mich gelegt.
Seine Nase streifte über meinen Hals und ein wohliger Laut stieg in ihm auf. Scheiße nein.
Im ersten Moment versteifte ich mich, konnte seine Unruhe spüren, als ich ihm nicht sofort in die Arme sprang, wie es sonst bei Mates üblich war. Und dann wand ich mich, drückte meine Hände gegen seine harte Brust, versuchte die aufkommende Dunkelheit und die Tränen zurückzuhalten. Ich konnte eine schmerzhafte Regung in meinem Inneren spüren, doch es war nur ein angehauchtes Gefühl, nicht zu verstehen.
Endlich schaffte ich es, unter seinem starken Arm hinweg zu fliehen und ein - zwei große Schritte zurück zu machen. Schwer atmend presste ich mich an die kalte Schulmauer in meinem Rücken und konzentrierte mich darauf jetzt nicht in einem Panikanfall zu enden. Unwillkürlich begegneten sich unsere Blicke, in seinen sturmgrauen Augen lag so viel Liebe, Verwirrtheit, aber auch Verletztheit.
Wieso empfand er so viel Liebe für mich, wobei er mich noch nicht einmal kannte?
Er durfte kein Gefühl für mich hegen, sollte mich nicht so ansehen. Nicht so, als wäre ich das kostbarste, was er je auf dieser Welt getroffen hätte.
Nein, er sollte sich so weit wie möglich von mir fern halten.
Ich sollte ihn nicht ein Stück interessieren, so war es besser für ihn.
Er öffnete seine geschwungenen Lippen und schloß sie wieder, sah mich schon wieder mit so viel Bewunderung und Liebe an, dass es weh tat. Es tat weh, dass wir uns niemals lieben durften.
Ich atmete dreimal tief durch und beruhigte mich langsam, und als er einen weiteren Schritt auf mich zu trat packte Alec ihn am Arm.
"Hey, lass ihr doch Platz zum atmen!"
Mein Mate verspannte sich augenblicklich und sah mit zusammen gekniffenen Augen auf Alec's Hand an seinem Arm. Dabei bildeten sich deutlich seine Fangzähne heraus und ein Knurren stieg aus seiner Kehle, jedoch lies er mich damit kurz ausser Acht.
Dankbar für diese Ablenkung raffte ich meinen Rucksack, den ich achtlos fallen gelassen hatte, auf und huschte durch die angesammelten Schaulustigen hinein in unseren Kursraum.
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