29. Vergänglich
VORWEG! Diese Kapitel ist gefüllt mit Horror, Blut und Gewalt. Es ist das Final des ersten Teils.
Eine Übersetzung der vorkommenden Liedzeilen ist jetzt auch am Anfang, weil ich das Ende unkommentiert stehen lassen will. Deswegen jetzt alles vorweg.
"Das ist ein Dämon, der über die Autobahn rast und mit saurem Samen schießt. Also wache auf, du träumst, der Albtraum ist real, es ist das Leben, welches du führst"
"Der innere Teufel lässt mich lächeln. Wie ein Zirkus in meinen Verstand. Der Nervenkitzel der Nacht, die Angst tief darin. Es gibt keinen Ort mehr, an dem du dich verstecken kannst. Du kannst rennen, dich aber nicht verstecken! Herzlich willkommen zu den "Horror Nights" ( Horror Nächten)"
"Du bist gefangen in einem Terror Prisma und ich liebe es, dich in deinem selbst gebauten Gefängnis leiden zu sehen. Ich bin die Spinne, du bist die Fliege. Ich liebe es, dich schreien zu hören, liebe es, dich sterben zu sehen - nur für mich. Haha, ich bin beerdigt in deinem Kopf, ich bin diese Seele-vernichtenden zehn tausend Kilo Blei!"
----
Irgendwann war ich aufgestanden und hatte mich auf den Heimweg gemacht. Mein Auto raste über die fast leere Autobahn, ich war spät dran heute. Die Sonne ging langsam unter, es würde nicht mehr lange dauern und die Welt um mich herum war in Dunkelheit getaucht. Ich rechnete nicht damit, dass ich vor Einbruch der Nacht daheim ankam, aber das war normal. Ich kam selten früh heim. Was sollte ich dort auch machen? Die Nächte verbrachte ich zum großen Teil sowieso schlaflos und Essen tat ich entweder im Park oder Unterwegs. Ich war gerade im Begriff die Autobahn in Richtung Kehl zu verlassen, als mir ein Hirsch in den Lichtkegel sprang und ich nur noch eine Vollbremsung einlegen konnten. Ich spürte das Pedal unter meinen Füßen vibrieren, als das Antiblockiersystem wirksam wurde und hörte die Reifen quietschen. Wie erstarrt stand das Tier, das deutlich kleiner war als Cernunnos, im Lichtkegel. Die Dämmerung wich nun ganz langsam der Nacht und eigentlich sollte es nicht ungewöhnlich sein, dass mir um diese Uhrzeit ein Tier vor die Räder kam. Doch es war ungewöhnlich. Zumal die Autobahn nicht die Neuste war und normalerweise genug Lärm verursachte, dass sämtliche Rehe und Hirsche einen großen Bogen darum machten.
Als das Tier auch nach einem Hupen meinerseits sich nicht vom Fleck bewegte, stieg ich schließlich aus und wollte es mit den Armen wedelnd vertreiben, als es auf mich zukam. Ein menschlicher Blick lag in seinen Augen, so menschlich, dass es mich beinahe an den keltischen Gott erinnerte. Sobald es mich erkannt zu haben schien, machte es einen Satz nach vorne, stürmte auf mich zu und rannte mich beinahe um. Nun erkannte ich die Panik und Eile, die es ausstrahlte. Es streifte mich, brachte mich zum stolpern und schließlich fiel ich rücklings auf die Fahrbahn. Im ersten Moment war ich froh, dass die Autobahnausfahrt kaum befahren war, dann wurde mir auch schon für einige Sekunden schwarz vor Augen.
Mein Cernunnos erschien mir im Kopf, sein Blick panisch. „Beeil dich! Komm!", schrie er, dann folgten schnelle Bilder einer Arena, die lichterloh in Flammen stand, Vito, der gegen irgendetwas kämpfte, was ich nicht sehen konnte und eine Gestalt, die das Stallgebäude gleichmäßig mit Flammenbällen bewarf. Es dauerte kaum eine Millisekunde, bis ich erkannte, wer das war. Sylvain. Der Magier schien einen außerordentlichen Spaß damit zu haben, meinen Arbeitsplatz in Brand zu setzen. Ich spürte Panik in mir aufsteigen. Das hatte mir gerade noch gefehlt.
Die Bilder brachen ab und ich kam wieder zu mir. In Windeseile rappelte ich mich vom Boden auf, rannte auf mein Auto zu, stieg ein, wendete mit quietschenden Reifen und hoffte, dass meine Bremsbeläge der Belastung noch standhalten würden. Ich hatte immerhin noch so viel Vernunft, die Autobahn wieder auf der richtigen Spur zu befahren. Auch wenn mir die paar Minuten, die ich dafür investieren musste, wie Stunden vorkamen. Ich jagte mein Wagen auf seine höchste Geschwindigkeit. Die Horror Nights CD, die ich im Auto gerne anhörte, schaltete auf „Welcome to the Horror Nights". Das Gruselevent, dessen Soundtrack es war, fand jedes Jahr im Herbst im Europapark statt. Neben den verschiedenen Horrorhäusern, der eindeutig nicht mehr jugendfreien Eisshow, gab es unter anderem auch die Musik, die es zu etwas ganz Besonderem machte. Eine schaurige Gänsehaut überlief meinen Körper, als die Musik von selbst lauter wurde. Meine Hände umklammerten das Lenkrad, die Bilder des brennenden Stalles hatte ich immer noch im Hinterkopf. Weiß traten meine Fingerknöchel hervor, die Lichter außen schienen zu verschwimmen.
„This is a demon speeding on a highway to hell shooting acid semen. So wake up, you're dreaming, the nightmare is real, it's the life you're leading", schrie mir Leon Fuller, der Sänger, um die Ohren. Ich versuchte leiser zu drehen, doch es half nichts. War meine Anlage kaputt? Es schien, als wollte mir jemand durch diesen Song etwas mitteilen. Ich ahnte, wer es war. „Hör auf mich zu terrorisieren, Sylvain", flüsterte ich. Ich bekam es ernsthaft mit der Angst zu tun. Seine Präsenz war auf einmal so deutlich, dass ich das Gefühl hatte, er saß neben mir. Panisch sah ich mich um, doch er war nirgends. Doch das Gefühl der Verfolgung ließ nicht nach.
„The evil inside is making me smile like a circus in my mind. The thrill of the night, the fear deep inside. There's nowhere left to hide! You can run but you can't hide, welcome to the Horror Nights!" „Ich weiß es doch, Leon", schrie ich mein Radio nun ebenfalls an. „Ich weiß, dass ich mich nicht verstecken kann! Lass mich endlich in Ruhe!" Panik machte sich in mir breit, ich drückte das Gaspedal immer weiter hinunter. Die Lichter in meinem Auto flackerten.
Endlich kam das Schild in Sicht, welches die Ausfahrt zum Europapark beschilderte. Erleichternd seufzend verlangsamte ich meine Fahrt, fuhr jedoch trotzdem ziemlich scharf um die Kurve des Kreisverkehrs, an dem die Zufahrtsstraße begann. Es war menschenleer. So früh schon? Normalerweise kamen doch genau jetzt die ganzen Leute aus dem Europapark zurück.Es war gruselig, so allein. Und ich wusste, wessen Schuld das war. Und ich wusste, dass er mich sah und ich gefangen war in meinem Auto.
„You are trapped in a terror-prism and I love to see you suffer in your self-built prison. I'm the spider, you're the fly, I love to hear you cry, love to see you die, only just for me. Haha, I am buried in your head, I'm those soul-crushing-ten-thousend-pounds of lead"
Bei dem Haha realisierte ich zwei Dinge gleichzeitig. Zum Einen klang es nicht mehr wie Leon, sondern wie Sylvain, der mich auslachte und zum anderen gab es einen lauten Knall, als eine Krähe gegen meine Windschutzscheibe flog und bei der Geschwindigkeit, mit der sie von mir erfasst wurde, sofort starb. Blut verteilte sich in meinem Sichtfeld, ihr Köper zuckte noch für zwei Sekunden, dann blieb sie liegen. Für einen Moment, eher der Fahrtwind sie erfasste und sie über mein Auto zurückgeschleudert wurde. Ich schrie erschrocken auf und riss in der Panik das Lenkrad herum. Mein Herz schlug hart gegen meine Brust, der Schock saß tief. Mein Wagen geriet auf die Gegenfahrbahn, kam ins Schleudern und ruckelte auf das Getreidefeld neben der Straße. Durch meine Adern pumpte das Adrenalin, ich wusste, dass ich schnellstmöglich aus dem Auto musste. Ein letztes „Welcome to the Horror Nights", tönte aus den Lautsprechern, dann erstarb die Maschine. Abgewürgt.
Ich riss die Tür auf, sprang hinaus und rannte.
In der Ferne sah ich über der Arena schon orange-rote Rauchwolken, es war, als schlugen die Flammen hoch in den Himmel. Es sah aus wie Engelsflügel, die all die verbrannten Seelen in den Himmel trugen. Ich war aufgeputscht durch die Angst, spürte keine Ermüdung mehr. Immer noch hatte ich das Gefühl, beobachtet und verfolgt zu werden. In der inzwischen plötzlich eingetretenen Dunkelheit stolperte ich mehrmals, doch jedes Mal stand ich wieder auf, rannte weiter. Warum hörte ich keine Sirenen, warum zum Teufel war es so still? Meine Menschenbeine trugen mich zu langsam! Obwohl ich keuchte, klatschnass geschwitzt war und Seitenstechen hatte, forderte ich sie immer mehr zur schnellen Bewegung auf.
Nach gefühlt einer Ewigkeit, erreichte ich endlich das große Tor. Rauchgeruch stieg mir in die Nase, ich spürte schon die Hitze der Flammen und doch hing kein Rauch in der Luft. Als ich das Holz aufschlug, verschlug es mir den Atem. Mit einem Knall krachte der Eingang gegen die Betonmauer dahinter und ich sah...
Nichts.
Es war kaum noch jemand anwesend. Zwei der Stallfrauen waren noch da, Marion saß mit Charles noch auf dem Hof, in Zivil inzwischen und sie unterhielten sich. Nichts war von den Flammen zu sehen, die ich aus der Ferne noch so deutlich gesehen hatte. Sprachlos sah ich mich um, drehte mich mit offenem Mund im Kreis. Es hatte sich doch alles so echt angefühlt! Ich hatte doch nicht geträumt! Meine Beine schmerzten, die Erschöpfung rollte auf einen Schlag über mich zusammen, das Adrenalin verließ meinen Körper im selben Augenblick. Ich sank auf die Knie, schüttelte immer wieder den Kopf und vergrub dann mein Gesicht in den Händen, um die Tränen zurückzuhalten. Es war ein aussichtloses Unterfangen. Ich brach zusammen, wie ein Kleinkind schluchzend, und fragte mich, was zur Hölle passiert war.
Und im gleichen Moment wurde ich wütend. Vor allem auf mich selbst. Wie konnte ich dieser Halluzination auch Glauben schenken? Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um niemanden zu erschrecken und schrie. Wimmernd und anklagend. Gedämpft drang der Laut an meine Ohren, unterbrochen von Schüttelkrämpfen und lauten Schluchzen. Schließlich erstickte ich den Laut, den ich nicht mehr bremsen konnte, indem ich mir selbst in die Hand biss. Ich war erschöpft, enttäuscht und einfach nur ratlos? Was geschah mit mir? Keiner schien mich hier auf dem Pflaster zu bemerken, die Zeit schien stillzustehen. Nur meine eigenen Geräusche unterbrachen die Totenstille.
Als ich mich schließlich langsam beruhigt hatte, zitternd und keuchend am kalten Boden lag, stellte ich fest, dass sich nichts bewegte. Und damit meinte ich, dass kein Wind wehte, die Fahnen aber immer noch so standen, als würden sie sich bewegen. Erschrocken rappelte ich mich auf, stand auf wackeligen Beinen und sah mich um. Die vier Menschen, die noch auf dem Hof waren, hatten sich zu mir umgedreht, aber sie standen da, als wären sie zu Eis erstarrt. Einige Pferde hatten ihre Köpfe aus den Boxen gestreckt, doch auch sie waren wie gefroren. Ich taumelte einige Schritte nach vorne, blickte mich panisch um, allerdings schien sich mein erster Gedanke zu bewahrheiten. Die Zeit stand still. Und ich war in ihr gefangen. Umso mehr ich meine Umgebung wahrnahm, die selbst in der Nacht hell beleuchtet war, bestätigte sich diese Theorie in mir. Ich wankte einige Meter nach vorne, immer noch unsicher auf den Beinen. Lief in Richtung Marion, doch ihr Gesichtsausdruck blieb unnatürlich eingefroren. Sie hatte immer noch die Augen überrascht aufgerissen, Charles Hand lag auf ihrer Schulter. Auch er sah in die Richtung des Tores, wo ich hereingekommen war.
Ich presste mir beide Fäuste gegen die Schläfen. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Ich wurde verrückt!
„Holt mich hier raus", flüsterte ich angsterfüllt, doch natürlich reagierte niemand. Mir wurde mit einem Schlag klar, wie sehr ich abhängig war von anderen Menschen. Wie sehr hilfsbedürftig ich immer war und wie schwach. Ich hatte keine Macht, ich konnte nicht einmal einen Feuerzauber aufrecht erhalten. Selten kam ich mir so nutzlos und klein vor, wie in diesem Moment. Was war ich denn auch? Ein Nichts war ich, so ganz ohne Vito und ohne jemanden, der mir helfen konnte. Was war ich denn ohne die Pferde? Nur ein Mädchen, welches durchgedreht war. Was wäre ich ohne Mario? Ein Idiot, der meinte, ein Pferdemädchen zu sein und sich das Vertrauen der Tiere nur durch Reden erobern konnte. Es war doch alles so gut gelaufen am Anfang. Fast zu gut. War das hier meine Strafe, weil ich damals zu leichtsinnig war? Es nicht wertgeschätzt hatte?
Meine Oberschenkel schmerzten wie die Hölle, dennoch lief ich langsam auf die Boxen zu, konnte nur flach atmen. Selbst die Luft schien eingefroren zu sein. Ein Vogel hing über mir fest. Er war wohl auf der Durchreise gewesen oder gehörte zu einer der vielen Schwalben, die hier im Stall nisteten. Ich wollte zu Nevado, der ebenfalls gerade dabei gewesen war, aus seinem Fenster zu sehen. Ein Ohr war in die Richtung gerichtet, aus der ich gekommen war. Als ich die Hand ausstreckte, um ihm über die Nase zu streicheln, fühlte er sich an wie eine Figur aus Plastik. Das Fell fühlte sich hart unter meinen Fingern an. Unnatürlich. Und kalt.
Mein Blick fiel auf die Nachbarbox, in der Vito hauste. Auf Anhieb sah ich ihn nicht, also musste er wohl schon am Boden liegen und schlafen. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um einen Blick auf ihn erhaschen zu können. In der Tat lag er flach auf der Seite. Doch sein Fell war – oh Gott, mir wurde schlecht. Ich beugte mich hinunter, und übergab mich. Mein Bauch krampfte sich zusammen, war die Reaktion auf das eben Gesehene.
„Willkommen", war auf seinem Fell gestanden. Eingeritzt mit einem Messer. Nicht besonders tief, gerade so, dass ein dünnes Rinnsal an Blut die Buchstaben bildete. Ich betrat den kühlen Stall, sah mich um, doch sonst entdeckte ich auf Anhieb nichts. Erst, als ich mich endlich in Vitos Box traute, entdeckte ich an der Wand mit Kreide den nächsten Hinweis. „Lass uns spielen, Moondancer. Ein letztes Mal" Die Handschrift kannte ich. Sobald ich das realisiserte, setzte auch das Gefühl von Beobachtet werden wieder ein. Ruckartig drehte ich mich um und sah in die mir am meist verhasstesten Augen.
Der Magier reichte mir die Hand. Ich war so perplex, dass er sie einfach ergriff. „Hallo. Schön dich zu sehen, Moondancer. Ist lange her. Na, wie geht es dir?", fragte er mit einem Grinsen. Es wirkte so falsch und überraschte mich so heftig, dass ich nur nickte. „Och, kriege ich keinen Gruß von dir?", fragte Sylvain und hob eine Augenbraue. Schlagfertig, wie eh und je.
Endlich hatte ich mich gefangen. Die Härchen an meinem Arm stellten sich auf, ich war wie elektrisiert von dem Doppelklang in seiner Stimme. Kalt lief es mir den Rücken hinunter. Ich sah sicher meinem Ende entgegen. Und selbst wenn ich mich irgendwie retten konnte, dann nicht ohne einen Verlust.
Entgeistert stieß ich ihn von mir. „Du warst es! Von Anfang an!", fauchte ich. „Na, na. Ganz ruhig. Ich habe dir nur mein Treffen angekündigt. Du bist so schwach, ich wollte dir nur eine Gelegenheit geben, dich vorzubereiten. Doch wie ich sehe, scheinst du mein Angebot nicht angenommen zu haben. Nun dann, das ist dein Pech", erklärte er seelenruhig, während ich mich langsam rückwärts von ihm entfernte. Weg von den Pferden, auf den offenen Hof. Dann konnte ich vielleicht wenigstens die Tiere schützen. „Alles ist deine Schuld, die Visionen, Vito, die Träume!", knurrte ich ihn weiterhin böse an und lief weiter. Zeit schinden, Zeit schinden, ich musste mehr Zeit schinden. Vielleicht ergab sich dann noch eine Chance für mich irgendwo. „Vito?", fragte er plötzlich interessiert. „Tu nicht so, als ob du es nicht wüsstest!"
„In der Tat weiß ich es nicht", sagte er, leicht aus dem Konzept gebracht, „Klär mich auf", fügte er dann grinsend hinzu und war wieder ganz der selbstsichere Magier. „Nein!", weigerte ich mich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Welch ein Jammer. Muss ich es aus dir hinaus kitzeln?" Ein blauer Blitz, gefüllt mit elektrisierter Energie, erschien in seiner Handfläche.
In mir legte sich ein Schalter um. Wenn es so sein sollte, dann sollte es so sein.
„Bring mich halt um", meinte ich plötzlich, überrascht von meiner Gleichgültigkeit, die ich an den Tag legte. Aber als ich länger darüber nachdachte, erschien es mir plausibel. Warum sollte ich auch nicht sterben? Immerhin war ich ersetzbar und aufgrund der Dinge, die passiert waren, sowieso nicht in der Lage, noch für irgendetwas gebraucht zu werden. Er zuckte mit den Schultern. „So gefällt mir das. Ohne Gegenwehr und schnell und einfach. Aber nein, dann war ja meine ganze Vorarbeit umsonst. Ich will dich noch ein wenig leiden sehen", erklärte er und spielte mit der Energie in seinen Händen. Wie ein Ball warf er sie von der linken in die rechte Hand, wartete geduldig, während ich, inzwischen tatsächlich in Lebensangst, mich panisch nach einem Versteck umschaute. Oder einer Möglichkeit zu fliehen. Doch noch immer tat sich nichts im Zeit Kontinuum und auch der Raum blieb gleich. Es tat sich kein Riss auf, der mich mitnahm.
Schließlich war seine Geduld am Ende. „Genug Vorbereitung, Schätzchen. Lasset das Spiel beginnen!", erfreute er sich und ließ den Blitz auf mich los. Ich beugte mich darunter hinweg, wich dem Angriff mit einer Reaktionsgeschwindigkeit aus, mit der ich nicht gerechnet hatte. Erneut spürte ich Adrenalin in mir. Es half, die Schmerzen zu auszuhalten und mich ein wenig auf das tödliche Spiel zu konzentrieren. Blitzschnell zog ich ein Schild hoch, das Einzige, was ich wirklich einigermaßen gut beherrschte. Doch sein nächster Schlag riss ihn schon wieder nieder. Dem dritten Angriff konnte ich auch noch ausweichen, dann seufzte er frustriert und machte seine Blitze größer und steckte mehr Energie hinein. „Schluss mit lustig", rief er, riss mich mit einer Druckwelle vom Boden und schickte die Magie hinterher.
Es war mehr als ein Stromschlag. Stellt man sich vor, dass man gegen einen Elektrozaun fasst, musste man das mit 20 multiplizieren und dann nicht an einem bestimmte Punkt, sondern man fiel kopfüber in den Zaun hinein. Mein Körper zuckte unter der gewaltigen Energie, ich ging zu Boden und blieb da erst einmal liegen. Im gleichen Moment spürte ich, wie die Luft sich wieder zu bewegen begann und die Zeit wohl wieder lief. „Hanna!", hörte ich jemanden in der Entfernung schreien. Sylvain fluchte und wurde für einen Moment abgelenkt. Ich machte, dass ich auf die Füße kam, schickte einen schwachen Feuerstoß in seine Richtung, der gerade mal den Saum seines schwarzen Umhangs leicht anschmorte und rannte einige Meter von ihm weg. Es war hoffnungslos. Ich beherrschte die Magie nicht gut genug, um gegen einen ausgebildeten Magier anzutreten.
Dieser hatte wohl entschieden, dass es besser wäre, die Zeit weiterlaufen zu lassen, um nicht zu viele wertvolle Sekunden in dem Kampf gegen mich zu verlieren. Er drehte sich um und setzte mir nach. Lange konnte ich nicht von ihm davonrennen, aber vielleicht gewann ich so erneut Minuten. Und tatsächlich. Auf einen Schlag blieb mein Gegner stehen, sein Kopf ruckte in die Richtung der Umkleide. „Wag es nicht!", schrie er über den gesamten Hof, sodass ich zusammenzuckte.
„Was?", fragte plötzlich Marion, die siegessicher aus dem Aufenthaltsraum trat. Sie grinste über das ganze Gesicht und hielt die Krähe von Ludo in den Händen, die sich mit aller Macht wehrte, aber gegen den gekonnten und festen Griff der blonden Stuntfrau nichts machen konnte. „Lass sie los!", rief der Magier erneut erbost. „Nö. Ich sehe keinen Grund dazu. Wenn du verschwindest können wir noch einmal darüber reden, aber vorerst behalte ich dieses Vieh", sagte sie und lehnte sich mit einem gewinnenden Lächeln an die Wand. Zwar stand sie in einer sicheren Entfernung, doch sie schien sonst keine Angst vor der Gewalt zu haben, die der Mann ihr antun konnte. Als wüsste sie genau, dass er sie wegen dem Vogel nicht angreifen würde.
Und auf einmal wurde mir alles klar. Alles. Das Verhalten der Krähe, ihre menschlichen Augen, dass ich nichts gefunden hatte und sie als normal empfunden hatte. Sie war Sylvains Seelentier. Ein Spion, gut geschützt hinter einer Mauer, die ich nicht überwinden hatte können. Logisch, denn er konnte das, was ich nicht konnte. Sein Geist war stärker als meiner, da spürte ich nichts. Die Magie der Beiden hing zusammen wie die Gestalt von Vito und mir. Sie waren Kampfpartner, ein Team, welches zusammen eine unglaubliche Macht hatte. Ich wollte gar nicht wissen, wie Marion davon gewusst haben konnte, aber sie wirkte so sicher, dass sie keinen Zweifel gehabt haben konnte. Aber warum hatte sie das vor mir verborgen? Warum hatte sie im Geheimen gearbeitet? Hatte sie gewusst, dass Sylvain kommen würde?
„Duuuu" Mit dem Finger zeigte Sylvain auf sie und drehte dann mit wehendem Umhang um. Zielstrebig rannte er auf den Stall zu, in dem Vito wohnte. Während ich zuerst nur zwischen den beiden hin und hersehen konnte, machte sich jetzt Schrecken in mir breit. Obwohl meine Beine protestierten, rannte ich hinterher, schlitterte um die Ecke, direkt in die Stallgasse hinein.
Die schwarze Gestalt kniete über dem, immer noch regungslosen, Pferd. Er hatte ein Messer an die Kehle des Hengstes gesetzt. Ich schlug mir die Hände vor den Mund und sah mit weit aufgerissenen Augen auf die Szene vor mir. Vito, immer noch mit blutbeschmierten Fell und das Messer, das aufblitzte. „Wir machen einen fairen Tausch", verkündete der Magier, als Marion ebenfalls die Stallgasse betreten hatte. „Der Vogel gegen dein Pferd" Ich wechselte mit Marion den Blickkontakt. Die Entscheidung fiel mir leicht. Obwohl es tief in mir irgendwo weit hinten schmerzte, nickte ich nur. Er hatte mich verlassen. Jetzt war es zu seinem Nachteil. Die Eiseskälte, die ich vorher noch bei Nevado gespürt hatte, macht sich in mir breit. Das Eis überzog meine Organe, geriet zum Schluss über mein Herz und ich sah es fast bildlich vor mir, wie sich die Eisdecke über ihm schloss. Wild entschlossen und mit einem Mut, den ich nicht von mir kannte, nickte ich schließlich. Fest überzeugt, von dem, was ich tat.
Das Pferd war es nicht mehr wert zu kämpfen, wenn ich dafür endlich den Magier töten konnte. Ich schloss kurz die Augen, atmete tief durch, ging leicht in die Knie. Meine Kampfstellung. Bereit, zuzuschlagen. Sylvain hob belustigt die Augenbrauen. „Na? Lasst ihr ihn bald frei?", fragte er siegessicher. Zu siegessicher. Diesmal war es aber an meiner Reihe, böse zu grinsen. „Sicher nicht. Dein Spion hat nämlich nichts gebracht, Sylvain. Sie war nutzlos. Einfach nutzlos" Für einen Moment geriet seine Selbstsicherheit ins taumeln. Allerdings reagierte er zügig. Der Mann setzte die Klinge näher an den Hals des Pferdes, leichtes Blut trat schon aus der Stelle, an der sie die Haut aufriss. Direkt hinter dem Kopf, am Nacken.
Ohne es zu wollen, entstanden Bilder in meinem Kopf, ein Film spielte sich vor meinem inneren Auge ab. Es fing damit an, dass er aus dem Wald kam, damals. Über die Arbeit mit ihm, die Momente, die wir geteilt hatten, das Vertrauen, welches entstanden war. Seine Mähne im Wind. Ohne Sattel im Gelände, unsere Strecke im Galopp. Meine Arme, ausgebreitet. Das Gefühl der Freiheit erfasste mich erneut. Sein Wiedersehen bei Mario. Als ich auf ihm mit Marco durch den Schnee galoppiert bin. Sein Geist, mit meinem verbunden. Sein Glück, vermischt mit meinem Glück. Es endete damit, dass er aus dem Hänger kam, um mich zu begrüßen. Sein goldglänzendes Fell und die Muskeln, die seinen Weg zu einem Hengst markiert hatten. Sollte all das vorbei sein? Der Film brach ab. Mir rutschte ein gehauchtes „Nein" heraus. Für einen Moment ergriff mich das Entsetzen über diese Szenerie.
Doch dann erinnerte ich mich wieder. An seine Ignoranz mir gegenüber. Dass er mich im Stich gelassen hat. Dass er sich von mir entfernt hatte. Und mir nie gesagt hatte, warum.
Das Eis, welches um meinem Herz zu schmelzen begonnen hatte, festigte sich wieder. Sylvain hatte den Kopf schiefgelegt. „Krieg ich sie zurück?", fragte er schließlich und deute auf den Vogel. Erneut grinsend. Ich atmete ein. Langsam entließ ich die Luft wieder. Erneut ging ich leicht in die Knie, überlegte, wie ich ihm das Messer entreißen konnte. Meine Entschlossenheit brachte ihn aus dem Konzept. Zaghaft entfachte er ein Feuer in seiner freien Handfläche, schloss sie zu einer Faust, doch behielt die Flamme darin.
Ich drehte mich zu Marion um, die die ganze Szene ruhig betrachtet hatte. Der Vogel wehrte sich inzwischen auch nicht mehr. Er schien gespannt Sylvain anzusehen. Dann nickte ich langsam. „Dreh ihr den Hals um, Marion", sagte ich ruhig.
Dann geschah alles ganz schnell. Im selben Moment, in dem das Knacken der Tierknochen ertönte, rammte Sylvain Vito das Messer in den Hals, feuerte einen Feuerball auf mich los, der mich jedoch nicht einmal erreichte, da er in sich zusammensank und einen markerschütternden Schrei losließ. Ich nutzte die Gelegenheit und nahm seine Schwäche als meinen Vorteil. Ich stürzte vor, riss das Messer aus Vitos Hals und rammte es in die Brust meines Gegners.
Ich hatte das Herz getroffen, ich spürte es. Die Klinge zuckte noch leicht von dem immer schwächer werdenden Puls des Mannes. Seine Augen zeigten Enttäuschung. „Ich habe versagt", brachte er gurgelnd hervor, dann spuckte er Blut, besudelte damit meine Kleidung. Er ging zu Boden, lebte noch. Doch seine Energie wurde immer geringer. „Beeil dich, Hanna!", rief Marion plötzlich von hinten. Ich löste mich aus einer vorläufigen Schockstarre, mein Blick raste zu Vito, der immer noch bewusstlos dalag. Der rote Lebenssaft quoll aus seiner Halswunde wie aus einer sprudelnden Quelle. Erst jetzt wurde mir klar, was passiert war. Ich stürzte vor und tat das Einzige, was mir in den Sinn kam. Im Nachhinein war es äußerst unklug. Doch in dem Moment sah ich nur Vito, der ebenfalls im Sterben lag.
Ich legte meine Hände auf den sauberen Schnitt. Er war nicht ganz durch. An einem letzten Viertel hingen sein Kopf und das letzte Rest Leben von ihm. Mit geschlossenen Augen, öffnete ich meinen Geist, sog die restliche Lebensenergie von Sylvain in mich auf und ließ sie in die Wunde fließen. Viel zu langsam schloss sich der Schnitt unter mir. Ich nutzte die komplette Energie die ich finden konnte, blind. Mir wurde klar, dass ich weinte.
Wie von außen sah ich auf mich hinunter. Sah mich hoffnungslos über der Wunde des Pferdes knien. Die blaue Energie floss hinein und schien viel zu wirkungslos. Als ich schlussendlich auf die Umgebungsenergie zugriff, sah ich zuerst das Stroh grau werden, es zerfiel zu Staub. Als es keines mehr gab, griff ich in meiner blinden Verzweiflung auf alles zurück, was Energie enthielt. Nacheinander gingen die Pferde zu Boden, bis mich Marion an der Schulter rüttelte. Für einen Moment nahm ich auch ihr die Energie, dann verpasste sie mir eine schallende Ohrfeige. „Hör auf! Du bringst alle um! Lass es!", schrie sie keuchend, dann ging sie ebenfalls zu Boden. Als ich sie neben mir liegen sah, realisierte ich das, was ich getan hatte. Ich pumpte den letzten Rest in das Pferd hinein, was ich selbst hatte. Doch der plötzliche Energieverlust machte sich sofort bemerkbar.
Das letzte was ich vor der Bewusstlosigkeit sah, war die Schnittwunde. Viel zu wenig schien sie sich geschlossen zu haben. Es kam mir vor, als wäre es nutzlos gewesen. Als wäre alles nutzlos gewesen, wofür ich gekämpft hatte.
Ich war nicht gut genug gewesen. Ich hatte versagt, nicht Sylvain. Ich allein war das Problem gewesen.
Es wurde schwarz um mich herum.
Und ich hatte alle umgebracht.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro