11. Plötzlich blond
Wie auf Kommando, fing mich die bereits Blonde auf halbem Weg zur Sattelkammer ab. In der Hand hielt sie eine rechteckige Packung, die nichts Gutes hieß. „Hanna!", säuselte sie schadenfroh und winkte mit dem kleinen Paket in ihrer Hand. „Jetzt?!" Entsetzt blieb ich auf Sicherheitsabstand. „Jawohl, jetzt. Also. Herkommen." Sie schlug wieder den befehlshaberischen Ton an, der so unglaublich gut zu ihr passte. Er ließ sie gleich ganz anders wirken. Viel cooler und mehr Bad Girl mäßig. Ich verabschiedete mich kurz von Lena, die etwas ratlos sich an Camille wandte, die die Stallgasse fegte.
„Neinneinneinneinneinneinneinnein", gab ich mich mit Meckern geschlagen. Ihre Schadenfreude war Marion einmal von links nach rechts quer über das Gesicht geschrieben. „Ich hasse dich", murmelte ich resigniert, als sie mich auf einen Stuhl setzte und die Verpackung öffnete. „Macht die Hanna blond, macht sie blond, los, macht sie blond!", sang sie vergnügt und rührte das Bleichmittel an, welches jetzt schon bestialisch stank. Das Fenster war zu, ich starrte es eine Weile an, bis mir klar wurde, dass es sich nicht durch anstarren öffnen ließ. Seufzend suchte ich die Energieströme und übte den Druck von meiner aktuellen Position aus, um das Fenster zu öffnen. Es schwang auf und Marion zuckte zusammen. „Wer hat jetzt das Fenster geöffnet?", fragte sie verwirrt. „Ich. Mithilfe der Macht", erklärte ich und meine Freundin kicherte. „Möge die Macht mit dir sein, junger Padawan" Ich spürte das kühle Mittel unangenehm im Nacken, als sie es in meine Haare einmassierte. „Wusstest du, dass ein neuer Star Wars Film rauskommen soll?" „Nö, woher auch?", meinte sie. „Am Ende diesen Jahres. Im Dezember oder so"
„Schön, aber ich bin jetzt nicht so ein Fan davon. Ich mag Science Fiction nicht so...", sie hielt kurz inne und nahm erneut etwas von der Farbe auf ihre behandschuhten Fingerspitzen, „Ich mag Fantasy. Und Charles übrigens auch. Wir haben neulich eine halbe Stunde über Sleepy Hollow diskutiert, so ein Fantasy Grusel Film mit Johnny Depp", erzählte sie. „Charles also? Soso...", gespielt anklagend hob ich eine Augenbraue. „Nur weil wir eine halbe Stunde über das gleiche Thema geredet haben?", fragte sie amüsiert. „Ich kenne dich, Marion. Du schaust die anderen männlichen Leute hier nicht einmal von hinten an, wenn sie dir nicht gefallen..." „GENAU! Übertreib doch!", lachte sie. „Nee, ernsthaft jetzt. Magst du ihn?" „Nur weil ich kurz mit ihm geredet habe?" „Nein, nur Interesse halber. Single sein ist doch nicht schön...", sagte ich. Ergeben atmete sie aus. „Ja, er sieht schon wahnsinnig gut aus. Aber ich weiß nicht so richtig. Es ist doch alles noch nicht so lange her mit Chris..." „Aber du hättest potentielles Interesse an ihm?" „Wenn du es unbedingt wissen willst, dann ja" Begeistert klatschte ich in die Hände. „Super! Das wird ein Spaß!" „Oh nein, diesen Gedanken lässt du gleich bleiben!", fuhr mich Marion an und stöhnte entgeistert auf. „Du verkuppelst mich nicht! Ich kann das selber!"
Ich kicherte schadenfroh. „Rache ist süß!" „Hast du ein Glück, dass ich fertig bin... Noch ein Wort und ich mach dich Wasserstoffblond", drohte sie. Erschrocken hielt ich den Mund. Bloß nicht. „Das lässt du jetzt eine halbe Stunde einwirken und danach wäschst du das aus. Am Waschbecken oder so. Oder wir duschen dich in der Waschbox" Beim letzten Wort hörte ich wieder ihren erheiterten Unterton. Widerspruchslos stand ich auf und mied den Blick in den Spiegel. Lieber erst nachher anschauen. Sonst würde ich wahrscheinlich Marion direkt an die Gurgel springen. So konnte ich mich erst noch eine halbe Stunde mit dem Gedanken anfreunden.
Ich versteckte mich während der Einwirkzeit in der Sattelkammer und putzte Vitos Trense, die es zwar nicht nötig hatte, aber mir wenigstens den Grund lieferte, mich hier zu verstecken. Ich konnte regelrecht fühlen, wie meinem Haar die Farbe entzogen wurde und trauerte um jedes Farbpigment. Währenddessen sah ich alle zwei Sekunden auf die Uhr, um die Einwirkzeit ja nicht zu überschreiten. Ich hatte Angst, dass umso länger ich es einwirken ließ, es umso heller wurde. Natürlich war dieser Gedanke Schwachsinn, denn es kam auf die Konzentration der Chemie an, nicht auf die Einwirkzeit.
Genau nach 30 Minuten sprang ich auf, hängte eilig Vitos Kopfstück wieder an seinen Platz und machte mich daran, das Teufelszeug am Waschbecken wieder auszuwaschen. Als ich mich danach im Spiegel betrachtete, wäre ich beinahe in Tränen ausgebrochen. Lang und blond hingen meine Haare spröde von meinem Kopf. Die Blondierung hatte sie sichtlich kaputt gemacht, jedoch gab es weder einen orangenen Stich, noch war mein Braun komplett verschwunden. Einige Strähnen waren dunkler und einige waren heller, vereinzelt kam das Braun noch durch. Es sah sehr naturblond aus und in der Hinsicht beglückwünschte ich Marion stumm. Farblich sah es gar nicht so schlimm aus, nur meine kaputten Haare machten mir zu schaffen. „Marion!", schrie ich klagend und hörte kurz darauf ein langgezogenes „Ja?" von irgendwo weiter weg. „Meine Haare sind vollkommen zerstört!", rief ich zurück, immer noch jammernd. „Dann mach die beigefügte Spülung noch drauf! Die liegt immer noch im Pausenraum!", kam ihr Rat. Missmutig tat ich wie geheißen und wirklich, meine Haare sahen danach ganz akzeptabel aus. Zufrieden bemerkte ich, dass die silberne Strähne sich nicht verändert hatte, obwohl sie ziemlich sicher ebenfalls etwas davon abbekommen hatte. Sie sah noch gesund und glänzend aus, wie immer.
„Und? Sieht doch gar nicht so schlecht aus...", kommentierte plötzlich die Verursacherin der ganzen Aktion von hinten. „Ich hasse dich", grummelte ich resigniert und funkelte sie durch den Spiegel über dem Waschbecken böse an. „Nein, tust du nicht, du musst dich erst daran gewöhnen. Es bringt etwas Abwechslung in dein Haar", munterte mich meine Freundin auf. Seufzend drehte ich mich zu ihr um. „Na gut, ich hasse dich wirklich nicht. Aber gut gelaunt bin ich auch nicht mehr", gab ich nach. „Das habe ich auch nicht erwartet" Sie lachte und hakte sich bei mir unter. „Und jetzt zeigen wir das Ludo und er wird uns dann sagen, ob man dich als Lady jetzt so annehmen kann" Ich ließ mich einfach von ihr mitziehen.
Ludo war begeistert. Er fand mich so viel schöner und passender als eine Lady für die Show und schlug vor, dass ich die letzte Show heute übernehmen konnte, was ich jedoch ablehnte. Lieber erst morgen, solange konnte ich noch von Marion abschauen, die es trotz aller Schwierigkeiten ganz gut meisterte.
Am späten Nachmittag, nach der letzten Show, wir waren fast fertig mit allem, rief mich unser Boss nochmal zu sich. „Und? Wie war der erste Tag?", fragte er und lehnte sich an die Stallwand. „Ganz ok. Nichts Besonderes, auch wenn ich das Gefühl habe, wir brauchen eine Weile, bis sich alles einpendelt", antwortete ich müde. Ich war gerade noch einmal durchgegangen und hatte alle Pferde das Gleiche gefragt, sie beruhigt und die Neulinge unseren Alltag erklärt. Ich hoffte, dass es nicht allzu schlimm werden würde morgen. Einige Pferde waren Publikum noch gar nicht gewöhnt. „Hmm", brummte er nachdenklich. „Du kommst aus Kehl, ist das richtig?" Ich nickte. „Und du fährst jeden Morgen mit dem Auto hierher?", fuhr er fort. Erneut nickte ich. „Ich denke, das geht auf Dauer sehr auf den Sprit. Für die Ferien könnte ich dir eine Mitarbeiterwohnung besorgen, wenn du willst. Ich denke, das ist einfacher für dich", schlug er vor. „Kostet die viel Miete?", fragte ich und legte nachdenklich die Stirn in Falten. „Es geht. Aber ich glaube, wenn man das hochrechnet ist es billiger als jedes Mal von Kehl nach Rust zu fahren. Da fährt man doch eine halbe Stunde, oder?" „Mehr, ich fahre ja eher langsamer, ich brauche eine Stunde von hier bis nach Hause", erklärte ich. „Ohje, nein, da schaue ich auf jeden Fall, was ich machen kann" "Das wäre nett", meinte ich dankend. Er schmunzelte. "So habe ich meine Moondancer wenigstens immer in der Nähe...", erklärte er plötzlich leise.
Ich erstarrte.
"Mario hat es mir gesagt", meinte er in gedämpften Tonfall und sah sich um, ob wirklich niemand in der Nähe war, der uns belauschen konnte. Statt zu antworten wich ich zurück, sah ängstlich zu ihm auf. Er erschien mir plötzlich so viel größer, als er eigentlich war. Als er realisierte, wie ich reagierte, hob er besänftigend die Hände. "Kein Grund zur Sorge, es weiß sonst niemand, hoffe ich. Oder hast du es jemandem erzählt?" Innerlich flehte ich den Boden an, sich zu öffnen, dass ich darin versinken konnte. "Marion weiß es seit Beginn", murmelte ich. "Alles klar, ich werde es aber für mich behalten, keine Sorge", meinte er beruhigend. "Du bist nicht böse?", fragte ich vorsichtig. Er schüttelte den Kopf. "Warum sollte ich? Es ist doch nichts schlimmes dabei... Eher im Gegenteil. Wenn jemand da ist, der mit Pferden reden kann, hat das doch seinen Vorteil" Verwirrt blinzelte ich. "Du nimmst es einfach hin, glaubst es ohne Weiteres?!" Er nickte erneut. "Es ist die logischste Erklärung für dein Verhalten und wenn Mario es erzählt, glaube ich es ihm. Natürlich ist es etwas Übernatürliches, aber ich habe nie daran gezweifelt, dass es so etwas geben könnte"
"Aber ich habe dich angelogen", murmelte ich kleinlaut. "Nein, du hast mir nie gesagt, dass du nicht mit Pferden reden kannst, genauso wenig wie du es bestätigt hast. Ich hätte es wohl auch geheim gehalten, wenn ich du gewesen wäre. Es ist alles in Ordnung, ok?" Ich nickte mit einem Kloß in den Hals. Ludo lächelte, klopfte mir freundschaftlich auf die Schulter und verschwand dann im Stall.
Mit zitternden Fingern holte ich mein Handy aus der Tasche. Jetzt hatte ich erst einmal mit Mario ein Hühnchen zu rupfen.
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