"Sylvia kenne ich schon seit meiner Geburt. Sie ist schon alt, hat bald ihr zweites Leben hinter sich, wie sie zu sagen pflegt. Sie kümmert sich um unsere kleine Herde und hilft anderen Pferden. Das kann sie richtig gut. Vor 17 Jahren war sie eine Zeit lang etwas komisch drauf, das könnte dich interessieren. Ich war noch nicht so alt, gerade mal zwei Jahre. Die ganze Zeit hat sie von einem Nachfolger, einem weiteren Moondancer, erzählt. Doch sie hatte nie einen Beweis, was ihr sehr zu schaffen gemacht hat. Andauernd meinte sie, sie spüre wie nah der Moondancer sei. All die letzten Jahre war sie auf der Suche nach ihm und in letzter Zeit ist es wieder hochgekocht."
Erstaunt sah ich die Stute an. Moondancer, so nannte mich Marion auch! "Ich habe diesen Sommer angefangen, mich zu verwandeln. Vielleicht hat sie das gemerkt...", meinte ich nachdenklich, "Kannst du mich zu ihr bringen?" Rommy nickte. "Ok. Aber erst sollte ich meine Reiterin wieder aufsammeln."
Wenigstens war sie vernünftig.
Also gingen wir zur Lichtung zurück und ich machte Vito wieder fertig. Dann nahm ich Rommy die Trense ab, damit sie sich an den zerrissenen Stellen nicht noch mehr aufrieb. Ich tauschte sie gegen Vitos Halfter und nahm sie als Handpferd mit mir. Dann setzten wir unseren Weg in Richtung Oppenau fort.
Unterwegs erzählte mir Rommy breitwillig alles über die Ausbildungsmethoden von Sylvia, die meinen ziemlich ähnlich waren. Wir waren im zügigen Tempo unterwegs. Immerhin lag irgendwo ein Mädchen bewusstlos am Boden. Nach einer guten Stunde fanden wir sie auch. Es war ein junges, blondes Mädchen. Ich nahm sie hoch und legte sie vorsichtig über Romeras Rücken. Diese hatte ein wenig Schuldgefühle, ignorierte diese aber.
Drei Stunden später kamen wir schließlich in Oppenau an. Ich brachte Vito in seinen Stall. Es war ein Reitverein, der mir freundlicherweise für diese eine Nacht eine Box gestellt hatte. Das junge Mädchen auf Rommys Rücken brachte ich in das Krankenhaus, indem ich einen Krankenwagen rief. Nachdem mein Pferd glücklich und zufrieden in seiner Box stand, brachte ich auch die Stute in eine Box, in der sie kurz bleiben konnte.
Anschließend suchte ich mein Hotel, meldete mich an und brachte meine Sachen in mein Zimmer. Wenig später stand ich dann wieder im Stall und richtete Rommy. Nachdem ich kurz mit Sattel in der Halle getrabt und galoppiert war, empfand ich ihre Gangarten als angenehm genug. Also nahm ich ihr den kaputten Sattel vom Rücken und ließ ihn in dem Stall, indem Vito die Nacht verbrachte. Dann verknotete ich meinen langen Führstrick so, dass ich eine Ersatztrense hatte. So ritt ich nur mit Halfter von dem Hof und Rommy schritt zügig in Richtung Heimat. Ich vertraute ihr, da ich selbst nicht wusste, wo sie wohnte. Nachdem ich sie nochmal ein Weilchen im Schritt locker gemacht hatte, trabte ich zuerst ein bisschen und genoss später schon den wilden Galopp durch den Wald in Richtung Oberkirch.
Rommy legte sich richtig ins Zeug und so brauchten wir nicht allzu lange. Als wir später in den Hof trabten, der an das Haus von Sylvia angrenzte, stürmte schon wenig später eine Frau, Mitte Vierzig, auf uns zu.
"Wo ist Olivia?", rief sie entsetzt, als sie mich auf Rommy sitzen sah. Hinter ihr kam eine alte Frau aus dem Haus gehumpelt. "Sylvia, ich habe sie gefunden!", begrüßte Rommy die alte Dame. Ihr Gesicht war von Falten durchzogen und ihr Haar war zwar noch braun, aber sehr ausgedünnt. Wahrscheinlich hatte sie das Gen, das für ewig braune Haare sorgte. Meine Oma hatte das auch.
Doch zuerst antwortete ich der Mutter von Olivia, wie ich annahm. "Im Krankenhaus. Sie war bewusstlos, da sich Rommy erschrocken hatte.", erklärte ich und reichte ihr den Zettel mit der Adresse, der mir vorhin von den Ärzten gegeben wurde. Zu spät merkte ich meinen Fehler. Dadurch, dass ich Romera bei Namen genannt hatte, war Sylvia sofort aufgefallen, wer ich war. Doch die Mutter schien nichts zu merken. Stattdessen setzte sie sich schnell in ihr Auto und brauste davon.
Sylvia kam langsam auf mich zu. "Ich bin Sylvia.", stellte sie sich vor und reichte mir die Hand. Ich ergriff sie. "Mein Name ist Hanna.", antwortete ich, "Romera hat mir viel von Ihnen erzählt.". Damit gab ich mich sofort zu erkennen, aber das machte mir nicht so viel aus. "Dann bist du also das Mondkind, das ich all die Jahre gesucht habe.", meinte sie nachdenklich. Mit Schwung rutschte ich von dem bloßen Rücken der dunkelbraunen Stute und knotete den Zügel auseinander.
"Wohin soll ich sie bringen?", fragte ich schließlich und deutete kurz mit dem Kinn zu Romera. "Komm mit, die Weide ist ein wenig von hier entfernt.", erklärte Sylvia und lief ein Stück voraus. Ich folgte ihr zusammen mit der Stute.
Kaum waren wir ein paar Schritte vom Hof gegangen, sprach sie mich nochmal an. "Erzähl mal, wie alt bist du und wo steht dein Pferd...", fing sie an. Innerlich seufzte ich, denn solche Fragen mochte ich nicht wirklich, ließ mir äußerlich jedoch nichts anmerken. Es waren diese offene Fragen, die ich auch bei Bewerbungsgesprächen schon nicht leiden konnte.
"Ich bin 17. Mir gehört ein 4-jähriger Andalusierfalbe. Ihn habe ich komplett selbst ausgebildet und mittlerweile arbeite ich als Pferdetrainerin im Europapark. Mehr spannendes gibt es eigentlich nicht zu erzählen.", fasste ich mein Leben in wenigen Sätzen zusammen.
"Ach was, natürlich gibt es mehr zu erzählen. Wann hattest du zum Beispiel deine erste Verwandlung? Ich kann dir erst alle deine Fragen, die du sicherlich hast, beantworten, wenn ich mehr über dich weiß.", erwiderte Sylvia. "Na gut.", gab ich nach, "Meine erste Verwandlung war diesen Sommer. Seitdem habe ich mich ungefähr vier Mal verwandelt. So genau habe ich das nicht dokumentiert... Aber ich kann schon immer mit den Pferden reden. Und meine Ausstrahlung soll einer Leitstute ähneln, sagt einer der erfahrenen Pferde andauernd zu mir. Er selbst kannte ebenfalls ein Mondkind, wie du uns nennst. Allerdings ist sie ungefähr da gestorben, als ich auf die Welt kam.", erklärte ich.
"Mario Luraschis Cavalcade?", bohrte die alte Dame weiter. "Ja, woher weißt du das?", antwortete ich verwirrt. "Das war Nathalie. Ihre Geschichte war nicht so toll verlaufen, wie sie sollte.". Sie klang nachdenklich. "Aber woher...?", wollte ich fragen, doch Sylvia legte die Finger auf die Lippen und bedeutete mir still zu sein.
"Lass mich erst erzählen, dann beantworten sich vielleicht ein paar Fragen von selbst. Also, zuerst: Alle Mondtänzer haben eine Verbindung zueinander. Das wirst du alles verstehen, sobald du älter wirst. Momentan ist dein Körper und dein Geist noch nicht ausgereift genug, um diese feinen Verbindungen untereinander zu spüren. Doch man kann sie durch die Energieströme, die du hoffentlich schon kennst, bemerken und verfestigen. Deswegen weiß ich über dich Bescheid und über Nathalie. Da ich jahrelang an diesen Verbindungen gefeilt habe, merke ich sogar die restlichen Mondkinder, obwohl sie auf der ganzen Welt verstreut sind. Es gibt ganz genau sieben von uns auf der Welt. Nie mehr und nie weniger. Dein Geburtstag dürfte auch der Todestag von Nathalie sein.", ihre Stimme schweifte kurz ab. Aber sie hatte Recht. Morendo war ungefähr 19 Jahre alt. Das war noch relativ jung für ein Pferd, jedoch alt für ein Stuntreitpferd. Doch er machte seinen Job gut und hatte absolut keine Probleme mit seiner Gesundheit. Zudem war er noch genauso belastbar wie junge Pferde, sodass er ein perfektes Pferd für das Stuntgeschäft war. Zuverlässig, erfahren und kräftig.
Doch Sylvia war noch nicht fertig. "Ich werde dir jetzt die Sache mit Angan erzählen. Wir müssen die Geschichte nacheinander erzählen. Aber bringe jetzt erst bitte Romera auf die Koppel.", sagte sie ungeduldig und ich bemerkte, dass wir schon eine Weile vor einem Koppeltor standen. Ich öffnete dieses, ließ Rommy frei und verschloss es wieder. Anschließend sah ich Sylvia erwartungsvoll an. "Wie geht's weiter?", fragte ich neugierig und fügte noch: "Angan kenne ich aber schon." hinzu. Meine Gesprächspartnerin hob misstrauisch die Augen. "Wie viel?", wollte sie wissen.
"Nicht viel, nur dass es eine Parallelwelt zu unserer ist. Und das ein Tor bei Island liegt.", gab ich entschuldigend zurück.
"Ok, alles klar. Das heißt, wir dürfen jetzt ganz von vorne anfangen: In Angan gab es Peganer. Geflügelte Pferde, die sich in Menschen verwandeln konnten. Sie entdeckten irgendwann das Tor zur Menschenwelt. Jedenfalls, um es kurz zu fassen, sind ein paar Peganer in die Menschenwelt gekommen. Doch im Fortschritt der Modernisierung war es kaum noch möglich, ein Leben als Peganer zu führen. Zudem haben sie sich immer mehr mit der normalen menschlichen Rasse vermischt, sodass es heute keine reinen Peganer mehr gibt. In manchen Familien fließt das Blut noch. Und diese werden bevorzugt, wenn es darum geht, einen neuen Vertreter der Peganer auf Erden zu berufen. In den letzten paar Jahren werden sie allerdings ziemlich vernachlässigt, sodass die Mondkinder nicht mehr wirklich gebraucht werden. Doch das Gen wird trotzdem weitergegeben. Vielleicht kann man die Vertreter ja irgendwann mal wieder gebrauchen... Jedenfalls wird das Gen bewusst von dem Götterpaar Ajax und Arija überwacht und weitergegeben. Es gibt sie und sie haben auch die Macht, die man heutzutage als göttlich bezeichnen würde.", erklärte sie weiter. Moment mal, die zwei kannte ich ja! Vor kurzem hatte ich doch von ihnen geträumt...
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Anbei ein Video, das ich geschnitten habe und ein Bild von Sylvia :)
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