
2. Show
Kurz darauf stand ich alleine auf dem Hof und wusste zuerst nicht, was ich machen sollte. Ich kam mir ein wenig verloren vor, bevor ich mich schließlich dazu entschied, einem braunhaarigen Mann mit einem geflochtenen, kurzen Kinnbart, er mich ein wenig an Jack Sparrow erinnerte, Gesellschaft zu leisten. Er war damit beschäftigt, einen dunklen Apfelschimmel zu richten. Als er mich bemerkte, warf er mir einen kurzen Blick zu. „Bist du Hanna?", fragte er neugierig und als ich nickte, stellte er sich als Guillaume vor. „Ich habe dich vorhin gesehen. Du warst gar nicht mal so schlecht... Aber kannst du mir vielleicht helfen? Talo hat irgendetwas und ich weiß es nicht, auch wenn es wahrscheinlich ziemlich offensichtlich ist. Irgendwie... scheint er heute Angst vor dem Sattel zu haben.", erklärte der Mann. Innerlich schwoll meine Brust sofort an. Dass man mir so schnell schon Vertrauen schenkte, ehrte mich. „Was hast du denn?", fragte ich den Hengst schließlich leise und beobachtete ihn. Dieser blickte mich erst irritiert an, erinnerte sich aber dann wieder daran, dass ich sie verstehen konnte. „Achso, du bist ja die Sprecherin... Kannst du ihm sagen, dass er mich etwas sanfter behandeln soll? Heute Nacht konnte ich kaum schlafen, weil mir der Sattel gestern einen Nerv abgeklemmt hatte. Jetzt schmerzt mein Rücken an dieser Stelle und es ist furchtbar, wenn das Lederteil dort liegt. Er soll bitte den Sattel ein Stück weiter nach hinten schieben.", flehte Talo zögerlich, während ich mich noch über seinen Ausdruck für mich wunderte. Sprecherin. Interessant. „Ok, darf ich mal?", fragte ich dann höflich und tastete mit zwei Fingern den Rücken des Pferdes ab. An einem bestimmten Punkt, kurz hinter dem Widerrist, stieß Talo einen schmerzhaften Laut aus und ich nahm sofort den Druck von meinen Fingern. „Hier", ich zeigte Guillaume die Stelle, „hat der Sattel ihm gestern einen Nerv eingeklemmt. Das ist nicht gerade angenehm, da er dadurch auch nicht richtig liegen und schlafen konnte heute Nacht. Der Gute ist ein einfach nur ein bisschen verspannt, es macht ihm aber nichts, wenn du ihn reitest. Lege bitte den Sattel ein paar Zentimeter weiter hinten auf und mache ihn ordentlich warm, sodass seine Muskeln sich wieder lockern.", gab ich Talos Schmerzen an seinen Reiter weiter. Guillaume zog eine Braue hoch. „Woher weißt du das?", fragte er noch ein wenig misstrauisch, befolgte aber meinen Rat. Und siehe da, sein Vierbeiner benahm sich plötzlich ganz anders. Ich musste schmunzeln, als ich zusah, wie sich die Beiden auf den Weg zur Halle machten.
Noch während mein Blick über den Hof schweifte, machte ich ein weiteres Problem aus. Erstaunt hob ich die Augenbrauen, als sich meine blonde Lieblingsdarstellerin mit ihrem wunderschönen Cremellohengst stritt. Normalerweise waren die Beiden wie Pech und Schwefel und gaben ein so schönes Paar in der Arena ab, dass ich mehr als einmal auf sie neidisch war. Es war Marion Levavasseur und ihr Hengst, der den schönen Namen Thorgal trug. Ich war stolz darauf, ein paar Namen schon zu kennen. Immerhin wechselten die Darsteller fast jedes Jahr, doch die schlanke Stuntreiterin war mir gut im Gedächtnis geblieben. Meistens hatte ich meine Information aus Facebook, in der es viele Fangruppen gab. So ziemlich jede Show im Europapark hatte eine Fangruppe. Die Arena war zwar nicht das einzige Spektakel, doch dafür das Schönste im gesamten Freizeitpark. Tief in Gedanken versunken beobachtete ich mein Lieblingspaar und wurde erst wieder richtig wach, als der helle Andalusierhengst mich rief. „Hanna? Das ist doch dein Name, oder? Kannst du mal bitte kommen?" Kurz zuckte ich zusammen, doch ging dann meiner Arbeit nach. Innerhalb weniger Schritte war ich bei ihnen. „Meine Beine schmerzen schon wieder...", jammerte Thorgal, während Marion gleichzeitig entschuldigen sagte, dass er normalerweise nicht so wäre. Beide gleichzeitig zu verstehen fiel mir schwer, doch mit ein wenig Konzentration konnte ich die übereinander gesprochenen Sätze verstehen. „Er müsste lahmen, Marion.", wiederholte ich schließlich des Pferdes Schmerzen für seine Reiterin. „Wirklich?", fragte sie und sah zweifelnd zu ihrem Partner. Nach einer kurzen Inspektion seiner Beine ihrerseits, bot sie mir schließlich den Führstrick an. „Kannst du ihn kurz halten?", fragte sie freundlich und natürlich tat ich, wie mir geheißen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das Tier, dass ich lange durch die Show vergöttert hatte, in den Händen zu halten. Während Marion vorsichtig Thorgals Beine abtastete, fuhr ich sanft über die zartrosa Nase des Hengstes. Er hatte eine wunderschöne Farbe. Ein schönes, goldglänzendes Fell und eine fast weiße Mähne. Und dann waren da natürlich die hellblauen Augen, die auch Fischaugen genannt wurden. Er war schon ziemlich hübsch. Doch ehe ich mich ganz in seiner Schönheit verlieren konnte, nahm Marion mir wieder den schwarzen Strick aus der Hand und nickte schuldbewusst. „Ja, du hast Recht. Er hat schon wieder dicke Beine. Irgendwie hat er das Öfters... Aber vielen Dank!", meinte sie, bevor sie ihr Pferd wieder in seine Box entließ. Dieser stupste sie entschuldigend an, was ihr ein Lächeln entlockte. Sie strich ihm noch einmal über das weiche Fell am Hals und begab sich dann zu einem anderen Pferd. Denn ein Reittier brauchte sie in der Show auf jeden Fall.
Während ich ihr nachsah, leistete Ludo mir wieder Gesellschaft. „Und gefällt es dir hier?", wollte er neugierig wissen. „Natürlich. Ist ja nicht so, als dass ich nicht schon immer von diesem Job hier geträumt habe.", feixte ich. Die Mundwinkel meines Bosses zuckten belustigt. „Stimmt. Es ist wahrlich ein Traumberuf. Ich habe gesehen, wie du einigen Pferden geholfen hast. Haben wir denn so viele Verletzungen heute?", sprach er mich auf meine Arbeit der letzten Stunde an. „Nein, nicht wirklich. Thorgal lahmt, aber Marion meint, das tut er öfters. Ansonsten hat Talo eine kleine Verspannung im Rücken, die wir aber auch gut lösen konnten. Aber sonst habe ich nichts Auffälliges bemerkt.", zählte ich auf und ließ meinen Blick prüfend über den Hof schweifen. Vielleicht hatte ich doch etwas übersehen? Aber es schien, als wäre alles in Ordnung. „Du leistest gute Arbeit.", lobte mein Chef mich schließlich und legte mir einen Arm um die Schultern. „Danke.", murmelte ich und blinzelte zu ihm hoch. Meine Güte, neben ihm zu stehen war ziemlich beeindruckend. Er war so riesig!
„Willst du dir die Show ansehen?", wechselte er plötzlich das Thema. „Nicht notwendig.", ich zuckte die Schultern, „Ich kenne sie in- und auswendig." „Warum wundert mich das nicht?" Er schüttelte den Kopf. „Das hier ist ein Meisterwerk, das ist eine von meinen Lieblingsshows!", sagte ich. „Nur an Coperlin, an ihn kommt Stéphane nicht ganz heran."
„Fühl dich übrigens frei, dir die Show anzuschauen, im Moment habe ich nichts für dich zu tun...", wechselte Ludovic schließlich das Thema. „Oh, gerne. Aber eigentlich ist es nicht notwendig. Ich kenne eure Show schließlich in- und auswendig.", grinste ich unschuldig. „Na, da haben wir ja die Richtige ausgesucht. Ein Hardcore-Fan. Das passiert uns auch selten." Mein Boss lachte. „Ihr habt ja auch ein Meisterwerk geschaffen. Das ist und bleibt meine Lieblingsshow, wann immer ich in den Europapark gehe. Was meinst du, warum ich meinen Vater bearbeitet habe, dass ich endlich hier arbeiten darf? Er kennt doch euren Meister persönlich...", schmunzelte ich und war mal wieder froh, solche Connections zu haben.
„Hey, Ludo!", unterbrach uns plötzlich Stéphane, der in seinem vollen Kostüm gerade aus dem Stall marschierte. Unwillkürlich verbreitete allein sein Anblick gute Laune. Stéphane war klein, sehr klein im Vergleich zu Ludo. Er reichte ihm gerade mal bis zum Bauch. Dazu war er etwas rundlicher gebaut und trug, für seine Figur, die er in der Show verkörperte, ein Dirndl mit Luftballons als Brüste. Er spielte Planchette, die unterhaltsame Figur, die jede Situation auflockerte und jeden zum Lachen brachte. Wie ein Pausenclown. Das lustigste waren immer wieder seine Haare, denn eigentlich hatte er keine mehr. Nur ein kleiner Zopf, auf der Mitte seiner Schädeldecke, konnte sich noch Haare nennen. Für die Show hatte er dieses Bisschen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der nun wie ein kleiner Springbrunnen aus seinem Kopf ragte. Dazu kam die großzügige Schminke in seinem Gesicht, die der Figur endgültig den letzten Schliff verpasste. Allein sein Auftreten war manchmal ein Lacher wert. Und genau darauf legte Stéphane es auch an. Er war nun mal ein Komiker. Ein ziemlich begabter noch dazu.
„Jap, was gibt es?", antworte Ludovic ihm schließlich. „Hast du gerade eine Uhr da?" Mein Vorgesetzter nickte und zog ein Handy aus seiner Gesäßtasche. „Viertel vor Zwölf.", verkündete er und Stéph nickte dankend. „Gut, dann haben wir ja noch ein wenig Zeit." Die erste Show begann um Viertel nach Zwölf. Also verschwand Planchette, wie der kleine Komiker in der Show hieß, nochmal in den Aufenthaltsraum um sich einen Kaffee zu machen.
Inzwischen wurden die drei Apfelschimmel, Morendo, Bolero und Talo, die heute unter den drei Musketieren in der Show gehen sollten, aufgewärmt. Da ich wieder nichts Besseres zu tun hatte, gesellte ich mich zu ihnen und beobachtete die drei Stuntmänner beim Reiten. Am langen Zügel liefen die Pferde im Trab und im Schritt in der improvisierten Halle, um sich für die Höchstleistung später, warmzumachen. Anschließend, kurz nachdem die Show begonnen hatte, stellten sie sich hinter dem Vorhang, der den Stall von dem Geschehen in der Arena trennte, auf. Just in diesem Moment, fiel mir ein, dass die Pferde, wenn die Reiter sie in der Show nicht mehr brauchten, da sie zu Fuß kämpften, immer von den fleißigen Helfern, die nach dem Spektakel als Backstagepersonal vorgestellt wurden, abgeholt wurden. Während die drei Hengst so dastanden, nutzte ich die Zeit, um kurz mit ihnen zu reden. „Ihr könnt ja auch selbstständig zurückkommen, während der Show, oder?", fragte ich leise. „Ja, prinzipiell schon, aber die netten Damen da hinten führen uns immer.", erklärte Morendo und nickte in Richtung Maxime und Manon, die schon wartend auf ihren Einsatz dastanden. „Also erwartet die zwei heute mal nicht, sondern kommt direkt zurück, ok?", forderte ich die drei auf und gab die Information auch gleich an die zwei ‚netten Damen' weiter, damit sie heute die Pferde nicht abholen gingen. Sie ließen es darauf ankommen, und wirklich, sobald ihre Reiter abgestiegen waren, drehten sie um und kamen langsam zurückgaloppiert. Stolz lobte ich die drei Vierbeiner. „Sehr schön, ihr helft mir ungemein damit." Denn Ludo, der ebenfalls auf seinen Part als böser Kardinal, wartete, hatte es mitbekommen und nickte anerkennend. „Nicht übel, aber ich frage mich wirklich, wie du die Pferde dazu bekommst. Redest du mit ihnen oder so?" Seine letzte Frage schien mehr als Spaß gemeint, da er nicht glaubte, dass so etwas wirklich wäre. Ich gab mir stattdessen einen inneren Facepalm. Wenn ich nicht aufpasste, verriet ich mich mit meinen eigenen Aktionen noch selber. „Ähm, nein. Lange Geschichte und mir wäre es nach wie vor lieber, wenn ich nicht darüber reden müsste.", wich ich aus und machte, dass ich aus seinem Sichtfeld kam, ehe er mich mit weiteren Fragen löcherte. Doch natürlich hielt er mich auf.
„Du, Hanna, ich weiß jetzt, dass du nicht darüber reden willst und es ist ok. Solange du den Tieren nicht wehtust... Aber ich habe einen ganz besonderen Fall für dich. Du scheinst wirklich gut mit Pferden umgehen zu können und ich habe da eine Stute, die die größte Zicke im gesamten Universum ist. Vielleicht willst du sie dir morgen mal ansehen? Sie hasst Menschen regelrecht und sobald jemand auf ihr sitzt, setzt sie alle Möglichkeiten ein, denjenigen hinunter zu werfen. Selbst Bodenarbeit oder andere Lektionen sind nahezu unmöglich mit ihr. Dabei hat sie extrem viel Potenzial. Vielleicht willst du sie dir morgen mal ansehen?", bat er mich. Aufgeregt nickte ich. „Klar, gerne. Aber ich brauche auf jeden Fall viel Platz, wenn ich mit ihr arbeiten soll." Endlich mal eine Herausforderung und ich hatte sogar eine Idee, was ich mit ihr machen könnte. Meine erste, richtige Aufgabe! „Gut, nimm, was du brauchst. Aber bitte, ich habe meine letzte Nerven an ihr verloren.", flehte er schon fast. „Alles klar!", meinte ich enthusiastisch. Ich freute mich ziemlich darauf.
Den Rest der Show verbrachte ich dann damit, den Pferden zuzuschauen und mir einen Überblick über die Lage zu beschaffen. Die Pferde und Reiter machten ihre Sache gut, dennoch lief es nie ganz ohne Auseinandersetzung. Das gefiel mir manchmal nicht ganz, aber es ging vorübergehend nicht anders. Na gut. Da hatte ich wohl noch ein bisschen Arbeit vor mir.
Nach der Show versorgten die Reiter ihre Pferde. Ich sah zu, fing aber Kevin mit seinem hellen Apfelschimmel ab. „Halte mal bitte kurz an, Kevin. Bolero hat was. Hattest du ein merkwürdiges Gefühl?" Der Stuntreiter sah mich verwirrt an. „Nein, er lief so wie immer. Auch der Hengst war verwundert. „Mir geht's doch gut", meinte er. Ich schüttelte den Kopf und sah mir die Trense an. Er hatte ein Stangengebiss drin. Wie die meisten Pferde hier. Doch im Unterschied zu den anderen, passte es ihm nicht. Eigentlich müsste es dem Pferd wehtun. „Mach das nächste Mal ein gebrochenes Gebiss rein. Die Stange reibt auf seinem Zahnfleisch. Durch den vielen Gebrauch hat sich dort eine Hornhaut gebildet. Deswegen wird es immer schwieriger ihm die richtigen Hilfen zu geben." „Ist das also nicht normal?", wollte das Pferd wissen. „Die Schmerzen der Trense? Ich dachte immer das haben die anderen Pferde auch?" „Nein, das ist nicht normal.", sagte ich leise und gab Kevin die Zügel zurück. „Ok, und das hast du einfach so gesehen?" „Andalusier sind feinfühlige Pferde, sobald sie hart im Maul werden, stimmt was nicht. Und man sieht deutlich, wie du mit ihm zu kämpfen hattest." Der Reiter nickte nur artig. „Kapiert." Damit ritt er davon, um den erschöpften Hengst zu versorgen.
Noch ein Weilchen sah ich ihm hinterher, ehe er aus meinem Sichtfeld verschwand. Nachdem es den Pferden gut ging, schwärmten die Meisten nun aus, um Mittagessen zu gehen. Ich war nicht wirklich hungrig und so entschied ich, meine Mittagspause in der Arena zu verbringen.
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