Sonntag, 03. November 2019
Mit einem bedauernden Blick auf die weiße Pracht vor meinem Fenster räume ich meine kurzen Sachen nach hinten in den Schrank. Es ist jetzt eindeutig zu kalt für Shorts oder Tops. Stattdessen greife ich nach einem Pulli, dicken Socken und einem Schal und mache mich auf den Weg zum Café, wo ich mich mit Violet treffen will.
„Hallo", begrüße ich sie mit roten Wangen.
„Schön dich zu sehen", sie hält mir die Karte hin. „Die heiße Schokolade ist empfehlenswert. Ebenso wie die Kuchen." Nach kurzem Überlegen nehme ich einen Schokokuchen und einen heißen Tee.
„Also", fängt Violet an. „Wie geht es dir?"
„Deutlich besser als Freitag", lache ich. „Ich hab fast zwölf Stunden durch geschlafen."
„Das ist gut", sie lächelt als die Bedienung uns unsere Bestellungen bringen. Während wir unseren Kuchen essen, Violet hat sich für Cheesecake entschieden, berichte ich ihr von meinen letzten Aktionen.
„In Annas Zimmer ist mir nichts Besonderes aufgefallen. Wobei ich vorher auch noch nie dort war", Enttäuschung breitet sich in mir aus. „Es kann also gut sein, dass ich etwas übersehen habe."
Violet lacht kurz. „Was hast du denn erwartet? Dass auf einem Bild ein Hinweis steht? Oder sogar ein Portrait? Wir müssen Informationen sammeln und sie dann in Bezug zueinander auswerten."
„Wow, du klingst so weise", ich zeige mit der Kuchengabel auf sie. „Man könnte meinen, du studierst Philosophie."
Grinsend winkt sie ab. „Lieber nicht. Was hältst du davon, wir gucken uns Annas Zimmer noch mal gemeinsam an? Vielleicht fällt mir ja etwas auf."
„Können wir gerne machen", stimme ich zu und schlürfe an meinem Tee. „Wann passt es dir am besten?"
„Ich schreibe dir, mein Zeitplan ist zur Zeit am Überquellen", Violet schenkt mir ein entschuldigendes Lächeln. „Ich habe im Übrigen Kontakt zu Kims kleiner Schwester aufgenommen. Sie heißt Franzi und war nur allzu bereit, mir meine Fragen zu beantworten." Sie schiebt ihren Teller zur Seite.
„Und?", neugierig beuge ich mich näher.
„Also", lässt sie mich zappeln, holt entspannt ihr Handy aus der Tasche. „Sie hat mir geschrieben, dass Kim mal so Andeutungen gemacht hat, sie wäre in jemanden verknallt."
„Wissen wir in wen?"
„Nicht direkt. Anscheinend hat Kim Liebesbriefe geschrieben, sie aber nie abgeschickt. Franzi hat sie zwar mal gesehen, kann sich aber nicht an den Namen erinnern."
„Schade", enttäuscht schiebe ich mir ein Stück Kuchen in den Mund.
„Ja, aber das war vielleicht nicht alles", jetzt sieht Violet aus, als wäre ihr ein genialer Plan eingefallen. „Franzi hat erzählt, dass ihre Eltern Kims Sachen alle in Kisten eingepackt und mitgenommen haben. Sie hat angeboten sich da mal durchzuwühlen und uns zu schreiben, wenn sie etwas findet."
Ich schaue unauffällig unter dem Tisch auf mein Handy. Mittlerweile bin ich bei über hundert Nachrichten pro App angekommen. Natürlich alles Hassnachrichten
„Stella?", Violets ernster Tonfall lässt mich aufschauen. „Möchtest du mir etwas erzählen?" Ihre Augen schimmern leicht, schauen verständnisvoll zu mir.
„Ähm", ich werfe einen Blick auf mein Handy. Dann auf meine Tasche. Aus Angst, dass meine Mutter sie finden könnte und weil ich gehofft hatte, Violet darauf anzusprechen, habe ich die Drohbriefe eingepackt. Mein Blick wandert wieder zu Violet. Ich sehe ihr an, dass sie weiß, dass mich etwas beschäftigt. Allein die Tatsache, dass sie mir das Gespräch anbietet und nicht aufzwingt, wie Lina es immer gemacht hat, zeigt, wie gut sie mich mittlerweile kennt. Bevor ich mich entscheiden kann, greift Violet über den Tisch und drückt meinen Arm.
„Du musst nicht."
Ich schaue sie wieder an, dann mein Handy und gebe mir einen Ruck. Es nimmt mich einfach mit, so sehr, dass meine Mutter mich heute Morgen auf mein verlorenes Gewicht angesprochen hat. Ohne weitere Worte lege ich mein Handy auf den Tisch und drehe es, sodass Violet den Bildschirm sehen kann. Sie wirft mir noch einen Blick zu, doch da ich mich nicht rühre greift sie danach und fängt an zu lesen. Mit jeder Nachricht werden ihre Augen größer und lange bevor sie alles gelesen haben kann, legt sie es weg.
„Wie lange?"
„Seit Linas Tod", gebe ich zu. „Am Anfang waren es nur wenige Nachrichten, doch dann kam das hier", ich greife nach meiner Tasche und lege die Briefe auf den Tisch. „Meine Eltern wissen es nicht."
Violet überfliegt auch die nur.
„Jeden Tag kommen immer mehr Nachrichten", ich knete meine Hände. „Mittlerweile lese ich sie gar nicht mehr. Allein die Tatsache zu wissen, dass sie da sind sorgt dafür, dass mich schlecht wird."
„Oh gut", sie rutscht rum und nimmt mich in den Arm. Ohne weitere Worte umarmt sie mich. „Ich bin froh, dass du mich eingeweiht hast. Und ich kann verstehen, dass du es nicht früher getan hast." Dankbar lehne ich mich an sie. „Ich werde dir helfen. Zuallererst lenken wir dich ab. Ich habe auch schon einen richtig guten Plan."
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