Samstag, 22. Juni 2019
Nervös zupfe ich an meinem bauchfreien Oberteil rum und trete immer wieder von einem Fuß auf den anderen. Zusammen mit Lina stehe ich vor einer fremden Haustür, warte darauf, dass uns geöffnet wird.
Lina stand heute Morgen völlig verheult vor meiner Haustür und hat mir ihr Herz ausgeschüttet, ihre Eltern hatten mal wieder Streit. Zur Ablenkung und weil sie heute Morgen eine Einladung erhalten hat, schleppt sie mich jetzt mit auf Larissas Party. Larissa, eine von Linas Theaterkollegen, das angesagteste Mädchen der Schule, die so bekannte Partys schmeißt, dass die Einladungen rar geworden sind. Eine echte Ehre also jetzt vor der Haustür zu stehen.
„Hallo! Schön, dass ihr es geschafft habt", Larissa persönlich öffnet uns. Wenn ich dachte, dass ich freizügig angezogen bin, werde ich in diesem Moment belehrt. Larissa trägt nicht mehr als einen winzigen Bikini, der das Nötigste verdeckt. Da gleiche ich in meinem weißen bauchfreien Oberteile und dem bunten Sommerrock fast einer Nonne.
„Ihr könnt eure Schuhe und Taschen hier vorne lassen", weist sie uns an. Lina folgt ihr direkt als Larissa tiefer im Haus verschwindet, also bleibt es an mir, die Tür zu schließen. Im Gegensatz zu Lina, die nur Schlappen trägt und aus denen sofort rausgeschlüpft ist, brauche ich mit meinen Riemchensandalen etwas länger. Endlich fertig folge ich den lauten Stimmen nach draußen. Dort erwartet mich ein großer Pool in L-Form, der schon reichlich belagert ist. Rechts von mir ist eine kleine Holzbar hinter der ein Mann mir schokoladenfarbiger Haut einige Gäste bedient. Über den restlichen Garten sind kleine Gruppen aus Liegestühlen und Decken verteilt, auf denen die Gäste es sich gemütlich gemacht haben.
Lina sticht mit ihren blonden Haaren und dem roten Top aus der Menge hervor, wobei es eher an der Tatsache liegt, dass sie überhaupt etwas an hat. Ohne auf die unfreundlichen Kommentare zu achten, banne ich mir einen Weg zu Lina, kurz bevor sie eine Gruppe von Mädels erreichen kann.
„Hi", ruft Lina und setzt sich auf den letzten freien Stuhl. Als sie mich bemerkt, zuckt sie nur kurz zusammen.
„Lange nicht mehr gesehen, Wischmopp", necken die anderen Lina und umarmen sich. Die lacht nur und zieht mich neben sich auf die Liege.
„Ich bin June", stellt sich die Rothaarige nun vor. „Und das ist Ella", sie zeigt auf die Blonde, deren kurze Locken in alle Richtungen abstehen.
„Stella", meine ich.
„Ella, Stella, das reimt sich", Ella lacht laut und hebt ihr Glas. „Prost."
„Schön dich kennenzulernen", June ignoriert ihre Freundin. „Wie läuft Theater?" Und sofort unterhalten sich die drei über die letzten Produktionen, Fahrten und verpatzte Generalproben. Ich lausche, werfe ab und zu mal etwas ein oder lache. Tue eben so, als gehörte ich dazu. Auch wenn ich am liebsten im Bett liegen würde.
„Ich hole uns was zu trinken", und schon stehe ich auf und fliehe zur Bar. Mittlerweile sind noch mehr Gäste angekommen und haben sich am Rand oder im Pool niedergelassen. Jemand hat sein Handy an die Anlage angeschlossen und es schollt laute Sommermusik über den Rasen.
„Hallo", begrüße ich den Kerl hinter Bar. „Hast du auch alkoholfreie Cocktails?"
Er lacht. „Niemand hier wird dich verpfeifen, Chica." Mit beiden Armen stützt er sich auf dem Tresen ab und betrachtet mich eingehend.
„Äh", ich bin etwas aus dem Konzept beim Anblick seiner Muskeln. „Das ist schön, trotzdem hätte ich gerne etwas ohne Alkohol."
„Du bist nicht so der Partymensch, oder?", sagt er und fängt an zwei Cocktails zu mischen.
„Wie kommst du darauf?" Neugierig sehe ich ihn an.
„Ich beobachte dich schon eine Weile", er stellt das erste Glas vor mir ab. „Du stichst aus der Menge hervor. Sowohl vom Äußeren", er stößt einen Pfiff aus. „Als auch vom Verhalten."
„Ah, ja", man merkt mir an, dass ich ihm nicht glaube.
„Okay, wie du willst", er sieht kein bisschen beleidigt aus. Eher, erheitert. „Lass mich raten: du bist eher die stille Maus, wenig im Rampenlicht und gerade willst du wieder nach Hause um", er überlegt kurz. „Ein Buch zu lesen. Genau. Deinem Outfit nach zu urteilen hast du dir mehr Spaß von der Party erhofft, aber dieses ganze Gequatschte über Themen für die du dich nicht interessierst ist nicht deins. Somit bist du ein ehrlicher Mensch. Und?" Unter seinen Wimpern hindurch schenkt er mir einen durchdringenden Blick aus seinen grauen Augen. „Habe ich Recht?"
Unsicher weiche ich ihm aus und schaue wieder zu Lina. Larissa hat sich mittlerweile zu den Dreien gesellt. Ebenso wie ein großer, brünetter Typ.
„Danke für die Sitzung, Herr Psychologe", sarkastisch vertusche ich mein Unwohlsein. „Aber eigentlich bin ich nur für zwei Drinks hergekommen", ich nehme die beiden Gläser.
„Diese Party ist nicht gut für dich, Stella", ruft mir der Barkeeper noch hinterher. Ein eiskalter Schauer rieselt über meinen Rücken und ich werfe einen Blick zurück. Woher weiß er meinen Namen?
Unruhig geselle mich wieder zu den anderen. „Sagt mal", ich reiche Lina ihr Glas. „Wer ist der Typ hinter der Bar?" June schaut zwischen Bar und mir hin und her.
„Ich kann keinen sehen", entschuldigt sie sich. „Wie sieht er denn aus?"
„Groß, dunkle Locken, schwarzes Hemd", beschreibe ich ihn und sehe dem Typen beim Mischen von Cocktails zu. „Ihr könnt ihn wirklich nicht sehen? Er steht nämlich direkt neben dem Kühlschrank." Ella und June lehnen sich zur einen Seite, Lina zur anderen. Jetzt hat auch Larissa mitbekommen, dass ihr keiner mehr zu hört.
„Was guckt ihr denn?", sie beugt sich über Linas Schulter.
„Stella hat nach dem Barkeeper gefragt", erklärt die.
„Was für ein Barkeeper?", Larissa schaut mich fragend an. „Ich habe niemanden dafür abgestellt." Mein Blick wandert von dem Typen zu den Mädels, die wiederum mich fragend ansehen.
„Äh, alles gut. Ich glaube, er ist gerade reingegangen", ich lache hohl. „Vermutlich nur ein Gast, der mir helfen wollte." Zum Glück schlucken die anderen meine Lüge und unterhalten sich wieder über eine ihrer Produktionen.
Am Ende wird es doch noch ein lustiger Abend. Die Leute haben Lust zu tanzen und so finde ich mich wenig später zwischen vielen anderen, teils nackten Körpern wieder und höre dem schiefen Grölen zu. Lina zu Liebe lache ich und rede sogar mit den anderen Gästen. Merklich lockerer seile ich mich nach fast zwei Stunden ab und suche das Klo auf. Kurz genieße ich die Ruhe, spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, richte meine Haare und trete dann wieder nach draußen. An der Bar bleibe ich stehen. Die Menge ist noch mal deutlich größer geworden. Und ich war nur maximal fünf Minuten weg.
„Na? Wie siehts aus?", der Barkeeper lehnt sich lässig an die Wand hinter ihm. „Weiß die kleine Chica nicht, was sie machen soll?"
„Was ist eigentlich dein Problem?", die Ruhe in Person setze ich mich auf einen der Hocker und schaue in die Menge.
„Keine Ahnung", seine Stimme ist auf einmal an meinem Ohr. „Verrat du es mir."
Erschrocken drehe ich mich um. „Ich weiß nur, dass du es anscheinend liebst, junge Mädchen zu verwirren. Vermutlich willst du nur mit ihnen ins Bett um deinen Freunden davon zu berichten", ich schaue wieder zu Lina, bin mir der Nähe des Mannes sehr bewusst.
„Du denkst so schlecht von mir", gespielt beleidigt wendet er sich ab. „Vielleicht suche ich auch einfach nur nach einem Seelenverwandten, der sich hier genauso fehl am Platz fühlt wie ich."
Verwundert sehe ich ihn an. „Warum bist du dann hier?"
Er zuckt mit den Schultern. „Man macht so einiges für Freunde, nicht wahr?"
Das lässt mich wieder zu Lina blicken. Die tanzt mit zwei Typen gleichzeitig, dreht ihre Hüfte und hebt ihre Hände über den Kopf. Als versinke sie in der Musik. Die beiden Männer lachen sie begierig an, kommen ihr näher. Seufzend schüttele ich den Kopf.
„Wenn es richtige Freunde sind, verstehen sie es, wenn man Nein sagt", wende ich ein. „Außerdem weiß ich, dass du gar nicht für die Bar zuständig bist. Und überhaupt, woher kennst du meinen Namen?" Ich schaue wieder zu dem Barkeeper, muss aber feststellen, dass der verschwunden ist. Stirnrunzelnd drehe ich den Kopf in alle Richtungen, doch nirgends eine Spur von dem dunklen Lockenkopf.
„Stella", atemlos lässt Lina sich auf den Hocker neben mir fallen. „Ich kann jetzt wirklich was zu trinken gebrauchen."
„Warte kurz", ich husche hinter den Tresen und mixe ihr schnell etwas zusammen. Lina kühlt sich erst an dem Glas die Handgelenke, bevor sie es trinkt. Ich räume unterdessen die Bar etwas auf. Die Strohhalme in einer Hand suche ich nach einem Glas, als ein Glänzen meine Aufmerksamkeit erhascht. Zitternd greife ich danach. Es ist ein Kettenanhänger, ein tropfenförmiger Stein, welcher rot im Licht funkelt.
„Stella?", Lina wedelt mit einer Hand vor meinem Gesicht rum. „Alles in Ordnung?"
„Ja, klar. Hab nur eine Spinne gesehen", lüge ich und behalte den Anhänger in der Hand. „Wie lange willst du denn noch bleiben?"
„Keine Ahnung", ihre Augen strahlen. „Vermutlich bis es zu Ende ist." Sie lacht. „So viel Spaß hatte ich schon lange nicht mehr."
Bedächtig nicke ich. Der Anhänger spuckt durch meine Gedanken. Natürlich kann ich nicht sicher sein, dass er für mich ist, doch ein Gefühl sagt mir, dass dem so ist. Jemand hat das Schmuckstück so platziert, dass ich es finde.
„Wieso fragst du? Willst du etwa schon nach Hause?", Linas Augen wirken auf einmal verletzt.
„Ja, schon irgendwie", ich zucke mit den Schultern und verdränge meine Gedanken. „Es hat Spaß gemacht, doch ich kenne niemanden davon."
„Okay", sie nickt. „Würde es dir etwas ausmachen, alleine zu gehen? Ich würde gerne noch ein paar Runden tanzen", sie nickt in Richtung der Menge.
Ich starre sie an. „Hast du nicht gesagt, du bleibst die ganze Zeit bei mir?"
„Ja, schon", Lina wiegt den Kopf hin und her. „Aber da wusste ich noch nicht, was mich erwartet."
„Du ziehst also die gleiche Masche ab wie Adrian?", vergewissere ich mich.
Lina hat schon den Mund aufgemacht, als uns Larissa unterbricht:
„Da seid ihr! Komm Lina", sie zieht meine Freundin am Arm. „Wir müssen ihnen den Räubertanz zeigen", lachend ziehen die beiden ab und ich bleibe etwas geschockt an der Bar stehen. Bevor sie in der Menge verschwinden wirft Lina noch einen Blick zurück, doch ich wende mich ab.
Als ich auf der Straße stehe, überlege ich, zu Fuß nach Hause zu gehen. Ein Blick auf Maps zeigt mir allerdings an, dass es keine gute Idee ist. Viel zu weit und auch schon zu dunkel um alleine über die Langstraße zu streunen. Und einen Fußweg gibt es hier hinten nicht. Seufzend setze ich mich auf den Bordstein und hole mein Handy aus der Tasche. Nach kurzem Überlegen rufe ich meine Eltern an, doch da nimmt keiner ab. Kein Wunder, es ist halb drei am Morgen.
„Mist!", fluche ich, den Tränen nah. Dann gehe ich noch mal meine Kontakte durch und wähle.
„Hallo?" Julius klingt sehr wach, laute Musik schallt im Hintergrund. Wo zum Teufel ist er?
„Hey, hier ist Stella", bringe ich raus und fummele an dem Löwenzahn neben mir rum. „Kannst du mich abholen?"
„Wo bist du?", die Musik wird leiser.
„Keine Ahnung", ich lache kurz. „Warte, ich schick dir einen Standort."
„Alles klar, Joel weiß, wo das ist", erleichtert atme ich auf. „Kann ich ihn alleine zu dir schicken? Ich kann noch nicht weg." Ich reiße das Pflänzchen aus. „Stella?"
„Ja, klar. Kein Problem", stimme ich mit belegter Stimme zu und drehe den Stängel weiter zwischen meinen Fingern.
„Hey, mein Bruder ist ein anständiger Kerl", versichert Julius mir, dem mein Zögern nicht entgangen ist. „Dir passiert nichts."
Ich entschuldige mich.
„Kein Problem, man kann es dir nicht verübeln", eine zweite Stimme ertönt im Hintergrund. „Stella, ich muss leider Schluss machen. Jo ist schon auf dem Weg, dauert nicht mehr lange. Man sieht sich", und schon hat er aufgelegt. Seufzend stecke ich das Handy wieder weg, dabei ertaste ich den Anhänger aus der Bar. Nach kurzem Zögern hänge ich ihn an meine Kette, da kann ich ihn immerhin nicht verlieren.
Es dauert fast noch mal zwanzig Minuten, in der viele neue Gäste eintreffen, bis ein Auto in die Straße einbiegt und vor mir hält.
„Cinderella, ihre Kutsche ist da", Joel steigt aus und zieht mich vom Bordstein hoch. „Alles in Ordnung bei dir?" erkundigt er sich und hält mir galant die Beifahrertür auf.
„Ja", ich nicke und wische mir schnell die Tränen aus dem Gesicht. Schweigend fahren wir los.
„Wie kommt es, dass du bei Larissa auf einer Party eingeladen bist?" Neugierig schaut Joel zu mir. „Normalerweise ist sie nicht so für Jüngere."
Erstaunt sehe ich ihn an. „Du kennst Larissa?"
Joel lacht. „Sie ist meine Ex. Also, ja, ich kenne sie. Ist aber schon einige Jahre her", winkt er lässig ab. „Hab gehört, ihr Ruf hat sich kein bisschen geändert."
„Meine beste Freundin kennt sie vom Theater, dadurch haben wir eine Einladung erhalten", erkläre ich.
„Die Freundin, die dich gerade sitzen gelassen hat?", erkundigt sich Joel ohne bösen Unterton.
„Genau die", ich schaue aus dem Fenster.
„Also, Stella", Joels Lächeln kehrt zurück. „Ich muss die Gelegenheit nutzen." Mit großen Augen schaue ich ihn an. „Woher kennst du meinen Bruder? Ich lerne normalerweise keine Freunde von ihm kennen." Erleichtert atme ich auf.
„Wir sind in einer Klasse und haben uns angefreundet", gebe ich freimütig zu.
„Aha", Joel zieht die Augenbraue hoch. „Du bist aber nicht zufällig das Mädchen, zu dem er immer heimlich abhaut, oder?"
„Nein", lachend entspanne ich mich. „Das ist Anna. Wir sind auch befreundet."
„Das wird ja immer interessanter", Joel hält an einer Ampel. „Er denkt, ich würde es nicht merken, wenn er sich nachts davon stiehlt."
„Echt?" Ich dachte immer, Julius wäre offen, was seine Beziehung mit Anna angeht.
„Ja", Joel lacht. „Manchmal kann er ein richtiger Geheimnistuer sein. Er wollte mir beispielsweise auch nicht davon erzählen, als er seinen ersten Wackelzahn hatte, weil er dachte, er hätte etwas falsch gemacht." Er grinst. Die Atmosphäre ist entspannt, und trotzdem bin ich froh als wir in unsere Einfahrt einbiegen und ich mir eine Antwort sparen kann.
„Es war schön dich kennenzulernen, Stella", hält Joel mir die Tür auf.
„Danke fürs Fahren", sage ich noch und steige dann aus.
„Immer wieder gerne", er macht die Tür zu. „Wenn du willst, kann ich meine Nummer direkt einspeichern, dann musst du nicht dauernd meinen Bruder anrufen."
„Ähm, vielleicht ein anderes Mal", weiche ich aus und gehe zur Tür.
„Wie du möchtest", er klingt nicht eingeschnappt oder beleidigt. „Gute Nacht, Stella."
Ich nicke nur noch und verschwinde nach drinnen. Erst im Bett wage ich einen Blick auf meinen Wecker, halb vier. Stöhnend drehe ich mich um, lasse den Abend noch mal Revue passieren. Warum ist Julius nachts noch wach? Und was macht er? Und woher kommt der Anhänger?
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