Freitag, 17. Januar 2020
Die Lehrer haben ihren Unterricht in den letzten zwei Wochen extrem angezogen. Mit Müh und Not komme ich mit, sitze jeden Nachmittag in meinem Zimmer, wiederhole den Stoff und mache Hausaufgaben. Auch Violet ist im Lernstress, die letzte Prüfungsphase vor dem Abitur steht in zwei Wochen an und sie hat sich ein hohes Ziel gesteckt. Zur Zeit überlegt sie, Medizin zu studieren. Erstaunlicherweise hat sich auch das Getratsche und die Hassnachrichten eingestellt. Scheint, als wäre der Urheber beseitigt worden.
„Bin wieder da!", rufe ich und lasse meine Tasche fallen. Erstaunt, dass mir keiner antwortet schaue ich in der Küche und im Wohnzimmer nach. Doch es ist niemand da. Mit einem Achselzucken nehme ich meine Sachen und verschwinde in mein Zimmer.
Die Ankunft meiner Familie kann man gar nicht verpassen, laut hallt Flos Stimme durchs Haus.
„...größte Scheiß! Warum das Ganze?!", polternd rennt er die Treppe hoch und knallt seine Zimmertür zu. Ihm folgen kurz darauf Saschas Schritte.
Da ich mir kein Reim darauf machen kann, lege ich meinen Stift zur Seite und geselle mich zu meinen Eltern in die Küche. „Was geht denn mit denen ab?"
„Stella!", fährt Mama erschrocken herum. „Du bist schon da." Stellt sie überflüssiger Weise fest.
„Anscheinend", kommentiere ich sarkastisch. „Also, was ist mit den Jungs?"
„Oh, äh, darüber wollten wir noch mit dir reden", fängt meine Mutter an und setzt sich zu meinem Vater an den Tisch.
„Worüber?", skeptisch mustere ich die beiden.
„Wir haben lange darüber gesprochen, also höre bitte erstmal zu", beginnt Papa. „Wir finden, dass diese ganze Situation bei uns hier in der Stadt nicht mehr normal ist. Das mit deinen Freunden eingeschlossen."
Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch.
„Wir haben uns überlegt, dass wir umziehen wollen", lässt Mama die Bombe platzen. „In eine andere Stadt."
„Was?"
„Wir haben uns heute mit den Jungs ein Haus angeguckt, es wäre perfekt", strahlt sie. „Es hat genug Zimmer, jeder hätte endlich ein Eigenes. Wir könnten sogar ein richtiges Gästezimmer haben und ein eigenes Büro."
„Der Garten ist etwas kleiner als hier, dafür haben wir eine windgeschützte Terrasse", steigt mein Vater ein. „Mit der richtigen Planung, könnten wir viel raus holen."
„Ich komme da gerade nicht mit", hebe ich die Hände. „Wir ziehen um? Wann habt ihr das beschlossen?"
„Im Oktober. Als das mit Anna passiert ist", gibt Mama zu und weicht meinem Blick aus.
„Ihr plant seit Oktober, dass wir umziehen und ihr sagt es mir nicht?", ich versuche ruhig zu bleiben. Scheitere aber bei den nächsten Worten.
„Wir haben erstmal nur mit dem Gedanken gespielt", wiegelt sie ab. „Aber jetzt haben wir das perfekte Haus gefunden, wir könnten sogar schon nächsten Monat einziehen."
„Nächsten Monat?!", ich springe auf. Mein Stuhl kracht auf die Fliesen, doch es kümmert mich nicht. „Wir ziehen nächsten Monat um?!"
„Eventuell, das müssen wir noch klären", egal, was meine Mutter gerade sagt, es wird nicht besser.
„Beruhige dich, Stella", freundlich lächelt Papa mich an. „Noch ist nichts beschlossen, wir haben das nur überlegt." Er greift nach meiner Hand, doch ich ziehe sie weg.
„Ich will hier nicht weg!" Verschränke ich die Arme vor der Brust.
„Stella, deine Meinung ist hier gerade nicht wichtig", rutscht es Mama raus. Sowohl mein Vater als auch ich starren sie bestürzt an.
„Wenn das so ist", ich gehe zur Küchentür. „Ich bin bei Violet", damit verlasse ich die Küche, greife nach meiner Handtasche und meinen Schuhen und bin schon zur Tür raus.
Ohne Ankündigung klingele ich bei Violet. Doch es ist Mareike, die mir die Tür öffnet.
„Violet ist noch in der Schule", teilt sie mir gelangweilt mit.
„Kann ich reinkommen und auf sie warten?", ich bemühe mich um einen freundlichen Tonfall. Kurz mustert sie mich, dann geht sie einfach und lässt die Tür offen.
„Was duftet denn hier?" In der Wohnung hängt ein himmlischer Hauch nach frisch gebackenem Brot. Gemixt mit etwas Aromatischen, wie Kräutern oder so.
„Ich habe gerade gebacken", ruft Mareike.
„Riecht gut", ich lasse meine Sachen im Flur und betrete vorsichtig die Küche. Der Tisch und die Arbeitsfläche sind mit Schüsseln, Messern, Brettchen und allerlei Zutaten bedeckt. Von Mehl über Schinken bis zu einer Schnittlauchpflanze ist alles dabei.
„Was gibt es denn?", ich setze mich auf die Bank und schaue ihr zu, wie sie Teig in eine Form drückt.
„Das soll ein Auflauf werden", ihr Ton wird freundlicher. „Dazu gibt es Brot und Dipp." Man merkt ihr an, dass sie Spaß am Kochen hat. Auch wenn sie nicht gut ist.
„Mist!", sie flucht und haut mit der Faust wütend auf die Auflaufform.
„Warte, vielleicht kann ich dir helfen", ich stehe auf und wasche meine Hände. „Wenn du den Teig in eine Form drücken willst, ist es hilfreich, ihn vorher schon mal auszurollen und zu ziehen." Ich demonstriere ihr, was ich meine. Innerhalb weniger Minuten kann ich den Teig problemlos in die Form legen und den überschüssigen Rand abtrennen.
„Ganz einfach", lächle ich. „Was soll denn darein?"
„Gemüse", sie geht zum Kühlschrank und kommt mit zwei Schüssel wieder. „Das habe ich vorhin schon geschnitten." Und so kommt es, dass ich Mareike beim Vorbereiten helfe und ihr den ein oder anderen Tipp gebe. Es dauert ein wenig, doch am Ende ist sie sogar richtig freundlich.
„Was hab ich verpasst?", Violet steht in der Tür und schaut uns mit großen Augen an.
„Hey", winke ich mit Mehl verschmierten Händen.
„Wir haben Essen gemacht", stolz schneidet Mareike das Brot auf, während Violet sich an den gedeckten Tisch setzt. „Lukas müsste auch gleich da sein, dann können wir essen."
Gerade als das Brot aufgeschnitten, der Auflauf gar ist und alles auf dem Tisch steht, kommt Lukas. Überrascht betrachtet er das Essen.
„Das sieht sogar normal aus", ist sein Kommentar, und weicht lachend einem Topflappen aus.
„Guten Appetit", wünscht Mareike, dann starten wir mit Essen. Und ich muss zugeben, es schmeckt fantastisch. Auch Violet und Lukas kommen aus dem Staunen nicht mehr raus. Zum Nachtisch haben wir noch spontan eine Vanillecreme gezaubert, die einfach himmlisch ist. Als wäre es ganz normal, dass ich da bin, unterhalten sich die Drei über ihren Tag und das kommende Wochenende. Zusammen räumen wir noch ab, dann verziehen Violet und ich uns auf ihr Zimmer.
„Was ist passiert?", fragt sie sofort, als die Tür ins Schloss fällt.
„Meine Eltern ziehen eventuell nächsten Monat um", ich lasse mich auf ihr Bett fallen und starre an die Decke. „Sie denken da anscheinend schon seit Oktober dran und haben es nicht für nötig gehalten, mich zu informieren."
„Oh, Mist", Violet setzt sich auf ihren Schreibtisch. „Und was machen wir wegen des Spiels?"
„Ich weiß es nicht."
„Du musst deine Eltern davon überzeugen, dass du hier bleibst. Vielleicht kannst du ja bei uns wohnen?" Ich stütze mich auf die Ellenbogen und mustere Violet.
„Ist das ernst gemeint?" Sie zuckt mit den Schultern. „Ich werde es im Hinterkopf behalten und mit meinen Eltern darüber reden. Vielleicht zu eine günstigeren Zeitpunkt."
„Super", sie hüpft von ihrem Tisch und stellt sich vor die Wand. „Dann wird es Zeit, dass wir uns wieder auf die wichtigen Sachen konzentrieren. Wir haben zwar Tom entlarvt, aber zwei Wölfe fehlen noch."
„Dazu das Rotkäppchen und den Jäger", ich setzte mich direkt neben sie. „Mit der Seherin und der Hexe, macht es insgesamt vier Leute, die auf der Seite des Dorfes stehen."
„Wenn wir es richtig anstellen, können wir sogar noch gewinnen", grinst Violet und setzt sich neben mich. „Was haben wir?"
„Also, Lukas können wir ausschließen, weil er schon tot war. Und meine letzte Vision war nur die Bestätigung für Tom, wir stehen also mal wieder ziemlich am Anfang."
Wir rätseln noch etwas, kommen aber auf keinen grünen Zweig.
„Weißt du, was mich beschäftigt", fange ich an, lehne mich zurück an den Bettrahmen. „Bei der letzten Anklage hat Tom am Ende zu mir gesagt: Du wirst es bereuen, kleiner Stern." Ich drehe den Kopf in ihre Richtung.
„Und?", Violet findet den Kontext nicht.
„Es gibt nur einen, der mich die ganze Zeit so genannt hat: der Schattenmann." Ich schaudere. „Niemand sonst."
„Es klingt, als würde er für beide Seiten arbeiten", sie klingt nachdenklich. „Auf eine Art und Weise macht es sogar Sinn. Wenn er", sie stockt, ihre Augen werden groß. „Weißt du, was mich beschäftigt hat?", sie wartet meine Antwort nicht ab, redet gleich weiter. „Die Tatsache, dass die Werwölfe sich Julius ausgesucht haben anstatt uns. Ich meine, wie wahrscheinlich ist es, dass wir normale Dorfbewohner sind?! Vor allem nach der Aktion mit Anna müssten eigentlich wir im Visier der Wölfe sein und trotzdem haben sie nicht versucht uns zu reißen."
„Was hat das eine denn jetzt mit dem anderen zu tun", ich stehe auf dem Schlauch.
„Ziemlich viel", Violets Augen haben einen wahnsinnigen Schein angenommen. „Ich glaube, dein Schattenmann ist der Spielleiter. Er weiß über alle Bescheid, er spielt mit uns. Aus einem bestimmten Grund hat er uns am Leben gelassen und aus dem gleichen Grund schickt er dir die Visionen und hilft dir."
„Vermutlich, damit wir überleben", flüstere ich. „Aber was hat er davon?"
„Das weiß ich nicht", missmutig greift sie in die Schale mit den Skittles. „Lass uns mit dem Spiel weiter machen. Was wissen wir über Adrian?"
„Er spielt in einer Band, macht sein Abi", rattere ich runter, doch Violet unterbricht mich.
„Wir brauchen tiefer Informationen. Wäre er bereit einen Freund zu opfern um dieses Spiel zu gewinnen?"
„Nein", kommt es sofort von mir. Dennoch denke ich weiter darüber nach und plötzlich bin ich mir nicht mehr so sicher. Die Art und Weise wie Adrian mich bei der Party hat stehen lassen und die Tatsache wie er sich hinter Lorenz gestellt hat lässt mich zweifeln. Seine ruhige und verständnisvolle Miene schien nur eine Maske zu sein. Auch wenn ich noch nicht bereit bin, dass laut zuzugeben. „Was ist eigentlich mit Mareike?", lenke ich stattdessen ab.
„Sie ist unschuldig", klingt Violet genervt. „Das habe ich doch schon mehrmals gesagt. Wir müssen uns einfach weiter auf die anderen konzentrieren. Wie ist es mit Marie? Was wissen wir über sie?"
Plötzlich kocht Wut in mir hoch. „Hast du Beweise für ihre Unschuld?"
„Wessen Unschuld?", schaut Violet verwirrt drein.
„Mareikes", helfe ich ihr aus. „Hast du Beweise für Mareikes Unschuld? Ich nämlich nicht. Und du hast selber gesagt, wir müssen jeden im Visier haben, warum also nicht auch deine Schwester?"
„Sie ist meine Schwester!", fährt Violet mich an. „Ich weiß, dass sie nicht schuldig ist!"
„Woher?", ich bleibe ganz ruhig.
„Ich habe es im Gefühl!", braust Violet weiter auf. „Außerdem ist sie meine Schwester! Sie würde doch keine anderen Leute reißen!"
„Violet", ich greife nach ihrem Arm. „Ich weiß, dass es hart für dich ist, aber lass bitte fünf Minuten außer Acht, dass ihr verwandt seid. Würdest du ihr einen Mord zutrauen?"
„Natürlich nicht", zischt sie. „Ich glaube, es wäre besser, wenn du jetzt gehst." Sie entzieht mir ihren Arm und steht auf.
„Ich hätte nie gedacht, dass du so bist", zicke ich zurück. „Auf meinen Freunden kannst du rumhacken so viel es geht, aber bei deiner Schwester machst du dicht! Es geht doch lediglich darum, in Erwägung zu ziehen, dass sie ein Werwolf sein könnte nicht ist! Wenn du dich beruhigt hast, kannst du mich anrufen", ich stehe auf, sammele meine Sachen zusammen und gehe nach Hause.
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