*Kapitel 6: Mikrokosmos*
„Guten Morgen, Jimin." begrüßte ihn wie die letzten Tage Frau Kim und schüttelte energisch seine Hand. „Ich hoffe, du hast den Vertrag dabei?"
„Nein." antwortete der Schwarzhaarige leise. „Ich habe meinen Vater seit Tagen schon nicht mehr gesehen."
Im Gesicht der Chefredakteurin bildeten sich leichte Sorgenfalten, die jedoch wieder verschwanden, als ihr Handy klingelte. Mit einer geschickten Handbewegung hielt sie das Gerät in der Hand und steckte es genauso schnell wieder ein. „Weißt du was, Jimin? Scheiß auf den Vertrag. Bring ihn einfach irgendwann vorbei und dann sollte das funktionieren. Wir werden ein Ausflug machen." grinste sie und zog den Praktikanten hektisch am Arm aus dem Gebäude. „Es geschah gerade ein Mord und wir müssen die ersten sein."
Jimin schaltete sofort und setzte sich schnell in das teure Auto seines Chefs, schnallte sich an und schon fuhren sie los.
„Platz da, Frau Kim mit Praktikant." schrie die Frau und machte sich einen Weg in der Menge der Schaulustigen frei, die sich um das Geschehen gebildet haben. Jimin folgte ihr stumm, bis ein rot-weißes Band sein Weg blockierte.
„Komm schon!" brüllte die Frau und hielt dem Jungen das Absperrband hoch. Ohne nachzudenken überbrückte er das Hindernis und ging weiter hinter ihr her.
„Was ist hier passiert?" fragte Frau Kim einen Polizisten und hielt diesem ein Aufnahmegerät vor sein Gesicht.
„Sie dürfen hier nicht sein." sagte er genervt und schob sie an Jimin vorbei, der wie erstarrt auf den Boden schaute.
Auf diesem lag ein Junge in seinem Alter, der mit seinem leeren Blick in den Himmel starrte und eine komplett verblutete Kleidung trug. Das Blut floss langsam über den Asphalt und traf beinahe die Schuhe von Jimin, doch kurz davor wurde er weggezogen.
„Sie müssen hier weg." brach eine bekannte Stimme, weshalb er zu der Person schaute und augenblicklich die Augen weitete. „Yoongi?"
„Jimin?"
In beider Augenpaare spiegelten sich eine Mischung aus Überraschung und Schock.
„Was machst du hier?"
„Ich arbeite, wonach sieht es sonst aus?" zischte Yoongi und zog den Kleineren zum Absperrband.
„Du machst ein Praktikum bei der Polizei?" fragte Jimin verwirrt und blieb vor der Absperrung stehen, weshalb der Braunhaarige genervt aufseufzte und sein Griff verstärkte.
„Scheint so. Was willst du hier?"
Sofort fing Jimin leicht an zu grinsen und schaute zum Tatort. „Sag mal... War der von unserer Schule? Kannte ich ihn?"
Starr schaute Yoongi seinen Gegenüber an und schüttelte langsam den Kopf.
„Ich mein..." schluchzte Jimin plötzlich auf und nahm die Sonnenbrille von seiner Nase, sodass Yoongi in die glänzenden Augen schauen konnte. „Was ist, wenn es ein Bekannter war? Und wie ist er überhaupt gestorben, war es diese Sekte?"
„Das ist keine Sekte, Jimin." seufzte der Braunhaarige und biss sich nervös auf die Unterlippe. „Er wurde von irgendeinem Irren abgestochen. Mehr wissen wir nicht, weil der Typ weggelaufen ist."
„Also können wir alle in Gefahr sein?"
„Mach dir keine Sorgen, wir werden ihn finden und dann wird hier wieder Ruhe in die Stadt kehren." erklärte Yoongi und streichelte sanft Jimins Rücken.
„Na gut." seufzte er, setzte seine Sonnenbrille wieder auf und grinste ihn breit an. „Danke für die Informationen." Er winkte kurz mit seiner Hand und hob das Bandhoch, um drunter herzulaufen. Fassungslos starrte Yoongi ihm hinterher, wie er gelassen zu seiner Chefin lief.
Ein paar Paparazzi verfolgten ihn und wollten die Informationen ebenfalls wissen, jedoch lehnte sich Jimin bloß an das Auto und lächelte siegessicher in die vielen Kameras, die auf sie gerichtet waren.
„Du hast echt etwas drauf." lobte Frau Kim, während sie freundlich zu der Masse winkte. „Erzähl mir gleich im Auto, was der Kleine gesagt hat. Vielleicht kann er ja unsere Quelle werden."
„Bezweifel ich. Er hasst mich und ich ihn." antwortete Jimin und sah seine Arbeitgeberin an. „Wir brauchen ihn nicht."
Seufzend stieß sich die Frau vom Auto ab und setzte sich stattdessen in dieses. Jimin machte es ihr nach und erzählte auch schon, was Yoongi ihm gesagt hatte.
„Er hat definitiv gelogen. Also muss es was großes sein." murmelte Frau Kim und startete den Motor. „Wir werden auf eigener Faust ermitteln. Willkommen im Team, Jimin."
„Ich habe ihn so verarscht, Jungkook. Das glaubst du gar nicht." lachte Jimin, als er mit Jungkook am späten Nachmittag durch die Stadt lief.
„Ich dachte, du wolltest dich von ihm fernhalten." sagte Jungkook enttäuscht und bog in eine Straße ein.
„Schon, aber das konnte ich mir nicht verkneifen. Der ist echt leicht zu manipulieren, das wird mein Jackpot werden." antwortete der Schwarzhaarige grinsend und stoß die Tür eines kleinen Cafés auf, in welchem Jungkook und er öfters Essen gehen. Stumm setzte sich Kookie auf deren Stammplatz und schaute aus dem Fenster.
„Was ist?" fragte Jimin und setzte sich ihm gegenüber.
„Ich finde, du solltest dich nicht mit ihm befassen, auch nicht um ihn zu verarschen. Er tut dir nicht gut." sagte er und schaute schließlich seinen besten Freund an.
„Kook, er hat dein Leben gerettet."
„Woher kann er bitte Kampfsport? Der kam bestimmt hierhin, weil er so ein Schläger auf seiner alten Schule war."
Schulterzuckend wand sich Jimin von ihm ab und bestellte sich einen Kaffee. Dann nahm er ein Block heraus und fing an die Ereignisse von heute aufzuschreiben und zu malen.
„Bist du dir sicher, dass das der richtige Job für dich ist?" fragte Jungkook unsicher, weshalb Jimin verwirrt aufsah, jedoch sein Blick schnell in ein genervtes verwandelte. „Ich mein doch nur. Du wirst vielleicht jeden Tag oder so eine Leiche sehen und ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich glaube, du hast dafür keine stabile Psyche."
„Habe ich."
„Jimin... Ich weiß nicht, was du träumst, das du so endest wie gestern, aber wenn du Morde siehst, zeichnest und beschreibst, werden die sich verstärken."
„Richtig, du weißt nicht, was ich träume, also rede nicht darüber. Korrigiere, rede gar nicht mehr mit mir." zischte Jimin wütend und stand auf, um auf die Toilette zu gehen. Dort angekommen stützte er sich auf das Waschbecken und starrte sich selbst durch den Spiegel an. Immer wieder tauchten Bilder von seinem Albtraum der letzten Nacht vor seinem inneren Auge auf, die er zu ignorieren versuchte und krampfhaft an etwas anderes denken zwang. Letztendlich blieben seine Gedanken an Yoongi hängen, wie er sein Rücken gestreichelt hatte, als er seine Tränen aus seinem Auge gepresst hatte, um an Informationen zu gelangen.
„Alles in Ordnung?" fragte plötzlich Jungkook neben ihn, der in den Raum kam, da er sich Sorgen gemacht hatte. „Tut mir leid, dass ich das eben angesprochen habe."
„Nein nein, es tut mir leid. Ich hätte nicht so sauer werden sollen, wenn du dir nur Sorgen machst." lächelte Jimin leicht und stellte sich wieder gerade hin. „Komm, unser Kaffee wird kalt."
Gemeinsam gingen sie wieder zu deren Tisch, jedoch stoppte Jimin und schaute den braunhaarigen Jungen an, der sein Notizbuch in der Hand hielt.
„Geht's noch?" zischte Jimin und nahm dem Jungen das Heft weg. „Was willst du hier? Verfolgst du uns?"
Mit hochgezogener Augenbraue schaute Yoongi ihn an und schüttelte sachte den Kopf. „Nein. Ich war nur gerade hier in der Gegend. Schöne Zeichnung hast du da. Sieht aus wie von einem Zweitklässler." sagte Yoongi monoton und verschränkte seine Arme vor der Brust.
„Was ist dein Problem?" fragte nun auch Jungkook, der sich neben Jimin gestellt hatte.
„Sind hier drinnen etwa Hunde erlaubt?" fragte Yoongi überrascht und setzte sich auf Jimins Platz. „Setzt euch."
„Ganz sicher nicht." fauchte Jungkook, doch Jimin schaute ihn mahnend an, setzte sich schließlichgegenüber von Yoongi hin und lehnte sich gelassen nach hinten.
„Echt schlau von dir heute." merkte der Braunhaarige an und nahm sich ein Schluck von Jimins Kaffee, bevor er ihn zu seinem eigentlichen Besitzer schob. Unsicher nahm Jimin die Tasse in die Hand und setzte diese an seine Lippen, um einen kleinen Schluck zu trinken, während die anderen ihn anschauten. Der eine überlegen, der andere geschockt.
„Jimin, du hast ihn gerade indirekt geküsst." flüsterte Jungkook und starrte ihn an.
„Werde erwachsen, Kleiner." seufzte Yoongi und spielte mit Jimins Kugelschreiber. „Ich kann dir gleich mal einen indirekten Kuss zeigen." Sein Blick glitt zu Jimin und musterte ihn kurz. „Sprache verschlagen?"
„Hättest du wohl gerne." nuschelte er nur und drehte nervös die Tasse in seinen Händen herum. „Was willst du überhaupt hier?"
„Mit meinen - mehr oder weniger - Freunden abhängen, was denn sonst?"
„Mehr oder weniger?" fragte Jungkook verwirrt nach, weshalb Yoongi zu grinsen anfing.
„Jimin steht auf mich, also ist es mehr als Freunde und du hasst mich, also weniger als Freunde."
Jimin atmete laut ein und schaute Yoongi verblüfft an. „Ich steh nicht auf dich."
„Dafür wirst du aber echt nervös in meiner Nähe." grinste Yoongi und lehnte sich etwas über den Tisch.
„Lass ihn in Ruhe." zischte Jungkook wütend.
„Können die Erwachsenen nicht einmal alleine reden, ohne unterbrochen zu werden?" fragte der Braunhaarige genervt, schaute kurz Jungkook an und wand sich dann schnell wieder an Jimin, der wie erstarrt den Älteren anschaute. Yoongi schob wieder die Kaffeetasse zu sich und trank einen Schluck. „Aber ich muss schon sagen, dass es eine gute Taktik von dir war. Das du auf Knopfdruck heulen kannst, Respekt."
Er stellte die Tasse in die Mitte des Tisches und wartete, bis Jimin seine Hand ausstreckte, um diese entgegenzunehmen. Bevor er die Tasse jedoch berührte, griff der Braunhaarige das Handgelenk des Gegenübers und zog ihn zu sich,sodass Jimin halb über dem Tisch lag.
„Du hast deine Karte verspielt, Jimin. Wärst du schlauer gewesen, hättest du noch gewartet." hauchte er gefährlich und sah in Jimins Augen, die ihn ebenfalls fokussierten. „Wir werden uns beim nächsten Tatort bestimmt wiedersehen."
Langsam ließ er ihn los und befahl ihm, die Tasse auszutrinken, was er auch wie hypnotisiert tat. Jungkook saß stumm vor Schock neben diesem und sah ihn auch so an.
„Man sieht sich." verabschiedete sich Yoongi und stand auf, zog seine Jacke an und verließ ohne weiteres das Café.
„Was war das?" fragte Jungkook, der dem Braunhaarigen nachgeschaut hatte und nun wieder Jimin ansah.
„Ich habe keine Ahnung." murmelte er bloß und sah in die leere Tasse.
„Wieso verteidigst du mich eigentlich nie in seiner Nähe?"
„Ich weiß nicht." seufzte er und schüttelte leicht den Kopf, um aus seiner Trance aufzuwachen. „Irgendwas hat er an sich. Das war seltsam gerade. Wieso war ich so?"
„Sag mir nicht, dass du wirklich auf ihn stehst." sagte Jungkook mit einem Hauch von Traurigkeit in seiner Stimme.
„Ich tue es nicht. Denke ich. Wieso sollte ich? Er benimmt sich wie ein Arsch, nur weil er gut aussieht."
„Gott, Jimin! Hör auf, ständig zu sagen, dass er gut aussieht. Ich will das nicht hören. Er ist und bleibt ein Arschloch, mit dem du dich nicht abgeben sollst. Du brauchst so einen nicht in deiner Nähe." redete Jungkook drauflos und stand auf. „Ich gehe jetzt. Schlag dir den Typen aus deinem Gehirn."
Wütend stoß er die Tür des Ladens auf und vergrub seine Hände in seinen Hosentaschen, ehe er aus Jimins Blickfeld verschwand. Stattdessen erblickte er Yoongi, der seinen Blick von ihm abwandte und ebenfalls die Straßen entlang ging. Eine Weile starrte Jimin ihm hinterher, doch schnell schüttelte er den Kopf und sah in die leere Kaffeetasse.
Ein verächtliches Schnaufen verließ Jimins Nase und er stützte sein Kinn auf seiner Handfläche ab.
„Das wären bitte 8,20 Euro." brachte ihn eine weibliche Stimme aus seinen Gedanken, weshalb er hochschreckte und in das kleine Gesicht der Blonden schaute.
„Für einen Kaffee?" fragte Jimin geschockt und wühlte in seiner Hosentasche nach seinem Portmonee.
„Zwei Kaffee und einen Kuchen. Möchten Sie den Kuchen nicht essen?"
„Kookie." grummelte der Schwarzhaarige und guckte einen Moment auf die Kalorienbombe, bis er schließlich den Kopf schüttelte und der Angestellten das Geld in die Hand drückte. „Rest können sie behalten." Damit stand er auf und verließ allein das Café.
Schnell schrieb er Jungkook eine Nachricht, packte das Handy dann wieder weg und spazierte gelassen durch die Stadt. An einer Bank angekommen, setzte er sich hin, während seine Hände immer weiter in seine Taschen wanderten, und schaute einfach nur die wenigen Menschen dabei zu, wie sie ihre Wege gingen. Jimin wollte nicht nach Hause, da ihm sowieso nur langweilig wäre und er dort auf sein Vater warten würde, sodass er in Sorgen ertränke.
Ein kalter Windstoß blies ihm durch die Haare und zerstörte seine Frisur. Doch anstatt sie zu richten, nahm er sein Handy aus der Jackentasche, öffnete die Kamera und schoss ein Foto von sich.
Dann tippte er auf das Instagram-Zeichen und lud das Bild mit einem Kommentar, wie windig es doch draußen sei, hoch. Sofort begann sein Handy zu vibrieren, weshalb er das Gerät auf lautlos stellte und somit die ganzen Likes nur sah und nicht fühlte. Doch als er Yoongis Usernamen sah, schlug sein Herz einen kurzen Moment schneller und sofort schloss er die App wieder.
Er wusste nicht, wieso er so auf Yoongi reagierte und er wusste ebenfalls nicht, wie er damit umgehen sollte. Aber eins war sicher: Er wollte, dass es aufhört.
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