Kapitel 6.2
Sie zögerte auf die Frage des Prinzen. „Ihr sprecht von einem Pferd, oder?", fragte sie vorsichtig und mit einem leichten Zittern in der Stimme. Die Geschichte über ihre Mutter und die damit einhergehende Angst vor Pferden war nicht gelogen. Sie konnte auf diesen nicht mehr so einfach reiten.
Der Prinz zuckte lediglich die Schultern. „Ein Austritt beinhaltet nicht unbedingt ein Pferd. Ich werde vermutlich meinem Greif ein wenig Auslauf ermöglichen. Ist schon eine Weile her."
Lina atmete leise aus. „Ich habe ein Problem mit Pferden", gestand sie leise. Sie fühlte sich nicht wirklich wohl, darüber zu sprechen. „Ich kann nicht auf ihnen reiten, ohne eine Panikattacke zu riskieren", gestand sie und ließ die Schultern hängen.
„Oh", machte der Prinz, wenn auch eher unbeteiligt. „Tja, das ist ... unpraktisch", stimmte er zu und zog seine Handschuhe zurecht. Dabei wirkte er, als würde es ihn nicht wirklich interessierte.
„Wir haben einige ältere Pferde, die meist für Leute benutzt werden, die das Reiten erst lernen. Sie sind also sehr zahm und nicht so wild wie andere. Solltet Ihr daran Interesse haben, Mylady", bot Kivan mit höflicher Distanz an, da er wohl ihr Unbehagen bemerkt hatte. „Oder aber, Ihr versucht Euer Glück mit dem Meloceros", fügte er hinzu und klopfte dabei sanft auf den Rücken den edlen Hirsches.
Lina benetzte sich die Lippen. „Wenn es gestattet ist, würde ich es gern mit dem Hirsch probieren", sagte sie, wobei sie eher den Prinzen ansah, da sie glaubte, dass sie seine Erlaubnis einholen musste. Ob es auf diesem Tier für sie leichter war?
Dieser blickte zu dem magischen Geschöpf und verzog leicht die Lippen. „Ist ein störrisches Ding und eigentlich gefährlicher als so manches Pferd, aber ... wie Ihr wünscht. Geritten wird er bisher nur von Ella", antwortete er und nickte Kivan zu, dass er die beiden Tiere fertig machen sollte für einen Ausritt.
Lina hob ihre Hand, um das Tier zu berühren und dabei erst einmal zu sehen, ob es sie überhaupt akzeptierte. Sie konnte darauf verzichten, abgeworfen zu werden. „Ich denke, dass es, wie alle magischen Geschöpfe, sehr eigensinnig ist", murmelte Lina mit einem sanften Lächeln und wartete, dass das Tier Anzeichen gab, bevor sie die Hand zu weit zu ihm streckte.
Tatsächlich schien es recht unbeteiligt und neigte nur hin und wieder den Kopf, um an dem Blumenstrauß zu knabbern, den man ihm hingelegt hatte.
„Eigensinnig oder arrogant. Wie man es nennen möchte", murmelte der Prinz und schmunzelte amüsiert, während er das Tier beobachtete. Der Meloceros brummte jedoch nur kurz, als würde er seine Beleidigung damit einfach abschütteln wollen.
Lina sah es als Einladung und legte dem Tier sanft die Hand auf die Flanke, um es vorsichtig zu streicheln. Dabei spürte sie ein aufgeregtes Kribbeln. „Das macht es noch schöner", hauchte sie ehrfürchtig.
Fragend schielte der Prinz zu Lina, die wie gebannt auf das Tier starrte. „Arroganz macht schön?", fragte er überrascht, als hätte er sowas noch nie zuvor gehört.
„Bei Tiere. Sie wirken dadurch nur noch majestätischer und erhabener", behauptete sie ganz gefangen von dem Wesen vor sich. Sie streichelte über dessen warmes, weiches Fell und war froh, dass es sie nicht von sich stieß.
Mit einem entschuldigenden Lächeln führte Kivan den Hirsch nun von den beiden weg, zurück in den Stall. Vermutlich um ihn wie befohlen für den Ausritt vorzubereiten.
„Und bei Menschen?", fragte er nun neugierig und musterte Lina eingehend.
„Bei Menschen wirkt Hochnäsigkeit manchmal ebenfalls anziehend. Zumindest für mich", erklärte sie mit einem charmanten Lächeln.
Ein verschmitztes Grinsen schlich sich in seine Züge, während er einige Schritte spazierte. „Täusche ich mich oder habt Ihr Euren Gatten gerade als hochnäsig bezeichnet?"
Lina lachte leise. „Mein Gatte ist eine politische Heirat gewesen, keine gegenseitigen Gefühle. Aber trotzdem habt Ihr Recht. Manchmal ist er hochnäsig", stimmte sie zu, während sie dem Prinzen folgte. Es fühlte sich überraschend angenehm an, mit ihm zu sprechen.
Auch wenn er für sich eine ganz eigene Arroganz an den Tag legte. Eine wie es wohl nur der Erbe eines Reiches konnte. Zumindest ging Lina davon aus. Allzu vielen Prinzen war sie bisher immerhin noch nicht begegnet.
Ihn konnte sie ausschließen, da man ihm ansehen konnte, dass er seinem Vater ähnelte. Da sie nun wusste, dass sie nach Söhnen suchte, grenzte das die Sache ein.
„Klingt ja beinahe so, als wärt Ihr unglücklich mit der Wahl Eurer Eltern", bemerkte er, als würde es ihn mit Schadenfreude erfüllen.
„Nun, das ist vielleicht zu viel gesagt, aber es würde mich nicht stören, wäre es anders", bemerkte sie mit einem Schmunzeln. Sie fand es interessant, dass er davon ausging. Im Grunde konnte sie gar nicht unglücklich sein, da sie keinen Mann hatte.
Andererseits war es nicht unwahrscheinlich, dass sich Gerüchte verbreiten könnten, dass Lady Zaratus in Windfall laut davon sprach, dass sie eigentlich nicht mit ihrem Mann verheiratet sein wollte und fremde Wachen in der Öffentlichkeit um den Hals fiel. Vielleicht sollte sie ein wenig vorsichtiger sein.
Es war nicht ihr Leben, das sie damit zerstörte und eigentlich interessierte sie es auch nicht. Immerhin war das, was sie tat, wichtig.
Lina hoffte, dass ihr Auftrag hier nicht mehr so lange ging und sie den Namen Zaratus endlich ablegen konnte. Sie wollte keine Hauslehrerin sein, sondern Mitglied des Magierordens. Zudem würde sie den Stallburschen irgendwie noch testen müssen. Er hatte gesagt, dass er keine Familie hatte und damit infrage kam.
Jetzt konzentrierte sie sich jedoch auf den Prinzen, den sie noch nicht so richtig einschätzen konnte.
„Ein wahrlich tragisches Kreuz, welches Ihr da tragen müsst", stimmte ihr der Prinz zu und seufzte theatralisch. Eine vollkommen übertriebene Reaktion, die natürlich beabsichtigt war.
Lina schmunzelte. Sie wusste noch nicht recht, was sie davon halten sollte. „Ich schätze, dass auch Ihr bereits versprochen seid?", fragte sie höflich, um das Thema in eine etwas andere Richtung zu lenken. Ihr fiel auf, dass sie über den Prinzen eigentlich nichts wusste. Nicht einmal den Namen.
„Vermählt. Ja", korrigierte er sie.
„Tatsächlich?", fragte Lina überrascht. Dass es bereits so weit war, hatte sie nicht gewusst. „Das war mir gar nicht bewusst. Ich habe aber auch noch niemanden hier gesehen, den ich als Eure Gemahlin identifizieren konnte." Es war eine nicht ausgesprochene Bitte um Erklärung, aber nur, wenn er sie ihr geben wollte.
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