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Kapitel 16.3

Lina seufzte leise, bevor sie die Nadel an Rathans Arm ansetzte. „Ihr habt nicht zufällig irgendwelche Vorschläge, wie wir hier wegkommen, oder?", fragte sie, wobei sie sich eigentlich keine wirkliche Hilfe erwartete. Vermutlich würde Rathan etwas mehr Überzeugung benötigen, um überhaupt mitzukommen.

Der junge Mann schluckte unruhig und schielte immer wieder ungewollt zu seinem Arm. Lina musste gestehen, dass sie erwartet hatte, dass er den Arm wegziehen würde, doch er zwang sich standhaft zu bleiben. Woran das wohl lag? Vielleicht fühlte er sich nun wirklich durch Lateux herausgefordert.

Dieser hatte den Kopf inzwischen in den Nacken fallengelassen und entspann die Augen geschlossen. „Du meinst, außer einfach über die Stadtmauern zu springen?", erwiderte er unschuldig. Sie war sich wirklich unsicher, ob der Gestaltwandler das ernst meinte oder nicht.

„Kannst du uns denn alle tragen?", wollte sie wissen, während sie vorsichtig Rathans Blut nahm. Sie legte besonders viel Konzentration in ihre Aufgabe, um es ihm einfacher zu machen und ihn nicht aus Versehen zu verletzen.

Sie konnte spüren, wie seine Muskeln hin und wieder leicht zuckten, auch wenn er versuchte sich selbst zu zügeln. Anscheinend kostete ihn das hier einiges an Überwindung.

Lateux derweil zuckte nur die Schultern und wiegte einige Male den Kopf, bevor er ein Auge leicht öffnete und zu Lina schielte. „Dich und den Schlaksigen neben dir locker. Kivan kann ja vor der Stadtgrenze warten", erwiderte Lateux ruhig, als wäre es vollkommen offensichtlich, doch die Tatsache, dass Kivan sie begleiten würde, war neu.

„Und was ist mit dem Prinzen?", wollte sie wissen, bevor sie die Nadel vorsichtig aus Rathans Arm löste. Auch hier nutzte sie erneut Magie, legte aber eine sanfte, kühlende Schicht aus Eis über die Haut, damit es Rathan angenehmer hatte. „Hast du Kivan denn schon gefragt?"

Lateux seufzte grummelnd und rollte die Augen, als würde er Linas Vermutung, der Prinz sei einer seiner Brüder, nur für ein Hirngespinst halten. „Ich kenne Kivan lange genug, um zu wissen, dass er mir folgen wird. Uns beide gibt es nur im Doppelpack, hatte ich das nie erwähnt?"

„Nein, hattest du nicht", seufzte Lina, die sich schon damit beschäftigte das Blut in die Phiole zu geben. Jetzt musste sie sich gleich etwas konzentrieren, um nicht die falschen Dinge zusammenzumischen.

Sie hatte in ihrer Lehrzeit oft genug miterlebt, was eine falsche Dosierung anrichten konnte.

„Moment", schaltete sich nun Rathan verwirrt ein und schüttelte leicht den Kopf. „Du meinst doch nicht Kivan, den Stallbursch, von dem du gesprochen hattest ... oder?"

„Doch, um den geht es gerade", murmelte Lina, die damit beschäftigt war, mit einer Pipette etwas Blut aus der Phiole in eine andere zu geben. Dazu hatte sie sich mittlerweile hingesetzt und um sich herum alles aufgebaut, was sie brauchte.

Sie spürte zwar die Blicke der beiden, welche ihr Handeln beobachteten, doch ließ sie sich davon nicht allzu sehr ablenken.

„Na ja ... es wird sicher nicht sonderlich auffallen, wenn plötzlich eine Wache und ein Stallbursche fehlen. Aber ein königliches Reittier und der Prinz noch dazu ... das wird nicht gut gehen, Lina", gab Rathan besorgt zu bedenken und sah Angesprochene eindringlich an, in der Hoffnung sie zur Vernunft bringen zu können.

„Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. Erstens bin ich weder der Besitz von irgendjemanden und zweitens wird der Prinz uns nicht begleiten, weil er nichts mit der Sache zu tun hat. Und selbst wenn, bin ich der Erste, der ihn von der Festungsmauer stößt", stellte Lateux mit einer berechnenden Stimme klar. Als würde er Lina und Rathan lediglich über Fakten aufklären.

„Wenn du das machst und er stirbt, könnte das den Untergang der Welt bedeuten", stellte Lina klar, die zwar zuhörte, sich aber im Moment auf das konzentrierte, was sie tat. Sie durfte sich nicht ablenken lassen, auch wenn die Unterhaltung der beiden sie wütend machte. Ihrer Meinung nach mussten sie damit rechnen, dass sie den Prinzen mitnehmen mussten. „Man könnte es auch irgendwie so hindrehen, dass der Prinz selbst mit seinem Reittier unterwegs war und vielleicht ... ausgerissen ist. Wenn wir es gut anstellen, kann ich ihn zu einem Ausritt überreden und auf diesem, weg vom Schloss, betäuben."

Vielsagend hob Lateux die Augenbrauen. Zwar lag in seinem Blick weder Ablehnung noch Akzeptanz, aber dafür eine stumme Wertung. „Du weißt aber schon, dass man wissen wird, dass du zuletzt mit ihm gesehen wurdest, was bedeutet du hast den Prinzen entführt, was womöglich einen Konflikt zwischen Windfall und Karakams auslösen könnte, weil man dich noch immer für eine Abgesandte hält?"

Lina seufzte leise. Dessen war sie sich bewusst, was aber nicht hieß, dass es sie großartig störte. Nicht, wenn der Weltuntergang drohte. „Ja. Das muss ich mit einkalkulieren. Es wird jedoch schnell herauskommen, dass ich nicht Lady Zaratus bin. Damit wäre Karakams auch aus dem Schneider. Niemand weiß, wer ich wirklich bin", sagte sie, wobei sie einen kleinen Tropfen einer violetten Flüssigkeit in die Phiole mit dem Blut fallen ließ. Es puffte und eine kleine Wolke kam heraus. Diese löste einen unangenehmen Geruch aus.

Rathan verzog leicht das Gesicht und Lateux rutschte sogar ein Stück weg, um Sicherheitsabstand zu gewinnen. „Wie sollen sie es denn erfahren? Nur weil du auf einmal weg bist? Es wird immer genug Möglichkeiten geben, Dinge so zu interpretieren, wie man sie gernhätte", warf Lateux frustriert ein. Es schien, als hätte der Geruch ihn in eine noch schlechtere Stimmung versetzt.

„Stimmt, aber da mein vermeidlicher Ehemann bald kommt, sollte der die ganze Sache aufklären. Ich kann mich nicht mit solchen Kleinigkeiten befassen", gestand sie und schüttelte die Phiole mit dem Trank hin und her.

Rathan schwieg zu der ganzen Debatte und beobachtete die sich wirbelnde Flüssigkeit. Man konnte ihm den Wissensdrang ansehen. Irgendwie erinnerte er Lina ab und an an die jungen Novizen im Orden, welche am Anfang der Ausbildung noch voller Eifer und Elan den magischen Innovationen auf den Grund gehen wollten.

Lateux dagegen blieb weiterhin skeptisch. „Du meinst Kleinigkeiten wie einen Staatsstreich?", fragte er beinahe belustigt und schmunzelte leicht.

„Ja. Der Magieroden mischt sich in solche Dinge nicht ein. Sollte er zumindest nicht. Aber ich nehme sie in Kauf, damit ich den Weltuntergang verhindern kann. Gäbe es eine andere Möglichkeit, hätten wir sie ergriffen", meinte Lina, während sie mit einer Pinzette ganz vorsichtig ein kleines, violettes Blatt hinzufügte und auf eine Reaktion wartete.

Eine Weile wurde es still, während Lateux die Pflanze musterte. „Hast du dir das auch gut überlegt?", fragte der Gestaltwandler ruhig. Es war eine simple Frage, die nur ein Ja oder Nein verlangte. Doch eines war sicher: Sobald sie sich entschied, würde Lateux es nicht weiter hinterfragen. Das konnte gut, aber auch schlecht sein. Aber es war ein Eingeständnis, dass Lateux hinter ihr stehen würde.

Lina seufzte leise. „Ja. Seitdem ich von dieser Prophezeiung weiß, habe ich alles darangesetzt, dieses Schicksal zu verhindern", sagte sie ernst. „Sobald das geschehen ist, werde ich mich mit dem Rest beschäftigen."

Sie begann damit, ein Muster mit einem Stock in den Boden zu malen. Rings um die kleine Phiole.

Interessiert beobachtete Rathan jede ihrer Bewegungen. „Was genau tust du da eigentlich? Ist das ... ein Ritual?", fragte er interessiert und lehnte sich sogar ein Stück nach vorne, um die Symbole zu mustern, auch wenn sie ihm vermutlich nichts sagten.

„Ja. Es ist ein Ritual", stimmte sie zu, bevor sie sich erhob und die Linien betrachtete. „Bitte geht ein Stück zurück, ich werde Magie wirken und diese in die Linien leiten. Ich mach das zum ersten Mal mit bloßer Erde", verkündete sie, wobei sie nicht klang, als würde sie sich wirklich Sorgen machen. Es war nur eine Vorsichtsmaßnahme. Lina war in ihrer Magie sehr sicher.

Die beiden Männer erhoben sich und folgten ihrer Anweisung, doch während Rathan den magischen Prozess beobachtete, musterte Lateux nur Lina und ihren konzentrierten Blick. Es war, als wäre alles andere um sie herum gerade vollkommen unwichtig und nur der Zauber lag in ihrem Fokus.

Lina schloss die Augen, streckte die Hände vor sich und begann leise die Elemente der Magie anzurufen. „Stürmisch wehender Wind", flüsterte sie. „Fege den Schleier hinfort." Um sie herum begann der Wind stürmischer zu wehen, sammelte sich aber am äußeren Rand ihrer Zeichnung. Er wirkte, als würde er Lina und den Zauber in sich einschließen. „Wasser des Himmels. Heilig und rein", murmelte Lina weiter, was dafür sorgte, dass sich aus der Luft heraus und innerhalb des magischen Kreises, kleine Tropfen aus Wasser bildeten.

Als dieses niedertropfte, schien der Trank, auf dem das Wasser landete, eine andere Farbe anzunehmen.

„Licht der Reinheit. Hell und klar", flüsterte Lina konzentriert, was dazu führte, dass die Linien im Boden begannen hell zu leuchten. Das Licht wurde so grell, dass bald schon nichts mehr zu sehen war. „Vereint euch unter meinem Willen. Führt mich zu dem, was ich suche, lüftet den Schleier und setzt ein Zeichen."

Der Wind schien sich zu verdichten und nahm Wasser und Licht mit sich, drückte es förmlich in die kleine Phiole. Diese leuchtete, doch es klang langsam ab, sodass eine Flüssigkeit zurückblieb, die wie Wasser aussah.

Wie gebannt stieß Lateux den Atem aus, ohne wirklich gemerkt zu haben, dass er ihn angehalten hatte. Es war das erste Mal, dass er Lina so wirklich zaubern sah. Es war fesselnd, aufregend und elektrisierend. Ein Gefühl von Macht, welches gleich einer Aura durch die Luft wirbelte und nur Linas Befehlen gehorchte. Sein Blick war geschockt, aber auch irgendwie ehrfürchtig. Als wäre ihm jetzt erst wirklich klargeworden, wer oder was Lina eigentlich war. Er hatte sie unterschätzt, das wusste er jetzt.

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