Kapitel 10.2
„Auch nicht als Adlige", stimmte Lina nickend zu. „Es ist in einigen Dörfern und Städten sogar verboten mit magischen Wesen einzureisen."
„Wieso das denn?", fragte er interessiert, während er sich mit dem Sattel wieder auf seinen Hocker begab.
„Weil magische Tiere größer sind. Stell dir einem Greif in einer dichten, belebten Stadt vor. Er käme nicht weit, ohne etwas kaputt zu machen oder hängen zu bleiben", versuchte sie unschlüssig zu erklären.
„Ergibt schon Sinn, ja", gestand Kivan nachdenklich. „Gleichzeitig kann ich mir aber auch vorstellen, dass Leute gerne mit ihren magischen Eroberungen angeben."
„Das auf alle Fälle. Ich schätze, dass es irgendwann überhandgenommen hat, weshalb jetzt diese Regeln gelten", spekuliert sie.
„Vielleicht. Ich hatte leider nie sonderlich viel Gelegenheit dazu zu reisen", gestand er schulterzuckend, als ob es ihm eigentlich nichts ausmachte. Doch man konnte erahnen, dass er trotzdem eine gewisse Sehnsucht hegte.
Das war aber etwas ganz Natürliches. Die meisten wünschten sich, über ihre Welt hinaus zu sehen und mehr zu entdecken. „Darf ich fragen, woher du kommst? Bist du hier in Windfall geboren?"
Bei dieser Frage wurden Kivans Handgriffe langsamer und zögerlicher. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, doch irgendwie löste es ein ganz eigenartiges Gefühl in Lina aus, als wäre es nur gestellt. „Macht Euch doch nicht lächerlich. Ich bin hier, seit ich zwölf bin. Ein Kind reist nicht viel um die Welt", erinnerte er sie.
Und doch wurde Lina das Gefühl nicht los, dass diese Frage ganz und gar nicht lächerlich war.
„Das beantwortet nicht meine Frage, ob du in Windfall geborgen bist", sagte sie. Durch seine Antwort hatte sie eine ganz eigene Meinung dazu. Wahrscheinlich kam er wirklich nicht von hier. Warum sonst hätte er so ausweichend antworten sollen?
Erneut war ein längeres Zögern die Folge. „Wer weiß das schon. Ich bin immerhin verwaist. Ich habe nicht wirklich die Möglichkeit da genauere Angaben zu machen."
Er war also verwaist. Das war durchaus interessant. Damit wäre er potentiell ein Sohn von De Revier. Sie würde an ihm dranbleiben müssen. „Ich verstehe."
„Ist auch nicht wirklich wichtig, oder? Ich bin wer ich bin und ich kann es akzeptieren. Viele Adlige können das nicht von sich behaupten", erklärte er nüchtern.
Lina nickte nachdenklich. „Das stimmt wohl. Kennst du denn deine Eltern gar nicht?", fragte sie noch einmal. Sie war nicht gewillt, aufzugeben.
Bestimmt schüttelte er den Kopf. „Nein. Nie getroffen. Nie von ihnen gehört."
Lina spürte ein Gefühl der Aufregung. War es vielleicht wirklich möglich, dass er zu De Revier gehörte? „Weißt du, ob du vielleicht Magie in dir trägst?", wollte sie wissen, auch wenn ihr bewusst war, dass diese Frage seltsam sein musste.
Nun hielt Kivan komplett in seiner Arbeit inne und hob langsam den irritierten Blick zu Lina. „Was?"
Diese schenkte ihm ein unschuldiges Lächeln. „Ich dachte nur, vielleicht beherrschst du ja auch Magie, wenn du deine Eltern nicht kennst."
Nüchtern hob er eine Augenbraue, als würde er Lina so langsam für bescheuert halten. „Was hat das eine denn mit dem anderen zu tun?"
„Ich bin einfach neugierig. Wenn du deine Eltern nicht kennst, dann heißt das doch auch, dass alles möglich ist, oder? Du könntest ein verlorener Sohn eines Magiers oder Herzogs sein", sagte sie, wobei sie versuchte ihn dazu zu bringen, vielleicht seine Vergangenheit zu hinterfragen.
„Und dann enttäuscht werden, wenn dem nicht so ist? Ich denke diese Zerstörung meiner Träume hebe ich mir für meine Zukunft auf, statt sie auf meine Vergangenheit zu verschwenden."
Seine Worte sorgten bei Lina für ein flaues Gefühl. Er tat ihr irgendwie leid. Sie wollte ihm auch keine Hoffnungen machen. Gleichzeitig war sie sich bewusst, dass sie es tun musste. Wie sonst sollte sie nah genug an ihn herankommen, um ihn zu küssen und dann nach dem Mal zu suchen? „Tut mir leid, ich wollte dich nicht so überfallen", sagte sie sofort und hob abwehrend die Hände.
„Ach", er machte eine wegwerfende Handbewegung, als wäre es halb so wild und lächelte beschwichtigend. „Alles gut. Ist ja nicht so, als wäre mir das nicht selbst schon in den Sinn gekommen."
Linas Mundwinkel zuckten leicht. „Was musst du eigentlich gerade machen?", fragte sie, da sie eine Möglichkeit suchte, ihn irgendwo hinzufolgen, wo sie vielleicht allein waren. Nur für einen Augenblick. Den Kuss sollte nicht unbedingt jeder bemerken.
Andererseits ... bei Rathan war das dereinst nicht sonderlich gut angekommen. Vielleicht sollte sie ihre Taktik dahingehend nochmal überdenken.
Kivan deutete mit einem Kopfnicken auf eine Reihe von dreckigen Sätteln. „Putzen, danach die Tiere füttern und anschließend aufräumen."
„Klingt nach viel Arbeit", bemerkte sie mit einem zittrigen Lächeln. Sie war aufgeregt und wollte gern etwas tun. Es kribbelte ihr in den Fingern, doch sie wusste nicht, wie sie die Sache angehen sollte.
„Es ist Arbeit. Das ist die Hauptsache", lächelte er nur.
„Versteh", schmunzelte sie. Lina ließ ihre Hand wie beiläufig, fast beruhigend über seinen Arm wandern. Er war ein sehr netter, junger Mann und irgendwie genoss sie die Zeit mit ihm.
Er war angenehme und unkomplizierte Gesellschaft. Leider nicht so leicht einzuschüchtern wie Rathan, aber dafür schien er eine gefestigte Persönlichkeit zu besitzen, trotz seines Standes.
„Ich weiß, das gehört sich vielleicht nicht in meiner Position, aber ich finde dich sehr interessant. Gäbe es die Möglichkeit nach deiner Arbeit vielleicht Zeit miteinander zu verbringen?", fragte sie, da ihr sonst nichts Besseres einfiel.
Abrupt stockte Kivan einen Moment, bevor er herzhaft lachen musste. „Was? Ihr sucht lieber die Gesellschaft eines Stallburschen, statt die des hohen Adels? Man die Stimmung im Schloss muss ja schlechter sein als ich angenommen habe", lachte er amüsiert und schüttelte belustigt den Kopf.
Lina lächelte schief. „Vielleicht möchte ich auch einfach einen Abend, an dem ich mich nicht an die steifen Höflichkeiten des Adels halten muss?", fragte sie neckend. Nicht, dass sie sich jemals daranhielt, aber es war eine gute Ausrede, warum sie Zeit mit ihm verbringen wollte. „Zudem sind deine Geschichten anders als die der Adligen."
„Ärmer?", fragte er unschuldig, doch mit einem gewissen Amüsement in der Stimme.
„Nein. Weniger darauf bedacht anzugeben und zu prahlen", erklärte sie schmunzelnd. Wahrscheinlich konnte er nicht verstehen, dass sie von den steifen Konversationen im Schloss die Nase voll hatte.
„Jetzt bin ich aber beleidigt. Glaubt Ihr etwa, ich habe nichts mit dem ich angeben kann?"
Lina verdrehte die Augen. „Sei doch nicht gleich beleidigt", sagte sie belustigt. „Darum geht es nicht. Es geht einfach darum, dass bei dir nicht im Vordergrund steht, hervorzuheben wie toll du oder deine Familie doch seid."
„Ja, ich weiß doch", beschwichtigte er sie, doch schien er von ihrer Reaktion viel mehr belustigt als irgendwas sonst. „Solange Ihr dann selbst nicht damit anfangt."
Lina lachte leise. „Ich habe nicht viel, mit dem ich angeben könnte", behauptete sie abwinkend.
„Sicher", entgegnete Kivan nur wenig überzeugt und fuhr mit seiner Arbeit fort, indem er den nun sauberen Sattel zurückbrachte und sich den nächsten griff.
Lina beobachtete und folgte ihm eine Weile. So lernte sie die Stallungen etwas besser kennen. Auch die Tiere, die Kivan alle kannte und die oft genug Thema waren.
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