VIERUNDZWANZIG
,,Wann haben Sie zuletzt Mabel Walsh gesehen?"
Zwischen dem Polizisten und mir lag ein Aufnahmegerät. Ein rotes Licht blinkte alle drei Sekunden.
,,Ich habe sie zum letzten Mal in der Studienbibliothek gesehen.", antwortete ich.
,,Waren sie in Begleitung?"
,,Nein. Ich betrat die Bibliothek, wo Eloise und Kirk bereits auf mich warteten."
Es lag nahe, dass ich einen Anwalt brauchte. Immerhin konnte ich nicht unterscheiden, ob es ein Verhör oder eine Befragung war. Außerdem brauchte ich Sicherheit, die mir ein Anwalt zu bieten hatte. Sie waren beauftragt, um zu wissen, was ihre Klienten sagen durften. Wenn ich Scheiße baute, dann könnte mich ein Anwalt hinausziehen. Allein bewältigte ich nicht Derartiges.
Inmitten dessen zielte ich es nicht darauf ab den Verdacht auf mich zu schieben. Vielleicht sollte ich aus der Befragung gehen und einen Advokaten engagieren.
Meine Schultern fielen zusammen und mein Kopf senkte sich. Eigentlich fühlte ich mich in Klassenzimmern wohl. Sie hatten etwas Vertrautes an sich. Ich wusste, wo ich mich befand. Und trotzdem erging es mir nicht gut. Der Polizist musterte mich alle Sekunden misstrauisch.
In einer Situation wie dieser hätte ich gerne Zustand. Jemand, der neben mir saß und zuhören würde. Denn außer mir und dem Polizisten hielt sich sonst niemand im Raum auf. Ja, ich würde mich deutlich besser fühlen, wenn Eloise neben mir sitzen würde.
Bestimmt wurde sie gerade einzeln verhört. Sicher erging es ihr nicht besser als mir.
Meine Gedanken kreisten im Kopf. Wenn eine Straftat vorlag, dann könnte ich mich verdächtig machen. War das Routine? Womöglich war ich nicht der Sonderfall.
Doch was passierte, wenn ich bereits zu den Hauptverdächtigen zählte? Wenn ich gleich nach dem Verhör festgenommen wurde? Unschuldig.
Ich drehte den Ring an meinem Finger um den Knochen. Meine Hände schwitzen und Filme bildeten sich auf meiner Hautoberfläche. Ich hob eine Hand und kratzte mich am Hinterkopf.
Verzweifelt suchte ich einen Weg in meinem Kopf, damit meine Eltern davon nicht erfuhren. Von einer Routine-Befragung musste ich nicht erzählen.
Hatte ich das Recht zu fragen, um was für eine Befragung es sich handelte?
Ich legte meine Hände flach auf meinen Schenkeln liegen. Meine Konzentration lenkte ich auf meine Atmung. Inhalieren. Exhalieren.
Ich hatte keine Idee von dem, was mit Mabel passiert ist. Vielleicht verschwand sie für ein paar Tage und wird anschließend auftauchen. So Etwas passte zu ihr.
,,Wie beschreiben Sie Mabel Walsh?"
,,Ich kenne sie kaum. Wir haben einander öfters auf dem Gang gesehen. Manchmal haben wir kurz miteinander gesprochen. Bei diesen Gesprächen wirkte Mabel aufgeschlossen und freundlich."
Es war keine Option dem Polizisten Schlechtes über Mabel zu erzählen. Sie in ein ungutes Licht zu rücken, wird meine Situation nicht besser machen.
Der Polizist stellte mir weitere Fragen zu Mabels Charakter und in welcher Beziehung wir zueinanderstanden. Danach entließ mich der Polizeibeamter.
Mein letzter Blick fiel auf das kleine Aufnahmegerät, das uns trennte. Es lief weiter, als ich die Tür ins Schloss zog.
Eloise schloss im selben Moment wie ich die Tür zu ihrem Befragungs-Zimmer.
Sie schien durcheinander zu sein. Ein trüber Schauer lag über ihren Augen und es schien so, als würde sie jeden Moment weinen beginnen. Doch etwas hielt sie davon ab. Oder ich las ihre Körpersprache falsch.
,,Wie lief es bei dir?", hakte Eloise sofort nach, als sie mich bemerkte.
,,Es war ganz okay. Und bei dir?"
,,Ja, alles ganz in Ordnung. Ich hoffe, dass ich mich nicht verdächtig gemacht habe. Zwar habe ich alles so erzählt, wie es war, aber womöglich missverstehen sie etwas."
,,So war es bei mir auch. Wir müssen aufpassen bei dem, was wir sagen. Denn das Letzte, was wir tun, ist uns selbst eine Falle zu stellen.", äußerte ich.
,,Ich habe einem Beamten gesagt, dass er bei Victoria einen Drogentest machen sollte. Und ich glaube, dass das nicht die beste Idee von mir war."
Genervt schaute ich an Eloise vorbei. Warum machte sie uns beiden so viel Ärger? Ich begann erneut mit meinem Daumen an einem Ring zu spielen. Er reizte meine Haut. Ich konnte förmlich spüren, wie das Metall Haut aufkratzte.
,,Ich werde alles in Ordnung bringen.", entschuldigte sie sich.
,,Glaubst du, dass du das allein schaffst?"
,,Du musst dir keine Sorgen machen. Vielleicht hatte ich auch nur einen falschen Eindruck von Victoria. Sie war bestimmt nicht stoned."
,,Bist du dir sicher? Ich vertraue auf dich."
Eloise seufzte. Sie sank vor mir zusammen. Womöglich war ich zu hart mit ihr gewesen. Sie beabsichtigte die Konsequenzen für ihr Handeln nicht. Außerdem werde ich nicht von Auswirkungen etwas zu spüren bekommen.
Das Einzige, was mir momentan wichtig war, dass ich keinen Ärger vor meinem Abschluss bekam. Ich hatte nicht die Zeit mich um diese Probleme zu kümmern. Letztendlich verließ ich in einem Monat das Internat. Eigentlich sollte ich mich gar nicht für Mabel interessieren. Dennoch war ich ein Zeuge und Imogens Tod ließ mich auch nicht komplett kalt.
Imogen kannte ich seit meiner Kindheit. Wir sprachen kaum miteinander und trotzdem gehörte sie zu meinem näheren Umfeld.
Ein weiterer Gedanke keimte in mir auf. Ich befürchtete, dass die Presse von Declan erfuhr.
Die Presse würde sich auf mich stürzen, wie ein Adler auf seine Beute. ich spürte, wie sie sich um mich das Maul zerfetzten. Ich malte mir die Artikel über meinen Cousin und mich aus. Früher oder später wird der Name Bloom für etwas Kriminelles gelten.
Eloise und mich trennten mehrere Meter. Sie entfernte sich immer weiter von mir. Sie nahm keine Schritte zurück, aber sie vermied Augenkontakt und setzte ein gezwungenes Lächeln auf.
,,Ich werde mich nicht sofort mit Victoria beschäftigen, aber wenn die Zeit kommt, dann kümmere ich mich um sie.", erklärte sie.
Ihre Stimme war gedämpft. Sie schaute sich hektisch im Gang um, als würde sie eine Fluchtmöglichkeit suchen. War ich das Problem? Wollte sie mir entfliehen?
Ich bereute, was ich ihr gesagt hatte. Sie wollte das Richtige tun und sie bereute es. Ihre Stimme, ihre Augen verrieten es mir. Sie war nicht stolz darauf ihre Mitbewohnerin ins Feuer zu stoßen.
,,Wenn du Hilfe brauchst, dann bin ich da."
Augenblicklich bedauerte ich mein Verhalten. Ich gab vor ihr vollkommen nach. War mein Verhalten unterwürfig? Hätte ich etwas Derartiges sagen sollen?
,,Danke, aber ich glaube, dass ich es allein schaffe. Ohne dich."
Ich schob meine Gedanken beiseite und verabschiedete mich von ihr.
Hinter mir hörte ich, wie sie in die andere Richtung ging. Ihre Schritte waren nicht mehr zu hören.
Enttäuschung machte sich in mir breit.
+++
Meine Bewerbung für das Trinity war nicht genug. Ich konnte mich nicht in einem solchen Licht präsentieren, wie ich es in meiner ersten Bewerbung tat.
Ich setzte meine Fingerkuppen erneut auf die Tasten. Zuletzt warf ich noch einen Blick auf meine Notizen.
Der Grund, warum ich auf das Trinity wollte, war mir selbst nicht wirklich klar. So konnte ich es auch nicht erklären. Wenn meine Punktzahl im Abschluss hoch genug war, dann brauchte ich keine Bewerbung.
Ich müsste mich nur einschreiben und mich um den Papierkram kümmern, aber ich müsste keine Erklärung abliefern.
Trinity war schon seit sehr langer Zeit meine Traum-Uni. Für mich war es klar, dass ich dort studierte. Wollte ich Medizin studieren? Oder wählte ich den Studiengang nur, um meine Eltern zufrieden zu stellen?
Ich drehte mich Kreis. Ich wollte ein Studium absolvieren. Seitdem ich mit Eloise über meine Richtung gesprochen hatte, zweifelte ich meine Entscheidung an. Medizin wird mir viel abverlangen, doch das war nicht mein Problem. Denn ich glaubte, dass ich mich in diesem Studiengang nicht wohl fühlte.
Spielte es eine Rolle, ob ich mit dem Fach zufrieden war? Wenn ich mich damit komplett auseinandergesetzt hatte, dann würde ich Gefallen daran finden. Warum ließ mich Eloise mit einer solchen Verwirrung zurück?
In einen meiner Ordner entdecke ich vier weitere Entwürfe für Trinity. Ich lehnte mich zurück und starrte eine Weile auf den Bildschirm vor mir. Das College war so weit von mir entfernt. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich in weniger als einem halben Jahr Student bin. Ich wusste nicht, was ich mir von der Zeit dazwischen erwarten sollte. Natürlich werde ich mit etwas beschäftigen. Ich werde meinen Führerschein machen und vielleicht einen Ferienjob annehmen. Während ich mich in der Vorbereitungszeit befand, sollte ich mich nicht mit meiner freien Zeit danach nicht derartig beschäftigen- Immerhin musste ich bis ich zu diesem Punkt kam, bestehen.
Ich las quer durch die Dokumente, die ich geschrieben hatte. Nichts glich dem, was von mir erwartet wurde. Ich musste den Erwartungen der Universität entsprechen. Ansonsten würden sie mich gar nicht erst nehmen.
Wenn Trinity nicht funktionierte, nahm ich Oxford. Doch so weit würde es nicht kommen, denn ich bereitete mich seit dem Anfang meiner Schulzeit auf das Trinity vor. Wenn alles bergab ging, dann immatrikulierte ich mich in Oxford und wechselte nach dem ersten Semester zum Trinity.
Abgesehen davon war meine Punktzahl bereits hoch genug, um zu wissen, dass ich es durch den Abschluss schaffte.
Ich klappte den Laptop zu und wandte mich an meine Übungsaufgaben. Der Berg von Aufgaben schreckte mich. Ich verfiel in Panik.
Was war, wenn ich nicht alles bis zu den Prüfungen abarbeitete? Wenn ich nicht mehr die Zeit fand, um ein Fach vorzubereiten, dann war mein Ende in Stein gemeißelt.
Der Mond zog an meinem Fenster Stunde um Stunde weiter. Die Schreibtischlampe warf ein warmes Licht auf meine Unterlagen. Ich studierte die Bücher, schrieb ein Essay und bearbeitete alle Aufgaben, die ich untertags nicht schaffte.
Mir wäre es viel lieber, wenn ich nicht prokrastinierte und es nicht bis spät abends aufschob.
Meine Lider wurden mit jedem Satz, den ich schrieb, schwerer. Die Welt drehte sich. Mittlerweile saß ich doppelt so länger an einer Aufgabe, als ich es eingeplant hatte. Ich beschloss, dass ich an diesem Tag nicht mehr produktiv sein konnte und losch die Schreibtischlampe.
Die Energie, die mir wenige Minuten davor fehlte, kam zurück als ich versuchte einzuschlafen. Mein Kopf arbeitete auf Hochtouren. Jede Faser in meinem Körper wartete auf den lang ersehnten Schlaf.
Bei solchen Szenarien wünschte ich mir einen Mitbewohner. Jemand mit dem ich die ganze Nacht durchquatschen könnte. Die Stille und die Einsamkeit, die damit einher ging, nervte mich auf Dauer. Der fehlende Schlaf erschwerte es mir umso mehr. Mein Körper signalisierte mir, dass er schlafen wollte, doch meine Gedanken hielten mich davon ab.
Zwielicht fiel durch die Vorhänge in mein Zimmer. Möbel warfen lange graue Schatten auf den Boden und die Farben erschienen trist. Das Mondlicht warf sein Funken auf meine Unterlagen, die auf dem Boden lagen. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in mir aus. Ich hätte mehr lernen sollen.
Was machte Mabel in diesem Moment? Gefesselt an einem Baum schrie sie oder sie hatte Unterschlupf bei Freunden gefunden. Was mit ihr passierte war unklar. Trotzdem interessierte es mich brennend, was mit ihr geschah. Lebte Mabel oder war sie dem Tod geweiht?
Sie befand sich in der Dunkelheit. Mich beschlich das ungute Gefühl zu wissen, dass sie gestorben ist. Vielleicht irrte ich mich. Womöglich schaute sie sich ebenfalls in Finsternis um. Sie musste frieren, wenn sie sich draußen aufhielt.
Es herrschten Minusgrade. Sie könnte sterben.
Ich konnte nicht tatenlos zusehen. Egal ob sie lebte oder nicht, sie hatte mich auch in das Spiel mit reingezogen. Inszenierte sie ihr Verschwinden?
Kirk und Eloise sollte ich informieren. Wir waren die Personen, die zuerst auseinandergenommen wurden. Wir werden einen Plan haben, wenn Mabel auftaucht. Tot oder lebendig.
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