SECHSUNDZWANZIG
,,Mabel könnte überall sein."
Sie war ein Jahr älter als die meisten aus unserem Jahrgang. Sie war bereits über achtzehn und würde in wenigen Monaten ihren Geburtstag feiern. Wird sie bis dahin gefunden? Wird sie noch eine Party haben?
Das Erste, was ich zu tun hatte, war ihren Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Sie trieb sich irgendwo herum. Ich hatte nicht die nötigen Mittel, aber es interessierte mich dennoch brennend. Außerdem hatte sie Kirk, Aspen und mich ebenfalls mit einbezogen. Vielleicht war das nicht ihre Absicht, aber sie belastete uns auch.
,,Ich bin der Meinung, dass wir unauffällig bleiben sollen.", meldete sich Kirk zu Wort.
Er hatte seine Arme vor der Brust verschränkt. Das Hemd seiner Uniform zog tiefe Falten.
Ich glaubte, dass ihm das Verschwinden von Mabel am Schwersten fiel. Praktisch durchlebten sie eine Trennung, während sie verschwand. Ich wollte mir nicht ausmalen, was für Schuldgefühle an ihm nagten. Sicherlich fühlte er sich schrecklich.
Er äußerte sich nicht zu ihr, aber ihm war ins Gesicht geschrieben, wie sehr es ihn mitnahm.
Kirk zog sein Hemd glatt. ,,Außerdem ist es unser Abschlussjahr. Die Befragungen stehlen uns kostbare Zeit."
,,Als ob du in der Zeit lernen würdest.", schaltete sich Aspen ein.
,,Das ist erstmal egal. Ich will aus der Sache lebendig rauskommen. Mabel wird sicher auftauchen. Wir müssen uns nicht Sorgen machen."
Die Worte kamen leichtsam über Kirks Lippen. Verstellte er sich vor uns? Er mussste sich nicht beweisen, uns zeigen, dass er nicht mehr Gefühle für sie hegte. Im Grunde scherte es mich nicht, aber sein Verhalten veränderte sich. Im Gegensatz zu der Zeit als sie noch ein Paar waren, verhielt er sich kalt, abweisend.
,,Es ist immer noch deine Ex.", warf Aspen ein.
Kirk legte seine volle Konzentration auf seine verschränkten Arme und überging Aspens Bemerkung geflissentlich.
Die Stimmung schwill an. Die Luft zwischen uns pochte. Niemand traute es sich auszusprechen. Mabel könnte tot sein.
Jedoch ignorierten wir die Stimmen, die zu uns sprachen. Ihr Tod hatte Auswirkungen auf uns. Sie stand und nicht nahe, aber trotzdem war sie immer präsent. Man spürte ihre Anwesenheit. Sie ist gegangen, sie ist nicht mehr im Internat.
Ich musste etwas sagen, etwas einwenden. Die beiden anderen Zeugen würdigten mich mit keinem Blick.
Kirk kämpfte mit sich selbst. Seine zuckenden Augen, wie sie alle paar Sekunden den Raum scannten.
Und Aspen, der sturr auf den Boden starrte.
.,Vielleicht sollten wir Mabel suchen."
Meine Stimme brach mitten im Satz. ,,So tragen wir die wenigsten Konsequenzen, aber im Gegenzug wird sich das schwierig gestalten."
Uns fehlte ein Ansatzpunkt, eine Stelle bei der wir suchen sollten.
,,Nein, wir sollten unsere Zeit für Wichtiges aufwenden. Sie muss gar nicht gekidnappt sein. Wir sollten es nicht dramatischer machen, als es ist.", beschwichtigte Aspen mich.
Kirk blickte auf. ,,Mabel ist wichtig."
Ich schrak auf. Dass Kirk seine Gefühle sich zustand, hatte ich nicht erwartet.
Die Bombe platzte. Aspen und Kirk hielten für einen kurzen Moment Augenkontakt. Ein Grinsen zupfte an Aspens Mundwinkel. Er war gezeichnet von Hochmut und Selbstgefallen. Kirk bereute seine Worte und blickte darüber hinweg.
Stille zog sich in die Länge.
Die passenden Worte zu finden, fiel mir nicht leicht. Jedoch musste jemand von uns etwas sagen.
,,Ja, und deswegen sollten wir uns einig werden.", versuchte ich sie zu beschwichtigen.
Es war mir gleich, ob Kirk sich noch Gedanken über seine Ex machte oder nicht. Aspen und mich ging es nichts an.
Im Gegensatz zum Votag hatte Aspen sein Zimmer aufgeräumt. Die verstreuten Bücher und Hefte waren in Schubern geordnet. Das Bett wurde gemacht und die Schubladen zugezogen. Vielleicht war Aspen sein Zimmer vor mir unangenehm. Immerhin platzte ich herein, ohne jgliche Vorwarnung. Oder er hatte es für nötig gehalten, aufzuräumen. Rein aus dem Grund, dass Ordnung ihm wichtig war.
Auf dem Fensterbrett standen einsame Zimmerpflanzen. Die Blätter hingen trostlos von ihren Stängeln. Von einer Orchidee war nur noch der Stängel und die Blätter übrig. Keine Blüte war zu sehen.
,,Wir sind nicht aufeinander angewiesen."
Kirk fokussierte seinen Blick kurz auf mich, dann auf Aspen. Er verließ den Raum. Womöglich sind wir ihm zu nahe getreten. Ich hoffte, dass wir es so nicht komplett bergab stürzten.
Keinenfalls mussten wir zusammen arbeiten. Immerhin machten wir unsere Aussagen allein und stimmten bis jetzt nichts aufeinander ab. Außerdem konnte man sich selbst retten, wenn man unabhängig von den anderen agierte. Sollte ich mich von Aspen abwenden?
Es hing an uns, ob wir ihn bei uns wollten oder nicht. Aspen und ich könnten uns an dieser Stelle trennen oder wir suchten den bestmöglichen Weg, um sicher aus der Situation zu kommen.
Egal wie ich es drehte und wendete. Ich wollte das nicht allein durchstehen. Zumal Mabel lebte. Womöglich hatte Aspen recht und wir sollten uns nicht einmischen. Die Polizei wird es regeln.
Trotz all meinen Überlegungen verletzte mich Kirks Verhalten. Wir waren die letzten drei. Diese Information war mir verschuldet, da ich mich der Polizei zuwandte, sobald das Gerücht mit Mabel in die Welt gesetzt wurde. Vielleicht waren wir nicht die letzten Zeugen. Vielleicht lag nicht alles im Ende bei uns.
Ihm erging ersichtlich schlecht. Ich glaubte, dass er jede Sekunde einen Zusammenbruch erlitt. Seine Arme schlang er um seinen Bauch. er würdigte uns nur eines Blickes, wenn wir es als nötig befanden. Ich wollte nicht wissen, was sich in seinem Kopf abspielte. Eine Serie von all möglichen Dingen, die Mabel zugestoßen sein könnten.
Ich spürte Aspens Anwesenheit direkt neben mir. Sein leiser Atem und die Vergessenheit von mir. Er sah mich nicht, nahm mich nicht mehr wahr. Ich konnte gehen, mich in meinen Bergen von Aufgaben begraben.
Jedoch stand ich dem Zimmer von Aspen Bloom. Allein mit ihm.
Es bestand die großer Möglichkeit, dass wir es nicht zu zweit schafften. Wir waren in einer Prüfungsphase, schrieben unseren Abschluss und sollten dazu Ermittlungen anstellen? Würde ich so weit für Mabel gehen, auch wenn wir nie richtige Freundinnen waren? Wenn wir uns gegenseitig ausnutzten? Alles wird sich dem Guten zuwenden, versprach ich mir. Daran Glauben zu schenken, fiel mir schwer.
,,Wir können es nicht ohne Kirk machen." Aspen hatte mich doch bemerkt. Er fuhr fort. ,,Er könnte wichtige Informationen für uns haben."
,,Wir sind noch nicht verdächtigt. Momentan haben wir alle Freiheiten."
,,Das kann sich innerhalb von Stunden entwickeln. Entgegen der Richtung, die wir abzielen."
,,Vielleciht wäre es sinnvoll, wenn wir eine Strategie hätten.", fügte ich hinzu. ,,Anwälte wären mir willkommen. Die werden ihren Job machen und wir leisten uns keine Fehltritte, so einfach geht das."
,,Das kannst du gerne machen, aber solange wir nicht verdächtigt sind, sehe ich den Sinn nicht dahinter. Es war eine einfache Befragung. Die wirst nicht von heute bis morgen ins Gefängnis gesteckt."
Wenn Aspen dachte, dass seine Worte sich beruhigend auf mich auswirkten, dann täuschte er sich. Die Befragung stelle sich nicht als einfach heraus. Ich hatte Angst und er schien sie nicht ernst zu nehmen.
,,Womöglich gehe ich noch gar nicht diesen Schritt. Denn meinen Anwalt muss ich so gur wie alles anvertrauen und so weit bin ich nicht. Sie suchen nach einen Schlupfloch, von dem ich nicht weiß, ob ich es ihnen geben kann."
,,Ein Anwalt ist eine sichere Entscheidung, aber momentan nicht nötig.", beschwichtigte mich Aspen.
,,Die Kontrolle muss bei uns liegen. Ein Anwalt könnte uns das erschweren. Aber wenn wir uns einen Fehler leisten, dann kann das niemand für uns ausbügeln. Wir müssen uns entscheiden, ob wir abhängig von jemanden sind oder nicht." Meine Stimme verschlechterte sich vom Sprechen. Mein Hals kratzte und meine Stimme wurde rauer.
,,Jedoch können sich unsere Anwälte unereinander absprechen. Obwohl nein, eigentlich nicht. Sie machen so gegenseitig ihr Geschäft kaputt. Du musst dich entscheiden. Anwalt ja oder nein." Er wollte mir etwas sagen. Er setzte zum Sprechen an, dann verstummte er wieder. Was auch immer es war, es versprach nichts Gutes.
Wir verharrten noch mehrere Minuten in unserer Diskussion. Immerhin mussten wir zu einem Entscheid kommen. Im Prinzip verpflichteten wir uns zu nichts. Wir mussten nicht abhängig voneinander sein und trotzdem entschieden wir uns dafür.
Vielleicht sprachen wir es nicht aus, aber wir beide wussten es.
Aspen strich sich mit seiner bloßen Hand durch die dunklen Locken. ,,Wir können uns einen Anwalt nehmen. Plus den Anwalt suchen wir auch nach Mabel -in wieweit es in unserer Kraft steht. Den Advokaten brauchen wir für die Aussagen und das Rechtliche. Dden Rest machen wir."
,,Einverstanden."
In jenem Moment wusste ich nicht, was mein Versprechen Auswirkungen auf die Zukunft hatte. Denn womöglich stand Aspen gar nicht auf meiner Seite.
+++
Geräusche kamen aus meinem Zimmer im Wohnhaus.
Ich verließ Aspen sofort nach unserem Gespräch. Zum einen wusste ich nicht, was ich tun sollte, zum anderen machte er mir nicht den Eindruck, dass er Interesse an mir hatte und mit mir noch weiter reden wollte oder sonst noch jegliches Interesse präsentierte.
Er zeigte mir seine Ignoranz. Er wies mich von sich ab. Er wollte nichts von mir. Ich war nur eine unbeudeutene Mitschülerin für ihn, wie es Kirk sagte. Nichtssagend, eine unter vielen. Was bildete ich mir ein? Warum glaubte ich nur eine Sekunde lang, dass er sich interessierte?
Es veränderte sich nichts. Die Nacht mit ihm hatte nichts geändert. Er involvierte sich mehr in meinen Alltag. Seine Anwesenheit war zu spüren, aber es war alltäglich. Vor Monaten sah ich ihn auch täglich auf dem Gang.
Der einzige Unterschied zu heute bestand darin, dass ich mich mit ihm unterhielt, meine volle Aufmerksamkeit ihm schenkte. Wie dumm es von mir war zu denken, dass es wahres Interesse war.
Tränen suchten sich einen Weg meine Wangen herab zu meinen Hals. Vielleicht reagierte ich zu übertrieben, zu emotional.
Aspen entsprach meinen Vorstellungen, bis auf einen Punkt. Er empfand nicht wie ich. Er sah mich nicht in dem Licht, wie ich ihn erblickte. Ich drückte meinen Handrücken vor meinen Mund, um ein Schluchzen zu unterdrücken.
Ich nahm einen Schritt vorwärts, um drei zurück zu gehen.
Für Bloom war ich nichts.
Bethany huschte an mir vorbei. Sie weinte ebenfalls. Vor mir blieb sie stehen. ,,Du hast gesagt, dass du für mich da bist, wenn ich dich brauche."
Ich bestätigte ihre Aussage mit einem Nicken.
,,Mabel könnte verschwunden sein und das nur wegen mir. Weißt du, wir haben gestritten und zwei Tage später ist sie weg."
Bethany überschwemmt eine Flut von Tränen. Ihre Augen unterliefen von Blut und ihr Blick starr auf mich gerichtet.
Augenblicklich drückte ich sie fest an mich. Sie entspannte sich unter meinen Armen, fand halt. Sie legte ihren Kopf an meine Schulter und erwiderte die Umarmung.
Aber im Gegenteil zu ihr vergoss ich meine Tränen für Aspen, nicht für Mabel.
Bethany löste sich aus der Umarmung und bedankte sich bei mir. Und obwohl ich sie nicht derart mochte, tat sie mir leid. Ihre Schuldgefühle und Vorwürfe malte ich mir nicht aus. Vielleicht verlor Beth gerade ihre beste und einzige Freundin.
Als wir uns beide beruhigt hatten, gingen jeder von uns seine eigenen Wege. Ich verfolgte die Geräusche, die aus meinen Zimmer kamen.
Als ich die Tür aufstoß, dah ich wie Victoria auf dem Bett saß. Wie auch Bethany und mir flossen Tränen über die Wangen.
Sobald die Tür ins Schloss fiel, sprudelte es aus Victoria heraus. ,,Die Polizei hat bei mir einen Drogentest gemacht. Ich- ich glaube, dass sie es bei sonst niemanden gemachten haben."
,,Und wie fiel er aus?"
,,Positiv."
Victoria stieß einen Schrei aus und schlug ein Kissen gegen ihr Gesicht. Sie sprach weiter in den Stoff, obwohl sie kaum zu hören war.
,,Sie durchsuchten unser Zimmer nach Stoff. Natürlich haben sie nichts gefunden, aber dafür werde ich jetzt überwacht."
Ein Schauder lief mir meinen Rücken hinunter. Wenn Victoria beobachtet wird, dann war ich daran nicht ganz unbeteiligt.
Sie nahm das Kissen vom Gesicht. Ihr war die Angst nicht verkannt. Sie zitterte und als ich meine Hand auf ihre legte, spürte ich wie sie fror.
,,Hey, alles wird gut." Ich seufzte. Eigentlich glaubte ich selbst gar nicht an meinen eigenen Rat.
Schuld überrollte mich wie ein Tsunami. Victoria war in dieser Situation nur wegen mir. Wenn ich damals dem Beamten nichts gesagt hätte, dann wäre sie nicht derart verzweifelt. Ich glaubte auch nicht, dass es ihnen zu den Ermittlungen mit Mabel weiterhalf. Was bildete ich mir damals ein?
Ich wollte meine Schuld gut machen, auch wenn meine Mitbewohnerin nichts wusste, dass ich diejenige war, die sie verriet.
Also wagte ich das zu fragen, was ich nicht vor hatte zu tun.
,,Was interessiert dich an Imogen? Was willst du über sie wissen?"
Hätte ich gewusst, für wen sich Victoria ausgab, hätte ich meine Worte zurückgenommen.
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