NEUNZEHN
,,Ich habe dich nicht ignoriert. Manchmal bin ich eben mit ein paar anderen Dingen beschäftigt." Eloise versuchte seit einigen Minuten meine Behauptungen zurückzuweisen. Dass sie mich nicht beachtete, lag auf der Hand. Jedoch steigerte ich mich nicht so sehr in die Situation herein wie sie. Sie glaubte, dass ich ein riesiges Problem damit hatte. Doch das stimmte nicht. Ich sprach sie darauf an und sie hatte das Bedürfnis sich rechtfertigen zu müssen.
,,Grundsätzlich bin ich niemand, der jemanden außer Betracht lässt." Es fielen noch unzählige weitere Argumente. Doch die Schuld war in ihre Augen geschrieben. Sie hatte mich nicht beachtet und wollte es vor mir nicht zugeben. Ich wusste nicht, warum sie so reagierte, aber ich verstand Eloise.
,,Lass es gut sein. Ich verstehe schon." Ein Lächeln überflog meine Lippen.
Am liebsten hätte ich mich bei ihr entschuldigt. Sie spontan darauf anzusprechen, war ein Fehler gewesen. Wenn ich so überrumpelt worden wäre, dann hätte ich auch ein paar wirre Behauptungen um mich geworfen. Vielleicht nahm ich die Situation zu streng.
Jedoch entschied ich mich dagegen. Ich hatte keinen Grund mich bei Eloise zu entschuldigen. Denn ich hatte nichts falsch gemacht. Meine Fehler bemerkte ich meist, bevor es jemand anderes darauf aufmerksam wurde. Ich wollte mir nicht einbilden, dass ich sie nicht richtig behandelt hatte. Ich würde sie von mir drücken, wenn ich mir zu viele Gedanken darüber machte.
Außerdem war es ein Schritt in die richtige Richtung. Für sie sollte ich mich nicht verstellen. Ich sollte nicht Probleme sehen, die nicht existierten. Es gestaltete sich für mich schwierig. Mich in sie hineinzufühlen war kein Kinderspiel, weil sie es mir nicht einfach machte. Sie hielt mich nicht auf Distanz, aber ging mir trotzdem nicht aus dem Weg. Sie brachte meine Vorstellungen von ihr durcheinander. Eloise war nicht der Mensch, den ich mir ausgemalt hatte.
Eloise machte mir einen derart verunsicherten Eindruck, dass es mich beunruhigte. So sollte es nicht sein.
Ich hasste mich dafür, dass ich mich derart um sie bemühte. Meist war mir das Verhalten von Personen um mich egal. Natürlich war es nie meine Absicht sie zu verunsichern oder in Verlegenheit zu bringen, jedoch scherte ich mich nicht um ihre Gefühle in meiner Gegenwart.
Eloise sollte mir gleich sein, wie all die anderen Mädchen an dem Internat auch. Eloise war nicht herausragend besonders oder einzigartig. Dennoch sympathisierte ich mit ihr mehr als mit den anderen Mädchen. Mit ihnen war nichts falsch, sie waren freundlich und hilfsbereit. Jedoch sah ich nur sie unter ihnen.
Meine Gefühle für Eloise leugnete ich schon seit Tagen. Ich wollte es nicht wahrhaben mich in den letzten zwei Monaten an dem Internat mich derart verrückt zu machen über eine Mitschülerin, die ich schon seit dem Beginn meiner Schulzeit kannte. Sie war eine alte Bekannte für mich und trotzdem hatte sich das Bild, das ich von Eloise pflegte, in den letzten Tagen verändert.
Sie war nicht mehr bei all den anderen flüchtig Bekannten. Ihr Bild hing nicht neben den anderen Bildern. Sie war Aeryn und Coy so viel näher. Sie hatte ihren eigenen Platz.
,,Aspen, du machst es mir nicht gerade einfach." Sie seufzte.
Ich spürte in meinem ganzen Körper, wie mein Name aus ihrem Mund in mir nachhallte.
Eloise musterte mich erwartungsvoll. Als keine Antwort kam, setzte sie bei:,,Du hast mir auch keine Beachtung geschenkt. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte."
,,Ich glaube, dass es bei mir genau dasselbe war. Wenn wir früher darüber gesprochen hätten, dann hätten wir es viel einfacher lösen können.", antwortete ich.
Sie nickte.
,,Ist jetzt alles gut zwischen uns beiden?", hakte ich nach. Ich wollte ihr nicht in die Augen schauen, stattdessen wanderten sie an ihr vorbei.
Denn die Antwort auf meine Frage wusste ich selbst nicht, was mir eine unglaubliche Angst bereitete.
,,Ja, alles gut." Ein Grinsen zupfte an ihren Lippen, das ich nur erwidern konnte.
Doch für mich war nicht alles gut, wie bei ihr. In mir herrschte Chaos. Ich wusste, dass ich die Gefühle nicht für sie empfinden sollte. Ich sollte mich auf andere Dinge konzentrieren. Sie brachte mich aus meinem Konzept und so kurz vor meinem Abschluss war ich nicht begeistert davon.
Jedoch tat ich mir das Durcheinander an. Ich war derjenige, der von den Emotionen, die in mir auf köchelten, überfordert war.
Wie sich die Situation zwischen uns entwickelte, war okay für mich. Es machte mich nervös, dass ich nicht die komplette Kontrolle besaß, aber ich konnte daran nicht viel verändern.
,,Was machst du jetzt noch?", fragte sie nach.
,,Ich habe nichts vor, und du?"
Sie schüttelte ihren Kopf. ,,Ich auch nicht."
Und erneut breitete sich diese unangenehme Stille zwischen uns beiden aus. Es gab so viele Fragen, die ich ihr stellen wollte. Ich wollte so viel wie möglich über sie wissen. Ich wollte sie kennen und einen Einblick in ihren Kopf bekommen.
Ich hatte lange nicht mehr so sehr das Bedürfnis gehabt einen Menschen derart kennenzulernen, wie ich es bei Eloise wollte. Mich interessierten die kleinen Details aus ihrem Leben. Was sie zum Frühstück aß, woran sie dachte, wenn sie mein Name hörte.
Ausnahmsweise trug ich eine Jacke, als wir nach draußen durch die Tür schlüpften. Mich freute es, dass sie sich einverstanden mit meinem Vorschlag erklärte. Ich wollte nicht ständig meine Zeit in meinem Internatszimmer verbringen. Es war nicht so, dass ich an die Natur gebunden war oder so, aber manchmal bekam ich das Gefühl eingesperrt zu sein. Da half es mir zu den Klippen zu gehen und auf das weite Meer zu schauen.
Draußen war es wärmer als sonst. Im Vergleich zu der Nacht mit Eloise war es sogar warm. Ich warf meinen Kopf nach hinten und starrte gen Himmel zu.
Leichte graue Wolken bedeckten den Himmel. Vogelschwärme flogen über uns hinweg und ich vermisste den Augenblick, während ich ihn lebte.
Im Gegensatz zu den normalen Umständen zwischen Eloise und mir, schaute sie mir direkt in die Augen, als ich mein Profil den Himmel abwand.
Sie wich mir nicht aus, wie sie es sonst getan hätte. Nein, sie suchte sogar nach Augenkontakt. Ich hatte mich geirrt. Eloise war nicht so unsicher, wie ich zuvor dachte.
,,Ich will dich kennenlernen." Ihre eisblauen Augen fixierten mich.
Etwas flammte in mir auf. Ich wusste nicht genau, wie ich damit umgehen sollte. Ich erinnerte mich weit zurück in die Vergangenheit, als jemand mir volles Interesse schenkte. Sie war nicht interessiert an einer Kleinigkeit von mir. Sie wollte mich kennen, als Person. Eloise interessierte meinen Charakter. Sie wollte nicht einen Teil von mir kennen.
Die Flamme wurde größer. Ich war glücklich. Mir fiel es schwer ein Grinsen zu verkneifen. Denn Eloise dachte an mich und im besten Fall wollte sie mich.
,,Und wie willst du das machen?" Meine Stimme brach mitten im Satz. Ich räusperte mich.
Ich freute mich, war auf einem Hoch, auf dem ich nicht verweilen konnte. Ich -Aspen Bloom- hatte Bedeutung für sie. Obwohl es entsprach, nicht der Wahrheit. Ich schmückte den Gedanken viel mehr aus, dass sie Interesse an mir hatte. Vielleicht wollte sie nur mit mir befreundet sein.
,,Was ist deine schönste Kindheitserinnerung?"
,,Ich denke nicht viel über so etwas nach.", beichtete ich ihr.
Die Frage, die sie mir stellte, war persönlich. Sie drang weiter in meine Privatsphäre ein. Mir war unwohl dabei, dass ich sie so mitten in mein Leben ließ. Wenn Coy mir dieselbe Frage gestellt hätte, dann würde ich ihn auslachen. Mir wäre vor ihm unangenehm solche privaten Details aus meinem Leben zu teilen.
Warum störte es mich nicht bei Eloise? Womöglich lag es daran, dass sie es mit vollem Ernst meinte. Im Gegensatz zu mir war ihre Stimme fest, sie zögerte nicht. Es war fast so, als hätte sie sich ihr Leben lang auf diese Situation vorbereitet.
,,Ich glaube, dass ich damals acht oder neun war. Meine Schwester und ich spielten in unserem eigenen Waldstück. Ich weiß nicht, was wir gemacht haben.", begann ich zu erzählen.
Im Vergleich zu dem Treffen mit Coy und Vicky entspannte ich mich mehr. Damals im Wald blieb ich achtsam, doch jetzt bestand kein Grund dafür.
Eloise und ich liefen nah beieinander. Wir hielten wenige Zentimeter Sicherheitsabstand, aber sie war mir noch so nah, dass ich ihre Anwesenheit spürte. Beim Laufen streiften sich unsere Arme und jedes Mal zog sich ein Blitz durch meinen Arm, als sie sich berührten.
Ich fuhr fort:,,Wir haben ein Tippi gebaut. Es hätte jede Sekunde über unseren Köpfen zusammenbrechen können, aber trotzdem übernachteten wir. Es war eiskalt und ich hatte mir eine Erkältung zugezogen, aber das war das erste und wahrscheinlich auch letzte Mal, dass ich unter freien Himmel schlief."
Eloise schaute zu mir hoch. Sie war mir näher als alle in den Minuten davor. Sie war direkt neben mir. Ich spürte ihre Wärme durch ihren Wintermantel.
Ein sanftes Lächeln flog über ihre Lippen. Ich wollte sie küssen, sie auf mir spüren. Denn ich konnte nicht mehr lange auf der Stelle treten, wie ich es so lange getan hatte.
Jedoch beugte ich mich nicht zu ihr hinunter. Vielleicht machte ich etwas kaputt, womöglich empfand sie nicht so wie ich.
Die Blondhaarige hatte meine Geschichte wahrscheinlich gut aufgenommen. Sie sagte nichts oder versuchte einen tieferen Sinn aus meiner Erzählung zu finden. Sie blieb still und schwieg.
Gegebenenfalls dachte sie darüber nach. Vielleicht war sie auch froh darüber, dass ich von einem kleinen Teil aus meinem Leben erzählte, dass ich mich Stück für Stück ihr öffnete.
,,Und bei dir?" Mich interessierte das, was sie dachte. Ich wollte sie genauso gut kennenlernen, wie sie es bei mir wollte.
Sie setzte kurz zum Sprechen an, dann ruderte sie zurück. Etwas hielt sie auf.
Ihr Blick richtete sich wieder geradeaus. Sie legte ihre Sätze zurecht.
,,Früher war ich auf einem Kindergeburtstag. Es gab echt viel Kuchen und Kekse. Meine damalige Freundin bekam viele Geschenke und danach spielten wir Spiele miteinander. Es war ein echt schöner Tag."
Eine kurze Stille trat zwischen uns.
,,Das war die einzig normale Geburtstagsfeier, die ich in meinem Leben hatte." Man konnte ihr ansehen, was für eine Überwindung es sie kostete es auszusprechen.
Ich kannte das Gefühl. Es gestaltete sich als schwierig aus der Blase der Oberschicht zu gelangen. Ich war nur auf Partys gewesen mit mindestens fünfzig Gästen. Die Gastgeber hatten keine Zeit, um sich zu unterhalten. Auf den Feiern heute waren wir meist allein.
Ein dunkler Schleier legte sich über Eloises Augen. Das Strahlen erlosch.
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