FÜNFUNDZWANZIG
Vor einem Jahr
Manche warten ihr ganzes Leben auf diesen Tag.
Ich kannte genug Mädchen in meinem Alter und noch jünger, die sehnlich auf ihre Hochzeit warteten. Es war ein Augenblick in ihrem Leben, auf den sie perfekt vorbereitet sein wollten. Sie wussten welches Kleid sie trugen und den passenden Schmuck. Das Make-up und die Schuhe mussten stimmen.
Vor wenigen Jahren fokussierte ich mich genauso wie die Mädchen auf diesen Tag. Ich dachte, dass so mein Leben von meinem PArtner vervollständigt wurde. Dass ich so glücklich wurde, setzte ich mir voraus. Mittlerweile wusste ich nicht einmal, ob ich heiraten wollte. Vielleicht ein Freund hier und da, aber mich festlegen? Mein Leben jemanden schenken? Der Gedanke war mir zu viel.
Dass das Leben der Braut heute vollkommen war, war mir gleich. Denn ich kannte sie zu wenig, um mich mit ihr freuen zu können.
Ich nahm nicht die Einladung an für die Trauung, sondern für Kuchen und Jungs. Unter zweihundert Gästen traf man auf viele von ihnen. Mehrere von ihnen waren im selben Jahrgang wie Eloise und ich.
Mein Blick wanderten über die Mengen von Gästen. Ein blonder Schönling fiel mir ins Auge. Sollte ich ihn ansprechen? Vielleicht fand er auch Interesse an mir. Die Vorstellung scheuchte Schmetterlinge in meinem Bauch auf. Jemand der sich für mich interessierte? Jemand, den ich kaum kannte? Ja, das klang ganz nach meinen Typen.
Außerdem trennte ich mich fast von Remi. Ich gab mir ein paar Tage, dann war es vorbei. Denn mir fehlte die Zeit meine Gedanken recht zu ordnen. Ihm unser Ende zu prophezeihen, fiel mir schwer. Doch es war eine rote Flagge, dass ich mich außer ihm noch anderen Jungs Interesse zeigte.
Wenn ich es in einer Woche abhakte, dann musste ich auf unsere Beziehung keine Rücksicht nehmen. Niemals würde er davon erfahren.
Mit einem schiefen Grinsen auf den Lippen stolzierte ich auf den Schönling zu. Von Nahem sah er aus wie Prince Charming, bloß in blond. Seine hellblauen Augen nahmen ihren Weg von meinen Augen zu meinen Lippen. Ein Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln.
Wir warfen Phrasen einander zu. Wir malten mit Wörtern Bilder in unsere Köpfe.
Meine Lippen verharrten in einem Dauer-Grinsen. Schon seit langer Zeit hatte ich nicht mehr einen solchen Spaß gehabt. Das Wortgefecht. Die spitzen Bemerkungen. Das Spiel, das wir spielten. Dass wir uns auf dünnem Eis befinden und es jederzeit unter der Last unserer fehlenden Ernsthaftigkeit zusammenbrach. Wir beide meinten es, aber keiner sprach es aus.
Nach einer Weile begegnte uns eine Kopie von dem Blondhaarigen. Sein Zwilling. Der riss ihn von mir weg und das Vergnügen schwand.
Unter den vielen hundert Leuten auf der Tanzfläche fühlte ich mich einsam. Jeder besaß einen Partner und ich stand ohne jegliche Bewegung am Rande.
Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, machte ich mich auf den Weg ein weiteres Getränk für mich zu besorgen. Ich hatte bereits mehrere Longdrinks gehabt und mich zwischendurch mit Wasser abgekühlt.
Der Barkeeper blinzelte mir zu und ich grinste zurück. Ich wusste nicht, was er in mein Glas gemischt hatte. Hauptsache es war süß und hochprozentig. Der Alkohol war pappig und vollgesogen mit künstlicher Kirsche.
Ich warf meinen Kopf zurück und schüttete das Getränk meinen Rachen hinunter.
Mir fiel es so viel leichter mich zu entspannen. Remi war nur eine Randnotiz in meinem Kopf. Ich musste mir keine Sorgen mehr machen, ob ich richtig handelte.
Aus dem Nebel meiner Gedanken riss mich Eloise, als sie mich fest an meinem Handegelenk zog. Ihr Griff war fest und sie umklammerte wortwörtlich meine Hand. Ich wusste nicht wohin sie mich brachte, nur dass es Ärger geben wird.
Mit einem Knallen zog sie die Tür der Toilette zu. Alle Kabinen waren geöffnet. Niemand hörte uns.
,,Du siehst grauenvoll aus.", meinte Eloise.
,,Danke auch. Kennst du den Blonden?"
,,Ja, ich habe zufällig auch seine Nummer. Du solltest nüchtern bleiben. Bist du überhaupt noch hier?"
,,Ach echt? Schickst du mir seine Nummer?"
,,Nein, nicht jetzt."
Fragen tropften aus meinem Mund auf Eloise herab. Sie antwortete einsilbig und wenn ihre Antworten länger aus fielen, dann schwebte ihre Wut auf mich mit.
Warum war sie so plötzlich sauer auf mich? Ich verhielt mich so wie ich es immer tat. Obwohl nein, normalerweise schüttete ich mich nicht mit solch einem Maße voll.
Am liebsten wollte ich heulen. Den Grund wusste ich selbst nicht.
,,Du kannst dich glücklich schätzen, dass nicht allzu viele Gäste dich gesehen haben. Trotzdem sollten wir in unsere Zimmer gehen."
,,Wartet der Blonde noch?"
,,Nein, ich habe ihn weggesschickt."
Eine Welle von Bedauern schwabbte über mich. Er wartete nicht auf mich. Hat er Eloise Widerstand geleistet? Warum hatte sie ein solche Entscheidung zu treffen? Sie sollte mich nicht bemuttern. Warum freute sie sich nicht mit mir?
Eloise seufzte. Mitleid war in ihr Gesicht gechrieben. Trotzdem glaubte ich nicht, dass es ihr wirklich leid tat. Er könnte ein potenzieller Freund sein.
,,Du gönnst mir kein Glück.", stieß ich hervor.
Mein Kopf war vernebelt. Meine Gedanken flogen an einem Band vor meinem inneren Auge vorbei. Ich sah sie nicht. Hören konnte ich sie auch nicht. Zu ihnen durchzudirngen kostete Kraft.
,,Ich vergönne dir alles, aber findest du die Sitaution nicht selbst komisch?"
Ich verstand ihre Worte nur zur Hälfte. Sie bahnten sich einen Weg in mein Gedächtnis. Jedoch überlegte ich einige Sekunden, bevor ich ihre Frage verstand.
Eloise redete weiter auf mich ein. Aus ihrer Stimme war Enttäuschung und Wut zu hören. Irgendetwas musste ich falsch gemacht haben. Stand sie auf den Blonden? Eloise würde Aspen nicht so einfach aufgeben.
,,Fotografen plus Presse sind da. Sie werden dich in der Luft zerfleischen bei jedem Schritt, den du machst. Du kannst sofort als Alkoholikerin abgestempelt werden."
,,Warum betrifft mich das?"
Ich hatte Eloise auf ihre Spitze getrieben. Ich sah ihr an, wie die keimende Wut zu einem Feuer aufloderte.
,,Es geht um deine Familie. Deine Würde und deinen Ruf. Du wirfst das nicht einfach weg."
Allmählich sickerte sie zu mir durch. Erneut war ich kurz vorm Weinen. Dass der Alkohol mich emotional machte, wusste ich. Aber derart?
.,Deine einzige Aufgabe für den übrigend Abend ist, ist nüchtern bleiben."
Meine Mitbewohnerin drückte mich kurz in eine Umarmung, dann lächelte sie mir aufmunternd zu. Dass sie ich noch auf die Party ließ, verwunderte mich. Normalerweise wären wir zurük ins Hotel gegangen.
Gedanken huschten an mir vorbei. Keinen konnte ich fassen bekommen. Sie entrissen sich mir. In meinem Kopf gewann Verwirrung Oberhand. Die Welt nahm einen zu schnellen Lauf vor meinem Auge. Alles zu schnell, zu eilig.
Die darauffolgenden Worte Eloises erschlossen sich mir nicht. Sie verschwammen vor mir.
+++
Trunkenheit und der einhergehende Scham erfüllten mich ab dem Moment an dem ich meine Augen öffnete. Meine Haut war ölig und ich war noch vom Vorabend geschminkt. Der bittere Geschmack von Alkohol klebte in meinem Mund. Zähne hatte ich wohl auch nicht geputzt. Ich spürte Abscheu vor mir. Mein Eindruck auf die Außenwelt war nicht erwünschenswert.
Eloise, die voll bekleidet hatte und sich herrichtete, stand vor dem Bett, das wir uns teilten. Wir sparten an allem Möglichen.
,,Du hättest aufpassen müssen. Ich werde niemanden etwas erzählen, aber versuch nächstes Mal weniger zu trinken."
Gestern wäre eine bittere Bemerkung über meine gespaltene Zunge geflossen. Das Gift meiner Worte nahm Eloise ohne böser Ahnung ein. Sie würde davon heilen, aber eine Narbe blieb dennoch.
,,Ich hoffe, dass du verstehst was ich meine." Sie unterbrach ihre undurchschaubare Miene nicht für einen Moment. Ihre Stimme verriet sie.
,,Natürlich."
Sie gab sich nicht damit zufrieden, aber setzte nichts bei.
Eloise reagierte empfindlicher als sonst. Gestern Nacht passierte etwas, an das ich mich nicht mehr erinnerte. Konnte sie mich nicht über die Geschehnisse informieren? Sie machte es mir keineswegs einfach.
Die Erinnerungen kamen zurück. Vage, aber sie waren da. Ein Konstrukt bildete sich, dass sich mit den Erklärungen von Eloise zusammen setzte.
,,Du hast dich an meinen Cousin gemacht. Der Blonde auf den du so scharf bist."
Ich erwiderte nichts, ließ sie ausreden.
,,Ihm wurde das zu viel und hatte mich gesucht. Du bliebst nicht nüchtern, wie du es versprochen hast."
Der Gedanke daran, dass ich etwas von ihrem Cousin wollte, widerte mich an. Er war nicht unattraktiv, aber die Vorstellung war seltsam. Im Gegensatz zu gestern abend konnte ich mich nicht mehr mit ihm vorstellen. Eine Hürde stand zwischen uns.
,,Ich hoffe, dass es dir jetzt einigermaßen gut geht.", wünschte mir Eloise.
,,Ja, alles bestens."
Die Stimmung zwiscrehn uns verkrampfte sich immer weiter. Eloise verschränkte ihre Arme vor der Brust und schaute aus dem Fenster. Ich las aus ihren Augen, dass sie eine Diskussion mit sich selbst führte.
Es war mir recht, wenn ich nicht wusste, was sie über mich dachte.
,,Ich habe dich bevor jemand kam, weggebracht."
Erwartete sie von mir Dankbarkeit? Sollte ich mich dafür bedanken, dass sie sich um mich sorgte? Es war das Minimum was sie hätte tun können. Immerhin stand man einer Freundin bei in einem solchen Zustand. Es war selbstverständlich und Eloise wollte Dank? Den bekam sie nicht von mir.
Dennoch blieb der Hass auf mich selbst. Eloise bewahrte mich vor weiteren Peinlichkeiten und ich bedankte mich nicht? Ich saß zwischen zwei Stühlen. Zum einen musste ich mich nicht sie mit Dank zollen, da sie das Mindeste getan hatte. Zum anderen hätte mir an dem Abend sonst niemand gehlfen, wenn sie nicht da wäre.
Die Nacht hätte einen ganz anderen Lauf genommen, wenn ich nüchtern geblieben wäre.
Kopfschmerzen hämmerten an meinen Kopf. Sie nahemen mir meine Gedanken und verwuschen sie mit dem Schmerz. Ich wünschte mir den Pein weg und mehr schwebte auch nicht in in mir. Ich richtete mich im Bett auf. Meine Glieder schmerzten mit jeden Zentimeter mit dem ich mich nach oben zog.
Meine Atmung ging rasch. Mit jedem Atemzug schaubte ich auf. Meine Glieder gossen sich wieder dem Laken unter mir an. Umso mehr konnte ich mir ausmalen, wie sehr es schmerzte, wenn ich mich ein weiteres Mal aufrichtete.
Eloise stellte Tee neben mir unter einem Stapel Zeitung ab. Als ich die TAsse anhob, um zu trinken, tropfte am Rande der Tasse die Flüssigkeit auf die Zeitung. Ein Ring hatte sich auf dem Papier gebildet.
Ich versuchte die Wörter unter den Teeflecken zu entziffern, aber ich gab schnell auf.
Meine Mitbewohnerin verließ das Zimmer, ohne sich von mir zu verabschieden. Ja, ich hatte mir mehr von ihr erwartet. Zum Beispiel könnte sie mich anlächeln oder ein wenig mehr mit mir sprechen. Sie bemühte sich kein bisschen um mich. Zwar war ich diejenige von uns, die verkartert im Bett lag, aber leistete sie keinen Beistand?
Offensichtlich war sie wütend auf mich. Ich wusste nicht warum und ich wollte es auch nicht erforschen. Wenn sie mir etwas zu sagen hatte, dann müsste sie es mir ins Gesicht sagen. War es ihr Cousin? Oder hatte ich sie am Vorabend beschimpft?
Panik überrollte mich. Vielleicht beleidigte ich sie auf das Härteste oder machte sie nieder.
Schon nach wenigen Minuten nickte ich wieder ein. Der Schlaf war traumlos. Keine Bilder tanzten in meinem Kopf, nur eine benommene Leere. Der Alkohol in meinem Mund nahm einen fauligen Geschmack an. Ich wollte meinen Mund ausspülen, doch meine Glieder waren zu schwach und ich zu faul.
Jemand riss mich aus meinem Schlaf. Ich drehte meinen Kopf zu dem Wecker auf dem Nachttisch. Zwei Stunden waren vergangen seitdem ich wach war. Den Schlaf, den ich erhaschte, fühlte sich kurz an. Als ich wieder aufwachte, spürte ich nichts von der Erholung. Kein Fünkchen Energie gab sich zum Erkennen.
Ein fremdes Mädchen hatte sanft an mir gerüttelt. Ihre schwarzen zu einem Bob geschnittenen Haare fielen wirr in ihr Gesicht. Ich dachte, dass ich sie schon einmal gesehen hatte, jedoch hatten viele eine ähnliche Visage. Dieselbe Gesichtsstruktur hatte ich bestimmt schon einmal gesehen. Ich irrte mich.
,,Hi, ich bin Valerie.", stellte sie sich vor.
Sie warf mir ein flüchtiges Lächeln zu. Ihre Hände hatte sie im Schoß zusammen gefaltet. Sie trug ein Satinkleid mit einem Wasserfallausschnitt. Zwischen ihren Schlüsselbeinen ruhte ein Anhänger. Gold mit einem einkravierten V.
Obwohl ich sie kaum kannte, vertraute ich ihr. Ihre Ausstrahlung erleuchtete den Raum. Das Glitzern in ihren Augen und das breite Lächeln, das auf ihren Lippen lag.
,,Imogen."
,,Es freut mich dich kennenzulernen, aber wir kennen uns bereits."
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