ELF
Sie ignorierte mich, als hätte sie jemanden neuen gefunden.
Ich wollte nicht derjenige sein, der sich zum Idioten machte und an ihr Interesse zeigte. Denn ich fand es von ihr verdammt unfair, denn es war keinesfalls gerechtfertigt. Was hatte ich getan, dass ich eine solche Strafe bekam? Das konnte sie nicht einfach so machen. Oder hatte ich etwas falsch gemacht? Hatte ich sie aus Versehen verletzt und sie hatte aus Höflichkeit nichts gesagt? Verdiente ich diese Bestrafung?
Eloise war mir nichts schuldig. Wir waren nicht einmal Freunde. Sie konnte tun und lassen, was sie wollte und mich sollte das nicht so sehr belasten. Aber das tat es. Warum musste sich das von einen Tag auf den anderen ändern?
Hätte ich mich wundern sollen, was sie gemacht hatte, als sie die Bibliothek verließ? Womöglich oblag ich ihr sie zu fragen. Doch ich würde es bereuen, wenn ich ihr zu aufdringlich kam und sie nach privaten Dingen fragte. Außerdem musste ich nicht ihre Gedanken lesen oder deuten. Wenn sie gescheit kommunizieren könnte, dann könnte ich ihr auch helfen. Aber nein, sie verpflichtete mich ihre Bedürfnisse zu erraten, da war ihr bestimmt auch klar, dass ich ihr nicht helfen konnte.
Oder schnitt sie mich nun so stark ab, weil sie einen Freund hatte? Dachte sie, dass ich etwas von ihr wollte? Denn das konnte sie sich aus dem Kopf schlagen. Sie war nett und freundlich, aber mehr war da auch nicht. Nichts, was sie besonders attraktiv machte.
Jedoch wäre es schön, wenn ich mit ihr befreundet wäre. Sie war sicher eine gute Freundin, aber einfach so? Ich machte dieses Jahr meinen Abschluss und dann werde ich den Großteil meines Jahrgangs sowieso nie wieder sehen, also warum sollte ich zu Ende noch Freunde suchen?
Außerdem könnten wir keine Freunde werden, wenn sie mich ständig ignorierte. Doch ihr Privatleben war interessant. Immerhin stellte ich mir es so vor. Sie kam aus keiner Adelslinie, was sie in gewisser Maßen schon zu etwas besonderen machte. Denn die meisten Schüler aus dem Internat stammen von irgendwelchen no-name Adligen ab.
Wenn Eloise sich mich nicht für mich interessierte, dann konnte ich daran auch nichts ändern. Sie gab mir bewusst einen Korb, um mich fernzuhalten. Insgesamt war die ganze Situation ein kompletter Reinfall. Warum hatte ich mir anfangs überhaupt Gedanken über uns gemacht? In den kommenden drei Monaten konnte man nicht etwas aufbauen, nicht wenn man danach zu verschiedenen Universitäten ging.
Ich brauchte dringend Ablenkung von Eloise. Sie wollte keinen Kontakt und ich musste das akzeptieren, aber die Hoffnung für uns beide blieb.
Jeden Tag konnte ich auch nicht bei Coy herumhängen und nach ihm schauen. Erstens hatten wir uns an manchen Tagen einfach nichts zu sagen und zweitens würde er mir von Victoria erzählen und wie unglaublich großartig deren gemeinsame Beziehung war.
Außerdem nahm Vicky ihn wie ihr Besitz ein und er war kaum ansprechbar in ihrer Gegenwart, da sie ihm den Mund verbat.
Ich konnte die Tage zählen, bis sie zusammen waren. Denn es war sowas von garantiert, dass die beiden ein Paar wurden und Eloise und ich nicht mehr die Deckung für die beiden spielen mussten. Obwohl der Abend mit Eloise war schön, doch das hatte sich längst durch ihre Ignoranz erledigte. Sie konnte sich selbst überlegen, wie wieder in meine Nähe kam. Das wird sie sicher nicht durch ihr Desinteresse.
Wen gab es noch, der mich einigermaßen ablenken konnte. Kirk war laut Eloise genug mit Mabel beschäftigt. Es war klar, dass ihn das Ganze beschäftigte, aber er könnte auch Ablenkung gebrauchen. Warum sollte ich auf Eloises Worte hören, wenn sie nicht mehr war als nur eine einfache Mitschülerin?
Gelangweilt trat ich aus meiner Tür und suchte nach einer Beschäftigung. Natürlich war ich genug beschäftigt mit der Schule und musste ziemlich viel lernen, aber ich hatte schlicht und einfach keine Motivation mehr. Zwar wusste ich, dass ich so meine Aufgaben anhäufte, aber es war mir in diesem Moment egal.
Remi lief mir über den Weg und schloss sich mir an. Eigentlich wollte ich Gesellschaft, aber nicht von ihn. Unsere Interessen lagen Meilen auseinander. Wir konnten uns an keinem Punkt treffen, bei dem wir uns einig waren.
Er schloss sich mir direkt an und folgte mir durch das ganze Wohnhaus. Das war verdammt gruselig. Vor allem, wenn man bedachte, dass er die ganze Zeit kaum etwas sagte. Erst im Erdgeschoss kam ein Satz über seine Lippen.
,,Bist du bereits fertig mit Lernen?"
Er hätte mir alles fragen können. Augenblicklich war ich genervt von seiner Frage, weil wenn sich Leute an meinem Lernprozess erkundigten, wollten sie etwas von mir. Und wenn er mich nach einer meiner Zusammenfassungen fragte, dann werde ich gar nicht antworten. Remi war nicht der Typ dazu sich ein paar Stunden zu konzentrieren. Wie konnte man nur mit jemanden befreundet sein, der keinen Schimmer von Motivation in jeder Lebenslage in seinem Leben hatte? Remi gehörte zu den Menschen, bei denen die eigene Produktivität schwand.
,,Nein, noch nicht." Ich sagte die Wahrheit. Jedoch hielt ich meine Antwort so kurz wie möglich, denn einem ernsthaften Gespräch mit ihm wollte ich aus dem Weg gehen.
,,Wie du bereits gesagt hast, muss ich nun unbedingt weiterlernen.", verabschiedete ich mich. Ich presste ein Lächeln hervor, dann nahm ich mit weiten Schritten die Stufen der Treppe in mein Zimmer.
Ich war froh, dass ich etwas gesagt hatte. Ansonsten hätte Remi mich für den ganzen Nachmittag eingespannt und dafür hatte ich tatsächlich keine Zeit. Außerdem wollte ich mir auch nicht die Zeit für ihn machen. Remi war nämlich nur einer unter meinen vielen Mitschülern. Da hatte ich ehrlich keine Lust darauf mich um ihn auch noch zu kümmern. Abgesehen davon war es nicht meine Pflicht jeden zu bespaßen, der gelangweilt ist.
Ich scrollte durch meine Kontakte und entdeckte die Nummer meiner großen Schwester. Aeryn und ich telefonierten ziemlich selten, denn wir beide hatten kaum Zeit, noch Lust. Meine große Abneigung zu Telefonaten war auch ihr bekannt, deswegen textete sie mir nur einmal im Monat.
Mittlerweile studierte sie in Edinburgh Pharmazie. Mir war ihr Leben eigentlich relativ gleich. Wenn man sich nur paar Mal im Jahr sah, dann hielt sich das Interesse in Grenzen. So war es auch bei uns beiden. Es lag nicht an ihr oder mir, aber wir hatten uns einfach aus den Augen verloren. Vielleicht war deswegen ein Anruf schon längst überfällig.
Sie nahm nicht sofort ab, was mich etwas verunsicherte. Wollte sie einem Gespräch mit mir aus dem Weg gehen? Oder war sie beschäftigt mit ihrer Freundin?
Am anderen Ende erklang ihre Glockenhelle Stimme. ,,Hi, Aspen. Ich habe lange nichts mehr von dir gehört."
Das war genau der Grund, warum ich mich zu einem Anruf zwang. Ich wollte nicht später von mir behaupten, dass ich wie ein Einzelkind aufgewachsen war.
Meist an Feiertagen fuhr ich nach Hause und besuchte an diesen Tagen meine Eltern. Es war nur ein Tag und mehr nicht. Es kümmerte nicht wirklich, was wir an diesen Tagen machten. Hauptsache war, dass ich meinen Eltern Dankbarkeit zeigte. Denn es war nicht einfach gewesen mich in das Internat zu bekommen. Das lag vor allem daran, dass Aeryns Studium bereits ab diesem Zeitpunkt bezahlt wurde. Sie war auch mir wichtig, so war es nicht, aber manchmal glaubte ich, dass sie eindeutig bevorzugt wurde. Jedenfalls stand die Bewunderung meiner Eltern deutlich auf ihrer Seite.
Doch Aeryn hatte andere Gründe als ich nicht zu uns nach Hause zu kommen. Unsere Großeltern, die an Feiertagen eingeladen waren, akzeptierten Aeryn nicht oder es endete immer in einer riesigen Diskussion, dass sie nur unter dem Jahr zu unseren Eltern fuhr und ich sie nie treffen konnte. Es tat mir leid. Ich hätte ihr ein besseres Verhältnis mit unseren Großeltern gewünscht. Denn in Kindheitsjahren verbrachten wir jede Ferien bei ihnen und seitdem sie sich geoutet war, wurde sie nicht mehr eingeladen. Und aus Rücksicht zu meiner Schwester besuchte ich unsere Großeltern nicht mehr.
,,Hi, Aeryn. Ich dachte, dass ich mich melden sollte.", antwortete ich ihr.
,,Oh, das freut mich echt! Ich habe es ganz vergessen mal wieder anzurufen.", entschuldigte sie sich.
Ich hörte, wie sie ihr Mikrofon zudeckte, um jemanden zu antworten.
,,Wenn du gerade nicht kannst, dann ist das vollkommen in Ordnung.", erklärte ich ihr.
,,Nein, alles in Ordnung. Hast du in letzter Zeit etwas von Mum und Dad gehört? Ich war lange nicht mehr in Kontakt mit ihnen."
,,Leider hatte ich von ihnen auch nichts gehört."
Eine Stille entstand zwischen uns beiden. Ich räusperte mich, um wenigstens irgendetwas von mir abzugeben.
Für ein paar wenige Minuten führten wir Smalltalk über ihr Studium und ihrer Beziehung Wie es zu erwarten war, lief ihr Leben perfekt ab. Sie klang nicht so, als hätte sie irgendwo Probleme. Während sie sich bei mir stapelten.
,,Hast du eigentlich etwas mit jemanden?", fragte sie mich vollkommen unerwartet.
Dachte sie wirklich, dass ich ihr darauf antworten werde? Schließlich hatte sie sich noch nie wirklich dafür interessiert. Außerdem fragten wir uns so etwas eher selten.
Ich musste etwas sagen. Denn in der Zwischenzeit entstand eine viel zu lange Pause zwischen der Frage und der Antwort.
,,Nein, es gibt niemanden, den du kennenlernen musst." Meine Stimme wurde immer dünner und ich wünschte mich aus der Situation heraus.
Aeryn gab ein belustigtes Schnauben von sich, was so viel bedeutete, dass sie mir nicht glaubte. Aber hatte sie auch etwas Ehrliches erwarten können?
,,Ich komme dich einmal in Arklow besuchen. Da kannst du mir die oder denjenigen vorstellen." Sie kicherte in ihr Mikrophon.
Umso mehr erinnerte ich mich zurück an all die warmen Sommertage, die wir als Kinder auf der Terrasse mit Zitronen-Limonade verbracht hatten. Dann ging Aeryn ins Internat und ich war komplett einsam in unserem großen Elternhause.
,,Ich vermisse es ans Internat zu gehen. Das war wahrscheinlich die beste Zeit meines Lebens. Leider gehst du schon dieses Jahr, ansonsten hätte ich echt tolle Ideen für dich und deine geheime Freundin.", setzte sie bei.
Ich hatte keine geheime Freundin. Womöglich war ihr immer noch nicht aufgefallen, dass meine Schulzeit nicht so aufregend wir ihre ablief. Doch ich werde sie nicht mit meinen finsteren Gedanken zu den letzten Jahren belästigen.
Warum konnte ich nicht das Leben von ihr haben? Sie hatte es schon immer gut und schön gehabt. Im Gegensatz zu mir musste sie keine heißen Sommer allein verbringen. Im Gegensatz zu mir wurde ihr nicht der Druck einer ganzen Familie aufgezwungen. Denn, obwohl ich der Jüngste war, musste ich die Erfolgskarriere der Familie durchziehen.
Mit Aeryn konnte man immer locker umgehen. Denn in allem, was sie tat, war sie keine Enttäuschung. Und in jeder Lebenslage, in der ich war, sagte man mir, dass ich von meiner großen Schwester lernen sollte.
Sie war ein geborenes Vorbild. Sie hatte alles im Griff. Während in meinem Leben Mitschüler starben und ich nicht einmal fähig war eine Konversation anzufangen. Warum konnte sie so aufgeschlossen sein und ich nicht?
Ein kleinwenig hasste ich sie dafür, dass sie so vorbildlich war.
Ich verabschiedete mich, dann lag ich auf.
Dieses Mal wusste ich, wohin ich gehen musste. Denn es gab einen Menschen in meinem Leben für den ich das absolute Vorbild war und nicht Aeryn oder eine andere Person aus meiner Verwandtschaft.
IM Sekretariat fragte ich nach einer Bescheinigung, dass ich am Montag ganztägig entschuldigt war. Mir war bewusst, dass ich mir somit noch viel mehr Stoff zum Lernen aufband, aber vielleicht konnte er mir helfen. Derjenige, der verstoßen von der Familie Bloom war. Die Freundschaft zwischen uns beiden war die, die am frühesten zerbrach.
Die Sekretärin bestätigt mir meine Abwesenheit und damit konnte ich den ganzen Montag komplett planen, ohne dass ich von schulischen Aktivitäten unterbrochen wurde.
In meinem Zimmer klappte ich meinen Laptop auf und suchte nach Flügen, die bereits Montag-Morgen nach Dublin flogen. Ich brauchte dringend Ablenkung und ein paar Recherchen würden mir nutzen.
Denn vielleicht konnte er mir Fragen gegenüber Imogens Tod beantworten und vielleicht wusste er, wie ich an die persönliche Information von Victoria Hearst komme. Denn vielleicht war sie der Schlüssel zu Imogens Tod und womöglich führten Details über sie zu den nächsten Morden.
Oder sie war die Mörderin.
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