EINUNDDREIßIG
Vor einem Jahr
Als wäre ich eine Hofdame wartete ich im Rosengarten.
Gerüche und Aromen von den gepflanzten Rosen und Lavendelbüschen strömen ein, fanden Halt in mir und setzten sich dort ab. Sie verwirrten meine Sinne, brachten mich zum Schweigen. Der Himmel verdeckten keine Wolken. Sonne strahlte auf uns herab, kitzelte auf meinem Gesicht und läutete den Sommer ein.
Mein Herz schlug schnell in meiner Brust, mein Torso bewegte sich auf und ab. Meine Augen huschten durch das Labyrinth der Blumen. Valerie lugte unter keiner der Rosenblätter oder in Form geschnittenen Buchsbüschen hervor.
Die Cunninghams mieteten das Schloss für das Wochenende. Mein Konto würde darunter leiden, aber vielleicht zahlten die Schwiegereltern auch einen Anteil. Die Anlage wurde hergerichtet. Schnörkeln wandten sich um die Balkonstäbe und über den Fensterrahmen. In den Stein haute man Fragmente, Muster seiner Zeit.
Ich fühlte mich, als hätte man mich mehrere Jahre zurückversetzt in eine Zeit in der ich noch nicht existierte.
Das Schloss befand sich mitten auf dem Land. Zwei Stunden vom Internat entfernt. Wenn man einen Blick hinter die kunstvoll geschnittenen Buchsbäume werfen konnte, dann erstreckten sich grüne Felder bis zum Horizont.
Trotz dem riesigen Schlosses erlegte der Garten nur eine kleine Fläche. Dennoch sorgten die Bögen, die von Efeu umsäumt wurden und die Blumenkübel, die unter jedem Tisch auffindbar waren, für die verträumte Stimmung.
Der Braut musste ihre Hochzeit gefallen, wenn sie mit ihrem weißen, mit Spitze besetzten Kleid durch die Bögen schwebte.
Ich schlenderte über den Kiesweg, glaubte, dass Valerie nicht mehr auftauchen wird.
Hinter einem der dunkelgrünen Buchsbäume hörte ich ein Rascheln. Hinter einem solchen Ungetüm, das die Form eines Schwans haben sollte, verbarg sich Valerie.
Filme von Schweiß bildeten sich auf meinen Händen und trotz dem wiederholten abstreifen meiner Hände bildete es sich nach wenigen Sekunden nach. Bevor ich in mein Kleid Falten legte, verschränkte ich meine Arme vor dem Brustkorb. Ich zitterte. Mein Körper schüttelte sich mehrere Male, als sei ich krank. Das Kleid war zu kurz für einen kalten Sommertag. Ich hätte mir etwas überwerfen sollen.
Womöglich besaß Valerie das Kuvert. Vielleicht entwendete ich es von ihr, wenn sie es brauchte. Sie wird es zurückfordern. Ich musste Büße zahlen. Und wofür? Dass ich mir angebliche Lösungen für Französisch besorgte, war nicht gerade moralisch korrekt von mir. Wie hätte ich wissen können, dass ich zu einem solchen Inhalt verleitet wurde.
,,Was hast du mit dem Kuvert gemacht?" Valerie und ich hatten erst vor kurzen Kontakt geknüpft, daher kannte ich sie noch nicht lange. Was für eine Antwort erwartete sie von mir?
Wenn ihr der Inhalt des Kuverts wichtig war und sie ihn brauchte, dann hatte ich in bereits unwiderruflich zerstört. Mit der lodernden Flamme zerstörte ich all die Beweismaterialien, die Valerie zur Verfügung standen.
Hätte ich länger beim Friedhof warten sollen? Niemand würde meine Schreie hören, wenn sie mir ein Messer ins Herz rammte. Es gab keine Zeugen, niemand, der eine Straftat bezeugen könnte. Leidlich verblutete ich auf dem englischen Rasen, während ich keine Luft holen konnte, da das Rosenaroma meine Sinne betäubte.
,,Was hast du mit dem Kuvert gemacht?"
Ich wägte die Frage ab, suchte nach einer Antwort, die mich sicher aus der Situation trug.
Schließlich entschied ich mich dazu wahrheitsgemäß zu antworten. Valerie zu hintergehen und sie zu belügen, fühlte sich falsch an.
Vielleicht stellte sie mit mir keine obszönen Dinge an, wenn ich die Wahrheit sagte.
Geriet ich in ein Geschäft einer Geheimorganisation? War Valerie etwas wie eine Agentin? Sie kreuzte plötzlich auf, tauchte in mein Leben ein und suchte nach Umschlägen mit bizarren Inhalten.
,,Die Unterlagen habe ich verbrannt. Die CD in der Mitte zerbrochen."
Die Worte kamen mir leicht über die Lippen. Ich musste nicht lange überlegen. Dennoch wusste ich nicht, ob es eine richtige Entscheidung war. Verurteilte sie mich am Ende noch dafür? Dass ich mich einer Herausforderung nicht selbst stellte, verfremdete sich selbst von mir.
Womöglich beherrschte ich Abenteuer nicht so gut, wie ich es mir einbildete.
Valeries Gesicht fiel vor Erleichterung zusammen. Sie hob ihre Mundwinkel zu einem Lächeln. ,,Ich wollte nur sicherstellen, dass du Schutz findest."
,,Warum sollte ich von irgendetwas beschützt werden?"
,,Um deinen Namen wurden gefährliche Spiele getrieben. Du solltest weiterhin aufpassen. Niemanden sich nah genug an dich lassen.", erklärte sie mir.
Ich ratterte meine Gedanken herunter, suchte nach einem Fehler in ihrer Erklärung. Etwas, was für mich nicht ganz schlüssig war.
,,Und was ist mit den Fotos von meinen Mitschülern und mir?"
,,Ich kann dir nichts garantieren. Rede mit ihnen nicht darüber, verbreite keine unnötige Panik. Sie werden selbst ins Messer laufen, wenn sie zu viel wissen."
,,Wovon sollten sie nicht wissen?"
,,Dass sie etwa in einem Jahr sterben. Alle und der Mörder ist direkt unter euch."
Gänsehaut stellte sich auf meinen Armen auf. Konnte Valerie eine Mörderin sein? Nein, sie bemühte sich um mich, half mir aus meiner Situation. Außerdem traute ich ihr keinen Mord zu.
,,Es ist gut, dass du dich davon gelöst hast." Ihre Worte klangen sanft in meinen Ohren. Wie eine leise Melodie. Meine Atmung verlangsamte sich und meine Lider wurden schwerer.
Anscheinend schlief ich den Kater nicht ganz aus.
,,Woher weißt du, dass sie sterben? Was ist deine Quelle?"
,,Sie werden nicht sterben. Nicht, solange ich in ihrem Leben bin. In zwei Jahren sind sie nicht mehr von Relevanz."
,,Und wie kannst du bei so vielen gleichzeitig sein? Du kannst wohl kaum jeden in Not helfen."
Valerie schwieg. Sie wusste, dass sie nicht jeden vor ihren Tod schützen konnte. Ich hatte das Bedürfnis, die Opfer zu warnen, dass sie verschwinden sollen.
Ich schätzte Valerie um ihre Bemühungen. Wenn sie im nächsten Schuljahr bei uns sein wird, dann geriet niemand in Gefahr, oder?
Valerie war eine Wildfremde. Ich durfte ihr nicht jedes Wort glauben. Sie lockte mich in eine Falle. Ich würde eintreten und dann hatte sie mich.
Sie verlockte mich. Valerie zierte hübsches Aussehen und ein zutrauliches Lächeln. Darauf bedacht mich um den Finger zu wickeln.
,,Warum sollte ich dir trauen?"
,,Wenn du nicht Remi und auch nicht Eloise vertrauen kannst, wen bringst du dann Vertrauen entgegen?"
Sie schenkte mir keine Antwort auf meine Frage, ließ mich in der Schwebe hängen.
,,Freunde von mir planen die Morde."
,,Und du willst als die große Beschützerin hervortreten?", hakte ich nach.
Beleidigt verzog sie ihr Gesicht. Anscheinend hatte sie darauf nichts zu entgegnen. Die vielen Fragen, die in meinem Kopf kreisten, stellte ich ihr nicht, sie fand zu allem eine passende Antwort, um eine Mauer des Schweigens zu bauen.
Und obwohl ich an ihren Worten hing, ihre Lippen beim Bilden von Sätzen beobachtete, durfte ich nicht abgelenkt werden. Valerie brachte mich auf die falsche Bahn unserer Beziehung. Ich durfte ihr schlichtweg nicht blind vertrauen, egal wie sehr ich mich zu ihr hingezogen fühlte.
Werde ich bald sterben? Wollte Valerie mir meinen Tod prophezeihen? Verpackte sie ihn in ihren Worten, um mir es mit einem Lächeln auf den Lippen zu überreichen?
Ihre Aufgeschlossenheit meiner Fragen verwunderte mich. Sie konnte schweigen, ihre Freunde nicht verraten. Sie wollte uns retten, sich in Gefahr bringen.
Ihr Interesse dahinter begriff ich nicht ganz. Sie musste für sich selbst einstehen, an sich selbst glauben. Bestimmt setzte sie sich Ziele. Stand auf ihrer Bucket List ein Leben zu retten? Versuchte sie krampfhaft Listen abzuarbeiten?
Wie profitierte sie von meinem Leben?
,,Ich werde versuchen mich im kommenden Schuljahr ins Internat einzuschleusen. Es wird keine Opfer geben.", versicherte sie mir.
,,Wie kannst du dir dabei so sicher sein?"
,,Ich bin es nicht. Ich verlasse mich auf mein Timing."
Ihre Antwort stellte mich nicht zufrieden. Ich runzelte die Stirn. Sie vertraute auf das Risiko, glaubte, dass sie jeden retten kann.
Die wild gewordenen Gedanken, die wie Schmetterlinge aus einem Netz flohen, scheuchten auf, setzten sich auf mir fest.
Ich dachte an das erste Treffen zwischen uns wie sie auf meiner Bettdecke thronte und auf mich herab sah. Ihre Augen, die im Licht des frühen Nachmittags glitzerten.
Steckte Coy hinter den Morden? Fragte sie mich seinetwegen? Ist er der Mörder, der im Internat lungerte?
,,Hängen die Morde und Coy zusammen?"
,,ZU viel wissen ist gefährlich. Umso mehr du weißt, desto sicherer steht dein Tod bevor."
Ich setzte mich zurück in die Nacht, in der sich meine Tante in den Tod stürzte, sich freiwillig diesen Schmerzen aussetzte. Coy könnte mir das antun? Ein Freund von mir?
Ich wollte nicht zurück ins Internat, wenn dort mein Tod auf mich wartete.
Am liebsten hätte ich Valerie gezwungen ihr Wissen über Coy auszuspucken, damit ich mir ein volles Bild vorstellte. Den Zusammenhang zwischen den geschehenden Dingen realisierte. Er konnte der Schlüssel zu allem sein. Zu dem Umschlag mit all seinen sensiblen Inhalten und der CD mit den grausamen Bildern.
Noch immer verarbeite ich die Galerie, die ich auf meinen Laptop spielte. Sie entstand aus reiner Boshaftigkeit. Meinen Tod immer im Hinterkopf. Ich verfluchte all die Personen, die meine Informationen zusammen sammelte. Sie heuchelten mir etwas vor, damit sie meinen Tod sehen konnten.
,,Ich will nicht sterben." Meine Stimme klang kalt, hing zwischen den Sträuchern.
,,Du wirst nicht sterben. Nicht meinetwegen, ich kann dir nichts versprechen, aber ich will, dass du lebst."
Die Schmetterlinge zerfetzten sich in der Luft, hinterließen Leere. Ein warmes Gefühl kitzelte in meinem Inneren. Valerie interessierte sich für meine Existenz, sie wollte mein Überleben absichern. Die Todesangst ging neben der Wärme ein, verkroch sich in den Tiefen von mir.
,,Bist du dir sicher?" Meine Stimmbänder zitterten, stiegen in gefährliche Höhen.
,,Nein, wir alle könnten dabei sterben. Sie werden die geplanten Opfer nicht so einfach vergessen."
,,Wer sind sie?" Valeries folgende Antwort machte mir Angst. Sie konnte mich nicht auffangen, wenn ich fiel.
,,Die Täter werden ausgebildet. Lernen Informationen über ihre Opfer, dafür die Kuverts. Wissensdurstige Sadisten."
Meine Todesangst entfaltete sich wieder zu ihrer vollen Größe. Meine Panik wuchs, bannte sich einen Weg in meinen Körper.
Vor Valerie sank ich zu Boden, rollte mich zusammen. Ich war klein, unsichtbar und dennoch sichtbar für meine Mörder. Ich entfloh meinem Schicksal nicht.
,,Wir werden einen Weg finden. Wir beide zusammen. Jedoch können wir noch nicht zur Polizei gehen, die Beweislage ist nicht ausreichend."
Sie beugte sich zu mir herab, erhob mit ihrem beringten Zeigefinger mein Kinn.
,,Gemeinsam retten wir unsere Leben."
Sie lächelte mich an, Hoffnung schimmerte in ihren Augen. Dann der sanfte Druck auf meiner Stirn, als sich ihre Lippen von mir lösten.
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