DREIßIG
,,Ich bin nicht an Victoria interessiert."
Meine Miene verfinsterte sich. Eloises Unterstellung verletzte mich. Dass sie glaubte, dass jemand wie Vicky mein Typ wäre, versetzte mir einen Stich. Warum würde ich an ihrer Mitbewohnerin Interesse finden?
Eloise schnaubte auf. Sie musterte mich. Ihr Blick glitt an mir vorbei, als wäre ich für sie nicht mehr von Belang. Warum tat sie mir etwas Derartiges an? Wir sollten zusammenarbeiten. Wenn wir die letzten Zeugen von Mabel waren, dann durften wir uns nicht gegeneinander verschwören.
Dennoch brachte ich das Missverständnis zwischen uns auf. Wenn ich mir meine Fragen verkniffen hätte, dann wäre ich nicht in diese Notlage gekommen.
Wenn ich nur ein Wort über eine Erklärung verlor, dann musste ich im Zuge dessen ihr gestehen. Aussprechen, was seit Tagen meine Gedanken verschleiert. Ich öffnete selbst den Vorhang zu meinen Gedanken, gewährte ihr ein Stück meiner Gefühle.
Die Phrasen, die ich mir zurechtlegte, zergingen mir auf der Zunge. Die einstudierten Ausführungen zerschmolzen wie Schnee auf heißer Haut.
,,Ach wirklich?" Ihr Unterton war abfällig, machte mir klar, dass sie meinen Worten keinen Glauben schenkte.
,,Ja, wirklich. Ich sehe kein Problem darin. Außerdem geht es dich nichts an, wen ich Interesse schenke und wem nicht." Die Worte schälten sich wie weiche Butter mit einem heißen Messer geschnitten aus meinem Mund. Ich überlegte nicht, was ich sagte.
,,Verstehe. Und warum fragst du mich nach ihr? Ist sie dir so unwichtig?"
Für einen Bruchteil einer Sekunde erlosch das Feuer in ihren Augen. Ein Gefühl, das ich nicht deuten konnte, tauchte auf der Oberfläche ihrer Iris auf.
Ich hasste Eloise für ihre Verschwiegenheit.
Wie konnte ich sie in einem Moment so sehr wollen, dass es sie meinen Brustkorb zuschnürte und in der nächsten Sekunde wünschen, dass ich sie niemals kennengelernt hätte?
Sie kommunizierte nicht mit mir. Eloise teilte mir nichts Persönliches über sie mit.
Sie ist mir nicht so wichtig, wie du es mir bist.
,,Victoria ist mir nicht in solcher Art von Bedeutung."
,,Beweis es mir."
Ihre Augen wanderten herausfordernd zu mir hoch. Genuss bildete sich auf ihren Lippen. Diese presste sie zusammen, dann zupfte ein Grinsen an ihren Mundwinkeln.
Ich musterte ihr Gesicht, die Schönheit, die sie darin bewahrte, mir nicht zeigte, was hinter ihren Augen verbarg.
Ich wollte sie an den Armen nehmen und sie an mir spüren. Haut auf Haut. Ihre Finger, die sich in meinen Händen verhakten und ihr sinnliches Lächeln auf meinen Lippen. Ihr klirrendes Lächeln in meinen Ohren und ihre Worte, die mich erfüllten.
Meine Hände legten sich auf ihre Schultern, fanden Halt auf ihr.
,,Es gibt gerade Besseres zu tun.", raunte ich ihr zu.
Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen, sträubte sich meinen Gewissen zu beugen.
Sie nahm einen weiteren Schritt auf mich zu. Spürte ihren Blick, der über mein Gesicht flog.
Die Flammen ihrer Augen entpuppten sich zu einer Herausforderung, die es zu bestehen galt.
Begierde wich und löste sich hinter dem Schleier ihrer Belanglosigkeit.
,,Dann lass uns ein Leben retten.", flötete ihre Stimme.
Die Sehnsucht nach ihr verschwand hinter dem Vorhang. Das Stück beendeten ihre Worte.
Als wäre es für sie selbstverständlich griff sie mich an meinem Handgelenk und riss mich mit sich. Ich stolperte ihr hinterher. Die wachsende Energie in mir schrumpfte in sich zusammen, wollte unseren Moment vergessen.
Eloise stieß die Tür zur Bibliothek auf. Ihr Griff um mein Handgelenk lockerte sich. Ihre Fingerkuppen ließen einen bleibenden Abdruck auf meiner Haut.
Wie bereits am Vortag strichen ihre Fingerspitzen über die Buchrücken. Ihr Blick starr auf die Titel gerichtet. Schweigend lief ich neben ihr her.
Immer wieder ging ich unser Szenario im Kopf durch, suchte nach Details, die mir in diesen Moment nicht auffielen.
Strähnchen, die sich aus ihrer Frisur lösten, fielen in ihr Gesicht. Obwohl Eloise sie wieder und wieder hinters Ohr strich, führten sie ein Eigenleben und fanden einen Weg in ihr Sichtfeld.
Die Vorstellung, wie nah sie mir vorher war, raubte mir den Atem. Ich hätte mich nur wenige Zentimeter vorbeugen können, ihren Charme unterfallen und mich ihr ergeben können.
Sie blieb augenblicklich stehen und drehte sich zu mir um.
,,Was Wichtiges wolltest du mir vorher erzählen?"
Erst in diesem Augenblick bemerkte ich, dass ich sie unablässig beobachtete. Innerlich gab ich mir eine Ohrfeige für mein Verhalten. Es gab Dinge, auf die ich mich eher konzentrieren sollte.
Eloise blickte an mir vorbei, als würde etwas anderes ihre Konzentration nehmen. Ich folgte ihrem Blick, aber entdeckte nichts auf dem Gang hinter uns. Belauschte uns jemand? Erkundigte sich der Mörder, wie weit wir ihm folgten? Eloise drehte sich kein einziges Mal nochmal um, vielleicht bildete ich es mir nur ein.
,,Victoria existiert in Wirklichkeit nicht.", erklärte ich der Blondine.
,,Wie? Du meinst, sie hat eine falsche Identität?"
,,Das kann gut möglich sein. Sie hat keinerlei Präsenz in den Medien. Ihr Name taucht in uralten Artikeln auf und selbst da wird ihr Name nicht zuerst genannt."
Eloise rührte sich nicht. Das Zusammenzucken ihrer Miene blieb aus, das Kräuseln u ihre Lippen. Als hätte sie gewusst, dass ihre Mitbewohnerin nicht zum Hautevolee gehörte, wie sie es vorgab.
,,Das muss lange noch nichts heißen. Viele in unserem Alter haben keine offiziellen Profile oder Konten."
,,Aber was ist mit ihrer Schwester? Sie ist überall, wo man suchen kann, mit vollem Namen vertreten."
,,Sie sind Geschwister. Das muss nicht heißen, dass sie beide denselben Stolz in sich tragen.", beteuerte sie.
Ich kam immer mehr in Erklärungsnot. Eloise von Victorias Nichtexistenz zu überzeugen gestaltete sich schwieriger, als ich es mir ausgemalt hatte. In meiner Vorstellung schluckte sie die Erklärung und würde sich brennend für sie interessieren. Das blieb aus.
,,Sie mag vielleicht nicht existieren, aber das macht sie nicht weniger interessant für dich." Das Feuer in ihren Augen flammte erneut auf.
,,Müssen wir wieder mit dem anfangen?"
,,Ich wollte dich bloß darauf aufmerksam machen."
Womöglich hatte Eloise recht und ich hatte es ihr nicht passend verpackt. Ihr die Fragen über Victoria falsch vorgestellt. Wenn ich es mehr distanziert und objektiv erklärt hätte, wäre das Misstrauen in Eloise nicht gewachsen.
,,Warum misstraust du deiner Mitbewohnerin so sehr?"
Eloises resignierte Gesichtszüge lösten sich und Beklommenheit trat in den Vordergrund. Sie setzte zum Sprechen an, versuchte Worte über die Zunge zu bekommen. Ihr Schweigen und die ohrenbetäubende Stille zwischen uns machte es schwerer für sie.
Sie klappte erneut ihren Mund zu, ließ keinen Ton über ihre Lippen kommen.
,,Du weißt es selbst nicht, oder?"
In ihren Augen spiegelte sich ihre Verzweiflung. Dass sie den Grund kannte, wurde mir erst jetzt inne. Es laut auszusprechen und so ihren Worten Bedeutung zu geben, verweigerte sie.
,,Jedenfalls.", fuhr ich fort. ,,Hearst ist ein Name, der an exzellenter Reputation in den letzten Jahren gewonnen hatte. Sie würde ihn an Wände plakatieren, wenn es ihrer wäre."
,,Und warum sollte mich das kümmern?"
In keinen Fall sah ich, was sie dachte. Ihre Resignation kannte ich noch nicht. Die Stille, die sie zwischen uns aufzwang, wenn ihr'r das Thema nicht passte.
Eloise kämpfte selbst mit ihrem Charakterzug, suchte einen Weg aus ihrem Elend.
,,Sie und Imogen könnten sich kennen."
Eloise wachte wie aus Trance auf. Horchte bei dem Namen ihrer Freundin auf.
,,Und wie hängen die beiden zusammen?", hakte sie nach.
,,Früher -vor ein paar Jahren- ging ein Gerücht um dich um, dass du Leute kostenlos in High Society Partys einschleust. Imogen war bereits damals deine Nummer eins Freundinnen. Sie und Victoria haben sich bei einem solchen Event kennengelernt -so meine Spekulation."
Ein Grinsen setzte sich auf ihre Lippen. ,,Du erinnerst dich noch an Gerüchte, die jemand vor drei Jahren in die Welt setzte?"
,,An ein paar Dinge konnte ich mich noch erinnern, das prägt sich ein." Schauergeschichten über mich kannte ich nicht. Ehrlich gesagt wollte ich sie gar nicht kennen. Aber so wie ich die Gerüchteküche kannte, gab es mindestens eines über jeden und ein besonders Schmutziges noch hinzu.
Dennoch pflegte ich Interesse über Dinge, die anscheinend gemacht hatte.
Eloise verdrehte die Augen. Anscheinend traute sie meiner Erklärung noch nicht voll und ganz, ließ mich in Angeln hängen.
Besonders auf Eloise sann ich, mich zu verstehen. Ihre Bestätigung würde mir weiterhelfen, mich bei Trab halten.
,,Sicher glaubst-"
Das Klingeln der Unterrichtsstunde unterbrach meinen Ansatz zum Sprechen. Direkt danach setzte unsere Direktorin zum Sprechen an.
Die Geräusche drangen gedämpft vom Schulgebäude in die Bibliothek. Wir hielten uns im einzigen Raum des Internatsgebäudes auf, der keine Lautsprecher besaß.
Eloise packte mich wie vor wenigen Minuten zuvor am Handgelenk und riss mich mit sich. Ihr Griff saß fest auf mir, zog mich immer weiter aus dem Saal.
Anscheinend sah sie das Zerren einer Person als tägliche Handlung an. Sie machte keinerlei Anstalten nach mir zu fragen oder gar meinen Willen auszusprechen.
Die Tage, an denen sie sich mit mir um einen sanftmütigen Umgang bemühte, vergingen. Meine Gedanken ordneten sich, setzten das Bild nochmal zusammen.
Ich befand mich auf der Ebene von Kirk, empfand mich mehr als ein Freund von ihr. Unweigerlich näherte ich mir ihr Stück für Stück an, konnte meine Annäherungsversuche nicht erklären.
Einerseits genoss ich, was für eine Position ich in ihrem Leben besaß. Jedoch wollte ich oben stehen. An der Spitze neben ihr.
Meine Arme auf ihren Schultern fühlte sich nicht wie Freundschaft an. Ich ertrug den Gedanken nicht, nur ein Freund zu sein, mit dem sie Kleinigkeiten austauschte. Mein Drang essenziell für sie zu sein, wuchs in mir wie Unkraut.
Sie ließ erneut mein Handgelenk los.
Ich hätte sie küssen sollen, als ich die Möglichkeit dazu hatte.
Die Tür schlug hinter uns zu. Das Geräusch hallte in den Gängen des Internats wider. Schüler aller Stufen standen um uns herum, lauschten der Durchsage.
Während ich Victoria und Coy beobachtete, drehte Eloise sich zu mir um. Sie warf mir ein breites Lächeln zu. Meine Mundwinkel zuckten, versuchten zu erwidern. Ich biss mir auf die Wange.
Ich wagte es nicht meine komplette Aufmerksamkeit nach ihr zu wenden.
,,Wenn Sie mögliche Hinweise auf das Verschwinden von Mabel Walsh habt, sollen Sie sich im Sekretariat melden. Ein Seelsorger steht Ihnen zur Verfügung."
Nun war es offiziell, dass Mabel vermisst wurde, verloren in den Feldern Irlands. Ihr Leid wollte ich mir gar nicht erst ausmalen. Den Schmerz, den sie in diesem Moment erlitt.
Das Grinsen Eloises wich. Entgeistert starrte sie mich an.
,,Vielleicht haben sie Mabel schon und wollen den Täter ausmachen.", wisperte Eloise mir zu.
Die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf.
Wenn das der Fall war, dann erlitt sie bereits ihren Tod.
,,Wir müssen Kirk suchen, ohne ihn werden wir nicht anfangen.", flüsterte ich.
,,Womit anfangen?"
,,Wir werden Mabel finden."
Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals auf einen solchen Gedanken gekommen wäre. Wir machten uns viel verdächtiger, wenn wir sie letztendlich fanden. Ich führte uns direkt in die Gefahr hinein. Jemand für uns wird ins Feuer gehen müssen, um den Rest zu retten. Und im schlimmsten Fall opferte ich mich für sie, ließ die flammenden Tücher um mich lodern. Kirk und Eloise die Zukunft kaputtzumachen, wegen meines Willens fühlte sich es falsch an.
,,Du weißt, dass wir das nicht können. Wie du immer sagst, sollten wir uns auf andere Dinge konzentrieren. Zum Beispiel wäre da unser Abschluss." Eloise hängte mir hinterher, versuchte Schritt zu halten.
Tatsächlich entsprachen ihren Worten meinen Gedanken vor wenigen Stunden. ,,Was sollen wir anstatt dessen machen?"
,,Warten. Mabel wird früher oder später auftauchen. Ich will nicht in deine undurchdachten Pläne hereingezogen werden!"
Ihr Ausruf stieß mir in die Magengrube. Ich wollte mit Eloise nicht streiten. Ideen, die wie ein Blitz in mich einschlugen, um das Schlimmste zu verhindern, führten mich an, getrieben von dem Karussell meiner Gedanken, die sich wiederholten.
Umso schneller die Situation ein Ende fand, desto mehr konnte ich meine Konzentration für das Lernen aufwenden. Meine Nervosität wuchs, rankte sich in mir.
Kirk begegnete uns bereits auf dem Gang. ,,Hast du jemanden etwas erzählt?", rief Eloise ihm zu.
,,Was hätte ich erzählen sollen?"
,,Dass wir momentan die einzigen Zeugen sind?", half sie ihm auf die Sprünge.
,,Ich habe mit niemandem gesprochen, und ihr?"
,,Victoria war bei mir. Livingston erzählte ihr von meiner Aussage."
Vor Eloise weigerte ich mich zu erzählen, wie schnell Victoria sich eine Meinung bildete und diese weiter verbreitete. Sicherlich fragte Eloise nach und ich müsste von dem ersten Treffen zwischen Vicky und mir wiedergeben.
,,Wir sollten schneller als das Gerücht sein. Victoria zum Schweigen bringen."
Ich schnaubte. Kirks Aussage glich einer Drohung.
Vielleicht fand die Presse bei ihm ebenfalls Geschichten auf die sie sich stürzen können
,,Selbst wenn Mabel tot ist, dann müssen wir jetzt die Möglichkeit sehen, um nicht mehr im Spiel zu sein." Eloise Blick huschte umher, wieder die Angst belauscht zu werden. ,,Wir dürfen uns nicht verdächtig verhalten. Das heißt, dass vor allem Aspen." Ihre Augen fokussierten mich vorwurfsvoll. ,,Dass du die Klappe hältst und nichts von ersten Zeugen erwähnst. Sie gehen davon aus, dass wir Informationen haben, die wir nun mal nicht besitzen. "
,,Und in keinem Fall verändern wir das Geschehen an diesem Tag.", setzte Kirk bei.
Sie musterten mich, suchten nach Bestätigung.
Unsere Lage bot uns keine Sicherheit. Wir standen im Glashaus, Victoria könnte Steine auf uns werfen und das Glas brach über uns hinein. Die Splitter hinterließen tiefe Wunden. Es brauchte ewig, bis sie heilten.
Dennoch hielt ich mich an mein Wort, drängte uns nicht in die wachsende Flamme.
Das Karussell raste, veranstaltete einen Wettlauf gegen die Zeit. Die Presse wird in wenigen Stunden ankommen und mich in das lodernde Feuer stoßen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro