
Kapitel 20 - Ende gut, alles gut?
Wie im Schock kauerte Falterauge in ihrem Versteck. Hätte sie sprechen wollen, wäre ihrer trockenen Kehle kein Wort gelungen. Hätte sie sich bewegen wollen, wären ihre Knochen wie Wasser in der Blattleere gefroren und unbeweglich gewesen.
Gut also, dass Pistazienharz sich rasch fing und die Heilerin aus dem Gestrüpp drängte, die Zähne vorsichtig in ihrem flauschigen Nackenfell vergraben.
Davon bekam die Kätzin nichts mit, ihre Sicht verschwamm, als ihre Augen feucht wurden. Pistazienharz fluchte währenddessen, da er die ganzen Mondkelche nicht allein tragen konnte. Die Blattgrüne war noch nicht ganz vorüber, doch Falterauge fröstelte als wäre die härteste Blattleere jemals eben angebrochen.
Es war eine der schwersten Aufgaben in ihrem Leben, in diesem Moment der Trauer und Ungläubigkeit die Mondkelche ins Lager schleppen zu müssen. Fast unmöglich. Aber sie wollte Pistazienharz nicht alleine lassen, ihn nicht so sehr enttäuschen wie Flügelpfote.
Falterauge stellte sich vor, wie Flügelpfote einfach vom Himmel fiel, losgelassen vom Storch, und in einem weichen Busch landete.
Sie wünschte, er wäre nicht für immer verloren.
*❍🦋❍*
Es dauerte ewig, bis die zwei Katzen im Lager des LaubClans angekommen waren. Jenes wirkte fast schon fremd; seit dem Beginn der Spiele auf der Großen Versammlung war durchaus Zeit vergangen, in welcher sie nicht hier gewesen waren, obwohl es Falterauges Pflicht war. Es war ihre Pflicht, sich um hilflose Katzen zu kümmern.
,Und doch lässt du Brennesselmilch und Flügelpfote sterben...' Angst wirbelte Falterauges Blut auf. Wie viele der kranken Katzen lebten noch?
Pistazienharz stupste sie an als hätte er ihre Gedanken gelesen. ,,Es haben sich bestimmt immer Katzen zum Aufpassen gefunden." Falterauge nickte zustimmend, weil sie ihn nicht mit einer falschen Reaktion enttäuschen wollte. Sie wollte nie mehr jemanden enttäuschen.
Auf wackeligen Pfoten tappte sie in ihren duftenden Bau zwischen den verwaschenen Wurzeln des Weißdorns und sah sich um. Zwei Katzen fehlten.
,,Du bist zurück! Dem SternenClan sei Dank!", rief da Goldpfote aus der hintersten Ecke des Baus. Er hatte also nach Saphirknochens Anordnung mit seinem Bruder aufgepasst. Doch als der Kater näher kam und eine kleine, zum Himmel geneigte Wurzel sein Gesicht nicht mehr halb verbarg, zeichnete sich darauf Reue ab.
,,Was ist vorgefallen?", fragte Falterauge alarmiert.
,,Rabenschwatz und Stechapfel sind verstorben", meinte der Schüler leise, die Iriden auf den Boden geheftet. Falterauges Beine schienen unter ihr nachzugeben und sie wäre jaulend auf den Boden gesackt, wenn sie damit nicht die Mondkelche dreckig gemacht hätte.
,Aber wen interessiert es, ob sie sauber sind oder nicht? Stechapfel wäre mürrisch geworden, wenn ich ihm unsauberes Essen reinzwänge, aber er ist nicht mehr da.'
Stattdessen war hier nur Pistazienharz, der sie an der Schulter stützte. ,,An die Arbeit! Wir können keine weiteren Verluste gebrauchen."
,,Du warst derjenige, der uns das Heilmittel vergönnt hat!", fauchte Falterauge scharf. Mit peitschendem Schweif trabte sie zu Felsenpfotes Nest. Er war ihr am wichtigsten. ,Waldbeere hatte Recht. Ich bin eine schlechte Heilerin. Erst den Wald der Finsternis anheuern, dann weglaufen und jetzt mir nahe Katzen bevorzugen...'
Dennoch öffnete sie das kleine Maul des grauen Katers, um die zuvor abgetrennte Hälfte eines Pilzes hinein zu schieben. Dann übte sie mit einer Pfote leichten Druck aus, damit ihr Schüler begann, zu kauen. Die nächste Hälfte folgte, ebenso noch ein Mondkelch. Nun hatten sie schließlich genug.
Dieser eigentlich schöne, befreiende Moment wurde vom Husten und Keuchen anderer Katzen im Hintergrund verdorben.
Walnusspfote und Goldpfote baten ihre Hilfe an und gemeinsam mit Pistazienharz und Falterauge selbst erschien diese Arbeit gar nicht so schwer.
,,Falterauge!", schrie Walnusspfote, als sie fast fertig waren. Der weiße Kater mit den hellbraunen Flecken saß mit großen Augen neben dem Nest seines Vaters. Die Heilerin sah, dass Ahornhirsch kaum noch atmete, die Augen geschlossen und alle Gliedmaßen erschlafft. Nicht einmal ein Husten brachte der Kater zustande, als sich sein Mund leicht öffnete.
Dann fingen seine Beine an, stark zu zittern und wieder zu erschlaffen. Immer wieder schüttelten ihn diese Anfälle, während Goldpfote und Falterauge versuchten, ihn zum Kauen eines Mondkelchs zu bewegen.
Doch das Heilmittel kam für ihn zu spät. Ein letzter Krampf schüttelte ihn, dann lag er still und friedlich im mit Federn ausgekleideten Nest. Goldpfote holte erstickt Luft. Walnusspfote kam angelaufen, um zu schauen, was mit seinem Vater los war. Die Brüder trauerten gemeinsam, indem sie sich dicht aneinander schmiegten. Die Tränen des einen landeten im Fell des anderen.
,,Es tut mir so leid!", versuchte Falterauge. SternenClan, was sollte sie sagen? Pistazienharz meinte nur - ziemlich kalt, wenn man bedachte, dass Ahornhirsch sein Bruder war -: ,,Rette ihre Mutter und ihren Bruder, Falterauge. Sie werden ihnen beistehen."
Gesagt, getan.
*❍🦋❍*
Falterauges Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie vor ihrer Schwester stand und ihr beichten musste, was im Birkenwald geschehen war. Nervös zeichnete sie mit einer Kralle Muster in den Boden, unfähig, die ungeduldige Waldbeere anzusehen.
,,Mir hat jemand, zu dem Pistazienharz eine gute Beziehung hatte, verraten, wo es besonders viele Mondkelche gibt. Dieser Ort war der Birkenwald, also sind wir dahin aufgebrochen. Am Salzsee ist Flügelpfote dazugekommen." Bis zu diesem Teil war noch alles gut gewesen. Waldbeere sah sie skeptisch an und wusste, dass da noch etwas folgen würde.
,,Er war mit Minzpfad und seiner Mentorin auf Jagdpatrouille. Anscheinend haben sie sich aufgeteilt", fügte Waldbeere hinzu, deren Gedanken offensichtlich ratterten.
,Was sie wohl vermutet? Dass er in ein Zweibeinerhaus gesperrt wurde?' Sie waren in der Nähe dieser quitschbunten Gehäuse gewesen und Falterauge fiel auf, dass dort ebenfalls Gefahr lauerte. ,Wäre das geschehen, wenn der Storch nicht auf unserem Weg gewacht hätte?'
,,Wir haben Mondkelche gefunden und sie geheilt, in der Nähe des Bachs beim Zweibeinerort, wo Pistazienharz' Freundin sich entfernt hat."
Dazu, dass Pistazienharz ein enges Band zu einer Streunerin hatte, sagte Waldbeere nichts. Sie selbst pflegte auch Freundschaften außerhalb der Clans, was ihren Gefährten Bärenschlaf ab und zu beunruhigte. Außerdem wollte sie wissen, was mit Flügelpfote geschehen war und boxte Falterauge in die Seite. Sie sollte mit der Sprache rausrücken.
,,Auf dem Rückweg ist Flügelpfote versehentlich auf ein Storchenei getreten und", Falterauges' Stimme brach, ihre Flanken bebten vor Furcht vor der Reaktion, ,,wurde von einem Elternteil verschleppt." Waldbeeres Augen weiteten sich erst und wurden dann missbilligend zusammengekniffen. Ihr Schweif setzte dazu an, wütend durch die Luft zu peitschen.
,,Das ist deine Schuld! Du hättest sagen sollen, dass er nicht mit soll! Oder ihn fragen, was er hier macht!" Die zornigen Worte wurden von Schluchzern behindert. Falterauge nickte. ,,Du hast Recht. Ich kann es verstehen, dass du vielleicht nicht mehr mit mir sprechen willst."
Doch die Gestromte warf sich gegen Falterauge als wolle sie kuscheln. ,Sie sucht Halt.' Die Heilerin gab ihn ihr, schmiegte sich an sie. Genauso unerwartet wie sie Falterauge in die Umarmung gezogen hatte, wandte sich Waldbeere wieder heraus. ,,Bah!", fauchte sie und die Heilerin blinzelte verwundert.
Waldbeere holte aus und fuhr mit einer Pranke heftig durch Falterauges Brustfell, in der Nähe ihres Herzens. Blut quoll aus den Spuren, während Falterauge aufsprang, worauf Waldbeere unter ihren Bauch fuhr und in den empfindlichen Bereich biss.
,,Es ist ehrlos, eine Heilerin zu attackieren!", keuchte Falterauge, doch ein weiter Biss, diesmal am Schweif, folgte. ,Erinnere dich an die Tricks aus dem Wald der Finsternis, Mäusehirn!'
Waldbeere stand nun hinter ihr. Rasch drehte sich die Heilerin, um sehen zu können, wo der nächste Angriff ansetzen würde.
Doch die Schwarz-weiße stolzierte unverwundet und höhnisch davon als wäre ihre Schwester nichts als Luft und bestätigte damit deren Befürchtung.
*❍🦋❍*
Es war ein ganzer Mond vergangen, bis alle Katzen wieder kerngesund waren und Felsenpfote das erste Mal wieder uneingeschränkt seinen Pflichten nachging. Ein ganzer Mond, in dem Waldbeere kein einziges Wort mit Falterauge hatte wechseln wollen.
Dennoch platzte jene fast vor Freude und grinste ununterbrochen neben Felsenpfote, die recht eintönige Arbeit - zu alte oder beschädigte Kräuter aussortieren - machte ihr nichts aus.
,,Schon schade, dass ich jetzt erst später ernannt werden kann...", murmelte der Heilerschüler. ,,Es geht sehr vielen so", beruhigte die Mentorin.
Heute war wieder Zeit für die große Versammlung, auf welcher die Verkündung der Gewinner der Spiele, die nur einen Tag lang angehalten hatten, stattfinden sollte. Vom SternenClan oder dem Wald der Finsternis hatte Falterauge nichts mehr gehört, obwohl sie sich sehnlichst wünschte, vom dunklen Wald zu träumen und mit Lavelhonig sprechen zu können.
Sie und ihre Schwester Hirschgalopp schienen nie zu streiten und Falterauge bewunderte das.
,Würde sie sich freuen, dass ich es geschafft habe? Wäre sie verblüfft über Pistazienharz' Geheimnis?' Nein, letzteres durfte sie nicht verraten. Schlimm genug, dass Lawinenpfote es kannte.
,,Wir brechen auf!", erklang da Kastaniensterns Stimme vom Hochstein. Die Kätzin klang traurig, selbst nach einem Mond noch vom Tod ihres Gefährten geschockt. Ihre Augen waren trüb geworden und Falterauge wusste, dass sie ein Leben verloren hatte, da sie nichts mehr hatte essen wollen.
Mit einem Kloß im Hals stupste sie Felsenpfote an, bedeutete ihm, mit ihr zu gehen. Freudig schnurrend trat der Kater nach ihr aus dem Heilerbau.
,Wer die Gewinner wohl sein werden?' Diese Frage stand auch in Felsenpfotes blaue Augen geschrieben, der sogleich von seinen Brüdern Goldpfote und Walnusspfote begrüßt wurde und dafür sorgte, dass Falterauge ihn zwischen den flauschigen Pelzen leicht verwechseln könnte.
Der ganze Clan schien auf die Verkündung gespannt zu sein und Falterauge genoss diese Atmosphäre.
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