Eine seltsame Rast
Eine seltsame Rast
Cornelia saß immer noch auf dem Rasen mitten im Fußballstadion. Ihre Jeans war mittlerweile durchnässt von dem feuchten Boden, aber sie traute sich nicht aufzustehen. Ihre Beine würden sie nicht tragen.
Dämon. Nicht nur ein Gott der sie zurzeit verfolgte, an ihr klebte, jetzt gab es auch noch Dämonen.
Dal starrte sie an. Sie spürte seinen Blick auf sich, aber sie erwiderte ihn nicht. Wenn er in seiner Katzengestalt war, war es wesentlich einfacher mit ihm zu interagieren. Jetzt war ihr alles unangenehm. Es fiel ihr immer noch schwer, zu atmen, und Dal schien es wenigstens zu verstehen, dass sie einen Moment der Ruhe brauchte.
Sie hatte die zweite Kugel immer noch gegen ihre Brust gepresst und nur langsam ließ sie sie sinken, um sie sich anzuschauen. Die Kugel, oder nach Dals Worten, die Macht-Sphäre war genauso groß, wie die erste die sie gefunden hatte. Ein Schauer lief über ihren Rücken, wenn sie daran dachte, dass beim ersten Mal theoretisch auch ein Dämon hätte auftauchen können. Was hätte sie denn dann gemacht? Ohne Dal, der sie beschützt hatte?
Sie blinzelte in seine Richtung, schaute aber schnell wieder weg, als sie bemerkte, dass er sie immer noch intensiv musterte.
Cornelia schaute lieber wieder zu der Kugel in ihrer Hand. Sie war immer noch leicht warm. Sie leuchtete aber nicht mehr Blau und in ihrem Inneren war auch kein Eigenleben, wie bei der ersten Kugel.
»Das ist die Macht-Sphäre des Neumondes«, erklärte Dal, als hätte er ihre Gedanken gehört. Warte. Konnte er Gedanken lesen? Cornelia setzte sich mehr auf und ratterte in ihrem Kopf so viele Schimpfwörter hinunter, wie ihr einfielen. Dummkopf, Schwachmat, Arschloch, Hohlbirne, Vollpfosten, Mistkerl, Lackaffe, Ekelpaket.
Sie schaute ihn dabei direkt in die Augen und er lächelte nur zurück, offensichtlich froh darüber, dass sie sich aus ihrer Starre gelöst hatte. Seine Grübchen kamen wieder zum Vorschein und Cornelias Herz machte einen Satz. Immerhin diesmal nicht aus Panik. Und okay, wohl kein Gedankenlesen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er dann und hielt ihr eine Hand hin. Cornelia starrte sie an. Hatte sie ihn schon einmal berührt? In seiner menschlichen Form? Sie konnte sich nicht erinnern. Die letzten Tage verschwammen zu einem unwirklichen Chaos. Aber der Drang danach, seine helle Haut zu berühren, wurde immer größer.
Vorsichtig streckte sie ihre Hand seiner entgegen. Er griff danach und zog sie ohne große Mühe auf ihre Beine. Seine Haut war kühl. Nicht unangenehm, aber weil ihr eh schon kalt war, an diesem Sommerabend, würde sie Wärme bevorzugen.
Er ließ sie los, sobald sie einen sicheren Stand hatte.
»Ich denke schon«, beantwortete sie dann seine Frage. Dann blinzelte sie wieder in sein Gesicht. Er sah noch genauso umwerfend aus, wie am ersten Tag. Und seine Erscheinung schüchterte sie ein. Ihm umgab regelrecht eine Aura der Autorität, die sich sogar noch verstärkt zu haben schien.
Sie schluckte und schaute wieder auf die Kugel in ihrer Hand.
»Beim nächsten Mal müssen wir vorsichtiger sein. Ich hätte nicht erwartet, dass so schnell andere Wesen auf uns aufmerksam werden«, meinte Dal und Cornelia nickte nur. Sie hatte so viele Fragen, aber sie konnte nichts formulieren.
»Es war ein Dämon, der durch die Magie angezogen wurde. Wenn er eine der Macht-Sphären erlangen könnte, würde er mächtiger werden, dass ist sein einziges Ziel. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich werde dich beschützen«, erklärte Dal weiter.
»Was, wenn ich nicht rechtzeitig die Kugel berührt hätte? Wärst du dann trotzdem ein Mensch geworden? Oder hätte der Dämon sich von einer Katze verscheuchen lassen?«, fragte sie patzig mit schnell schlagendem Herz.
Sie sollte sich keine Sorgen machen?
Sie sollte sich keine Sorgen machen?
Sie hatte das Gefühl nur Sekunden dem Tod entronnen zu sein, aber sie sollte sich keine Sorgen machen?
»Zugegeben wäre es schwieriger gewesen, aber nicht unmöglich. Und da du die zweite Macht-Sphäre aktiviert hast, bin ich mächtiger geworden. Bleib einfach in meiner Nähe und sie werden dir nichts antun können.«
Cornelia biss sich auf ihre Unterlippe und starrte wieder auf den Boden. Der kreisrunde Fleck toter Rasen nur wenige Schritte von ihr entfernt.
»Ich brauch eine Pause«, flüsterte sie und merkte, wie sie schwankte. Dal griff sofort nach ihrem Oberarm und hielt sie aufrecht.
»Ich bringe uns zu einer Unterkunft der Götter, dort kannst du unbesorgt rasten.«
Sie nickte, den Blick immer noch auf dem toten Gras und dann war sie plötzlich nicht mehr dort.
Sie fühlte sich schwerelos.
Dal hatte immer noch ihren Oberarm gepackt und sah sie fast schon besorgt an.
»Schlaf Menschenfrau«, sagte er mit seiner tiefen Stimme und lächelte sie an. Seine Grübchen traten hervor und Cornelia musste dem Drang widerstehen, danach zu greifen. Sie wollte einen Zeigefinger in seiner Wange vergraben.
Aber ihre Muskeln gehorchten ihr nicht.
Er zog sie in eine Umarmung. Wie selbstverständlich legte sie den Kopf an seine Schulter. Das erste Mal konnte sie ihn riechen und mit diesem Duft nach frischem Tauwasser mit einem etwas herben Unterton schlief sie ein.
🌑🌒🌓🌔🌕🌖🌗🌘
Cornelia schreckte hoch.
Was zum Teufel?
Sie fuhr sich durch ihre schwarzen Haare und sah sich um.
Sie war ... auf einer Parkbank? Hatte sie etwa hier geschlafen?
Stöhnend vergrub sie ihr Gesicht in ihre Hände und versuchte, sich daran zu erinnern, was passiert war.
Dal hatte sie an einen Ort gebracht, den sie nicht beschreiben konnte. Sie hatte geschwebt, als ob dort keine Schwerkraft herrschte, aber dann war sie schwer geworden und in seinen verfluchten Armen eingeschlafen. Sie hatte nicht einmal den Kopf heben können, um sich umzuschauen. Sie hatte nicht einmal vernünftig denken können.
Und auch wenn die Umgebung sie so stark beeinflusst hatte, fühlte sie sich gut erholt. Nicht einmal ihr Rücken schmerzte, also hatte sie definitiv nicht längere Zeit auf der Parkbank verbracht.
Als sie ihre Hände wegnahm und sich umsah, entdeckte sie den schwarzen Kater neben sich. Er miaute sie freudig an und setzte seine beiden Vordertatzen auf ihren linken Oberschenkel. Ein Lächeln konnte sie nicht unterdrücken und sie war froh, dass er wieder in seiner Katzengestalt war. So konnte sie besser mit ihm umgehen.
Wie von selbst fing sie an, ihn hinter seinem Ohr zu kraulen, was sofort mit einem Schnurren belohnt wurde.
Vögel zwitscherte und die Sonne ging langsam auf.
Einige Minuten genoss Cornelia die Ruhe der Natur, dann wurde sie sich ihrer anderen Bedürfnisse bewusst.
Sie hatte Hunger, Durst und sie musste verflucht noch mal ganz dringend auf die Toilette, aber sie hatte keine Ahnung, wo sie war. Egal, in welche Richtung sie sich drehte, sie konnte nichts sehen außer grüne Bäume und einen kleinen Kiesweg.
»Ähm, Dal? Wo sind wir?«, fragte sie den Kater, der nur seinen Kopf schief legte. Eigentlich war sie froh, dass er wieder in seiner Tiergestalt war, so konnte sie definitiv besser mit ihm umgehen. Aber es wäre nicht schlecht, wenn sie mit ihm reden könnte.
»Kannst du mich zur nächsten Toilette bringen?«, fragte sie. Dal stand auf und sprang von der Parkbank. Er stand mit hoch erhobenem Schwanz auf dem Wanderweg und schaute sie wartend an.
Cornelia beeilte sich, ebenfalls aufzustehen. Sie schulterte ihren Rucksack und ihre Reisetasche, welche zum Glück beide noch hier waren, und folgte dem Tier.
Sie schoss ein paar Bilder von der Umgebung und schickte sie ihrer Mutter, um ihr Alibi weiter am Leben zu erhalten. Offiziell war sie gerade mit ihren Freunden auf einer kleinen Wanderung, inoffiziell lief sie im Schnellschritt, um endlich in ein Badezimmer zu können.
Dal führte sie zu einem kleinen Café, welches sich am Rand des Parkes befand. Es hatte, Gott sei Dank - durfte sie das überhaupt noch denken? - schon geöffnet, da es auch ein Frühstücksbuffet anbot.
Nachdem Cornelia im Badezimmer ihrem Bedürfnis nachgekommen war und sich vor dem Spiegel etwas aufgefrischt hatte, ließ sie sich draußen an einem Tisch sinken.
Mit einem Kaffee und Brötchen mit Rührei konnte sie gleich wieder besser denken.
»Also, wir haben die zweite Kugel. Wo müssen wir jetzt hin?«
Dal saß unter ihrem Tisch. Er beäugte einen Hund, der mit seinem Herrchen nur zwei Tische weiter weg saß und den Kater unterwürfig anstarrte.
»Du hast mir nicht mehr gesagt, wo ich als nächstes hingehen soll. Wie weit ist die nächste Kugel entfernt? Ich kann schlecht hunderte Kilometer laufen«, jammerte Cornelia weiter, während sie ihr zweites Brötchen verschlang. Gestern war das Essen definitiv zu kurz gekommen.
Dal miaute laut und sprang auf den Stuhl neben sie, der Hund in der Nähe winselte. Er kratzte an dem Rucksack, welchen sie dort abgelegt hatte.
»Oh?«
Cornelia legte ihr Brötchen ab und zog den Rucksack näher zu sich heran. Mit einem Blick zu dem Kater, der weiße Fleck auf seiner Brust war nicht einmal zu einem viertel gefüllt, öffnete sie ihn.
Ganz oben auf ihren gepackten Sachen lag ein fein säuberlich gefalteter Brief.
Sie zog ihn heraus und faltete ihn auf.
Die Schrift war geschwungen und auf den ersten Blick durch die vielen Schnörkel wunderschön, aber Cornelia musste die Stirn runzeln, um sie lesen zu können.
»Die nächste Macht-Sphäre befindet sich in einer Stadt namens Köln, an einem großen Fluss. Reise dorthin und warte dort, bis ich wieder meine menschliche Form angenommen habe. Dal.«
Cornelia faltete den Brief wieder, legte ihn zurück und seufzte. Ihre Motivation war am Boden. Sie hatte keine Lust, sich bald wieder in die Gefahr zu begeben, einem Dämon zu begegnen. Selbst wenn sie einen Gott an ihrer Seite hatte.
»Was passiert, wenn ich nicht nach Köln gehen?«, fragte sie leise, in der Hoffnung, dass kein anderer als Dal sie hörte und nahm sich wieder ihr Brötchen in die Hand.
Dal knurrte, anders konnte sie es nicht beschreiben. Er fletschte seine Zähne, welche deutlich gefährlicher wirkten, als die einer Hauskatze und Cornelia schluckte unwohl.
Der Gott stand ihr wohl nur zur Seite, wenn sie tat, was er sagte.
»Okay, ich bringe uns nach Köln. Lass mich erst in Ruhe frühstücken und dann musst du mich zur nächsten Bushaltestelle bringen. Ich laufe garantiert nicht wieder bis zum Bahnhof. Apropos, du kannst froh sein, dass meine Semestergebühren das Deutschlandticket beinhalten. Sonst hätte ich dir diese ganze Reise in Rechnung gestellt.«
Sie meckerte noch weiter, während sie nebenbei aß unter den wachsamen blauen Augen des Katers. Dieser zuckte mehrmals mit seinem Schwanz, ließ das Schimpfen allerdings kommentarlos über sich ergehen.
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