Meine Heimat sind meine Erinnerungen.

Ich erinnere mich an die lauen Sommernächte auf der Dachterrasse unseres Rudelhauses in Passy, mit Mamas Lockenwicklern in den Haaren und einer von Chalice' selbstgemachten Pflegemasken im Gesicht. Ich erinnere mich an das tiefe Lachen meines Vaters, das im ganzen Haus zu hören ist. An das Geplänkel zwischen Mathéo und Bernard, den Geruch von angebranntem Essen, an Chalice' Gesang und Jules' viel zu laute Rap-Musik. Ich höre meine kleine Schwester in Wolfsgestalt durchs Wohnzimmer toben und im Hintergrund das beruhigende Rauschen des Verkehrs, der sich auch zu später Stunde noch durch Paris schiebt.

Ich erinnere mich daran, wie glücklich ich damals war – und dass ich dachte, dieses Glück würde niemals enden. 

Zum damaligen Zeitpunkt wusste ich noch nicht, wie sich die Dinge entwickeln würden. In meiner kindlichen Unschuld habe ich wohl geglaubt, dass sich alles irgendwie regeln würde. Als würde, wenn schon kein Werwolfgott, dann doch wenigstens mein Vater oder ein Seelenverwandter für immer die schützende Hand über mich halten. 

Doch jetzt bin ich auf mich alleine gestellt. Mein Rudelhaus ist niedergebrannt. Mein Vater hat seine Hand weggezogen. Meine Mutter ist in der Gewalt der schwarzen Wölfe. Mein Seelenverwandter hat mich verraten. 

Alles, was mir geblieben ist, sind Erinnerungen.

Erinnerungen und ein junger Mann mit einem großen Herzen, ganz viel Mut, einer ordentlichen Portion Wahnsinn und einem schussbereiten Gewehr.

Wird das genug sein?

Mein ganzes Leben lang haben meine Eltern mich beschützt. Bis sie es nicht mehr konnten. Daran bin ich nicht ganz unschuldig. Jetzt liegt es an mir, mein Rudel, meine Familie und meine Heimat zu beschützen. Dafür bin ich  bereit, alles zu geben. Selbst wenn es bedeutet, mich meinem Seelenverwandten in den Weg zu stellen.

Wie auch immer diese Angelegenheit ausgehen wird, mein Leben wird nicht mehr dasselbe sein. Wenn die schwarzen Wölfe Frankreich erobern und ihr Letztes Königreich errichten, wird Blut fließen und Paris brennen. 

Sie werden alles zerstören, was ich liebe. 

Aber ich werde nicht tatenlos zusehen.

A la guerre comme à la guerre, heißt es.

Ich werde bereit sein. Ich werde schnell sein – und so gnadenlos, wie ich sein muss, um die Menschen und Wölfe, die ich liebe, zu beschützen. 

Bernard hat mal gesagt, dass wir uns ähnlich seien und er wird noch erleben, wie Recht er damit hatte.