
Chapitre 2
Am Pool ist die Stimmung noch ausgelassener. Die meisten Jugendlichen sitzen am Rand, andere paddeln zusammen mit aufblasbaren Spielzeugen im Wasser. Alkoholische Getränke werden herumgereicht, es wird gelacht, gesungen und hier und da auch wild geknutscht.
Da ich die meisten hier nur vom Sehen kenne, halte ich mich höflich im Hintergrund und beschränke mich darauf, Nicholas aus ein paar Metern Entfernung anzuhimmeln und mir auszumalen, dass mein Vater wegen der Wolf-Sache bei ihm eine Ausnahme machen würde.
"Hey, du!", ruft ein Junge aus der Jahrgangsstufe über uns, der sich im Pool an eine Schwimmnudel klammert. Er hat kurz rasierte Haare und einen breiten Mund mit einem Herpes-Pickel an der Oberlippe. "Wer bist du?"
"Das ist Chloé Lasimonne", antwortet Nicholas.
"Kenn' ich nich'"
"Doch, kennst du. Madame Saillard aus Kunst schwärmt immer von ihr."
"Ach was?" Der Junge paddelt näher heran. "Du bist das?" Er schürzt die Lippen. "Hab' nich' gedacht, dass du so heiß bist."
Ich lächle verlegen, lasse die Zigarette fallen und trete sie aus.
"Warum kommt ihr zwei nicht ins Wasser?"
"Super Idee!", ruft Suzanne, schnippt ihre Zigarette ins Gras, stellt ihre Handtasche ab und schält sich aus ihrem Kleid. Darunter trägt sie einen neongrünen Bikini. Als hätte sie gewusst, dass es hier einen Pool geben würde. Vielleicht hat sie das sogar.
"Komm schon, Chloé!" Sie stupst mich mit der Schulter an.
Ich schüttele lächelnd den Kopf. "Danke, aber ich möchte nicht."
"Ach, komm schon." Suzanne legt flehend die Hände aneinander und macht große, feuchte Kulleraugen. "Bitte, bitte, bitte."
"Ja, komm schon", sagt auch der Junge im Pool.
Ich zögere noch immer. Von den Vormittagen in der Schule abgesehen, ist es das erste Mal, dass ich unter so vielen Menschen bin. Ich habe meinen inneren Wolf gut unter Kontrolle, aber ich will ihn nicht mit Reizen überfluten. Sonst könnte es mir passieren, dass ich mich aus Versehen verwandele – und das wäre ziemlich unschön.
"Wirklich nicht", sage ich kopfschüttelnd.
Die anderen Jugendlichen am Pool werden auf die Situation aufmerksam und beginnen damit, meinen Namen zu singen, als wollten sie mich zum Sprung vom 10-Meter-Brett ermuntern.
"Nein, das ...", stammele ich und umfasse den Henkel meiner Tasche mit beiden Händen. Meine Wangen glühen vor Verlegenheit. "... das wäre keine-"
Mein Satz geht in einen erschrockenen Schrei über, als Marcel mich an der Hüfte packen und in den Pool werfen will. Er hat jedoch nicht mit meinen Werwolf-Reflexen gerechnet, die trotz des Alkohols noch immer messerscharf sind. Instinktiv weiche ich seinen zupackenden Händen aus und versetze ihm einen so heftigen Stoß, dass er fast drei Meter weit davongeschleudert wird und weiter hinten im Pool versinkt.
Der Gesang verebbt. Alle starren mich an.
Meine Sicht ist verschwommen. Ein sicheres Zeichen dafür, dass Mondschimmern meine Augen in ein goldenes Glühen taucht.
Durch die Schlieren und Schemen kann ich eine dunkle Gestalt auf der anderen Seite des Pools ausmachen. Einen schlanken, schlicht gekleideten Mann mit schwarzen Haaren und einem ebenfalls schwarzen Mantel, der sich unter die Jugendlichen gemischt hat und die Szene mit versteinerter Miene beobachtet.
Ich blinzele die Schlieren weg. Als ich wieder klar sehen kann, ist der Mann verschwunden.
Applaus brandet auf. Eines der Mädchen am Beckenrand steckt sich zwei Finger in den Mund und pfeift anerkennend.
"Super, Chloé!"
"Dem hast du's gezeigt!"
"Ja, ganz toll, Chloé", schließt sich Suzanne den Lobbekundungen an. "Aber jetzt musst du auch baden gehen."
Mit diesen Worten entwindet sie mir die Handtasche, packt mich an den Schultern und stößt mich in den Pool.
Ich tauche unter. Das türkisfarbene Wasser schlägt über mir zusammen. Ich sinke bis zum Grund. Ein unkontrollierbares Beben läuft durch meinen Körper. Ein Kribbeln, das an meinen Fußspitzen beginnt und sich von dort nach oben hin ausbreitet. Wärme- und Kälteimpulse schießen durch meine Adern. Ich halte den Atem an, kneife die Augen zusammen, presse die Kiefer aufeinander, balle die Hände zu Fäusten und kämpfe gegen die Verwandlung. Ein Zucken fährt durch meine Eingeweide. Es zwickt in meinen Gedärmen. Ich winde mich hin und her. Das Wasser rauscht mir in den Ohren. Meine Knochen knacken bedrohlich. Wie trockene Zweige in einem tosenden Sturm. Der Drang, mich zu verwandeln, wird beinahe übermächtig. Aber ich darf ihm nicht nachgeben. Ich muss mich wieder unter Kontrolle bekommen.
Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung schaffe ich es, meinen inneren Wolf niederzuringen.
Mein Kopf bricht durch die Wasseroberfläche. Ich schnappe nach Luft und taste nach dem Beckenrand. Der Kampf gegen die Verwandlung hat mich buchstäblich alle Kraft gekostet. Nur mit Mühe schaffe ich es, mich aus dem Pool zu ziehen.
Wie aus weiter Ferne kann ich die anderen Jugendlichen um mich herum lachen hören. Auch Suzanne kichert, als wäre das alles nur ein großer Spaß.
"Hier, Chloé ..." Nicholas reicht mir die Hand.
Ich greife zu und lasse mich von ihm auf die wackeligen Beine ziehen.
"Marcel hat Recht gehabt", meint Nicholas mit einem spöttischen Grinsen. "Schickes Kleid."
Ich blinzele das Chlorwasser weg, sehe an mir herab und muss erschrocken feststellen, dass Chalice' Kleid im Wasser durchsichtig geworden ist. Wie eine zweite Haut klebt es mir am Leib und meine Unterwäsche ist ganz deutlich zu sehen.
Eine glühende Hitze schießt mir in die Wangen.
Beschämt will ich die Arme um den Körper schlingen, um mich zu bedecken, aber Nicholas lässt meine Hand nicht los. Stattdessen hebt er den Arm, als würde er wollen, dass ich mich einmal um die eigene Achse drehe, damit alle sehen können, was er sieht.
Ich spiele mit, auch wenn es mir unangenehm ist.
"Chloé Lasimonne, meine Damen und Herren!", ruft Nicholas.
Erneut wird geklatscht und gepfiffen. Sogar Marcel, der den Sturz in den Pool unbeschadet überstanden zu haben scheint, stimmt mit ein.
Die Situation ist mir super-peinlich, aber Nicholas möchte, dass ich weitermache und noch eine Pirouette drehe.
"Nein", widerspreche ich und will meine Hand zurückziehen.
Doch Nicholas hält mich fest. "Na, komm schon, Süße." Er zieht einen Schmollmund. "Mach's für mich. Es ist schließlich mein Geburtstag."
Im nächsten Moment lässt er mich plötzlich los und sackt mit einem schmerzerfüllten Aufschrei zusammen. Der Mann im schwarzen Mantel zerrt ihn herum, packt ihn am Hemd und wirft ihn rücklings auf den Tisch mit den Alkoholflaschen und Spirituosen. Es knallt und scheppert. Die Umstehenden weichen erschrocken beiseite. Sogar die Musik verstummt.
Nicholas windet sich zwischen den Scherben und ausgelaufenen Flüssigkeiten, aber er ist schlau genug, liegenzubleiben.
Bernard wendet sich mir zu. Seine Miene ist so düster wie eine stockfinstere Nacht.
"Was machst du hier?", hauche ich.
"Was wohl?"
"Aber ... wie hast du mich gefunden?"
"Du weißt genau, dass ich meine Methoden habe." Bernard schnippt einen kleinen Glassplitter vom Ärmelaufschlag seines Mantels. "Und du bist nicht so geschickt, wie du denkst." Er lässt seinen finsteren Blick über die Gesichter der anderen Jugendlichen schweifen, die ihn aus weit aufgerissenen Augen und mit halb offenen Mündern anstarren. "Wirklich, Chloé? Du missachtest die Regeln deines Vaters, um mit diesen geistlosen Gestalten zu rauchen und zu trinken?"
"Hör auf", schnappe ich gereizt. Die Angelegenheit wird mir von Minute zu Minute peinlicher. Nicht genug, dass ich beinahe nackt vor meinen Mitschülern stehe, jetzt taucht auch noch der Beta meines Vaters auf, um mich wie ein kleines Kind zu maßregeln. "Kann ich nicht einfach mal Spaß haben?"
Bernards Augenbrauen hüpfen in die Höhe. "Spaß? Das sah mir gerade nicht nach Spaß aus."
"Du hast doch keine Ahnung, was Spaß bedeutet!"
"Und du bist 16 Jahre alt und solltest um diese Uhrzeit bei deiner Familie sein – und nicht in diesem-" Er hält kurz inne. Vermutlich, weil ihm aufgefallen ist, dass sowohl mein Kleid als auch meine Schuhe seiner Gefährtin gehören. "-Fummel durch die Nacht ziehen."
"Ich bin alt genug, um selbst zu entscheiden, was ich anziehe", entgegne ich und verschränke trotzig die Arme vor der Brust.
"Wenn das so ist, bist du auch alt genug, um selbst zu entscheiden, wie lange du auf deine Malutensilien verzichten willst. Aktuell sind es ungefähr drei Wochen, aber dein Vater hat sicher kein Problem damit, diese Zeitspanne ganz nach deinen Wünschen auszudehnen."
Vor Zorn kralle ich die Fingernägel in meine nackten Arme. Eine Ader hinter meiner Stirn scheint zu pulsieren.
"Sie können Chloé doch nicht einfach mitnehmen", meldet sich Suzanne zu Wort.
Bernard misst sie mit einem Blick, der sie instinktiv vor ihm zurückweichen lässt. Sie und die anderen Menschen können nicht wissen, was Bernard ist, aber sie scheinen zu spüren, zu was er in der Lage ist.
"Suzanne hat Recht", sage ich. "Du kannst mich nicht einfach mitnehmen."
Bernard schnaubt verächtlich. "Und ob ich das kann."
"Kannst du nicht."
Bernard verdreht genervt die Augen.
Dann bewegt er sich so schnell, dass ich keine Chance habe, ihm auszuweichen. Er packt mich an Hüfte und Oberschenkeln und wirft mich über seine Schulter.
"Lass mich runter!"
Empört strampele ich mit den Beinen und trommele mit den Fäusten auf Bernards Rücken, aber er scheint es nicht einmal zu bemerken. Ohne auf meinen Protest zu achten, schleppt er mich durch den Garten zurück zum Eingang, vorbei an meinen Mitschülern, die sich vor Lachen kaum noch einkriegen.
"Verdammt, Bernard, das ist nicht witzig! Weißt du überhaupt, wie peinlich das ist? Du blamierst mich vor der ganzen Schule! Ist dir das etwa egal?" Als ich merke, dass ich damit nicht weiterkomme, ändere ich meine Taktik. "Ich werde Löcher in deine Designer-Schuhe beißen und deinen Autolack zerkratzen!"
"Das würdest du nicht überleben."
"Du kannst mir nichts antun! Papa würde das nicht zulassen."
"Dein Vater ist ein schlauer Mann. Er weiß, dass er zwei Töchter, aber nur einen Beta hat."
"Das meinst du nicht ernst."
"Wenn du auch nur meine Schnürsenkel ansabberst, findest du es heraus."
Bernard trägt mich auf die Straße hinaus, öffnet mit einer Hand die Beifahrertür seines Jaguars und lässt mich auf den Sitz plumpsen.
Ich lehne mich zurück, verschränke die Arme vor dem Körper und starre ihn finster an. "Zufrieden?"
Bernard sieht auf mich herunter und sagt erst einmal gar nichts. Das Schweigen zwischen uns zieht sich und mir wird immer unwohler zumute. Als ich es schon kaum noch aushalten kann, lässt Bernard sich endlich zu einer Antwort herab.
"Du hast dich gut im Griff, Chloé, aber du bist klatschnass und stinkst nach Tequila, Chlor und Menschenpisse. Die Sitzreinigung bezahlst du mir von deinem Taschengeld."
Noch ehe ich protestieren kann, wirft er die Autotür zu.
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