Chapitre 11
Bernard ist kein Mann, der viel lächelt. Umso erstaunlicher, dass er in dieser Situation lächeln kann. Und es sieht nicht einmal aufgesetzt aus.
Viel schlimmer aber als sein Lächeln ist meine Reaktion darauf. Alles in mir verschlingt und verknotet, dreht, windet und schlängelt sich, als hätte ich ein Würmernest im Unterleib.
Ich spüre Bernard in jeder Zelle meines Körpers. Als wäre er ein Teil von mir. Als würden wir uns dieselbe Seelen-DNA teilen. Und zumindest rein theoretisch wäre Bernard alt genug, um mein Vater zu sein.
Doch nicht einmal dieser verstörende Gedanke und die eisige Kälte, die von Bernard ausgeht, können das befriedigende Gefühl von ewiger Verbundenheit vertreiben. Dieses Gefühl, das man bekommt, wenn alles im Regal nach Farben sortiert ist, wenn man den Kuchen auf Anhieb aus der Form gelöst bekommt oder das letzte Puzzleteil einfügt und endlich alles perfekt ist. Nichts ist besser als das.
Und was das Ganze noch viel schöner macht: Ich weiß, dass Bernard dasselbe fühlt.
Er muss einfach.
Eigentlich könnte alles so perfekt sein. Wenn da nicht Henri wäre, die Madame und der Umstand, dass Bernard und ich uns geschworen haben, bloß platonische Mates zu sein.
"Salut, Bernard", hauche ich.
Bernards Blick wandert an meinem Körper hinab. "Du hättest das andere Kleid anziehen sollen."
"Es war ... nicht mein Geschmack", erwidere ich.
Bernard verzieht das Gesicht zu einem missbilligenden Ich-bitte-dich-Ausdruck. Eine kleine Erinnerung daran, dass ich nicht versuchen sollte, meinen Seelenverwandten zu belügen.
"Ich habe dem Personal an der Tür gesagt, dass du Rot tragen würdest."
"Du hättest wissen sollen, dass ich nicht Rot tragen würde."
Bernard schmunzelt. Dann wandert sein Blick zu Henri und seine Miene verhärtet sich. "Ich hatte doch ausdrücklich gesagt, dass du alleine kommen sollst."
"Henri gehört zu mir", halte ich dagegen.
"Gehört er nicht", erwidert Bernard mit einer wegwerfenden Handbewegung.
Er hat Recht.
Von seiner Warte aus betrachtet, gehöre ich nur zu einer einzigen Person.
Zu einem einzigen Wolf.
"Wenn du mit mir reden willst, wirst du Henris Anwesenheit tolerieren müssen."
Bernard schüttelt sachte den Kopf. "Ich muss überhaupt gar nichts tolerieren."
"Ganz wie du willst." Ich fasse meine Handtasche mit beiden Händen und fahre mit den Daumen über das Metall am Griff. "Wir müssen nicht reden. Ich kann auch einfach wieder gehen."
"Du willst nicht gehen, bevor du gehört hast, was ich zu sagen habe."
"Nein. Du willst nicht, dass ich gehe, bevor ich gehört habe, was du zu sagen hast. Aber ich werde gehen, wenn ich das Gefühl habe, dass Henri in Gefahr sein sollte."
Bernard schürzt die Lippen. "Du denkst also, Henri wäre in Gefahr? Versteckt er deswegen eine Waffe in seiner Tasche?"
"Weißt du, ich bin genau hier", meldet sich Henri zu Wort. Er hat noch nie gewusst, wann es besser wäre, zu schweigen. Schon bei unserer ersten Begegnung hat er sich Bernard in den Weg gestellt. "Du kannst auch direkt mit mir reden."
Natürlich geht Bernard nicht darauf ein.
"Henri ist tatsächlich in Gefahr", sagt er zu mir und lässt seinen Blick durch die leere Lounge schweifen. Unter uns pulsiert das Leben. Rote und grüne Lichter flackern, Menschen tanzen zum Takt einer irgendwie archaisch klingenden Musik. Ihr Geruch steigt in schweren, säuerlich-schwefeligen Gestank-Wolken zu uns herauf. "Und weißt du, warum?"
Ich schüttele den Kopf.
"Fällt dir etwas auf?"
"Nein."
Bernard wendet sich wieder mir zu. "Außer uns ist niemand hier."
"Du hast die ganze VIP-Lounge gemietet."
Es ist weniger eine Frage als eine Feststellung.
Bernards Blick ist jetzt fest auf mich gerichtet. Seine eisblauen Augen lassen mir alle Haare zu Berge stehen. "Ich teile nicht gerne."
Sag es.
Du gehörst mir.
Meine Zunge saugt sich am Gaumen fest.
"Na, dann haben wir etwas gemeinsam", höre ich Henri sagen.
Bernard zieht die Augenbrauen hoch. "Du und ich haben nichts gemeinsam."
"Wir beide lieben Chloé."
"Nein", widerspricht Bernard. "Ich liebe Chloé nicht. Sie ist meine Seelenverwandte. Das ist etwas ganz Anderes. Jemand wie du wird das niemals verstehen."
"Bernard-", wende ich ein, aber er lässt mich nicht zu Wort kommen.
"Du bist nur eine Ausrede, Fournier", fährt er unerbittlich fort. "Die kurzfristige und belanglose Zerstreuung, die man sucht, während man darauf wartet, dass das Unvermeidliche passieren wird." Er schüttelt langsam den Kopf. Seine Augen glühen wie heißer Stahl. "Chloé ist ein Wolf, Henri, und alles, was du ihr bieten kannst, ist ein Käfig."
Ein anderer Mann wäre an dieser Stelle vielleicht wütend geworden, aber nicht Henri. Er spielt dieses Spiel schon so lange, vermutlich kennt er längst alle gängigen, menschenfeindlichen Sprüche, oder hat sogar schon Schlimmeres gehört.
"Ich kann das verstehen, Morel", erwidert er, ohne die Miene zu verziehen. "Es muss wehtun."
Bernard runzelt fragend die Stirn.
"Ich meine, du bist Chloés Seelenverwandter. Ihr vom Schicksal vorherbestimmter Partner. Ihr Loup du cœur. Du kannst sie Dinge fühlen lassen, die ich nicht kann." Henris linker Mundwinkel zuckt spöttisch. "Und trotzdem hat sie sich nicht für dich entschieden, sondern für mich." Sein Tonfall wird auf süßliche Weise herablassend. "Woran das wohl liegen kann? Fragst du dich das oft, Morel, wenn du im Armani-Anzug im Filante sitzt und bei einem Glas Rotwein düster vor dich hinstarrst?"
Mir bleibt beinahe der Mund offen stehen. So habe ich Henri noch nie reden gehört. Sorgenvoll wandert mein Blick zu Bernard, der keine offensichtliche Regung zeigt. Lässig sitzt er da, aber mir kommt es vor, als könnte ich die Nähte seines Hugo-Boss-Anzugs leise knirschen hören. Als wäre Bernard nur ein Fingerschnippen davon entfernt, aufzuspringen und Henri zu zerreißen.
Die Stille zwischen uns zieht sich in die Länge.
Mit jeder verstreichenden Sekunde wird mir unwohler.
Schließlich bewegt Bernard den Kopf. Ob es sich um ein Nicken oder ein Kopfschütteln handelt, kann ich jedoch nicht sagen. Seine Lippen kräuseln sich verächtlich. "Niemand, der Geschmack hat, würde Armani tragen. Schon gar nicht im Filante."
Bevor Henri etwas erwidern kann, deutet Bernard auf das andere Ende der c-förmigen Sitzbank. "Setz dich, Chloé. Es gibt einiges zu besprechen." Er rümpft die Nase. "Und sag deinem Kauknochen, er soll die Finger von der Waffe lassen."
"Er wird dich nicht erschießen, wenn du ihm keinen Grund dazu gibst", erwidere ich.
Bernard seufzt. "Er könnte mich nicht erschießen, wenn er es wirklich wollte, aber ich stehe unter Beobachtung und würde gerne eine unnötige Eskalation vermeiden."
Mit einem kurzen, warnenden Blick zu Henri lasse ich mich auf die weiße Polsterbank gleiten und ziehe den Saum meines zu kurzen, viel zu engen Kleides zurecht.
Henri bezieht derweil hinter mir Aufstellung.
"Wie geht es meiner Mutter?", ist das Erste, das ich wissen will.
Bernard nimmt die Arme von der Lehne und setzt sich aufrecht hin. "Deiner Mutter fehlt nichts."
Das zu hören, ist schonmal eine Erleichterung. Am liebsten würde ich Bernard fragen, wie er uns dermaßen verraten konnte. Aber ich denke, diese Vorwürfe hebe ich mir besser für später auf.
"Du hast gesagt, dass du unter Beobachtung stehst. Meinst du Personnes Handlanger draußen?"
"Nicht nur", erwidert Bernard vage.
"Dann ist Personne am Leben?"
"Bedauerlicherweise ja."
"Und was war das heute Nachmittag?", frage ich weiter. "Die Soldaten? Die schwarzen Wölfe?"
"Offiziell eine Anti-Terror-Operation am Alten Hafen."
"Und inoffiziell?"
"Ein Alleingang von Personne."
Ich blinzele. "Arbeitet Personne nicht für die Madame?"
"Doch. Schon." Bernard steht auf und geht zur Bar. "Aber in letzter Zeit gibt es gewisse Meinungsverschiedenheiten."
"Inwiefern?"
"Personne ist nicht begeistert davon, dass ich für die Madame ... arbeite."
Ich ziehe die Augenbrauen hoch. "Du meinst, dass du und die Madame ..." An dieser Stelle mache ich eine kurze Pause, aber als Bernard mir nicht den Gefallen tut, den Satz für mich zu ergänzen, rate ich ins Blaue: "... ein Paar seid?"
"Mach dich nicht lächerlich", erwidert Bernard, lehnt sich über den Tresen und kehrt kurz darauf mit zwei Gläsern und einer Flasche Roederer Cristal für ... ich würde schätzen ... 13.000 Euro zu uns zurück. "Die Madame und ich sind kein Paar."
"Aber ihr schlaft miteinander."
"Beunruhigt dich das?"
"Wenn ich dabei zusehen muss ..."
Bernard schmunzelt. "Es gibt Mittel und Wege, sich vor diesem Aspekt unseres Seelenbundes zu schützen. Oder ihn zu vertiefen."
"Was für Wege?"
Bernard stellt die Gläser zwischen uns auf den Tisch, der von vielen kleinen LEDs beleuchtet wird und einem Sternenhimmel ähnelt. Dann lässt er sich wieder auf die Sitzbank sinken und schnalzt mit der Zunge. "Wenn du damals im Wintercamp aufgepasst hättest, wüsstest du es."
"Damals hatte ich wirklich andere Sorgen." Spöttisch füge ich hinzu: "Falls du dich daran erinnern solltest. Oder hast du das alles verdrängt? Was die Durands uns antun wollten? Was die Durands deinem Rudel angetan haben? Denkst du, die Madame war daran nicht beteiligt?"
Bernard lässt den Korken aus der Champagner-Flasche knallen und fängt die herausquellende Flüssigkeit mit einem der Gläser auf. "Nein, das habe ich nicht, Chloé. Im Gegenteil. Ich weiß genau, was die Madame getan hat." Er schiebt mir das Glas über den Tisch zu.
"Und hast du ihr einfach verziehen?", frage ich vorwurfsvoll.
"Keineswegs." Ein Schatten wandert über Bernards Miene, während er sich selbst Champagner einschenkt. "Aber ich habe eingesehen, dass es Angelegenheiten gibt, die wichtiger sind, als meine privaten Rachegelüste."
"Was für Angelegenheiten?"
"Das Überleben unserer Spezies." Er hebt sein Glas, als wollte er mir zuprosten. "Und da kommst du ins Spiel."
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