Chapitre 57
Nach dem Gespräch mit meinem Vater – nachdem wir uns noch etwa ein Dutzend Mal versichert haben, dass wir uns lieben, und ich jederzeit um ein offizielles Gespräch bitten könne – sitze ich draußen im Herrenzimmer auf einer Hantelbank und starre an die Wand.
Ich habe keine Ahnung, was gerade passiert ist. Bin ich jetzt wirklich ein Beta? Kann das wahr sein? Und was bedeutet das? Was muss ich jetzt machen? Nervös reibe ich mit den Handflächen über meine nackten Oberschenkel. Worauf habe ich mich da bloß eingelassen?
Ein leises Geräusch lässt mich herumfahren.
Es ist Manon, die zur Tür hereinlugt. In Wolfgestalt schimmern ihre Augen in einem noch intensiveren Algengrün. Sie scheint nicht recht zu wissen, was sie machen soll. Erst als ich ihr mit einem kurzen Wink zu verstehen gebe, dass ich gegen Gesellschaft nichts einzuwenden habe, kommt sie ins Zimmer. Mit ihrem dicken Schwangerschaftsbauch muss jeder Schritt eine Quälerei sein.
Ich rutsche von der Hantelbank und setze mich auf den Dielenboden, um mit Manon auf Augenhöhe zu sein. Zur Begrüßung drückt sie ihren Kopf gegen meine Wange und schleckt mir anschließend die salzigen Tränenspuren aus dem Gesicht.
Ob sie weiß, was gerade passiert ist?
Natürlich weiß sie das. Gael würde niemals etwas ohne die Zustimmung seiner Luna entscheiden. Schon gar nichts so Wichtiges. Offenbar ist Manon damit einverstanden, dass ich in Zukunft für ihr Leben und das ihrer Welpen verantwortlich bin.
Der Gedanke macht mich einerseits starr vor Furcht und andererseits wahnsinnig stolz.
"Danke, Manon", flüstere ich ihr ins Ohr, ziehe sie zu mir heran und vergrabe die Finger in ihrem dichten, wolligen Pelz.
Manon gibt ein spöttisches Hecheln von sich, als wollte sie sagen, dass ich nicht albern sein soll, und leckt mir noch einmal quer übers Gesicht.
In diesem Moment öffnet sich die Tür zu Gaels Büro.
"Du kannst wieder reinkommen", sagt Florent und unterstreicht die Worte mit einer einladenden Geste.
Ich küsse Manon zwischen die Ohren, ziehe mich an der Hantelbank auf die Beine und kehre in Gaels Büro zurück. Vor Nervosität wummert das Herz in meiner Brust. Außerdem fällt mir ein, dass ich vorgehabt hatte, meinen Vater nach dem weiblichen Alpha zu fragen, aber jetzt muss ich dieses Gespräch wohl erstmal verschieben. Es gibt auch wirklich Dringenderes zu klären.
Zu dritt beziehen Florent, Pierre und ich vor Gaels Schreibtisch Aufstellung. Unser Alpha lächelt in die Runde. "Ich bin wirklich froh, dass dieses Thema jetzt vom Tisch ist."
"Heißt das, du wirst unser Gamma?", frage ich Pierre.
Pierre zuckt mit den Schultern. "Irgendwer muss es ja machen ..." Er wirft Florent einen schiefen Blick zu. "Und da dieser Hund zu verbohrt ist, um den Platz des Betas zu räumen ..."
"Das hat mit Vorbortheit nichts zu tun", erwidert Florent. "Mein Vater wird nichts Anderes erlauben – und selbst das werde ich ihm wohl irgendwie aus den Rippen leiern müssen." Er schnaubt sarkstisch. "Sonst bin ich der Nächste, der von Zuhause verstoßen wird."
Die Vorstellung, dass mein Vater gerade jetzt ein Schreiben aufsetzt, dass meine Verbannung aus seinem Rudel besiegelt, fühlt sich wie ein Schlag in die Magengrube an. Ich kann noch immer nicht ganz begreifen, dass mein bisheriges Leben der Vergangenheit angehört. Wenn ich das nächste Mal nach Paris komme, wird es als Gast sein.
Ich schlucke den Schmerz herunter und reibe mir mit der Hand über den Mund.
"Na, wenn du das sagst", brummt Pierre. Doch er wäre nicht Pierre, wenn er lange eingeschnappt sein könnte. Beinahe sofort hellt sich seine Miene wieder auf. "Und wir machen das ja auch für Chloé." Er lächelt auf mich herunter. "Bin fast ein bisschen froh, dass du dich in Zukunft mit Florent herumschlagen musst."
"Wir werden schon zurechtkommen." Florent stupst mich mit dem Ellenbogen an. "Oder?"
Ich zwinge mich zu einem Lächeln. "Ja, sicher."
"Das wollte ich hören", sagt Gael. Sanfter ergänzt er: "Mir ist klar, dass du im Moment ein bisschen überfordert sein musst, Chloé, aber ich glaube wirklich, dass wir eine gute Lösung gefunden haben."
Ich nicke mechanisch.
"Du wirst natürlich noch in deine Rolle hineinwachsen müssen", fährt Gael fort. "Genau wie wir alle, wenn ich ehrlich bin." Er kratzt sich am Kopf. "Aber wenn du schon irgendwelche Ideen oder Vorschläge hast, kannst du damit jederzeit zu mir kommen. Und wenn du irgendetwas brauchst, für dein Zimmer oder für deinen Job als Beta ... wir sind finanziell gut aufgestellt. Mach mir einfach eine Liste und eine Aufstellung der Kosten, ja?"
Wieder nicke ich und komme mir vor wie ein Wackelhund, der auf dem Armaturenbrett eines schnell beschleunigenden Fahrzeugs sitzt.
Gael wendet sich an Florent und Pierre. "Und ihr beide kümmert euch um Chloé."
Pierre schlingt mir den Arm um die Schultern. "Bien sûr, patron."
Ich bin froh, dass meine Werwolf-Pillen wirken, wobei ich die in Zukunft wohl nicht mehr brauchen werde. Jetzt, da ich Teil des Rudels bin, wird Manons Nähe meinen Hormonzyklus beeinflussen und meine Sommerphase unterdrücken. Noch ein Vorteil meines neuen Jobs.
Gael runzelt kritisch die Stirn.
"Was?", will Pierre wissen.
"Chloé soll sich hier wohlfühlen", erklärt Gael. "Und das bedeutet, dass ihr zwei euch mal zusammenreißen müsst. Keine Streitereien mehr. Keine blöden Sprüche." Er misst die beiden mit einem gereizten Blick. "Und keine Obszönitäten in irgendeiner Form."
Pierre sieht aus, als müsste er den Begriff Obszönität erst im Wörterbuch nachschlagen.
"Danke, Gael", sage ich. "Aber ich komme mit den beiden schon zurecht."
"Und heute kommt ja auch Zoé zurück", ergänzt Florent. "Dann hat Chloé noch etwas weibliche Gesellschaft."
"Ich komme gut mit männlicher Gesellschaft zurecht", entgegne ich.
"Das hoffe ich", sagt Gael. "Denn die Betas und Gammas der anderen Rudel, mit denen du in Zukunft zu tun haben wirst, werden definitiv männlich sein."
Florent rollt mit den Augen. "Besonders dieser Crétin Jean-Claude. Der muss als Kind in den Testosteron-Kessel gefallen sein."
"Beiß ihm beim nächsten Mal doch einfach die Eier ab", schlägt Pierre vor.
Gael stöhnt. "Ihr zwei seid echt unmöglich. Ich habe die Hoffnung, dass Chloé eine etwas diplomatischere Lösung finden wird."
"Kommt drauf an", erwidere ich. "Wenn er dir, Manon oder den Welpen was antun will, werden abgebissene Eier vermutlich sein kleinstes Problem sein."
"Jawoll", triumphiert Pierre. "So gefällt mir das."
Florent grinst. "Ich denke, Chloé hat die richtige Einstellung. Muss sie von Bernard haben. Der würde da auch nicht lange fackeln."
Die Erwähnung von Bernard versetzt mir erneut einen schmerzhaften Stich. Andererseist hat Florent vielleicht Recht. Bernard hat selbst gesagt, dass wir uns ähnlich wären. Vielleicht bin ich ja ein Beta-Naturtalent. Und falls nicht, habe ich mir sicher das eine oder andere von ihm abgeschaut. Der Tatendrang überkommt mich wie ein Fieber.
"Kann ich jetzt gehen?", erkundige ich mich.
Gael scheint zu spüren, dass ich eine Pause brauche, und nickt. "Klar. Ich habe auch nichts mehr zu sagen. Aber du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du irgendwas brauchst."
"Um ehrlich zu sein, bräuchte ich schon etwas." Ich deute auf Gaels Schreibtisch. "Einen Stift und etwas Papier, wenn das in Ordnung wäre ..."
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