Chapitre 33
"Ist das die Narbe von damals, als du in den Brunnen gesprungen bist, um mich zu retten?", frage ich, während mein Finger den Verlauf der alten Wunde nachzeichnet und dabei über Bernards rechte Bauchseite streicht. Seine Muskeln fühlen sich steinhart an und er erzittert leicht unter meiner Berührung, als wäre er es nicht gewohnt, angefasst zu werden.
"Nein", antwortet er schleppend. "Das ist eine Schussverletzung."
Ich nicke. "Maman hat mir davon erzählt."
"Das war keine große Sache."
"Ist eine Schusswunde am Bauch nicht immer eine große Sache?"
"Wir heilen schnell, Chloé."
"Ja, mit ein bisschen ..." Ich halte meine Haare zurück, beuge mich über ihn und küsse die Narbe. Ganz sanft nur, aber die Berührung brennt auf meinen Lippen wie Feuer.
Bernard lächelt. In seinen dunklen Augen schimmert etwas, das ich mir unbewusst schon immer herbeigesehnt habe. Nicht nur schwelendes Verlangen, sondern auch eine Form der Anerkennung, als wäre ihm plötzlich bewusst geworden, dass ich kein Kind mehr bin, sondern eine erwachsene Frau. "Ein Kuss hätte da nicht gereicht, fürchte ich."
Ich setze mich auf und erwidere sein Lächeln. "Und was ... würdest du vorschlagen?"
Noch ehe ich die Frage zu Ende ausgesprochen habe, streckt Bernard bereits die Hand nach mir aus und zieht mich auf seinen Körper. Da ich nur knappe Panties trage, kann ich seine Hüfte zwischen meinen nackten Schenkeln spüren. Seine Hüfte und noch etwas Anderes, bei dessen Berührung mich ein wohliger Schauer durchwandert.
Irgendwie habe ich immer gedacht, falls Bernard und ich jemals zusammen im Bett landen würden, dann wäre es in einem Moment der beidseitigen Schwäche – ein kurzes, leidenschaftliches Aufeinandertreffen, geleitet von animalischen Instinkten, gefolgt von tiefer Reue – doch das hier ist anders. Ich weiß genau, was ich mache, und ich könnte jederzeit aufhören. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass der größte Trick unseres Gehirns darin bestünde, uns glauben zu lassen, dass wir die Kontrolle hätten. Dabei sind wir in Wirklichkeit nur Zuschauer. Kinogäste aus der ersten Reihe.
Bernards Hände fahren unter mein T-Shirt. Er umfasst meine Taille und lässt seine Hände von dort aus langsam aufwärts gleiten. Durch die Berührung kriege ich eine Gänsehaut bis unter die Fußnägel. Gleichzeitig scheint ein Funkengestöber durch meine Adern zu rauschen. Ich beuge mich über ihn, lege meine Hände an sein Gesicht und küsse ihn fest auf den Mund, auf diese wunderschönen, ernsten Lippen, die nur selten ein Lächeln zeigen. Ein seltsam befreites Gefühl durchströmt mich. Als könnte ich erst jetzt, da ich mich zum ersten Mal wirklich in Kontrolle über mich selbst fühle, diese Kontrolle guten Gewissens zum Teufel jagen.
Klingt paradox, ich weiß, aber ich spüre, dass es Bernard genauso ergeht. Wir seien uns ähnlich, hat er zu mir gesagt und ich muss zugeben, dass er damit wohl Recht gehabt hat. Wir müssen beide immer die Kontrolle haben. Es gibt niemanden, an den wir diese Bürde abtreten könnten. Niemanden, dem wir genug vertrauen würden. Außer einander. Denn zwischen uns ist Vertrauen keine Frage des Glaubens. Ich muss nicht darauf hoffen, dass Bernard immer für mich da sein, mich lieben, ehren und beschützen wird. Ich weiß es. Denn er ist mein Loup du cœur. Ein Teil von mir. So wie ich ein Teil von ihm bin. Das bedeutet, wir sind mehr als Partner, mehr als Verwandte, mehr als Liebende. Wir sind eins.
Lächelnd sehe ich in Bernards kohlschwarzen Augen, streichele seine Wangen und küsse ihn noch einmal, während seine Hände sich meinen Brüsten annähern. Dann will ich mich aufsetzen, um seiner Berührung auszuweichen und ihn ein wenig zu necken, da bemerke ich, dass ich mich nicht von ihm lösen kann. Wir sind buchstäblich an Lippen, Händen und Schenkeln miteinander verschmolzen. Und es ist noch nicht vorbei. Mit jedem laut hämmernden Herzschlag scheine ich weiter in ihm zu versinken. Ich tauche in Bernard ein wie in einen See, der nach ihm schmeckt und duftet. Nach Koriander, Wermut, Wüste und Meer. Ich verschwinde. Werde vollständig absorbiert. Löse mich auf. Und sehe durch seine Augen.
Ein großer Wolf springt auf mich zu. Ich werfe mich ihm entgegen. Wir ringen miteinander, verbeißen uns im Fell des jeweils Anderen. Ich schmecke warmes Blut. Und spüre einen durchdringenden Schmerz. Die Lichter der Straßenlaternen werfen unsere zuckenden Schatten an die Hauswände. Ein schrilles Jaulen und Winseln zerreißt die Stille der Nacht.
Ich kann mich losreißen und renne davon. Mein Gang ist schwerfällig. Jeder Schritt schmerzt, als würden Nadeln durch meine Haut gestochen. Offenbar bin ich verwundet. Unruhig wandert mein Blick umher. Ich befinde mich in einer Stadt. Nein, ein Dorf. Mittelalterliche Gemäuer zu beiden Seiten der schmalen Gassen, Schindeldächer, eine große Kirche. Ich kenne diese Kirche. Als ich mich durch eine offen stehende Seitentür ins Innere schleppe, wird es ganz deutlich. Der Chor, der Kreuzaltar, die Tabernakeltür mit dem auferstanden Christus, der Taufstein aus Marmor. Doch es sind nicht allein Architektur und Kunst, die mir verraten, wo ich bin. Es ist dieser Geruch nach alter Farbe, zerfallenden Mauern, abbröckelndem Stuck, säuerlichem Wein, Tagestouristen, Staub und Kerzenwachs. Ich war schon einmal hier. Von der Uni aus. Ein Seminar über barocke Kirchenarchitektur. Ich bin in Fayence. In der Kirche Saint-Jean-Baptiste.
Bernard knurrt. Irgendjemand ist bei uns. In den Schatten zwischen den Bankreihen. Violette Augen glimmen in der Finsternis. Der Anblick und die Furcht, die mir dabei durch die Adern schießt, katapultieren mich aus dem Traum zurück in die Realität.
Ein Ruck geht durch meinen Körper. Ich bäume mich auf und werde nur von meinem Sicherheitsgurt auf dem Sitz gehalten.
Der Polizist, der hinter dem Steuer sitzt, wirft einen Blick in den Rückspiegel. "Alles in Ordnung, Mademoiselle?"
Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, dass ich mich in einem Polizeiwagen befinde und Handschellen trage, und um mich daran zu erinnern, wie es dazu gekommen ist. Mein Atem geht schwer und meine Kleidung ist durchgeschwitzt. Es hat aufgehört zu regnen. Am Himmel über der Straße zeichnen sich bereits die ersten Ausläufer einer frühen Morgendämmerung ab. Dunkles Rot und Violett, wie aus dem Farbkasten des Teufels.
"Hatten Sie einen Albtraum?"
Ich fahre mir mit der Zunge über die trockenen Lippen. Schmerz. Überall in meinem Körper. Jeder Atemzug ein Messerstich in die Brust. Aber alles, woran ich denken kann, ist Bernard. "Wie weit ist es von hier nach Fayence?"
Der Polizist scheint zu überlegen.
"Bitte, es ist dringend", setze ich nach. "Bernard Morel ist dort und er ist in Gefahr."
"15 oder 20 Minuten."
Ich lehne mich so weit ich kann nach vorne. "Dann fahren Sie los."
"Aber ich habe meine Anweisungen von Monsieur Leroy."
"Monsieur Leroy ist nicht hier", erwidere ich. Mein Gesicht friert ein. Ich kann es spüren. Alles an mir wird hart und kalt. Mit drohend gesenkter Stimme ergänze ich: "Also wenn Sie nicht in Stücke gerissen werden wollen, fahren Sie nach Fayence. Und zwar schnell."
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