Chapitre 32
Zuerst fahre ich einfach geradeaus. Ich stehe ein bisschen neben mir. Daran müssen das Adrenalin und die Schmerzen Schuld sein. Die Umgebung fliegt an mir vorbei. Alles wirkt verschwommen. Ich muss mich richtig konzentrieren, um die Straßenschilder lesen zu können. Zum Glück bin ich in die richtige Richtung unterwegs.
Es ist das erste Mal, dass ich Bernards Auto fahre. Es ist überhaupt das erste Mal, dass ich einen schnellen Sportwagen fahre. Und ich muss gestehen, es gefällt mir, auch wenn ich mich dazu ermahnen muss, nicht übermütig zu werden. Zwar sind die Straßen in einem passablen Zustand, doch das turbulente Wetter wirkt sich sehr ungünstig auf Fahreigenschaften des Wagens aus. Mal ganz davon abgesehen, dass ich in meinem Zustand vermutlich gar nicht mehr hinter dem Steuer sitzen sollte. Ich bin ein nervliches Wrack und mir tut buchstäblich alles weh. Bei jedem Einatmen schießt ein scharfer Schmerz durch meinen Brustkorb. Vielleicht habe ich mir ein oder zwei Rippen gebrochen.
Mit zitternden Fingern und einem unterdrückten Keuchen korrigiere ich die Position des Rückspiegels. Dabei stelle ich fest, dass mein Gesicht mit Blutspritzern gesprenkelt ist. Auch die Wunde an meiner rechten Pobacke pocht und blutet. Ich spüre, wie die Wärme des Blutes den Stoff meiner Hose durchtränkt. Dennoch gilt mein erster Gedanke den teuren Ledersitzen. Hoffentlich lassen sie sich gut abwaschen.
Flach atmend und bedenklich nahe am Hyperventilieren fahre ich Richtung Nizza. Ab und zu begegnen mir andere Fahrzeuge. Ihre Scheinwerfer und Rücklichter verlaufen im Regen wie Farbtupfer auf einer feuchten Leinwand. Während der Fahrt sehe ich immer wieder in den Rückspiegel. Ich könnte es nicht beschwören, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich verfolgt werde. Bestimmt haben Herr Alkoholproblem und Herr Aftershave noch nicht aufgegeben. Die einzige positive Neuigkeit ist, dass sie mich lebend zu Antoine Lavigne bringen sollen. Das verschafft mir vielleicht etwas Zeit.
Nach etwa einer halben Stunde Fahrt schwindet mein Optimismus jedoch abrupt. Blaulichter flackern in der Dunkelheit. Erst sind es nur ein paar, aber dann werden es rasch mehr. Zuerst denke ich noch, es könnte sich um eine Baustelle oder einen Unfall handeln, doch dann wird mir klar, dass ich auf eine Straßensperre zufahre.
Mein Puls schießt in die Höhe. Immerhin habe ich derzeit weder einen Ausweis noch einen Führerschein bei mir. Kann man deswegen verhaftet werden oder bekomme ich nur ein Bußgeld aufgebrummt? Und wie soll ich das viele Blut und meine Verletzungen erklären?
Für einen winzigen Moment denke ich darüber nach, einfach aufs Gas zu steigen und die Polizeiautos, die die Fahrbahn blockieren, aus dem Weg zu rammen, aber dann siegt meine Vernunft und ich bremse. Wenige Meter vor der Straßensperre komme ich zum Stillstand.
Durch die von Tropfen und Schlieren überzogene Frontscheibe und die rhythmischen Bewegungen der Scheibenwischer kann ich einen Uniformierten erkennen, der sich meinem Fahrzeug nähert. Er hat eine Hand an seinem Gürtel. Vermutlich an seiner Waffe. Ist vielleicht irgendwo in der Gegend ein Schwerkrimineller ausgebüxt? Eilig wische ich mir mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht und lasse die Seitenscheibe herunter.
Der Polizist – ein schmächtig gebauter Mensch mit asiatisch erscheinenden Gesichtszügen – bleibt in einem Sicherheitsabstand stehen und blinzelt in den Regen. "Mademoiselle Lasimonne?"
Die Zunge scheint mir am Gaumen festzukleben. "Ja?", krächze ich.
Woher kennt der Polizist meinen Namen? Was geht hier vor?
"Steigen Sie aus dem Wagen."
"Warum?", frage ich. "Stimmt etwas nicht?"
"Ich habe den Befehl, Sie in Gewahrsam zu nehmen."
"Was? Wieso?"
Eine unerwartete Bewegung lenkt meine Aufmerksamkeit auf sich. Im Rückspiegel kann ich einen schwarzen Geländewagen erkennen, der in etwa hundert Metern Abstand angehalten hat. Unwillkürlich versteife ich mich, wie in Erwartung eines Schlages. Dadurch schießt ein scharfer Schmerz durch meinen Rumpf. Tränen treten mir in die Augen.
Verschwommen nehme ich wahr, wie der Polizeibeamte gestikuliert und seinen Kollegen, die an der Straßensperre warten, hektische Befehle zuruft. Daraufhin gehen die Polizisten hinter ihren Autos in Deckung, ziehen ihre Schusswaffen und zielen damit auf den schwarzen Geländewagen, wie in einem amerikanischen Actionfilm.
An mich gewandt, wiederholt der Beamte: "Steigen Sie aus, Mademoiselle."
"Was werfen Sie mir denn vor?", will ich wissen.
"Sie wurden dabei beobachtet, wie Sie auf jemanden geschossen haben."
"Ich habe mich nur gewehrt", protestiere ich.
Der Beamte nickt. "Gegen zwei Wölfe aus dem Lavigne-Territorium."
An dieser Stelle werde ich misstrauisch. "Für wen arbeiten Sie?"
"Für die Leroys", antwortet der Polizist. Seine Uniform wirkt bereits ziemlich durchnässt. Wassertropfen perlen vom Rand seiner Kappe. "Nun, machen Sie schon. Steigen Sie aus."
Die Erwähnung von Louannes Familie lässt meine Bedenken schwinden. Ich schnalle mich ab und klettere aus Bernards Wagen. Die Bewegung treibt mir erneut die Tränen in die Augen. Nur mit Mühe kann ich mich auf den Beinen halten.
An der frischen Luft werde ich kurz von Kopf bis Fuß mit dem Lichtpegel einer Taschenlampe abgeleuchtet. Vielleicht, um sich zu vergewissern, dass ich unbewaffnet bin. Ein Abtasten ist unnötig. Unter meiner leichten Sportkleidung kann ich unmöglich eine Waffe verbergen.
"Kommen Sie", drängt der Polizist, legt mir Handschellen an und schiebt mich zu einem der Polizeiwagen. Dort drückt er mich auf die Rückbank.
"Warum die Handschellen?", will ich wissen. Die Metallringe fühlen sich unangenehm an und ich hasse das damit verbundene Gefühl von Wehrlosigkeit. Mich hilflos zu fühlen, ist nun wirklich das Allerletzte, das ich an diesem Tag noch gebrauchen kann, selbst wenn ich die Handschellen durch eine Verwandlung schnell loswerden könnte.
"Es muss echt aussehen", erwidert der Beamte. "Spielen Sie einfach mit."
Nach dieser kryptischen Antwort wirft er die Tür des Polizeiwagens zu und verschwindet zwischen den blinkenden Lichtern in der Dunkelheit. In der Ferne kann ich die Scheinwerfer des Geländewagens ausmachen. Sie scheinen abzudrehen. Offenbar haben die Lavignes kein Interesse daran, sich mit den lokalen Behörden anzulegen. Möglicherweise wissen sie gar nicht, dass der Beamte, der mich verhaftet hat, ein Initié ist und für die Leroys arbeitet.
Trotz der Handschellen erlaube ich mir ein kurzes Durchatmen, bereue es jedoch sofort wieder, denn der Schmerz, der von meinen gebrochenen Rippen ausstrahlt, gräbt sich wie ein Messer in meinen Brustkorb.
Kurz darauf kehrt der Polizeibeamte zu mir zurück und schwingt sich auf den Fahrersitz. Er nimmt seine Kappe ab und wirft sie auf das Armaturenbrett. "Tut mir leid wegen der Unannehmlichkeiten, Mademoiselle, aber die Lavignes sollen denken, dass wir Sie wegen der Schießerei am Motel du terre verhaftet haben."
"Eine Schießerei würde ich das nicht nennen", brumme ich.
"Es reicht, um Sie vorübergehend in Gewahrsam zu nehmen."
"Na schön. Und jetzt?"
"Jetzt bringe ich Sie hier weg." Der Beamte startet den Motor und legt den Rückwärtsgang ein. "Ach ja ... können Sie sich vielleicht anschnallen?"
Wegen der Handschellen brauche ich mehrere Versuche, bis der Gurt endlich einrastet. Durch die Verrenkung und die damit verbundenen Schmerzen wird mir beinahe schwarz vor Augen.
"Vielleicht sollte ich Sie in ein Krankenhaus bringen."
"Nein", presse ich heraus. "Nicht nötig." Ich kämpfe gegen die Benommenheit an. "Wissen Sie, wo Bernard ist? Bernard Morel, der Beta des Lasimonne-Rudels?"
"Wir haben bereits jemanden losgeschickt, um ihn einzusammeln. Bestimmt wartet er schon auf Sie."
Das ist wirklich die beste Nachricht der ganzen Nacht.
Erschöpft lehne ich mich zurück, unterdrücke ein gepeinigtes Stöhnen und schließe die Augen. Bernard. Hoffentlich geht es ihm gut. Hoffentlich wartet er wirklich schon auf mich. Ich brauche ihn jetzt. Ihn und seinen Wolfssabber. Aber vor allem ... ihn.
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