Chapitre 31
Ich renne auf direktem Weg zur Straße. Zuerst geht alles gut, doch dann nehmen zwei Wölfe meine Verfolgung auf. Alle Anderen sind hinter Bernard her, der ihnen bestimmt irgendwie davonrennen kann. Aber ich bin auf meinen Menschenbeinen zu langsam.
Einer der Wölfe holt zu mir auf, schnappt nach meinen Waden und verfehlt mich knapp. Es ist kein angedeuteter Biss, kein gutmütiges Knapsen, sondern ein echtes Zuschnappen. Meine Verfolger wollen Blut sehen. Für den Bruchteil einer Sekunde frage ich mich, ob Lavigne mich tot oder lebendig haben will. Dann habe ich keine Zeit mehr zum Denken.
Der zweite Wolf springt von hinten gegen mich. Ich stolpere vorwärts, kann mich aber auf den Beinen halten. Mein Puls schnellt in die Höhe und meine Umgebung zerfällt in ein Kaleidoskop aus Wahrnehmungen und Empfindungen. Der feucht glänzende Asphalt. Das Ziehen in meinen Eingeweiden. Die bunten Lichter des Burgerladens. Das drohende Knurren eines Wolfs. Der Sturm, der mir feuchtkalt ins Gesicht bläst. Das Gewicht der Waffe in meiner Hand.
Am anderen Ende des Parkplatzes werde ich erneut angesprungen. Dieses Mal verliere ich das Gleichgewicht und stürze auf Hände und Knie. Spitze Steinchen bohren sich in meine Handflächen. Ich will mich aufrappeln, aber da packt einer der Wölfe meine Haare und zerrt mich herum. Es fühlt sich an, als würde ich skalpiert werden. Mir entfährt ein schriller Schmerzensschrei. Beinahe hätte ich die Waffe fallengelassen. Der Wolf kennt keine Gnade und schleift mich ins Gras abseits der Lichter des Parkplatzes. Ich kämpfe gegen die Benommenheit. Mit Tränen in den Augen betaste ich den Griff der Pistole, bis ich den Sicherungshebel finde. Ich drücke ihn nach unten, packe die Waffe mit beiden Händen und drücke ab.
Erst als der Schuss durch die Nacht peitscht und meine Arme vom Rückstoß nach außen weggedrückt werden, wird mir bewusst, dass ich gar nicht richtig gezielt habe. Der Knall verfehlt seine Wirkung jedoch nicht. Die Wölfe lassen von mir ab und springen davon.
Ich handele kurzentschlossen, krabbele durch das feuchte Gras, stoße mich ab, komme wieder auf die Beine und renne los. Mit beiden Händen um mich schlagend, kämpfe ich mich durch ein Gebüsch, stolpere durch einen Graben und erreiche schließlich die Straße. Bernards Wagen steht nur wenige Meter entfernt.
Gerade als ich ihn erreiche, werde ich von hinten gepackt und herumgeschleudert, sodass ich gegen die Motorhaube knalle. Ein nackter Mann – vermutlich einer der Wölfe, der mich verfolgt hat – packt mich an der Kehle und drückt mich gegen den Wagen. Die Wölbung des Blechs bohrt sich in meinen Rücken. Ich wehre mich, strampele mit den Beinen und kratze ihm den Arm auf. Daraufhin beugt er sich vor und drückt fester zu. Sein Griff schnürt mir die Luft ab. Ein seltsamer, pfeifender Laut dringt aus meiner Kehle. Meine Lunge krampft. Die Panik flutet meine Adern wie eine eiskalte Flutwelle, die mich packt und unter Wasser zieht.
Dann erinnere ich mich an die Waffe in meiner Hand. Ich hole aus und knalle sie meinem Angreifer gegen die Schläfe. Mit so viel Schwung, dass sie mir dabei aus der Hand fliegt. Warme Blutspritzer sprenkeln mein Gesicht. Der Griff des Mannes lockert sich, sodass ich ihn wegstoßen und mich unter ihm herauswinden kann. Mein Angreifer gibt jedoch nicht so einfach auf. Er kriegt mich am T-Shirt zu fassen und zerrt mich zurück. Mit einem tiefen Grunzen packt er mich an den Schultern und wirft mich zu Boden. Ehe ich mich versehe, liege ich im Matsch.
"Bleib unten, Louve."
Ich denke nicht daran, will mich mit den Beinen von ihm wegschieben und bekomme prompt einen Tritt in den Unterleib. Stöhnend rolle ich mich auf die Seite, um meine wichtigsten Organe zu schützen.
Mein Angreifer bückt sich, dreht mich wieder herum und schlägt mir ein paar Mal mit der flachen Hand gegen die Wange, so als wollte er mich aufwecken. "Du machst gefälligst, was ich dir sage!" Er richtet sich wieder auf, zieht die Nase hoch und spuckt mir ins Gesicht.
Panik, Ekel und Zorn kochen in meinen Adern. Gleichzeitig bin ich wie gelähmt. Und dabei ist es der denkbar ungünstigste Moment, um in Schockstarre zu verfallen.
Ein dumpfes Grollen kündigt das Nahen des zweiten Wolfs an, den ich mit meinem Schuss in die Flucht getrieben habe. Mit glühenden, violetten Augen und gelben Zähnen taucht er aus der Dunkelheit auf.
Reiß dich zusammen, Chloé, sage ich zu mir. Na los, Chloé. Mach was, Chloé. Ich taste nach Bernards Autoschlüssel, den ich aus reiner Gewohnheit in meine Hosentasche gestopft habe.
Der Wolf kauert sich neben mir zusammen und lässt mich nicht aus den Augen. Sein Starren sagt mehr als Gerüche es je könnten. Er hat es auf mich abgesehen. Wenn ich auch nur zucke, beißt er mir die Kehle durch. Sein Kumpan scheint das auch zu spüren und schiebt ihn mit dem Fuß zur Seite. "Ganz ruhig, Hugo. Wir brauchen sie lebend." Erst in diesem Moment erkenne ich meinen Angreifer als Herrn Alkoholproblem. Er sieht auf mich herab und lächelt. Dunkles Blut läuft ihm aus der Platzwunde an der Schläfe über die Wange und tropft ihm vom stoppeligen Kinn. "Aber das heißt nicht, dass wir dir nicht alle Knochen brechen können. Verstanden?"
Ich starre ihn nur an. Mein Herz pocht so laut, dass ich mich wie ein Klangkörper fühle. Leer, hohl und irgendwie passiv. Als wäre ich ein unbeteiligter Zuschauer. Aber ich muss etwas tun. Ich muss kämpfen. Jetzt oder nie. Wenn sie mich erst in ihr Auto verfrachtet haben, werde ich keine Fluchtmöglichkeit mehr bekommen. Komm' schon, Chloé, komm' schon. Courage.
Herr Alkoholproblem holt aus und tritt mich erneut mit der Schuhspitze in die Seite. Meine Rippen knacksen. "Hast du mich verstanden?"
Ich wimmere und winde mich vor Schmerz. Der Autoschlüssel bohrt sich in meine Handfläche.
"Das gib's doch nicht", grollt Herr Alkoholproblem und beugt sich vor, um mich erneut ins Gesicht zu schlagen. "Ich hab' dich gefragt, ob du mich ver-"
Mit einem Schrei fahre ich in die Höhe und ramme ihm den ausgefahrenen Klappschlüssel ins Auge. Es ist das erste Mal, dass ich sowas Drastisches mache und ich bin überrascht, wie leicht es geht. Herr Alkohlproblem kreischt, als hätte ich ihn der Länge nach aufgespießt. Ich ziehe den Schlüssel wieder zurück, versetze ihm einen Tritt, der ihn zurückstolpern lässt und ziehe mich an der Karosserie des Jaguars auf die Beine. Hugo kommt mir nach und schnappt nach meinem Po. Seine Zähne bohren sich durch den Stoff meiner Hose und in meine Haut. Ich schreie, schaffe es aber irgendwie, mich auf die Motorhaube zu ziehen und zur anderen Seite zu robben.
Schnell entriegele ich das Fahrzeug, öffne die Tür und schiebe mich auf den Beifahrersitz. Noch ehe Herr Alkoholproblem sich wieder im Griff hat, habe ich die Türen auch schon wieder verriegelt und bin über die Mittelkonsole hinweg auf den Fahrersitz geklettert. Mit zitternden Fingern drücke ich den Startknopf. Die Maschine um mich herum erwacht zum Leben. Lichter flammen auf, der Motor schnurrt und der Bildschirm im Zentrum des Armaturenbretts begrüßt mich mit dem Herstellerlogo und der Warnung, dass Ablenkungen Unfälle verursachen können. Keine Ahnung, ob die Programmierer dieses Textes dabei auch an einen Wolf gedacht haben, der auf die Motorhaube klettert und die Frontscheibe zerkratzt.
Ich reagiere instinktiv, umfasse das Lenkrad und gebe Gas. Hugo wird durch die ruckartige Bewegung über das Fahrzeugdach katapultiert. Herr Alkoholproblem kann dem Wagen nur noch hinterhersehen. Die Beschleunigung ist wirklich phänomenal. Ich werde förmlich in den Sitz gepresst. Mein Herz flattert wie ein Vögelchen. Du hast es geschafft, Chloé. Du hast es geschafft. Das denke ich jedenfalls.
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