Chapitre 21
Henri und ich folgen Bernard und Chalice in die Gartenanlage des Lavigne-Anwesens hinaus. Dort ist alles für eine Feier vorbereitet. Lange, hübsch gedeckte Tische mit Windlichtern und Blumengestecken, umgeben von halbhohen Hecken und sprudelnden Wasserspielen. Dazu eine mit Girlanden und Luftballons geschmückte Bühne, ein kleines Orchester, ein Streichelzoo und eine fast zwei Meter hohe Torte mit so viel Zuckerguss und Schokoladen-Deko, dass man schon vom Hinsehen Karies bekommt. Ein wahr gewordener Mädchentraum, aber mir wird bei dem Anblick nicht warm ums Herz, sondern kotzübel.
Ich ziehe Henri in die Schatten zwischen dem Haus und einem hohen Rankgitter und fummele mit zitternden Fingern an meiner Clutch herum. Natürliche kriege ich den Verschluss nicht auf und Henri muss mir helfen.
"Alles in Ordnung, Chloé?", erkundigt er sich besorgt.
"Ja, ja, alles Bestens", säusele ich, während ich den Blister auspacke und mir noch eine Werwolf-Pille genehmige. "Und bei dir?"
Henri lächelt schief und wischt sich eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn. "Also ich wär' schon gern woanders ..."
"Wem sagst du das?", seufze ich und zwinge mich dazu, sein Lächeln zu erwidern. "Kannst du mir vielleicht was zu trinken holen?"
"Ist das eine gute Idee? Ich meine, wegen der Tab-" Henri hält inne, als er meinen flehenden Gesichtsausdruck bemerkt. "Na schön. Bin gleich wieder da."
Es fällt mir nicht leicht, Henri wegzuschicken, aber ich brauche ein paar Sekunden für mich alleine. Sonst drehe ich noch durch. Courage, Chloé, courage, sage ich zu mir selbst und fahre mir mit den Händen über das Gesicht. Was auch immer das eben zwischen Bernard und mir war, es ist wieder weg. Mein Instinkt hat sich zu Wort gemeldet und ich habe ihn erfolgreich erstickt. In Gedanken stelle ich mir vor, wie ich die Hände um den Hals meines inneren Wolfs lege und kräftig zudrücke, bis ihm die goldenen Augen aus dem Kopf quellen.
Im nächsten Moment bemerke ich einen ungewöhnlichen Geruch, der mir seltsam vertraut und zugleich vollkommen fremd vorkommt. Einen Reim darauf machen kann ich mir nicht, denn die einzelnen Komponenten werden von einem olfaktorischen Vorschlaghammer überlagert: Dem Geruch eines Alphas.
Ich fahre herum und erwarte Antoine Lavigne oder Monsieur Leroy, den Vater von Louanne und Zoé, zu sehen, doch da ist niemand. Nur die normalen Partygäste, die den gepflegten Garten und die darin verteilten Marmor- und Bronzeskulpturen bewundern. Kein Alpha weit und breit. Der Geruch verflüchtigt sich, als hätte er bemerkt, dass er meine Augen nicht betrügen kann.
"Hier, Chloé." Henri tritt zwischen den Hecken hindurch und reicht mir ein Glas Rosé-Champagner.
Ich trinke es in einem Zug aus und stelle es auf einen Mauervorsprung. Dabei bemerke ich Mathéo, der nicht weit entfernt mit einer Kellnerin flirtet.
"Geht's wieder?", erkundigt sich Henri.
"Ja, danke."
Ich hake mich wieder bei ihm unter. Gemeinsam navigieren wir durch den Garten, bis wir an einem der Tische Platzkarten mit unseren Namen entdecken. Das heißt, mit meinem Namen, Bernards Namen und Mathéos Namen. 'Henri' und 'Chalice' sind nirgendwo zu entdecken.
"Bestimmt haben sie uns bloß vergessen", sagt Henri.
"Denkst du wirklich?", knurre ich, während in meinem Innern schon wieder Mordgelüste entstehen. Nicht zu fassen, was Antoine Lavigne hier versucht. Dass er sich wirklich auf dieses Niveau herablassen würde. Wo sind wir hier? Im Werwolf-Kindergarten?
"Ich ... kann auch einfach stehen", schlägt Henri vor. "Oder ich suche mir irgendwo einen Hocker und ..."
"Kommt gar nicht in Frage." Ich fasse ihn an den Schultern und schiebe ihn zu meinem Stuhl. "Hinsetzen."
Henri gehorcht und lässt sich an den Tisch sinken. Die Wölfe rundherum mustern uns abfällig. Einige wirken auch amüsiert. Als hätte ich meinen dressierten Affen mitgebracht. Ich lasse ihre Blicke an mir abperlen, raffe meinen Rock zusammen und setze mich auf Henris Schoß. Auf diese Weise habe ich ihn ganz nah bei mir und kann auf ihn aufpassen. Außerdem gibt mir seine körperliche Nähe emotionalen Halt. Ihm scheint es genauso zu gehen. Jedenfalls kann ich fühlen, wie er sich unter mir entspannt. Aus einem Impuls heraus richte ich seine Fliege und streiche über sein Hemd. Seine Körperwärme sickert durch den Stoff und ich kann nur mit Mühe den Drang unterdrücken, mein Gesicht an seiner Brust zu vergraben. Es ist vielleicht der denkbar ungünstigste Moment, um daran zu denken, aber ich habe ihn so lieb, dass es wehtut.
Bevor ich meine Gefühle zum Ausdruck bringen kann, erscheinen Bernard und Chalice bei uns am Tisch. Mein Seelenverwandter betrachtet die Platzkarten und scheint schnell zu begreifen, was los ist. Ich denke, er wird das Problem ähnlich lösen wie Henri und ich, aber er verhält sich nicht wie erwartet. Nachdem er die Situation erfasst hat, schnappt er sich die Tischkarte vom Nachbarplatz, überfliegt den darauf geschriebenen Namen und wirft sie dann achtlos hinter sich ins Gebüsch. Anschließend zieht er ganz gentleman-like den Stuhl zurück und lässt Chalice Platz nehmen. So macht man das wohl als Beta.
Kurz darauf kann ich den auf diese Weise vertriebenen Wolf um den Tisch herumschleichen sehen. Er scheint zu überlegen, ob er sich mit Bernard anlegen will, entscheidet sich dann aber dagegen und verschwindet zwischen den Hecken.
Das rotgoldene Farbenspiel am Himmel verblasst zusehends. Die laue Sommerbrise und die flackernden Windlichter verleihen der Veranstaltung eine mystische Atmosphäre, in der die Schatten zwischen den Bambus- und Lorbeerhecken beinahe lebendig zu sein scheinen.
Immer mehr Wölfe versammeln sich an den Tischen. Nach einer Weile taucht auch Mathéo bei uns auf. Breit grinsend lässt er sich auf seinen Stuhl sinken. Anscheinend hat wenigstens einer von uns Spaß.
Und dann betreten Antoine Lavigne und seine Tochter die Bühne im Zentrum des Gartens, auf der ein Holzstuhl mit hoher Lehne bereitsteht. Auf einen Wink ihres Vaters hin, nimmt Lilou darauf Platz und krallt die Finger in den Stoff ihres Kleides. Sie trägt jetzt eine silbrig schimmernde Krone und sieht so elend aus wie ich mich fühle.
"Es ist soweit", verkündet ihr Vater. Dabei umfasst er die Lehne des Stuhls mit beiden Händen. Um uns herum ersterben alle Gespräche und eine ominöse, nur ab und zu von einem Räuspern oder Flüstern unterbrochene Stille senkt sich herab. "Jetzt fehlt nur noch eines."
Zwischen zwei Kaninchen, die in einem Gehege neben der Bühne untergebracht sind, scheint Streit auszubrechen. Sie gehen aufeinander los und verursachen dabei einen ziemlichen Radau.
Die Wölfe an den Tischen lachen.
"Die können es wohl auch nicht mehr erwarten", kommentiert Lavigne.
Lauteres Gelächter aus dem Publikum.
Lavigne wartet, bis sich alle – inklusive der Kaninchen – wieder beruhigt haben, und kommt dann zum Thema zurück. "Nach alter Tradition ist es Brauch, dass der jungen Fähe in diesem besonderen Moment eine Freundin zur Seite steht, ihre Hand hält und eventuelle Tränen lindert." Sein Blick schweift über die Anwesenden. "Ich habe meine Tochter gefragt, wer diese Freundin für sie sein soll – und ihre Wahl fiel auf Chloé Lasimonne."
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