I
Ich knallte gerade einen Polizisten ab, als mein Handy zum zweiten Mal klingelte. Sein Kopf platzte wie eine überreife Tomate und Blut und Hirnmasse verteilten sich auf dem Gehsteig. Die Passanten rings um mich herum kreischten in ihrer Panik wild durcheinander und liefen umher wie aufgescheuchte Hühner. Widerwillig löste ich meinen Blick von dem Blutbad vor mir und sah auf das Display; unbekannter Teilnehmer ruft an.
Mit zittrigen Fingern fummelte ich eine Lucky Strike aus der Verpackung und zündete sie mir an. Ich ließ mir Zeit dabei, doch der Anrufer gab nicht auf. Seufzend tippte ich auf den grünen Hörer.
"Ja?"
"Hallo? Bin ich hier richtig bei ... äh ... Dillinger?" Eine männliche Stimme. Allerdings eine, die ich nicht kannte. Ich nahm einen tiefen Zug von meiner Zigarette, klemmte mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter und schnippte mit dem Feuerzeug den Kronkorken von einer Bierflasche.
"Nein", sagte ich, erleichtert. "Hier ist Behring. Sie haben sich verwählt."
"Oh", entgegnete mein unsichtbares Gegenüber und ich runzelte die Stirn. Wer verwählte sich denn heutzutage noch? Aber umso besser, wenn es niemand war, der mit mir sprechen wollte.
"Ja, also dann. Tschüss", sagte ich und mein Finger schwebte bereits über dem roten Symbol. Ich hatte keine Zeit für langes Geplänkel, schließlich gab es eine Mission zu erfüllen.
"Warten Sie", rief der Fremde. "Behring ... Und wie noch?"
Die Furche zwischen meinen Augenbrauen wurde immer tiefer.
"Jasmin?" Verdammt, wieso klang das wie eine Frage?!
"Okay. Ich bin Mo", stellte sich der andere vor. "Jasmin, ich habe gerade ... ähm, ich hoffe, das kommt jetzt nicht sehr neugierig rüber, aber ich habe Schreie gehört. Gerade eben, als du den Hörer abgehoben hast."
Ich stutzte einen Moment, dann seufzte ich erneut.
"Hey Mo, Du klingst echt nett und alles, aber du hast dich verwählt, okay? Und ich hab echt keine Zeit für nettes Geplauder. Also, mach's gut."
"Zockst du da Zombie-Gemetzel 3? Klang jedenfalls so, als wäre da grad ein untoter Polizist explodiert."
Wow, nicht schlecht!
"Stimmt", sagte ich deshalb und konnte nicht verhindern, dass ich ein wenig beeindruckt klang. Trotzdem, ich hatte zu tun. "Und ich bin gerade in Level 18, du weißt also, es ist gerade ziemlich spannend, also ..."
"Wenn du in das Geisterhaus am Ende des Levels kommst, lass dich nicht von den Rüstungen verwirren", erklärte er unbeirrt. "Die sollen dich nur ablenken! Die wahre Gefahr geht von der Galerie aus, da oben sitzen nämlich die Typen von der gegnerischen Armee. Und du musst durch die sechste Tür auf der linken Seite! Lass die anderen unbedingt geschlossen, sonst wirst du von den Zombies gekillt."
Jetzt war ich ganz Ohr.
"Du spielst ZG3?"
"Nee, ich nicht. Ich zocke nicht." Ich meinte, ein Grinsen herauszuhören. "Aber mein Mitbewohner, der zockt das immer und ich höre ihn oft fluchen. Ich habe keine Ahnung, wie das Spiel aussieht, aber in der Theorie bin ich ziemlich gut!"
"Offensichtlich. Immerhin hast du direkt den Sound erkannt. Hast du noch mehr Tipps für mich?"
"Ja! Bevor du in das Haus gehst, zieh dir die schusssichere Weste an, falls du eine hast. Die wirst du brauchen."
"Pff", schnaubte ich. "Anfänger! Klar hab ich eine!"
Der Mann, der Mo hieß, lachte. Ein angenehmer, tiefer Ton, wie ich feststellen musste. Ich nahm einen großen Schluck von meinem Bier. Es war bereits das dritte an diesem Tag und so langsam stellte sich das vertraute Taubheitsgefühl ein, das ich mir so herbeigesehnt hatte. Vielleicht war es der Alkohol, der mich so offen machte. Vielleicht war es aber auch nur die Tatsache, dass ich seit Wochen mit keinem echten Menschen mehr gesprochen hatte und Mo wirklich nett klang, vor allem, wenn er lachte. Jedenfalls wollte ich ihn plötzlich nicht mehr so dringend loswerden. Stattdessen wurde ich neugierig. Eigentlich konnte das Spiel ja auch mal ein paar Minuten warten.
"Also, Mo. Wen wolltest du anrufen, wenn nicht mich?"
"Eine gewisse Frau Dillinger. Was Berufliches. Also, eigentlich so eine Art Berufsberatung, weil ich einen neuen Job suche, aber ... Ja, das Thema ist eigentlich nicht so spannend. Erzähl mir lieber von den Skills, die du als Zombiejägerin hast."
Ich musste grinsen. Nur ein kleines bisschen. Die Bewegung fühlte sich ungewohnt an in meinem Gesicht, fast ein bisschen schmerzhaft, deswegen hörte ich schnell wieder damit auf.
"Also", sagte ich und zog an meiner Kippe. "Ich habe vier Punkte bei der Ausdauer ..."
"Autsch!"
"Ja, okay, ist ausbaufähig, aber dafür hab ich eine — halt dich fest! — glatte Zehn bei Schnelligkeit UND Abwehr! Und eine Neun bei der Schmerzresistenz."
"Wow!"
"Da bist du platt, was?"
"Absolut. Beeindruckend."
"Ich weiß."
"Das mit der Ausdauer kommt vielleicht von den vielen Zigaretten. Hab gehört, Rauchen ist schlecht für die Kondition."
Ich zuckte zusammen. Sofort wurde ich misstrauisch. Unterdrückte Nummer, angeblich verwählt? Versucht mich in ein Gespräch zu verwickeln? Und mal ernsthaft: WER erkennt ein Computerspiel allein daran, dass er eine kurze Szene über das Telefon gehört hat?
Plötzlich wurde mir eiskalt. Wie blöd war ich eigentlich?! Ich drückte die Zigarette aus und schlang den freien Arm um meinen Oberkörper.
"Woher weißt du das mit dem Rauchen?", fragte ich. Mein Tonfall war frostig. Ich schloss die Augen und atmete einmal tief durch. Vor unterdrückter Wut begann ich zu zittern. "Ernsthaft, was soll die Scheiße? Bist du ein Freund von Kat? Hat sie dir gesagt, dass du bei mir anrufen und dich ordentlich einschleimen sollst? Was denkt ihr Arschlöcher euch eigentlich dabei? Glaubt ihr, es ist nicht sowieso schon schwer genug für mich? Glaubt ihr echt, das hilft mir??"
"Wie ... Was? Wer ist Kat?" Er klang ernsthaft verwirrt, aber er konnte mich nicht täuschen. Es musste auf Kats Mist gewachsen sein! Es war schließlich nicht das erste Mal.
"Nun tu nicht so blöd", fauchte ich. "Kat hat dich auf mich angesetzt, gib's zu! Sie hat dir erzählt, ich würde zu viel trinken, zu viel rauchen und den ganzen Tag Zombie-Gemetzel zocken, und dass es mir so schlecht geht, dass sich jemand um mich kümmern muss! Woher hättest du sonst das mit den Zigaretten wissen sollen?"
"Nein, ich ... Ernsthaft, ich habe mich einfach verwählt", stammelte er. "Ich kenne weder dich noch eine Kat und das mit dem Rauchen sollte bloß ein blöder Scherz sein, sorry. War offenbar nicht lustig. Geht mich ja auch gar nichts an."
"Da hast du verdammt recht", fuhr ich ihn an. "Das geht dich nichts an! Du kannst Kat sagen, dass sie zu weit gegangen ist. Ich brauche keinen Babysitter, ich komme verdammt nochmal wunderbar zurecht! Und wehe, du rufst mich nochmal an!"
"Hey, Jasmin, warte mal ..."
Doch da hatte ich schon aufgelegt.
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