16 || Gewonnen
Idana Walker
Zum zweiten Mal an diesem Tag erklang die Kanone und sie liess mich zusammenzucken, auch wenn ich den lauten Knall mehr als erwartet hatte.
Meine Hand, die noch immer Eskos umschloss begann haltlos zu zittern. Mein Blick wanderte vorsichtig zu Eskos Gesicht. Seine Haut war unnatürlich weiss, die Augen waren glasig hellblau.
Zitternd bewegte ich meine Hand zu seinen Augen und schloss seine Lider. Immer noch flossen Tränen über meine Wangen, auch wenn ich versuchte sie herunterzuschlucken.
Ich schniefte und wischte mir mit dem Ärmel über das Gesicht. In dem Moment begann es über mir laut zu Rauschen. Ich hob den Blick und erkannte in einiger Entfernung ein Hovercraft, das sich auf mich zubewegte und schliesslich mit einiger Entfernung landete.
Kaum berührte das Gefährt den Boden, öffnete sich eine Klappe und eine Gruppe von Friedenswächter rannte heraus. Ich sah benommen zu, wie sie auf mich zu gerannt kamen.
Als sie bei mir ankamen, zogen mich zwei an den Armen hoch und schoben mich in Richtung des Hovercrafts. Ich wollte mich noch einmal umdrehen, mich richtig von Esko verabschieden, aber die Friedenswächter liessen nicht nach.
Ich wurde ins Innere geführt und wandte den Kopf noch ein letztes Mal nach hinten. Ich sah gerade noch, wie Eskos regungsloser Körper in eine Holzkiste gelegt wurde, bevor die Tür, die ich gerade durchquert hatte, hinter mir ins Schloss fiel.
Die Friedenswächter liessen mich allein mit meinem Gedanken in einem weissen Raum in dem Hovercraft. Die Wände blendeten fast schon, da sie so schneeweiss waren. Der Raum war beinahe leer, nur eine unbequem aussehende Liege stand an einer Wand.
Stumm liess ich mich auf die Liege sinken, lehnte an die Wand und schlang die Arme um meine Knie. Den Kopf vergrub ich zwischen meinen Beinen.
Ich liess meine Gedanken schweifen und verdrängte alles um mich herum, verdrängte die Realität.
In Gedanken ging ich zurück in meinen Distrikt. Damals war noch alles in Ordnung gewesen und ich war noch nicht ausgewählt worden, um an den Spielen teilzunehmen.
Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mein vorheriges Leben wieder zurückzuhaben. Ich würde von nun an zwar im Wohlstand leben und vielleicht konnte meine Familie mit mir in der Stadt der Sieger leben, aber ich würde für immer mit meinem schlechten Gewissen leben müssen. Ich würde für immer mit der Gewissheit leben müssen, dass ich meinen Verbündeten und auch andere Menschen umgebracht hatte, um zu leben.
Zudem würde auch jeder mein Gesicht kennen und mich immer mit den Hungerspielen in Verbindung bringen. Man würde mich wieder und wieder an die Hungerspiele erinnern.
Aber ich konnte die Gegenwart nicht ändern, egal wie sehr ich es mir wünschte. Ich war gefangen in der Gegenwart, ohne einen Ausweg.
Idana Walker
Ich wusste nicht genau, wie lange der Flug gedauert hatte, aber nach einer etwas längeren Zeit, riss mich ein Ruck aus meinen Gedanken. Wir waren gelandet.
Kaum hatte das Hovercraft den Boden berührt, öffnete sich die Tür zu dem Raum, in dem ich mich befand, und zwei Friedenswächter kamen herein.
«Wir gratulieren Ihnen ganz herzlich zum Sieg», sagte der eine und deutete eine leichte Verbeugung an.
«Wenn sie dann bitte mit uns kommen würden», ergriff der Zweite das Wort und als ich nickte, führten sie mich aus dem weissen Raum.
Nachdem die Klappe am Bauch des Hovercrafts sich geöffnet hatte, wurden wir mit Blitzlicht bombardiert. Überall standen Paparazzi, die mit ihren Kameras Fotos knipsten oder das Geschehen filmten. Aus den vordersten Reihen wurden mir mehrere Mikrofone entgegengestreckt.
«Wie fühlen sie sich», fragte einer.
«Können sie uns etwas über ihren Gewinn erzählen?», wollte ein anderer Wissen.
Instinktiv duckte ich mich und hob abwehrend die Hände über den Kopf. Zum Glück waren die Friedenswächter da und schoben alle Paparazzi unsanft beiseite. In ihrer Mitte wurde ich vom Landeplatz in ein riesiges Gebäude geführt, wo es endlich ruhig war und ich nicht mehr fotografiert oder gefilmt wurde.
Die Friedenswächter brachten mich in einen hellen Raum, wo ich auf einer Liege auf meinen Stylisten warten sollte. Er liess mich nicht lange warten, nach nur fünf Minuten betrat er den Raum.
Pietro, so hiess mein Stylist, der mich bereits vor den Spielen bekleidet hatte, war so kunterbunt gekleidet, dass ich mich erst an den Anblick gewöhnen musste.
»Idana!«, jauchzte er erfreut, »wie schön, dass ich die Ehre habe dich noch einmal zuvsehen. Ich gratuliere dir ganz herzlich zum Gewinn der Hungerspiele«
Ich brachte nur ein leichtes Lächeln zustande, als er mich beglückwünschend in die Arme schloss und mich zu zerdrücken drohte.
»Ich habe etwas ganz schönes für dich vorbereitet«, säiselte er mit etwas nerviger Stimme. Mit hektischen Schritten ging er zu einem Schrank, holte ein goldenes Etwas heraus und eilte dann zu einem Ständer, an dem haufenweise Schmuck baumelte.
Vollbeladen kann er wieder zu mir in legte erst einmal alles neben mir ab. Es dauerte etwas, bis ich in das Kleid gestiegen war und alles zu Pietros Zufriedenheit sass, aber nach schätzungsweise zehn Minuten konnte ich mich im Spiegel betrachten.
Ich trug ein creme-weisses Kleid, das oben eng war und von der Hüfte abwärts in einen schön fallenden Rüschenrock überging. Eine gold glitzernde Schicht überzog den Rock und das Oberteil war mit goldenen Steinchen besetzt.
Ich drehte mich einmal entzückt vor dem Spiegel und schrnkte Pietro ein Lächeln.
»Es ist wunderschön«, sagte ich ehrlich.
»Ich bin noch nicht ganz fertig«, sagte er. Nun wurde ich boch mit einer Schicht Puder bedeckt, die Lippen mit Lipgloss überzogen und meine Augen mit goldenem Lifschatten geschminkt.
Ich bekam auch noch ein paar goldene Armreifen und Halketten angelegt. Und zur Krönung setzte Pietro mir eine golden glänzende Krone auf, die aussah wie eine Efeuranke.
»Fertig!«, jauchzte Pietro begeistert, als er mich zum zweiten Mal vor den Spiegel schob.
Erneut stockte mir der Atem beim Anblick der sich mir bot. Ich konnte mich kaum wiedererkennen, so anders sah ich aus.
Pietro schien sehr zufrieden mit seinem Werk, denn er strahlte bis über beide Ohren.
»Dann bring ich dich mal zur Bühne«, sagte er, »Ganz Panem wartet bereits auf dich« Mit diesen Worten schob er mich aus dem Raum und führte mich mehrere Gänge entlang, bis wir schliesslich hinter der Bühne waren.
Ein Friedenswächter sah auf, als er mich aus dem Augenwinkel sah und kaum erkannte er mich, hob er sein Funkgerät und sprach ein paar knappe Worte hinein. Wahrscheinlich teilte er dem Interviewer mit, dass ich bereit war.
»Ladies and Gentlemen, begrüßen sie nun die Gewinnerin der diesjährigen 13. Hungerspiele mit einem kräftigen Applaus«, johlte der Moderator. Das war mein Stichwort auf die Bühne zu gehen.
Sofort brandete das Publikum los und ein tosender Applaus erfüllte die grosse Halle. Einige Leute grölten meinen Namen oder pfiffen begeistert.
Mit einer Hand winkend erklomm ich die paar Stufen vor der Bühne und ging zu Jim, dem Moderator, hin. Er grinste mir erfreut entgegen und bat mich, den Sessel neben ihm einzunehmen.
Mit einem leisen Seufzen ließ ich mich sinken und wandte den Blick dann Jim zu.
»Willkommen, Idana, ich gratuliere dir ganz herzlich zu deinem Gewinn. Das hast du echt grandios gemeistert«
»Vielen Dank», erwiderte ich, während er freudig meine Hand schüttelte.
»Sag Idana, wie fühlst du dich nun, da du die Hungerspiele gewonnen hast?«, fragte er und lehnte sich etwas in meine Richtung.
«Ich freue mich natürlich, dass ich wieder nachhause kann, aber gleichzeitig tun mir die anderen Tribute, besonders Esko, leid, da sie sterben mussten, damit überlebe», sagte ich ehrlich.
«Das ist verständlich, aber du hast es dir echt verdient hier zu sein», erwiderte Jim. «Was denkst du, weshalb hast du die Spiele gewonnen?»
«Ich hatte sehr viel Glück und einen Verbündeten, der mich nicht hinterging», antwortete ich nach kurzem Schweigen.
«Nicht so bescheiden», bemerkte Jim, «Wir wissen alle, dass du nicht nur aufgrund von Glück zur Gewinnerin wurdest. Nicht wahr?» Bei dem letzten Satz wandte er sich fragend dem Publikum zu und nur einen Moment später, jubelten alle zustimmend.
«Na also», machte Jim.
Jim stellte mir noch etliche andere Antworten, auf die ich einsilbig antwortet. Ich wollte jetzt einfach zurück in meinen Distrikt, nachhause.
Nach einer gefühlten Ewigkeit verabschiedete Jim sich – wie er sagte schweren Herzens – von mir und ich konnte mich von dem Stuhl erheben und von der Bühne gehen. Zum Abschied winkte ich noch einmal dem Publikum zu.
Hinter der Bühne traf ich gleich wieder auf Pietro, der mich freudig erwartete.
«Du warst grandios!», säuselte er.
Pietro begleitete mich zurück in der Raum, wo ich für das Interview fertiggemacht wurde. Es lagen bereits frische Klamotten bereit, die ich mir überzog, bevor Pietro mich zu, Zug brachte. Nun würde es endlich nach Hause gehen.
Ich verabschiedete mich mit einer kurzen Umarmung von Pietro. Friedenswächter öffneten mir die Tür und ich betrat den Zug, der nicht mehr so viele Wagen umfasste, wie bei der Anreise.
«Möchten Sie etwas essen?», fragte ein Friedenswächter, der an der Tür des Wagens stand, indem ich mich befand. Ich schüttelte den Kopf und ließ mich auf einem bequemen Sofa nieder.
«In Ihrem Distrikt wurde bereits in der Stadt der Sieger eine Wohnung für sie eingerichtet. Sie können direkt dort hingehen, wenn Sie wollen», sagte der Friedenswächter, «Ihre Besitztümer befinden sich bereits dort»
Ich nickte, um ihm zu zeigen, dass ich alles verstanden hatte. Er schien alles gesagt zu haben, was er wollte und so verließ er das Zugabteil und ließ mich allein zurück. Es war mir Recht allein mit meinen Gedanken zu sein.
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