Teil 3 | Erlösung
Ich legte meine Finger an einen Mitesser, der besonders hervor stach. Dann presste ich die Nägel in meine Haut und versuchte die Unreinheit herauszudrücken. Diese Prozedur schmerzte höllisch, doch sie schien Wirkung zu zeigen. Eine schwarze, talgige Wurst bahnte sich ihren Weg aus der Pore heraus. Dieses Gefühl war ekelhaft und befriedigend zugleich.
Gerade als ich dachte, es wäre so gut wie vollbracht, passierte plötzlich etwas Unglaubliches. Etwas unglaublich Verstörendes. Ich konnte nichts tun. Ich konnte nur wort- und bewegungslos dabei zusehen, wie die schwarze, unreine Wurst sich langsam wieder in meine Haut zurück zog.
Als ich realisierte, was da gerade passiert war, musste ich mir auf die Zunge beißen, um nicht sofort los zu schreien. Kurz darauf bemerkte ich einen metallischen Geschmack in meinem Mund. Das Blut war jedoch nicht alles, was in diesem Moment spürte.
Mein Fokus legte sich wieder auf meine Wange, welche sich nun wie ein Fremdkörper anfühlte. Ein Fremdkörper, der ein eigenständiges Lebewesen zu sein schien. Der nicht zu mir gehörte.
Der Schmerz war kaum noch auszuhalten. Mir war danach, mich zu übergeben, doch ich schluckte es runter. War das noch normal? Gehörte das zur Pubertät dazu? Hatten andere Jugendliche auch mit solchen Problemen zu kämpfen? Sollte ich Sabrina noch einmal um Rat fragen?
Ich wollte mein Handy zücken, doch dazu sollte es nicht kommen. Noch während ich nach dem Mobiltelefon griff, wurde mein Körper plötzlich von einem heftigen Schauer durchgeschüttelt. Und ich wusste auch, was der Grund dafür war. In meiner Wange, unter meiner Haut, hatte sich etwas bewegt.
Ich bildete mir das nicht ein. Das war ein reales Gefühl. Das ekelhafte, haarsträubende Gefühl von etwas Lebendigem, das sich unter meiner Haut eingenistet hatte.
Ich spürte nervöse Zuckungen in meiner Wange. Verdammt, ich musste sofort etwas unternehmen!
Kurz entschlossen rannte ich in die Küche, öffnete die Schublade, in der sich das Geschirr befand und fischte das Messer mit der bedrohlichsten Klinge heraus. Ich konnte schon häufiger beobachten, wie Mama damit Fleisch zubereitet hatte. Mein Gesicht war auch nichts anderes. Die Konsistenz war die Gleiche. Ob das Fleisch nun tot oder lebendig war, spielte für das Messer keine Rolle.
Ich positionierte mich wieder vor dem Spiegel. Das Messer hielt ich in der rechten Hand, bereit es zu benutzen. Ein letztes Mal fokussierte ich mich auf meine Wange. Das Leben unter meiner Haut schien immer nervöser zu werden. Vielleicht ahnte es bereits, was nun folgen würde.
Langsam und mit Vorsicht führte ich das Messer an meine Wange, die sich mittlerweile nur noch wie ein tumorartiges Geschwür anfühlte. Die Schmerzen waren ohnehin schon unerträglich. Vermutlich würde ich es gar nicht merken, wenn die Klinge sich geschmeidig in mein Fleisch bohrte.
Ich setzte die Klinge oberhalb der Wange an, und begann, sie vorsichtig in mein Fleisch hinein zu drücken. Tatsächlich dauerte es nicht lange bis der erste Tropfen Blut sich seinen Weg aus der Verletzung heraus bahnte.
Um den Fremdkörpern unter meiner Haut loszuwerden, musste ich tiefer schneiden. Ich musste mich selbst verstümmeln. Das war die einzige Möglichkeit, um den Plagegeistern ein für allemal den Garaus zu machen.
Ich unterdrückte einen Schrei, während ich mir die Klinge tiefer ins Fleisch rammte. Die Wunde wurde größer. Mehr und mehr Blut begann zu fließen. Der Anblick trieb mir die Tränen in die Augen. Ich war noch nie besonders gut darin gewesen, Blut anzusehen. Besonders dann nicht, wenn es mir gehörte.
Jetzt bloß nicht aufgeben. Ich war schon so weit gekommen, also musste ich es auch bis zum Ende durchziehen. Ich würde Erlösung erfahren, wenn ich nur bis zum Schluss durchhielt.
Beinahe wie automatisiert führte ich mit dem Messer eine Schneidbewegung aus, als würde ich Gemüse schneiden. Ich konnte spüren, wie sich ein dickes Stück Fleisch von meinem Gesicht löste. Das Blut floss nun in Strömen aus der Wunde und befleckte dabei den teuren Parkettboden. Hoffentlich würde Mama nicht allzu sauer sein.
Ich schnitt weiter und weiter. Nichts und niemand konnte mich davon abbringen, dieses überflüssige Stück Fleisch von meinem Körper zu lösen. Mich von dem Fremdkörper zu erlösen.
Die Schmerzen waren kaum noch auszuhalten. Ich merkte, wie mir langsam schwindelig wurde. Dies könnte jedoch auch an dem nicht unwesentlichen Blutverlust liegen.
Wie in Trance führte ich weiter die Schneidbewegung aus und musste dabei seltsamerweise an Oma Charlotte und ihre köstlichen Mittagsgerichte denken. Sie benutzte immer dieses bestimmte Gewürz... Was war das noch gleich...?
Auf einmal hörte ich ein feuchtes Platschen auf dem Boden. Ich hatte es geschafft. Das Stück Fleisch aus meinem Gesicht war weg.
Eine Welle des Glücks durchzog meinen Körper, doch dieses Gefühl hielt nicht lange an. Ich wischte mir das Blut aus dem Gesicht, damit ich einen besseren Blick auf die nun entblößte untere Hautschicht hatte. Als ich erkannte, was dort vor sich ging, wurde mir schlagartig übel. Das konnte nicht real sein. So etwas gab es nicht.
Das helle, weiche Fleisch war durch und durch mit Löchern in den unterschiedlichsten Größen und Formen übersät. Löcher, die scheinbar so tief in mein Inneres reichten, dass sie eine komplett schwarze Färbung besaßen.
Aus einem unwillkürlichen Reflex heraus, versuchte ich meinen Zeigefinger in das größte aller Löcher zu stecken.
Ich spürte eine unangenehme Wärme, die aus den Löchern zu dringen schien. Eine unangenehme, fiebrige Wärme.
Mein Finger verharrte für eine Weile in dem seltsamen Loch, das sich mit jeder Sekunde weiter ausdehnte. Dieser Moment war einfach nur surreal, doch die Spitze des Eisbergs war noch nicht erreicht.
Auf einmal bemerkte ich, wie etwas gegen meinen Finger stieß. Ein Schrei des Entsetzens drang aus meinem Mund, als ich meinen Finger langsam aus dem Loch heraus zog. Meinem Finger folgte eine seltsam anmutende Konsistenz, die ebenso wie die Löcher tiefschwarz verfärbt war. Doch bei dieser Konsistenz handelte es sich nicht um totes Gewebe, nein.
Dieses Etwas war ein quicklebendiger, sich windender Wurm. Ein schwarzer Wurm mit der Größe eines Blutegels. Nein, das stimmte so nicht. Es war nicht bloß Einer. Meine komplette Gesichtshälfte wurde von den schwarzen Larven bewohnt.
Allmählich wurde mir klar, wieso man sie im Volksmund als "Mitesser" bezeichnete.
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