Kapitel 8
Eric nimmt unbeholfen meine Sachen aus seinem Rucksack. Mit einer Hand tut er sich dabei sehr schwer, doch ich denke erst gar nicht daran ihm zu helfen, weil ich immer noch sauer bin, dass er mich angeschrienen und für alles beschuldigt hat. Doch als er mir meine Beutel und meine leere Wasserflasche entgegenhält, bin ich mir doch nicht mehr so sicher, ob ich mich von ihm trennen will. Ich kann die Karte nicht lesen, kann mir keine Waffen bauen und kenne mich auch sonst in der Natur nicht aus. Auch in seinem Blick kann ich Zweifel erkennen.
Ungefähr zehn Sekunden schauen wir uns traurig in die Augen, doch dann räuspert er sich: ,,Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich wirklich alleine weitermachen will. Wie geht es dir dabei?" Ich gebe zu: ,,Bei mir ist es genauso. Wir können ja auch zusammen weitergehen, einfach nur damit wir nicht alleine sind. Mein Klogang hat ja schon bewiesen, was bei einer Trennung passieren kann."
Eric nickt wortlos, was ich als Zustimmung deute. Mit der Karte in seiner gesunden Hand läuft er los, einen der Wege entlang und ich eile hinter ihm her. Er bewegt sich ziemlich schnell und ich bin dementsprechend schnell aus der Puste. Doch ich will ihn nicht aufhalten. Wir müssen schließlich keine zwei Wochen hier überleben und dann ist alles gut, sondern wir müssen hier rausfinden und weite Strecken laufen. Das sind zwei unterschiedliche Sachen. Wenn wir nicht genug Weg an einem Tag zurücklegen, haben wir keine guten Chancen es zu schaffen. Am besten beeilen wir uns, weil desto schneller wir hier raus sind, desto besser ist es.
Wegen der Stille habe ich Zeit nachzudenken. Plötzlich schäme ich mich für den Streit, dafür, dass ich überhaupt soweit weggegangen bin und einfach für alles. Aber trotzdem überwinde ich mich nicht dazu, mich zu entschuldigen.
Eine Ewigkeit später beschwere ich mich bei Eric, weil ich nicht mehr kann: ,,Können wir eine Pause einlegen?" Er seufzt genervt. "Aber nur kurz, sonst schaffen wir die heutige Tagesstrecke nicht." Ich runzele die Stirn. ,,Was?" Er erklärt: ,,Ich habe ausgerechnet, wie viel wir am Tag laufen müssen." Ich bin nur noch verwirrter. Wie kann er jetzt nur an Mathe denken?
,,Ist das dir jetzt als Pause genug?", fragt Eric. Nein! Es waren gerade mal fünf Minuten, wir haben uns nicht mal hingesetzt und mein Mund ist ganz trocken. Ich brauche etwas zu trinken! Ich sage es ihm und er nimmt seinen Rucksack ab, holt seine Flasche heraus, die noch halb voll ist und gibt sie mir. Ich schraube sie auf und exe den schlecht schmeckenden Inhalt herunter. Nachdem ich getrunken habe, verziehe ich das Gesicht. Dieses Wasser schmeckt echt nicht. Außerdem habe ich immer noch Durst und es ist so heiß. ,,Wir müssen jetzt weiter!", drängelt Eric und schon zieht er mich wieder den Weg hinter sich her.
Die nächsten zwei Wochen werden sicher ziemlich schrecklich werden, denn wir haben kein frisches Wasser. Trinken ist das Eine, aber wie sollen wir uns duschen? Oh nein, ich bin ja noch geschminkt. Abschminktücher gibt es hier auch nicht, Handtücher können wir ebenfalls vergessen und von frischen Klamotten ist ganz zu schweigen. Das wird ja so ekelhaft!
Ich bin circa zwanzig Meter nach hinten gefallen und hole Eric schnell wieder ein. Irgendwie schaut er lustig aus, mit dem T-Shirt als Rucksack, seiner Hose als Verband und nur mit der Unterhose bekleidet. Er wirkt wie ein richtiger Ureinwohner des Dschungels.
Ich fange ein Gespräch an: ,,Wie geht es deinem Arm?" Er zieht überrascht die Augenbrauen hoch, das hat er wahrscheinlich nicht erwartet. Verärgert antwortet er: ,,Scheiße. Ich konnte ihn noch druckverbinden, doch keine Ahnung, ob ich überleben werde, vor allem unter diesen unhygienischen Verhältnissen."
Was? Ist es so schlimm? Überrascht und traurig zugleich schaue ich ihn an. Er darf nicht sterben! Was soll ich nur ohne ihn tun? Tränen laufen mir über die Wangen, ehe ich sie stoppen kann und bebend schaue ich abwechselnd von Erics Gesicht zu seinem Arm. Wenn es wirklich so schlimm ist, dann haben wir jetzt ein sehr großes Problem. Er muss ins Krankenhaus! Das ist unmenschlich! Vielleicht ist es doch meine Schuld. Verdammt!
,,Wieso weinst du jetzt?", fragt Eric und nimmt mich in den Arm. Ich schmiege mich an ihn und seine Wärme tröstet mich. ,,Weil ich nicht gedacht hätte, dass es so schlimm ist. Ich will nicht, dass du stirbst." Ich kann ein Schmunzeln auf seinem Gesicht erkennen, doch es ist nur ganz kurz, eine Sekunde später ist er wieder ernst.
,,Lass uns einfach weitergehen, okay?", fragt er und ich antworte mit einem ,,Ja.", obwohl ich schon ziemlich müde und erschöpft bin. Aber wir müssen es einfach schaffen! Wir sind schon so weit gekommen, zumindest glaube ich das im Moment.
Bis zum Sonnenuntergang laufen wir noch Wege entlang. Ab und zu schaut Eric auf die Karte, um sicher zu gehen, dass wir richtig sind, aber sonst legen wir keine Pausen ein. Irgendwann aber bleibt er stehen und ich wäre fast gegen ihn gelaufen, hätte ich mich nicht gerade noch so stoppen können. Er sagt: ,,Für heute sind wir schon so weit gekommen, wie geplant. Jetzt sollten wir noch was zu Essen suchen und dann dafür sorgen, dass wir die Nacht überleben." Ich nicke, aber gleichzeitig steigt Angst in mir auf. Ich habe schon immer Angst vor Dunkelheit gehabt, hier wird es sicherlich noch schlimmer. Was ist wenn wir mitten in der Nacht von einem wilden Tier geweckt werden, dass uns fressen will?
"Okay, lass uns ein Stück in den Wald reingehen und gucken was für Nahrung zu finden ist. Bleib immer dicht hinter mir.", beschließt Eric. ,,Nahrung?", frage ich belustigt, weil es sich für mich eher nach Katzenfutter oder so anhört, und er verdreht aufgrund meines schlechten Humors die Augen. Dafür, dass ich nie ernst sein kann, hasse ich mich ja manchmal selbst. Wir gehen in den Wald rein und wie Eric es mir befohlen hat, entferne ich mich nicht von ihm. Er läuft nicht mehr so schnell wie vorher und schaut sich suchend um. Doch genauso wie ich kann auch er mit seinem Expertenwissen nichts entdecken, was vielleicht daran liegt, dass es auch nichts zu entdecken gibt.
Doch als wir die Hoffnung schon fast aufgeben wollten, kommen wir auf eine Lichtung mit Obstbäumen. Es kommt mir vor, wie in einem Märchenbuch: schwaches Sonnenlicht scheint schräg durch die Bäume und Kirschen, Äpfel und Birnen glänzen darin. In Erics Gesichtsausdruck ist ebenfalls deutliche Freude und Erleichterung zu sehen. Wir grinsen uns an und greifen beide nach einem Apfel.
Ich beiße hinein und ein wunderbarer Geschmack breitet sich in meinem Mund aus. Die Frucht ist saftig und frisch. Noch nie habe ich so etwas leckeres gegessen. Keine Ahnung, ob es nur daran liegt, dass ich schon seit einem Tag nichts mehr zu mir genommen habe. Die Birnen sind ebenso lecker und auch von den Kirschen können Eric und ich kaum genug kriegen. Begeistert verschlingen wir eine Frucht nach der anderen. Anschließend packen wir noch so viel Obst wie möglich in Erics Rucksack, damit wir später, falls wir wieder Hunger kriegen, etwas haben.
Plötzlich merke ich, dass es nicht fair ist, wenn Eric immer alles tragen muss. Er ist verletzt und ich bin noch so gemein zu ihm. Schnell schlage ich also vor, dass auch ich mal den Rucksack tragen kann und dankend gibt er ihn mir. Ich werde von dem schweren Gewicht fast nach hinten gefallen, doch schnell fange ich mich wieder und lasse mir nichts anmerken.
,,Wir müssen uns an einen Baum festbinden und dort oben schlafen, weil wir da geschützter vor Gefahren sind. Nur die wenigsten Tiere hier können glaube ich klettern und es ist auf jeden Fall sicherer." Verdutzt schaue ich ihn an. Ich habe zwar schon mal in dem Film ,,Die Tribute von Panem" gesehen, dass es sicherer ist auf einem Baum zu schlafen, doch niemals hätte ich mir denken können es selbst einmal tun zu müssen. Bestimmt ist es voll hart und unbequem und trotz der Schnüre gefährlich runterzufallen.
,,Wieso schaust du so besorgt? Was dagegen?", fragt Eric stirnrunzelnd und ich schüttele mit zusammengekniffenen Lippen den Kopf. Auch wenn ich etwas einzuwenden hätte, würden wir es eh so machen, wie Eric es will. Außerdem wäre das wahrscheinlich sowieso besser, egal ob es mir gefällt oder nicht.
Wir laufen wieder in Richtung des Weges, um uns dort einen Baum zum Schlafen zu suchen. Eric meint, dass es schlauer ist, so nah wie möglich an den gekennzeichneten Wegen zu übernachten, damit wir morgen gleich in der Früh loslaufen können. Irgendwie dauert es ziemlich lange und ich befürchte die ganze Zeit, dass wir uns verirrt haben und Eric uns im Kreis herumführt.
Doch mal wieder habe ich mich in ihm getäuscht, denn schon sehen wir das Kies des Weges im dunklen Schein des Mondes leuchten. Erleichtert atme ich aus. Jetzt können wir endlich schlafen. Ich habe schon voll Kopfweh und irgendwie ist mir schlecht.
Eric entscheidet sich für einen hohen Baum, an dem Lianen runterrangen und klettert, selbst nur mit einem Arm, geschickt hoch. Ich bin leider nicht so ein guter Kletterer wie er, schaffe es jedoch trotzdem mich Stück für Stück an den Lianen hochzuziehen. Der Rucksack hängt schwer an meinem Rücken und zieht meine Schultern deutlich nach hinten, doch ich schaffe es schließlich doch. Oben angekommen hieve ich mich auf einen Ast und atme hektisch ein und aus. Das war echt total anstrengend und hat voll ewig gedauert. Wie hat Eric das nur geschafft?
,,Na dann, lass uns Lianen pflücken und uns damit festbinden.", sagt Eric und ich schaue ihn wieder angewidert und verwirrt an. Das tu ich inzwischen aber auch schon bei allem, was er sagt. Obwohl ich es komisch finde mich mit einer Pflanze an einen Baum zu binden und so noch zu schlafen, nicke ich wieder und setzte mich vorsichtig auf den Ast. Auf keinen Fall darf ich runterfallen, den der Baum ist ziemlich hoch. Den Rucksack hänge ich an einen dicken Ast, von dem er sicher nicht runterfallen kann. Ich bin ziemlich glücklich darüber, endlich diese Last losgeworden zu sein.
Eric stellt sich ohne große Schwindelprobleme auf seinen Ast und reißt mit seinem Arm kräftig Lianen vom Baum. Bei der Kontraktion seiner Muskel, bleibt mir wieder der Mund offen stehen, ehe ich es stoppen kann. Schnell fange ich mich aber wieder und rede mir ein, dass es falsch ist. Wenn ich Eric toll finden würde, würde ich ja Damion hintergehen und das darf ich nicht, denn er ist mein Freund. Eric gibt mir einige der Kletterpflanzen, die er vom Baum geerntet hat und ich schaue sie zunächst ratlos an. Irgendein Saft kommt aus ihnen hervor und ich überlege schon, einfach ohne zu schlafen, weil sonst meine Klamotten dreckig werden, doch dann erinnere ich mich wieder an meine selbstverständliche Angst vor dem Runterfallen. Auf keinen Fall will ich heute Nacht mit ein paar Knochenbrüchen mitten im Dschungel liegen.
Eric knotet, geschickt wie immer, die Lianen um seine Hüfte und ich versuche es nachzumachen. Leider aber stelle ich mich dabei ziemlich ungeschickt an und mir fällt sogar eine Pflanze nach unten. Eric bemerkt meine Talentlosigkeit, beugt sich zu mir hinüber und knotet auch mich fest. Dabei kriege ich fast keine Luft mehr, da sein Körper so nah an meinem ist. Mein Herz pocht immer schneller und ich spüre da so ein unbekanntes Gefühl in meinem Bauch. Sind es etwa Schmetterlinge, von denen auch in Büchern und Filmen immer die Rede ist?
Schnell stoppe ich meine Gedanken wieder. Wie konnte ich schon wieder über so etwas nachdenken? Ich habe einen Freund, der jetzt wahrscheinlich tausende Kilometer von mir entfernt ist. Vielleicht vermisst er mich und macht sich Sorgen. Und vielleicht werde ich das nie erfahren und ihn nie wiedersehen. Aber man sollte immer optimistisch denken. Spätestens in einer Woche liege ich wieder in Damions Armen.
Selbst mit einer Hand hat Eric es ziemlich schnell erledigt, auch mich am Baum zu befestigen, was ich trotz meiner vorherigen Gedanken wieder sehr bewundere. Ich bedanke mich und wir legen uns beide auf die Äste. Wie schon befürchtet, ist es ziemlich hart und ich fürchte mich davor, dass kleine ekelige Krabbeltiere aus der Rinde hervorkommen. Wie soll ich nur die nächsten Tage so schlafen?
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