Kapitel 26
Plötzlich fällt Eric auf die Knie und bleibt auf dem Boden sitzen. Scheiße! Er darf auf gar keinen Fall ohnmächtig werden. Ich schaffe es nicht alleine durchs Ziel zu gehen. Wenn er jetzt hier liegen bleibt, bin auch ich so gut wie tot. Aber ich will weiterleben, wir müssen weiter. ,,Bitte bleib bei mir.", flehe ich ihn an. Er gibt aber nur ein Glucksen von sich. Nein! Das darf nicht passieren! Er muss bei Bewusstsein bleiben.
,,Geh ohne mich.", quetscht Eric hervor. ,,Niemals.", sage ich ehrlich, ,,entweder wir beide oder gar keiner." Er lächelt aber schüttelt den Kopf.
Bettelnd schauen wir uns gegenseitig an. Er will mich überzeugen, dass ich ihn hier liegen lasse, was ich aber ganz sicher nicht tun werde und ich will ihm vom Gegenteil überzeugen.
,,Ich spüre meine Beine nicht mehr.", stöhnt Eric und man merkt deutlich, dass er starke Schmerzen haben muss. Bestimmt hat er eine Blutvergiftung oder irgendetwas anderes ganz Schlimmes. Er kann auf keinen Fall weiterlaufen. Mist, ich widerspreche gerade mir selbst. Was soll ich denn jetzt nur tun? Aufgeben?
Nein! Das kommt gar nicht in Frage. ,,Ich trage dich.", höre ich es aus meinem Mund kommen und wundere mich im selben Moment über meine eigene Worte. Schaffe ich es wirklich Eric zu tragen? Er ist schwerer als ich und ich habe einen gebrochenen Fuß, mit dem ich ja kaum selber laufen kann. ,,Wirklich?", fragt auch Eric. Wir haben keine andere Möglichkeit. Ich muss es zumindest versuchen. ,,Ja.", antworte ich also und knie mich vor Eric hin, sodass er auf meinen Rücken steigen kann. Nachdem er sich festhält, stehe ich auf. Beinahe wäre ich nach hinten gefallen. Scheiße, ist er schwer! Aber als ich näher nachdenke, fällt mir auf, dass wir beide nur ziemlich abgemagert sind, weil wir wenig gegessen haben. Deshalb bin ich auch so schwach.
Am schlimmsten sind die Schmerzen in meinem Fuß. Ich habe das Gefühl, dass dieser gleich abbricht, denn er pocht regelrecht vor sich hin und schreit danach, dass ich stehen bleiben soll. Aber das mache ich ganz sicher nicht. Stattdessen laufe ich nur immer weiter. Ein Schritt vor den anderen.
Nach einer Ewigkeit fängt Eric an, sich auf meinem Rücken zu bewegen. ,,Was ist?", frage ich, da hält er mir die Karte entgegen. Er zeigt auf einen Punkt. Da müssen wir sein. Oh mein Gott, so nah am Ziel! Dieses ist direkt vor uns. Sofort laufe ich schneller. ,,Eine Stunde noch.", sagt Eric. ,,Okay.", meine ich. Das klingt verdammt viel! Aber im Vergleich zu dem, was wir schon geschafft haben, ist es gar nichts. Es sind sechzig Minuten. Gar nichts! Ich schaue nach oben zur Sonne. Sie wird bald untergehen, tut es aber noch nicht. Vielleicht schaffen wir es sogar, bevor es dunkel wird. Mit neuer Hoffnung laufe ich weiter.
,,Ich habe Durst, sorry.", meldet sich Eric nach einer Weile. ,,Alles gut.", erwidere ich auf seine Entschuldigung und setzte ihn ab. Er kann doch nichts dafür, dass er Durst hat. Er hat schon so viel für mich getan, dass das hier hingegen gar nichts ist. Eric lasse ich auf dem Waldboden zurück und gehe alleine in den Wald hinein, weil man dort einen Bach rauschen hört. Zum Glück war Eric sofort mit dieser Idee einverstanden, denn es wäre sehr anstrengend geworden, wenn ich ihn jetzt noch durch den Dschungel hätte schleppen müssen. Dieser kurze Weg zum Wasser ist sowohl für meinen Rücken, als auch für meine Beine eine große Entspannung. Trotzdem versuche ich nicht allzu lange von Eric fern zu bleiben, denn er könnte ja auch angegriffen werden und das würde er in seinem Zustand ganz sicher nicht überleben.
Also beschleunige ich meine Schritte nur noch und trinke so schnell und viel es geht, als ich am Bach ankomme. Für Eric pflücke ich ein rundliches Palmenblatt und fülle es mit Wasser. Dann trage ich es vorsichtig zu ihm zurück. Ich laufe langsam und balanciere das Blatt so auf meinen Händen, dass so wenig Wasser wie möglich auskippt. Da bin ich auch schon an der Stelle angekommen, an der Eric sitzt. Ich reiche ihm das Blatt, welches er hastig entgegennimmt. Zum Glück genügt ihm dieses Wasser, denn ich habe echt gar keine Lust noch einmal zum Bach zu laufen.
,,Weiter.", sage ich und lasse Eric wieder auf meinen Rücken steigen. Mein Fuß beginnt sofort wieder viel schlimmer zu schmerzen, aber ich beiße die Zähne zusammen und ignoriere es. Dafür, dass wir gleich zuhause sind, lohnt es sich.
Wie es wohl sein wird, wenn wir wieder draußen sind? Wenn wir wieder in die Schule und unseren normalen Alltag zurück müssen? Wahrscheinlich werden wir in eine andere Klasse kommen, weil unsere Klassenkameraden ja nicht mehr leben. Hoffentlich beide in die gleiche. Wird alles so wie früher? Können wir die Menschen, die uns hier eingesperrt haben und den Rest der Klasse getötet haben, irgendwie anzeigen oder so? Sie gehören weggesperrt. Wie soll ich Tabeas Eltern erklären, dass ihre Tochter nicht mehr lebt? Das macht mich echt fertig. Wie soll ich überhaupt ohne meine beste Freundin weiterleben? Aber als ich länger darüber nachdenke, sie hätte es eh nie hier raus geschafft. Es ist ja ein Wunder, dass ich noch lebe.
Die letzten Wochen über habe ich all diese Fragen verdrängt und mich auf die Gegenwart konzentriert, aber jetzt, wo wir dazu neigen anzukommen, schwirren sie alle auf einmal in meinem Kopf herum und bringen mich an den Rand der Verzweiflung.
Die größte Frage, die sich aber stellt, ist was mit Damion sein wird. Ich meine ich trage hier gerade seinen halbbewusstlosen kleinen Bruder, den wir beide über alles gehasst haben, durch den Wald. Ich will Erics Freundschaft und ich würde auch länger mit Damion zusammen sein, aber ich weiß, dass nicht beides geht. Keine Ahnung, was ich will und was passieren wird, ich werde wohl alles einfach geschehen lassen und Entscheidungen spontan treffen müssen.
Egal, ich sollte weniger nachdenken und lieber weiterlaufen. Es ist kaum zu glauben! Heute kommen wir an!
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