Kapitel 16
In einem Moment sitzt Eric noch vor mir und seine Füße baumeln den Abhang hinunter. Er sagt noch: ,,Schau gut zu, wie ich es mache.", dann rutscht er auch schon nach unten. ,,Wuuhhhhuuuuuuu.", jubelt er und ich kann meinen Augen gar nicht trauen. Macht das hier ihm jetzt ernsthaft Spaß? Einen Moment später steht er schon unten und winkt mich ihm zu. Na super, jetzt muss ich da runterrutschen. Ich setzte mich vorsichtig hin, so dass wie bei Eric vorher, meine Beine den Abhang hinunterbaumeln. Mein Herz rast und ich kralle mich in den Boden. Dabei brechen meine Fingernägel ab, so ein Mist! Trotzdem halte ich mich mit den Händen in der Erde fest und bin wie festgewachsen.
,,Ich kann nicht!", schluchze ich. Vor Angst laufen mir Tränen die Wangen hinunter. Alles in mir zieht sich zusammen. Wenn ich jetzt einfach losrutsche, dann wird sicher nichts passieren, ich muss nur ein bisschen nach vorne. Aber es geht nicht, dazu fehlt mir der Mut. ,,Ami, hör mir zu. Du kannst das. Bitte rutsch jetzt ein bisschen vor.", spricht Eric mir Mut zu, doch ich werde nur von einer noch stärkeren Zitterattacke überfallen. Trotzdem bringe ich ein ,,Okay" hervor und beschließe in dem Moment jetzt ein Stückchen nach vorne zu rutschen. Es ist aber nur ein Zentimeter und ich bleibe wieder sitzen.
Das schaffe ich nie! Ich habe einfach Angst und diese blockiert alles. ,,Ich schaffe es nicht!", rufe ich Eric nochmal zu. ,,Doch!", antwortet er und in dem Moment fühle ich mich einfach nur hilflos. Wieso schaffe ich es nur nicht, diesen kleinen Abhang hinunter zu rutschen? Man, er ist nicht klein. Es sind gute zehn Meter!
,,Wenn du jetzt nicht endlich losrutschst, komm ich wieder hoch und schubse dich darunter.", warnt Eric. Ich lache und heule gleichzeitig. Keine Ahnung, ob er das wirklich ernst meint, aber ich muss da jetzt verdammt nochmal runter.
,,Okay, du zählst bis drei, dann rutsche ich.", stottere ich. ,,Versprochen?", hinterfragt Eric und ich bejahe. Na toll, jetzt oder nie. ,,Eins." Ich rutsche vorsichtig ein weiteres Stück vor. Dabei kralle ich mich aber nur noch fester in die Erde. ,,Nimm die Arme zu dir. Zwei." Ich befolge Erics Anweisung, obwohl ich am ganzen Körper zittere und mein Herz noch wilder pocht, als vorher. Gleich sagt er drei und ich muss es tun. ,,Drei! Los!", zählt Eric fertig und ich lasse los. Es fühlt sich eher so an, als ob ich falle, aber tatsächlich rutsche ich, denn ich berühre ja immer noch den Boden. Es ist unnormal schnell und ich habe furchtbare Angst. Meine Atmung hört auf und ich warte auf den Moment, in dem ich endlich unten bin.
Doch plötzlich lasse ich meine Beine los und falle nach hinten. Mein Kopf schlägt schmerzhaft auf den Boden auf und ich rutsche weiter. ,,Zieh dich wieder hoch! Du musst mit den Armen deine Beine festhalten!", schreit Eric mir zu, doch ich schaffe es nicht, denn meine Muskeln sind weich, wie Wackelpudding. Ich habe aus Angst meine Augen geschlossen und kann sie nicht öffnen.
Gleich bin ich unten, verspreche ich mir selbst, doch das geschieht nicht. Stattdessen bleibe ich einen halben Meter über dem Boden hängen und spüre einen unheimlich großen Schmerz in meinem Kopf. Da bemerke ich, dass ich an den Haaren hänge. Sie müssten sich irgendwo verhangen haben. Scheiße!
,,Es tut so weh, schnell mach was.", rufe ich Eric panisch zu. In dem Moment ist er schon zu mir gekommen, ist ein Stück hochgeklettert und hat mich mit seiner einen Hand unter dem Arm gepackt. So hält er mich fest, dass ich nicht mehr an meinen Haaren hängen muss. Ich beobachte, wie der Muskel in Erics Oberarm unter meinem Gewicht zittert und seine Füße immer wieder abrutschen. Er wird mich irgendwann wieder loslassen müssen, ob er will oder nicht. Wir können ja nicht für ewig hier stehen. Erneut kommen Tränen aus meinen Augen und ich habe wieder einfach nur Angst. ,,Alles gut, ich bin da.", versucht mich Eric zu beruhigen.
Ich erkläre ihm mein Problem: ,,Wir können nicht für immer in dieser Position bleiben, irgendwann musst du mich loslassen." ,,Ami, aber nur um dich zu befreien, so dass wir weiter laufen können." Seine Stimme beruhigt mich. Ich weiß, es ist gerade ein total unpassender Moment, doch ich bemerke, dass er mich immer nur Ami nennt und nie Amelie. Aus seinem Mund hört sich die Abkürzung meines Namens aber wunderschön an.
,,Okay, also lasse ich dich jetzt ganz kurz los, um diesen Stein von deinen Haaren zu kriegen." ,,Okay.", stimme ich zu. Ein Stein ist es also, der mir diesen Rutschgang vermiesen musste. Hoffentlich kriegt Eric ihn schnell von meinen Haaren runter, so dass ich endlich sicher auf dem Boden stehe. Als er loslässt, hab ich kurz das Gefühl ganz auf dem Boden zu landen, doch natürlich passiert dass nicht und ich hänge wieder an meinen Haaren. Mir entfällt ein kurzer Schrei, doch dann beiße ich wieder die Zähne zusammen. Wenn ich jetzt mit Lautstärke irgendwelche Tiere anlocken würde, dann wären wir im Arsch. Oder wohl eher im Magen.
Ich seufze zwischen meinen immer noch zusammengebissenen Zähnen. Wie kann ich wieder sowas denken, obwohl mein kompletter Körper von blauen Flecken und Schrammen überseht ist und ich gerade an meinen Haaren hänge. Es tut wirklich verdammt weh. ,,Wieso brauchst du so lange?", frage ich Eric, obwohl wahrscheinlich noch nicht mal eine Minute vergangen ist. ,,Ich schaffe es nicht hoch mit einem Arm.", gibt er als Antwort.
Ach scheiße! Wer ist daran schuld, dass er nur einen Arm hat? Natürlich wieder ich. Daran bin ich wirklich selber schuld. Und eigentlich bin ich auch selber schuld, dass ich hier jetzt hänge. Wieso konnte ich meine Beine nicht einfach besser mit meinen Armen festhalten?
,,Ich bin oben. Gleich nehme ich den Stein. Mach dich drauf gefasst, dass du gleich fällst.", warnt mich Eric kurz. Ich sehe aus meiner Position, wie seine Beine neben mir immer wieder abrutschen. ,,Okay.", sage ich wieder und mache mich bereit, dass ich gleich am Boden ankommen. Ich spüre ein Ziehen an meinen Haaren, und dann ein Lockern. Eric stöhnt und scheint zu versuchen den Stein wegzukriegen. Ein paar Strähnen fallen heraus und liegen jetzt wieder an ihrer normalen Stelle, doch irgendwie tut sich nichts. Die Muskeln in Erics Beinen, die ich von hier aus sehe, beginnen immer stärker zu zittern und seine Anstrengung ist deutlich zu hören.
,,Ich kriege den Stein nicht weg, er ist zu schwer.", presst er hervor. Man merkt an seiner Stimme, wie sehr er sich angestrengt hat. Was nun? Werden wir eine andere Möglichkeit finden oder wird in ein paar Jahren hier meine Leiche gefunden, die mit den Haaren an einem Stein hängt. Wie dämlich das eigentlich klingt! Dabei ist es so furchtbar ernst. Eric kommt wieder neben mir heruntergerutscht und springt auf den Boden. Er atmet schwer und Schweiß fließt ihm das Gesicht und die Brust hinunter. Er hat sich wirklich angestrengt diesen verdammten Stein von meinen Haaren runterzukriegen.
,,Da ist ein spitzer Stein.", keucht er. Nein. Nein! Er will jetzt nicht ernsthaft meine Haare damit abschneiden. ,,Nein!", demonstriere ich. Sie wären ungerade und kurz. Das darf nicht passieren. ,,Na gut, dann lasse ich dich da halt hängen.", gibt er schnippisch zurück. Ich verziehe das Gesicht. Wie kann er so gemein sein? Er kann doch nicht von mir verlangen, dass er mir mit einem Stein meine langen, schönen, gepflegten Haare abscheiden darf.
,,Ami, es gibt keine andere Möglichkeit, ich mach ganz oben." Ich schluchze auf. Es fließen zwar ohnehin schon pausenlos Tränen über mein Gesicht, aber jetzt wird es noch stärker. Ich realisiere, dass es wirklich die einzige Möglichkeit ist, um von hier weg zu kommen und sage: ,,Okay, mach schnell."
Sofort ist er mit diesem scharfkantigen Stein neben mir, klettert ein kleines Stück den Abhang hoch und macht sich an die Arbeit. Er hackt einfach auf meine Haare ein. Ich weine, weil diese ja jetzt kaputt wie noch was sein werden. Eine Strähne nach der anderen fällt mir über die Schulter und ich hänge an immer weniger Haaren. Das macht es aber nicht gerade leichter, weil es immer mehr weh tut. ,,Nur noch ein bisschen.", beruhigt mich Eric und hackt weiter.
Die letzte Haarsträhne reißt ungefähr in der Mitte durch und ich lande auf dem Boden. Ich ziehe mich in mich zusammen und weine einfach nur. Eric rutscht auch nach unten und setzt sich neben mich. Eine Weile bleiben wir so und es ist neben den Waldgeräuschen nur mein Schluchzen zu hören. Nach meinem kleinen psychischen Schwächeanfall, richte ich mich auf.
,,Weiter?", frage ich mürrisch. Irgendwie haben mich alle Kräfte verlassen, aber dennoch hat mich dieses Haareschneiden hart gemacht. Eric richtet sich wortlos auf und geht weiter. Ich trotte ihm hinterher. Es ist wie am ersten Tag und irgendwie kommt es mir so vor, als ob ich etwas falsch gemacht hätte. Ich weiß nicht genau was, aber irgendwie tut es mir leid. Ich fahre mit den Händen durch meine Haare. Beides ist dreckig. Meine Haare sind ungerade, an manchen Stellen ziemlich kurz, obwohl sich Eric Mühe gegeben hat, sie möglichst lang zu lassen. Es fühlt sich einfach scheiße an.
Ich will hier raus!
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro