Kapitel 12
Wir laufen den ganzen Tag weiter die Wege entlang. Eric macht sehr wenige Pausen und geht immer noch ziemlich schnell. Ich bin total aus der Puste, aber eile ihm weiter und weiter hinterher. Mir ist inzwischen mehr als klar, dass ich das mehr um seinetwillen, als um meinetwillen mache. Irgendetwas liegt mir an ihm, doch hier im Dschungel ist einfach keine Zeit, um meine Gefühle zu sortieren.
,,Hast du auch Hunger?", ruft mir Eric entgegen, als ich schon ein ziemliches Stück von ihm entfernt bin und die Sonne bereits untergeht. Hunger? Hm. Ja, den habe ich und zwar auf Drogen. Ich hätte nie gedacht, dass es so lange dauert clean zu werden. Ach, am besten wäre es doch überhaupt, wenn ich nie mit Drogen angefangen hätte. Aber würde mich Damion noch akzeptieren, wenn ich keine mehr nehmen würde? Und meine anderen Freunde?
Tabea hätte es getan. Tabea. Verdammt! Wegen der ganzen Überleben-mit-Eric-Sache habe ich das schon fast vergessen. Als sie gestorben ist, war ich zu betrunken, um zu verstehen was passiert ist, doch jetzt sticht es mir mitten ins Herz. Stechen ist wohl das beste Wort dafür, denn es fühlt sich so an, als würde jemand mit einem Speer mitten hineinbohren.
Um nicht zu weinen anzufangen, laufe ich schneller. Dabei schaue ich auf den Boden und versuche meine Gedanken auszuschalten.
Plötzlich stoße ich gegen etwas. Nein, gegen jemanden. Ich schaue hoch und blicke Eric mitten in die Augen. ,,Ich habe gefragt, ob du Hunger hast.", wiederholt er, doch ich kann nicht antworten, ohne piepsig zu klingen oder loszuheulen und das wäre tatsächlich ziemlich peinlich. Aber naja, wenn ich mich daran erinnere, wie ich heute früh auf dem Baum auf ihn draufgefallen bin, wäre das gar nichts.
Oh Gott, allein die Erinnerung macht mich innerlich fertig. Wie konnte mir, Amelie König, beliebtestes Mädchen der ganzen Schule, nur so etwas passieren? Wenn jemand etwas davon erfährt, wird sich mein Status garantiert ändern und dann ist Eric tot. Der Gedanke ist furchtbar gemein und es tut mir schon leid, so etwas gedacht zu haben. Keine Ahnung, ob es mir wirklich so viel ausmachen würde, wenn ich nicht mehr so beliebt bin. Und schon bin ich wieder an dem Punkt angekommen, an dem ich mein ganzes Leben hinterfrage.
,,Hörst du mich?", fragt Eric und in dem Moment falle ich ihm einfach in die Arme. Sofort fange ich an zu weinen und presse mich eng an ihn. Er hebt seinen Arm erstmal zögerlich weg, aber legt ihn dann doch vorsichtig um mich. Ich weine um Tabea, ich weine, weil wir hier sind und ich weine am meisten wegen Erics Arm. Mir wird immer mehr bewusst, dass es meine Schuld war. Er hat gesagt, er könnte sogar sterben. Wenn das wirklich stimmt, bin auch ich hier mitten im Dschungel verloren. Aber um ihn mache ich mir mehr Sorgen, als um mich.
,,Hey, was ist denn?", fragt Eric vorsichtig. Ich beobachte eine meiner Tränen, die seinen Rücken hinunterfließt und suche nach Wörtern.
Ich schluchze los: ,,Es tut mir leid."
,,Was denn überhaupt? Komm beruhige dich jetzt."
,,Tabea ist tot, du hast keinen Arm mehr. Das ist alles meine Schuld. Es tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe, als es passiert ist. Du hattest Recht, ich bin dumm und es ist alles mein Fehler." Zwischen den Wörtern schluchze ich und meine Sätze sind ziemlich kurz und abgehackt.
Es tut irgendwie gut, ihm das zu erzählen. Eric streicht vorsichtig mit seiner Hand über meinen Rücken und ich schmiege mich noch näher an ihn. Erst jetzt fällt mir auf, wie ungewohnt es ist, eine Person mit nur einem Arm zu umarmen. Aufgrund von immer stärker werdenden Schuldgefühlen, weine ich noch stärker.
Eric tröstet mich: ,,Ach komm, es ist nicht deine Schuld. Tabea hatte selber Alkohol dabei und mich hat der Leopard verletzt. Als ich dir die Schuld gegeben habe, habe ich über reagiert." Diese Worte tun mir furchtbar gut, aber es kommt mir so vor, als ob ich mich entschuldigen müsste und nicht er. Außerdem glaube ich ihm nicht so ganz. Ich hätte beides auf jeden Fall verhindern können. Tabea hätte ich die Flasche wegnehmen können und bei Eric hätte ich nicht so tief in den Wald gehen sollen. Ich fühle mich gerade einfach unheimlich dumm.
Als ich mich wieder einigermaßen beruhigt habe, schiebt Eric mich langsam von sich weg. ,,Wir suchen jetzt erstmal Essen, okay?" ,,Okay.", antworte ich ihm, obwohl mir schlecht ist und ich echt gar keinen Appetit habe. Wir gehen in den Wald und nach einer Weile hat Eric ein paar Pilze eingesammelt. Er hat mir erklärt, welche essbar sind und ich habe sogar ein paar gefunden.
Wir setzen uns dicht neben dem Weg in den Wald hinein und Eric baut aus trockenem Holz eine Feuerstelle. Außen rum legt er Steine, damit sich das Feuer nicht allzu stark ausweiten kann. Er hat mir erklärt, dass das Feuer nicht nur dazu dient, unsere Pilze zu kochen, sondern das es auch wilde Tiere wegscheuchen wird und wir somit heute auf dem Boden schlafen können und nicht auf einem unbequemen Baum.
Obwohl es am Tag sehr heiß war, zittere ich nun vor Kälte. Gestern habe ich gar nichts von der Temperatur gemerkt, weil ich so geschwitzt habe. Aber das ist nur ein gutes Zeichen. Bestimmt bin ich bald clean und ich werde ganz sicher nie wieder Drogen nehmen. Damion muss das einfach akzeptieren.
Eric klopft zwei Steine aneinander, aber es passiert ziemlich lange nichts, doch als ich schon bezweifele, dass man damit Feuer erzeugen kann, entsteht ein Funke und entzündet die Hölzer. ,,Schnell, schmeiß trockenes Gras drauf, dann brennt es besser.", sagt Eric und steht auf, um welches zu holen. Das Holz raucht nur noch, doch als er ein paar Grasbüschel und dünne Zweige hineinwirft, entsteht wieder eine Flamme. Auch ich erhebe mich und schon nach wenigen Minuten haben wir ein Feuer erzeugt. Wir spießen die Pilze auf Stöcke und halten sie über die Flamme.
Ich lächele vor Erleichterung, dass wir noch leben und dass wir sogar Essen haben, aber Eric scheint bedrückt. Ich erkundige mich: ,,Was ist los?" ,,Ach, gar nichts.", antwortet er zunächst, doch ich lasse nicht locker: ,,Es muss etwas sein, das sehe ich doch." ,,Okay, wir haben heute die geplante Strecke nicht ganz geschafft. Uns fehlen ungefähr drei Kilometer." Drei Kilometer?! Das ist ziemlich viel! Ich würde es auf eine Stunde schätzen. Sofort sinkt meine Hoffnung. Wir sind den ganzen Tag gelaufen und haben uns echt beeilt. Wie kann es sein, dass wir es für heute nicht geschafft haben? Schaffen wir es überhaupt?
Eric merkt meine Sorge: ,,Denk nicht zu viel darüber nach, ob wir es schaffen, denn ich habe es dir bereits versprochen, als nur noch wir zwei übriggeblieben sind und ich dich mitgenommen habe." Hat er das? Ich erinnere mich nicht mehr daran, der Moment erscheint mir unfassbar lange her, dabei war es erst vor drei Tagen. Drei Tage, nun haben wir nur noch elf. Aber wie Eric es mir geraten hat, versuche ich nicht so viel darüber nachzudenken und wende meinen Pilz unter dem Feuer.
Eric holt seinen heraus und pustet auf ihn. Dann steckt er ihn sich in den Mund. Ich schaue ihn an und er streckt den Daumen nach oben, muss also gut schmecken. Ich hole meinen Pilz ebenfalls heraus, aber er ist auf einer Seite ziemlich schwarz, auf der anderen aber noch roh. So ein Mist! Ich schaffe es ja nicht einmal einen Pilz zu braten. Obwohl er nicht perfekt ist, schmeckt er aber ganz okay, vielleicht ein bisschen verbrannt und gleichzeitig roh, aber es geht. Ich kaue und schlucke herunter. Nach diesem einen, habe ich keine Lust mehr und ich hatte ja auch vorher keinen Hunger. Deshalb frage ich Eric: ,,Soll ich dir welche machen, ich will nicht mehr." Er schüttelt den Kopf: ,,Es kann sein, dass du keinen Hunger hast, aber bitte iss etwas, für die Wanderung morgen musst du was im Magen haben."
Damit hat er recht. Also höre ich auf ihn und spieße einen weiteren Pilz auf meinen Stock. Nach einer Weile, sind alle Pilze weg, wobei ich Eric am Schluss doch noch ein paar machen durfte, die ich auch immer besser hingekriegt habe. Im Gegensatz zu meinem Ersten, waren die letzten Pilze ziemlich gleichmäßig angebrannt und haben fast wie aus der Pfanne geschmeckt.
Nach dem Essen trinken wir noch einen sparsamen Schluck aus unseren Flaschen, die schon wieder fast leer sind. Natürlich, wir haben heute viel Weg zurück gelegt und haben das Wasser gebraucht. Nach dem Trinken ist mein Mund immer noch trocken, doch ich wage es nicht die ganze Flasche auszutrinken. Wer weiß, ob wir morgen wieder eine Wasserstelle finden.
Eric legt sich neben das Feuer und schläft von einen auf den anderen Moment ein. Ich lege mich auf die andere Seite, doch ich kann nicht einschlafen, weil der Boden nicht gerade sehr viel bequemer ist, als der Baum und weil ich trotz des Feuers vor Kälte zittere.
Der Gedanke, dass wir die für heute geplante Strecke nicht ganz geschafft haben, breitet sich in meinem Gehirn aus und schon sorge ich mich wieder darum, dass wir es nicht schaffen, rechtzeitig zu entkommen. Als ich meine Augen schließe, dringt ein Traum in meinen Kopf. Ich sehe, wie die Männer, die uns mit dem Helikopter hier her gebracht haben, nach uns suchen und uns töten wollen, weil wir es nicht geschafft haben. Unruhig wälze ich mich hin und her. Alles dreht sich um die selbe Frage: Werden wir es schaffen?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro