14. DEZEMBER
Q U I N N
Entgeistert starrte ich ihn an.
Hatte er das gerade wirklich gesagt, oder hatte ich mich verhört? Das konnte der Typ doch nicht ernst meinen! Er bildete sich wohl wirklich ein, dass er alles mit den Menschen in seiner Umgebung machen konnte, was er wollte.
Sein Gesicht kam meinem immer näher, bis ich schließlich einen heißen Atem auf meiner Haut spürte.
Mir stockte mein eigener Atem und ich bemerkte wie sich mein Puls und auch der Herzschlag deutlich verschnellerten.
»Nein darfst du nicht...«, presste ich hervor und versuchte dabei kalt zu klingen.
Am liebsten hätte ich ihm dafür wieder eine geklatscht, aber diese Frage hatte mich so aus der Bahn geworfen, dass ich imstande war zu reagieren.
Schnell drehte ich mich weg, und schnaufte die angestaute Luft aus.
Mit einem Mal war es hier drinnen sowas von stickig; und nicht nur das, ich schwitzte regelrecht und ohne Grund.
Anscheinend war Louis so ziemlich entgeistert über meine Reaktion, denn er regte sich nicht mehr.
Seine blaugrauen Augen starrten mich unverändert an, das wusste ich, obwohl ich mit dem Rücken zu ihm stand.
»Kann ich jetzt wenigstens die restliche Zeit bis wir Schule haben noch schlafen, oder hast du noch weitere unnötige Fragen an mich?«, meinte ich und unterdrückte ein Gähnen.
Es war schon nach ein Uhr und ich war so erschöpft, dass ich nur noch schlafen gehen wollte. Wenn ich hier jetzt schon wieder festsaß, dann sollte er mir wenigstens diesen Wunsch gestatten und mich für den Rest dieses späten Abends in Frieden lassen.
»Klar... Ich bin dann mal... Also ich geh dann mal ins Wohnzimmer, falls du mich suchst...«, stammelte er noch immer total perplex.
Ein Lächeln entfloh meinen Lippen.
Ich hatte es also geschafft, ich hatte ihn sprachlos gemacht.
Er war anscheinend der festen Überzeugung gewesen, dass ich es nicht schaffte ihn abzulehnen, oder ihm einen Korb zu geben; so konnte man sich täuschen.
Meine Schlafsachen waren schnell angezogen und zufrieden legte ich mich in sein Bett.
Warum machte er das alles eigentlich? War ich ihm doch etwas wert? Schließlich durfte ich hier wohnen und in seinem Bett schlafen.
Irgendetwas musste da doch sein.
Wenn ich nur wüsste, was.
L O U I S
Ich wusste nicht, welcher Teufel mich gerade geritten hatte, Quinn diese Frage zu stellen.
Ausgerechnet ihr und dann auch noch zu dem Zeitpunkt, an dem ich sie mit Liam erwischt hatte.
Wieso mit Liam? Was wollte sie von dem Kerl? Der war doch sowieso mit dieser Dana zusammen. Aber zurzeit schien irgendwie alles nicht so zu laufen, wie es eigentlich sollte.
Was hatte denn dieser Liam an sich, dass ich nicht hatte?
"Er hat Quinn bestimmt nie beleidigt oder ausgelacht...", meldete sich diese Stimme in meinem Gehirn zu Wort und machte die Situation damit nicht gerade besser. Ich atmete tief ein und aus und versuchte mich irgendwie zu entspannen.
Es war ein komisches Gefühl, an Quinn zu denken.
"Was redest du da, man? Du bist der Womanizer schlecht hin, du kannst jede haben und dann ausgerechnet sie? Diese kleine Streberin?"
Diese Stimme hatte schon recht, immerhin war sie sozusagen meine innere Stimme, also auch ein Teil von mir. Und dieser Teil mochte Quinn nicht sonderlich.
"Wieso darf die Kleine dann bei dir schlafen? Schmeiß sie verdammt nochmal raus!"
Es war als würdenzwei kleine Gestalten jeweils auf einer meiner Schultern Platz genommen haben; ein Teufel und ein Engel. Beide wollten mich von ihrer Seite überzeugen.
Zweifel traten in mir auf.
Vielleicht war genau dies, die richtige Entscheidung. Außerdem gab es ja auch noch Lola, mit ihr konnte ich immer alles machen, was ich wollte. Sie war nicht so dickköpfig wie Quinn, eher das genaue Gegenteil.
Hoffentlich hatte sie bald mal wieder Zeit.
Das letzte Mal hatte ich sie getroffen, als Quinn und ich auf dem Weihnachtsmarkt gewesen waren und am liebsten hätte ich sie dort gleich flachgelegt.
"Du willst wissen, was Liam hat, dass du nicht besitzt? Das kann ich dir sagen. Anstand. Er ist treu. Nie beleidigend. Du solltest dir ein Beispiel an ihm nehmen, wenn du bei Quinn landen möchtest."
Das war dann also die "gute" Seite in mir.
Verächtlich drehte ich mich weg und setzte mich auf die Couch. Es brachte nichts, weiter über diese Sache zu grübeln, weshalb ich zu dem Entschluss kam, Quinn morgen rauszuschmeißen.
Die böse Seite grinste hämisch, während die andere mich traurig anstarrte und nur den Kopf schüttelte.
"So wird das nie etwas, Louis...", seufzte sie, doch ich ignorierte es, und fiel langsam aber sicher in einen tiefen Schlaf.
D A N A
Mehr oder weniger ausgeschlafen ließ ich mich am Frühstückstisch nieder und schnappte mir ein Brötchen, das ich mit Nutella bestrich.
Meine Mum war schon auf der Arbeit, aber dafür saß mein Dad noch neben mir. Er las gerade in der Zeitung, als seine Augen meine suchten.
»Wie geht es Quinn? Hast du übers Wochenende was von ihr gehört?«, wollte er neugierig erfahren.
»Nein, nicht wirklich. Sie wohnt zurzeit bei Louis, also denke ich mal, dass es ihr schon gut geht«, sagte ich und man konnte dem Unterton in meiner Stimme nur allzu deutlich anhören, dass ich nicht einmal selbst davon überzeugt war.
»Hier steht nämlich etwas über ihren Vater...«, murmelte er und legte mir die Zeitung unter die Nase.
Gespannt überflogen meine Augen den Artikel.
London, der 14. Dezember 2013
Am vergangenen Abend wurde in der Brooklynstreet ein Mann in seinem eigenen Haus erschossen. Es handelt sich vermutlich um den 43-Jährigen Walter Benson. Warum er erschossen wurde und wer der Täter sein könnte, ist uns noch nicht bekannt. Es wird bereits nach ihm gefahndet. Mögliche Zeugen, bitten wir möglich schleunigst die örtliche Polizeiwache aufzusuchen. Laut Angaben hat Benson eine Tochter, die zurzeit jedoch nicht auffindbar ist. Sobald es etwas neues gibt, werden wir davon berichten.
Geschockt hielt ich mir die Hände vor den Mund.
Wusste Quinn bereits davon? Wie würde sie reagieren?
Ein paar kleine Tränen bahnten sich ihren Weg an meinen Wangen herunter, ich hatte Angst um meine Freundin.
Dad strich mir beruhigend über die Schultern, woraufhin ich ihm ein schwaches Lächeln schenkte, aufstand und anschließend meine Sachen zusammenpackte.
Ich musste so schnell wie möglich mit Quinn reden. Meine Freundin tat mir so unglaublich leid, sie hatte niemanden mehr und war mit ihrem Vater im Streit auseinandergegangen.
Sie hatte nie wieder die Chance dazu, die ganze Sache zu klären.
»Dana? Ich fahre dich. Der Täter läuft immer noch frei da draußen rum«, bestimmte mein Vater und ich nickte, ehe ich ihm mit einem dicken Kloß im Hals nach draußen folgte, um ins Auto steigen zu können.
Vorher riss ich den kleinen Artikel aus der Zeitung und steckte ihn in meine Hosentasche.
War es nicht auch gefährlich für uns, in die Schule zu gehen?
Bestimmt hatten sich die Lehrer wieder irgendwelche Schutzmaßnahmen ausgedacht. Ich fand das immer richtig lächerlich, aber jetzt war ich froh, dass es bei uns so etwas gab.
Vor der Schule angekommen, drückte ich ihm einen Kuss auf die Wange und stellte mich ans Tor, um auf Quinn zu warten. Es war gerade einmal halb acht, weshalb ich mit Sicherheit noch einige Zeit warten musste.
Als ich Liam sah, musste ich unwillkürlich anfangen zu grinsen.
Doch mein Freund ignorierte mich komplett.
»Liam?«, fragte ich verwirrt und zog die Augenbrauen kraus.
»Was willst du?«, schnauzte er mich an und warf mir einen wütenden Blick zu.
Seine Augen funkelten mich böse an, aber auch etwas Schmerz und Enttäuschung spiegelten sich darin wieder. Auf einmal fiel mir das Schlucken viel schwerer.
Er wusste doch nicht etwa...?
»Was ist los?«, fragte ich ihn unschuldig.
»Als ob du das nicht genau wüsstest, hör auf dich dumm zu stellen und einen auf unschuldig zu machen. Dana, ich habe dich geliebt und dir noch dazu vertraut! Und du? Du nutzt das einfach eiskalt aus! Geh doch zu deinem Harry und knutsch ihn weiter ab. Für mich bist du gestorben. Ich will dich nie wiedersehen«, sagte er mit so viel Hass in seiner Stimme, dass ich kein Wort mehr herausbrachte.
Und dann ließ er mich stehen.
Augenblicklich fingen meine Augen an zu brennen und dann fielen auch schon die ersten Tränen herunter. Er wusste es. Vielleicht wusste es auch Quinn und sie hatte sich deswegen nicht gemeldet.
Es fühlte sich an, als würde die Welt untergehen und mich mit sich reißen.
»Dana? Was ist los?«, wollte eine Stimme hinter mir erfahren, weswegen ich mich umdrehte und meiner Freundin geradewegs in die Augen.
»Liam... Er h-hat...«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Ihre Augen weiteten sich.
»Also stimmt es wirklich...«, flüsterte sie trocken und ihre Stimme brach am Ende des Satzes.
»Quinn, bitte hör mir zu. Es ist komplett anders, als du denkst. Bitte, hör mir nur dieses eine Mal zu. Ich verspreche dir, dass du es nicht bereuen wirst, ich werde dir alles erzählen und dir so etwas nie wieder vorenthalten, aber bitte verlass mich nicht auch noch«, flehte ich förmlich, doch an der Blondine schien das eiskalt abzuprallen.
»Lass mich in Ruhe Dana. Du hast mich enttäuscht. Ich habe dir vertraut. Da ist der Beweis, dass ich niemandem auch nur eine Spur vertrauen sollte. Überall wird man enttäuscht, egal von wem, selbst von eng stehenden Personen!«, rief sie aufgebracht und wandte mir den Rücken zu.
In dem Moment lief Louis an uns vorbei, Quinn würdigte ihn keines Blickes.
Hatten die beiden sich etwa gestritten? Im Moment lief doch wirklich alles den Bach runter. Mir fiel die Sache mit ihrem Vater wieder ein, anscheinend wusste sie davon noch nichts.
Sie sollte es nicht von irgendjemandem erfahren, ich wollte es ihr sagen und für sie da sein.
»Warte noch kurz Quinn, ich muss dir was sagen. Hör mir wenigstens jetzt zu, es geht um...«
Ich wurde von den ganzen Reportern die auf Quinn zustürmten und sie mit Fragen löcherten unterbrochen. Verwirrt schaute sie sich um.
Ein paar fetzen der Fragen konnte ich aufschnappen.
»Wie geht es ihnen, nach [...] Tod [...] ?«
Panisch drehte sie sich im Kreis, ihr wurde alles zu fiel. Quinn's Blick suchte nach meinem. Flehend starrte sie mich an.
Ihre Lippen formten eine Frage, die ich als Was wollen die alle von mir? entziffern konnte.
Mit meiner Hand griff ich mitten ins Gewühle hinein, suchte Quinn's Hand und zog sie anschließend nach draußen.
»Dana... Wa- Was ist los? Die... die haben irgendwas über meinen Vater gefra-agt. Und wie es mir nach... nach seinem Tod geht«, stotterte sie, ein paar Tränen rutschten aus ihren Augenwinkeln.
Ich blieb weiterhin stumm, schaffte es nicht die Wörter über meine Lippen zu bringen.
»Was ist passiert?«, fragte sie erneut, dieses Mal entschlossener es zu erfahren.
»Quinn. Vielleicht solltest du dich kurz hinsetzen und...«, fing ich an, wurde jedoch sofort von ihr unterbrochen.
»Sag mir jetzt auf der Stelle was passiert ist.«
Die ganzen Reporter waren uns nachgelaufen und versammelten sich erneut um uns herum.
Ich versuchte jeden einzelnen mit Blicken zu töten, mir war es völlig egal, dass sie uns filmten und ich vermutlich im Fernsehen auftauchen würde. Wieder redeten sie uns mit Fragen zu, wurden dann aber von einem lauten Geschrei unterbrochen. Louis stand mit dem Schuldirektor hinter der ganzen Meute.
Während die Reporter von unserem Direktor, der ihnen mit Anzeigen drohte, verscheucht wurden, gesellte sich Louis zu uns.
Q U I N N
»Dana, ich möchte jetzt sofort wissen was los ist!«, kreischte ich beinahe.
So verwirrt wie gerade eben, war ich noch nie in meinem gesamten Leben gewesen. Was war mit meinem Vater? Wieso waren so viele Reporter auf mich losgegangen? Die Tränen liefen immer noch aus meinen Augen, die ganze Sache war mir im Moment einfach zu viel. Die Tatsache, dass Louis mit dem ich vorhin wieder gestritten hatte, machte es auch nicht besser.
Er hatte mich rausgeworfen. Mit einem Mal und einfach so.
Danas Blick huschte kurz, zu mir, dann sah sie erneut auf den Boden.
»Quinn. Dein Vater... Er wurde gestern Abend erschossen.«
Beinahe wäre mir die Kinnlade heruntergeklappt. Dann fing ich an zu kichern. Meine Freundin, auf die ich eigentlich total sauer war, starrte mich verwirrt an. Auch Louis schien nicht zu verstehen, was hier gerade vor sich ging.
Bestimmt waren deshalb so viele Reporter hier.
Das war ganz sicher so etwas wie 'Verstehen sie Spaß?'.
»Das war ein guter Scherz Dana, deine Witze waren schon einmal besser. Aber jetzt sag mir bitte die Wahrheit. Ich hätte es fast geglaubt, aber die ganzen Kameras waren dann doch etwas auffällig«, meinte ich.
Sie erwiderte darauf nichts, sondern griff in ihre Hosentasche und zog einen kleinen Zettel nach draußen, den sie mir dann unter die Nase hielt.
Ich las mir den Artikel schnell durch, er war aus der Tageszeitung.
Langsam kamen mir die Zweifel, dass dies alles nur ein Scherz war.
Als ich fertig war, stockte mir der Atem. Kraftlos sackte ich auf den Boden. Unzählige Tränen strömten, ich fühlte mich schon fast wie ein Wasserfall. Nachdem mein Dad mich geschlagen hatte, hatte ich ihn zwar gehasst, aber er war immer noch mein Dad. Jetzt hatte ich absolut niemanden mehr.
Wieso? Wieso hatte es ausgerechnet meinen Dad erwischt?
Es gab so viele Menschen in London, warum ausgerechnet er?
Dana strich mir über den Rücken. Louis saß immer noch neben uns, er wusste anscheinend nicht was er sagen sollte.
Hoffentlich fühlte er sich nun erst Recht schuldig, wegen unserem Streit.
Doch daran konnte ich nicht mehr denken.
Die Tatsache, dass ich meinen Vater nie wiedersehen würde, brachte mich fast um den Verstand. Nie hatte ich die Hoffnung aufgegeben, dass er sich bei mir entschuldigen würde, und wir uns wieder vertragen würden.
Aber jetzt war alles vorbei.
Ich wollte kein Mitleid.
Von niemanden.
Nicht von den Reportern, nicht von den Lehrern, erst Recht nicht von Louis und auch nicht von Dana.
Mit einem Satz sprang ich auf und rannte vom Pausenhof. Rannte so schnell ich konnte, und das irgendwo hin. Mir war es egal, wie gefährlich es draußen gerade war, ich wollte nur noch weg von hier.
Wenn ich diesen Täter finden würde... Ich würde ihn töten.
Das schwor ich mir.
Irgendwann blieb ich schließlich stehen und sah mich um. Es war die Gegend, wo unser Haus war. Also praktisch der Tatort.
Um unser Haus herum war alles mit einem rotweiß gestreiften Band abgesperrt. Dies ignorierte ich erstmal und spazierte die Treppen nach oben, bis ich vor der Haustür stand.
Wollte ich mir dies alles wirklich antun?
Ich musste es einfach sehen.
Wie von selbst glitten meine Finger in die rechte Hosentasche meiner Jeans und zogen den kleinen Schlüsselbund hervor. Ich steckte den Schlüssel hinein und drehte ihn herum bis die Tür mit einem Klicken aufsprang.
Es roch nach einem starken Säuberungsmittel.
Die Spurensicherung war anscheinend schon da gewesen.
Alles war blitzblank und im gesamten Haus war es totenstill. Meine Sporttasche, die ich dank Louis' Rauswurf dabeihatte, stellte ich an der Treppe ab. Mein Weg führte mich in mein Zimmer.
Es war unverändert.
Zitternd nahm ich das eine Bild von mir, Mom und Dad von der Wand und fuhr mit den Fingern darüber.
An mehr konnte ich mich nicht mehr erinnern, nur noch daran, wie ich weinend zusammengebrochen war.
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