Kapitel 43
Ich spürte die Hand des Security-Mannes, welche mich leicht in den Raum drücke. Sogleich erwachte ich aus meiner Schockstarre und betrat den unglaublich hellen, fast schon grellen Raum mit kleinen Schritten. Der Raum war um die 25 Quadratmeter groß und komplett in Weiß. Die Wände, die Decke und der Boden bestanden aus glänzenden Kunststoffplatten. Als Lichtquelle dienten eine Vielzahl von Einbaustrahlern an der Decke. Kein einziges Fenster befand sich in dem Raum. Nur in der Mitte ein länglicher Stehstich mit zwei roten Rosen und Baley, welche mit verschränkten Armen auf der gegenüberliegenden Seite stand.
,,Wird's bald? Oder willst du den ganzen Tag so rumstehen?", warf sie in den hallenden Raum.
Mit vorsichtigen Schritten tastete ich mich noch weiter ins Ungewisse hinein. Es war ein komisches Gefühl. Ich fühlte mich in diesem Raum eingeengt, obwohl genügend Freiraum herrschte. Mir kam es so vor, als würden die Wände immer näher kommen. Vielleicht lag es auch dran, dass alles in derselben Farbe und demselben Material bestand. Ich wusste es nicht. Während ich Baley immer näher kam, bemerkte ich, dass sich auf dem Boden ganz feine, fast unbemerkbare Linien zogen. Diese bildeten ungefähr fußbreite Vierecke oder vergleichbare Formen auf der gesamten Fläche. Das Zuschlagen und darauffolgende Zusperren der Tür hinter mir ließ mich schlagartig den Kopf wieder heben.
,,Stellt euch gegenüber, sodass der Stehtisch zwischen euch steht", ertönte aus dem Nichts eine weibliche Roboterstimme. Ich und Baley kreisen verwirrt um uns selbst herum, um den Ursprung dieser Stimme herauszufinden, doch vergeblich. Nirgends waren Lautsprecher zu erkennen.
,,Stellte euch gegenüber, sodass der Stehtisch zwischen euch steht", wiederholte sich die Stimme. Ich drehe meinen Kopf zu Baley, welche nur unberührt mit ihren Schultern zuckte und sich schon in Position begab. Verunsichert folgte auch ich nach kurzer Zeit schließlich der Anweisung.
,,Eure Aufgabe lautet: Wählt die richtige Rose".
Ich runzelte meine Stirn und ließ meine Augen über die zwei roten Rosen vor mir auf dem Stehtisch wandern. Auf den ersten Blick konnte ich keinen Unterschied zwischen ihnen erkennen. Genauso auch auf den Zweiten. Angestrengt suchte ich nach etwas, was die beiden Rosen voneinander unterscheidet, stelle jedoch fest, dass diese identisch gleich waren.
Baley schien genauso ratlos wie ich zu sein, denn sie trat näher an den Tisch und verzog ihre Lippen zu einer Linie. ,,Und welche von denen soll jetzt bitte die Richtige sein?"
Ich zuckte nur mit meinen Schultern.
'Will ich überhaupt die richtige Rose greifen?', stellte ich mir die Frage in Gedanken.
'Wäre es nicht besser, wenn ich so schnell wie möglich zu den anderen gelange würde, damit der Standort für Dexter bekannt wurde und er uns alle endlich aus diesem Wahnsinn herausholen konnte?', überlegte ich.
,,Was stehst du so steif da? Ich habe keine Lust hier den ganzen Tag zu verweilen. Hilf mir lieber die richtige Rose zu finden, damit wir beide hier wieder raus konnten", sagte Baley zickig.
Ich hob verwundert meine Augenbrauen.
,,Was?", keifte sie. ,,Ich dachte wir beide hatten schon beim Frühstück herausgefunden, dass du nicht länger hier sein willst. Ich hingegen schon. Also sei so lieb und hilf mir. Somit bekommen wir beide das, was wir wollen".
,,Du hast recht", sagte ich langsam. Es war mir nur recht, wenn sie gewinnen würde. Ich musste zu den anderen gelangen. Und je schneller ich das tat, desto früher sind wir frei und das alles hat endlich ein Ende.
,,Na also", meinte sie zufrieden. ,,Irgendwelche Ideen?".
Ich lief eine Runde nachdenklich um den Stehtisch. ,,Die Rosen sind gleich. Sie unterscheiden sich nicht", fing ich an laut zu denken.
,,Ah, was du nicht sagst. Das habe ich ja noch gar nicht bemerkt", sagte Baley ironisch und verdrehte die Augen.
Mit aufkeimender Wut sah ich sie an. ,,Willst du streiten oder die Aufgabe lösen? Ich mag dich genauso wenig wie du mich, aber wenn wir uns gegenseitig nur fertig machen hilft das uns hier kein bisschen weiter!".
Baley verschränkte nur ihre Arme und blieb still. Sah ein, dass ich recht hatte, wollte es aber nicht zugeben. Was mir völlig egal war. Ich hatte nur ein Ziel. Und zwar hier rauszukommen. Alles andere war nebensächlich.
Ich lief näher zum Tisch und beugte mich hinunter, um einen Blick direkt unter die Rosen zu werfen. Mein Verdacht war, dass sich unter der falschen Rose womöglich ein Sensor oder ähnliches befand, welcher uns eine der Rosen ausschließen lassen konnte. Doch ich lag falsch. Unter ihnen befand sich nichts. Nur eine glatte Oberfläche des Tisches. Seufzend erhob ich mich wieder.
'Und was, wenn es einfach nur ein Glücksspiel ist? Was, wenn man überhaupt nicht herausfinden konnte, welche Rose die Richtige ist?', überlegte ich und schloss meine Augen als mir klar wurde, was das für uns bedeutet. Es gab nur eine fünfzig prozentige Chance, die Richtige zu greifen. 'Und wie stelle ich das an?'.
,,Was überlegst du?". Baleys Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich meine Augen wieder öffnen.
,,Ich denke, es ist nur eine Frage des Glücks", offenbarte ich meine Theorie.
Baley schnaubte. ,,Aber das macht doch keinen Sinn! Brandon sucht sich jemanden für das Leben und veranstaltet daraufhin ein Auswahlverfahren, welches nur auf pures Glück basiert?", sie schüttelte ihren Kopf. ,,Warum sollte er das tun? Nur, weil er sich für eine von uns vieren nicht entscheiden kann? Das glaube ich nicht. Er wäre doch dumm, würde er seine Zukunft so entscheiden", sagte sie und hatte einerseits recht. Andererseits jedoch wusste ich etwas, was sie nicht tat. Und zwar das, dass alles nur ein Experiment und Brandon eigentlich nur eine Schachfigur ist.
'Aber auch wenn es nur eine weitere Aufgabe des Experiments ist, ist es sinnvoll eine Aufgabe zu stellen, welche nur aus Glück besteht? Was würde das bringen?
Nein, Baley hat recht. Es muss eine Möglichkeit geben, um die richtige Rose ausfindig zu machen. Wömöglich ist es eine Aufgabe über den Intellekt. Wie in einem Escape-Room.'
,,Okay, ja vielleicht", stimmte ich ihr zu. ,,Dann müssen wir eben nach Hinweisen suchen".
Baley lachte auf. ,,Na dann mal los Sherlock".
Ich verdrehte nur meine Augen und fing an, den gesamten Raum langsam zu durchqueren. Ich schabte mit meinen Absätzen am Boden, tastete die Wände ab und nährte mich erneut den Rosen, um sicherzustellen, dass ich auch wirklich nichts übersehen habe. Ich fand nichts. Nichts außer einen kleinen Kratzer an einer der glatten Wände. Kurz überlegte ich allen Ernstes, ob das ein Hinweis sein könnte. Verwarf den Gedanken aber schnell wieder. 'Sei nicht lächerlich, Mira'
,,Und?", fragte sie mich. ,,Schon was gefunden?". Es war offensichtlich, dass sie sich über mich lustig machte, woraufhin langsam aber sicher meine Faust anfing derartig zu jucken, sodass ich schon fast dazu gezwungen war ihr eine reinzuhauen.
,,Du denkst du wärs schlau, nicht? Lässt mich alleine die ganze Arbeit für uns beide machen", keifte ich sie an.
Baley zuckte mit ihren Schultern. ,,Ich finden nur, dass das Zeitverschwendung ist. Hier gibt es keine Hinweise. Es lässt sich irgendwie anders lösen. Wahrscheinlich sogar viel einfacher als wir denken".
Ich schnaubte. ,,Dann schlag doch endlich mal was vor".
Noch bevor Baley was erwidern konnte, ertönte erneut die Roboterstimme. ,,Zeitbegrenzung aktiviert. Fünf Minuten laufen ab jetzt".
Links an der glatten Wand erschien in roten Zahlen ein Timer.
4.59
4.58
4.57
Ich biss mir nervös auf die Unterlippe. ,,Was denkst du passiert, wenn die Zeit um ist?", stellte ich ihr verunsichert die Frage ohne meine Augen von den roten, sich im Sekundentakt wechselnden Ziffern zu nehmen.
,,Was wohl!? Wir werden beide nach Hause geschickt! Stell doch nicht so dumme Fragen!", erhielt ich sogleich gereizt als Antwort.
Ich schluckte. Nein, nach Hause geschickt werden wir auf jeden Fall nicht, das ist schon mal klar. Irgendwie hatte ich ein sehr beunruhigendes Gefühl. Meine Atmung beschleunigte sich und ich wurde immer nervöser. Ich konnte noch nie unter Druck arbeiten oder zumindest irgendwie klar denken, was mir in diesem Moment so ziemlich zum Verhängnis wurde.
4.19.
,,Okay, em.....Vorschläge?", fragte ich Baley, während ich versuchte mich in den Griff zu bekommen und meine Gedanken wieder zu ordnen.
,,Zwei Rosen....", überlegte sie laut und machte eine Runde um den Stehtisch. Sie war in dem Moment deutlich entspannter als ich. ,,Zwei rote Rosen, welche uns jede Woche überreicht werden als Zeichen dafür, dass wir eine Runde weiter sind...". Auf der gegenüberliegenden Seite blieb sie wieder zum Stehen und ihr Blick schweifte zu mir. ,,Wähle die Richtige". Sie hob den Zeigefinger. Dann sah sie mich abwartend an.
Ich fühlte mich wie ein Grundschulkind, welchem man schon die ganze Antwort durch die Blume vorgesagt hatte, dieser aber immer noch nicht auf die Lösung kam.
,,Wir müssen herausfinden, wer von uns beiden weiter ist?", sagte ich schließlich, was eher wie eine Frage klang.
,,Oder wir müssen entscheiden", meinte Baley langsam.
,,Okay, stopp", ich schüttelte verwirrt meinen Kopf. ,,Aber auch wenn wir jemanden von uns wählen, woher wollen wir wissen, welche der Rosen die Richtige ist?".
,,Ich denke, das mit der richtigen Rose ist einfach nur um uns zu verwirren", sagte sie nach kurzer Pause. ,,Ich denke viel wichtiger ist, wer von uns als Erstes eine der Rosen nimmt". Eindringlich blickte sie mich an. Konzentriert darauf, dass ich keine falsche Bewegung machte. Sie wollte gewinnen. Sie war entschlossen.
Ich drehte meinen Kopf zum Timer.
2.40.
,,Das ist nur eine Vermutung. Sie muss nicht stimmen". Ich wollte es nicht riskieren zu gewinnen. Keinen einzigen Tag länger wollte ich in diesem Schloss verweilen.
,,Die Hälfte der Zeit ist nun um. Bitte stellt euch mit dem Rücken an die Wand", erklang die Roboterstimme unerwartet und etwas verunsichert sah ich zu Baley, welche genauso wenig verstand wie ich.
,,Bitte stellt euch mit dem Rücken an die Wand", wiederholte sich die Stimme.
Mit langsamen Schritte lief Baley rückwärts und ich tat es ihr nach, bis ich die glatte Wand an meinem Rücken spürte. Baley und ich standen uns direkt gegenüber. In der Mitte befand sich der Tisch mit den beiden Rosen. Ich schlucke. Das ungute Gefühl verstärkte sich enorm, sodass meine Hände anfingen zu schwitzen.
Plötzlich fing der Boden an ganz leicht zu vibrieren. Automatisch versuchte ich mich mit den Händen an der Wand irgendwie zu stützen, um nicht zu fallen, falls etwas passieren sollte.
,,Was ist das?", hörte ich Baleys besorgte Stimme von der anderen Seite des Raumes. Ohne etwas hervorbringen zu können, schüttelte ich nur ratlos meinen Kopf. Dann drückte ich mich noch näher mit dem Rücken an die Wand. Ich wusste nicht, was genau in diesem Moment vor sich ging, hatte nur eine vage Vorahnung, bei der ich betete, sie würde nicht in Erfüllung gehen. Doch als ich meinen Blick auf den mit Linien verzogenen Boden senkte, weiteten sich vor Schreck meine Augen.
,,Mira, siehst du das auch?!", kreischte Baley fast schon hysterisch.
Meine Atmung beschleunigte sich schlagartig, als ich sah, wie die in den Boden eingeritzten Formen nacheinander anfingen, sich zu lösen, um daraufhin in die dunkle Tiefe unter uns zu stürzen.
,,Sind die verrückt geworden?! Wollen die uns umbringen?!", schrie sie weiter und kroch währenddessen auf allen vieren weg von dem Loch, welches sich so langsam aber sicher immer mehr auf ihrer Hälfte des Raumes ausbreitete.
1.57
Allmählich verfiel auch ich in Panik, als ich bemerkte, wie die Kunststoffplatten neben mir immer weniger und weniger wurden.
,,Baley! Eine von uns sollte jetzt eine der Rosen nehmen!", rief ich durch den Lärm hinweg, welcher durch den Aufprall der Bodenstücke verursacht wurde. ,,Du sollst weiter! Wenn deine Theorie stimmt, dann musst du als Erstes eine der Rosen greifen!", entschied ich und warf einen besorgten Blick auf den Timer.
1.46
,,Und was, wenn ich Unrecht habe?! Was, wenn es doch irgendwie anders zu lösen ist?!", rief sie verunsichert.
,,Wir haben keine Zeit mehr! Entweder greifst du nach ihr oder ich tuuuu.... !". Eine der Fußbodenplatten löste sich direkt unter meinem rechten Fuß und ließ mich schmerzhaft auf meinem linken Knie landen. Während mein rechtes Bein komplett in der Luft hing, versuchte ich panisch nach etwas zu greifen, woran ich mich wieder hochziehen konnte, doch vergeblich. Der Boden war einfach zu glatt, um sich irgendwie dran fest krallen zu können, weshalb ich immer weiter und weiter wegrutschte.
,,Mira! Da vor dir wird ein weiteres Stück locker, es wird gleich fallen, dann kannst du dich an dem dazwischen hochziehen!", versuchte mir Baley augenblicklich zu helfen. Meine Haarsträhnen fielen mir ins Gesicht und versperrten mir teilweise die Sicht, während ich hektisch um mich herum tastete.
,,Weiter links, Mira!", schrie Baley, welche das ganze wohl beobachtet hatte. Ich folgte ihrer Anweisung und fand endlich das besagte Stück Boden, an welchem ich mich sofort mit beiden Armen dran fest klammerte und krächzend vor Anstrengung hochzog. Keuchend kroch ich daraufhin in eine Ecke, in der noch der Boden ganz war. Meine Arme zitterten vom Adrenalin. Ich drehte meinen Kopf zum Timer.
56
55
54
,,Baley! Rose! Jetzt!", rief ich nervös und schielte nochmals prüfend zu den digitalen Zahlen an der Wand.
49
,,Wenn du an deiner Theorie zweifelst, dann gehe ich", entschied ich als sie sich nicht regte und stand langsam auf.
,,Nein!", rief sie sofort panisch. ,,Ich gehe schon". Ihren verunsicherten Blick konnte sie nicht verbergen, während sie mit langsamen Schritten, immer darauf bedacht, dass sie auf festem Boden stand, zum Stehtisch stolperte.
31
30
29
Während Baley sich immer näher zu den Rosen begab, konnte ich nur starr da stehen und ihr dabei zusehen, wie sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie eher die rechte oder die linke Rose nehmen sollte. Für einen kurzen Moment hörte ich sogar auf zu atmen, als sie schlussendlich nach dem Stiel der rechten Rose griff und diese vom Tisch nahm. Augenblicklich stoppte der Timer auf genau 11 Sekunden.
Stille trat ein. Kein weiteres Stück Boden löste sich mehr. Kein Aufprall war mehr zu hören. Stille.
,,Ich hatte recht!", jubelte Baley freudig. ,,Ich habe gewoooo....". Sie konnte nicht zu Ende sprechen, denn unter ihren Füßen lösten sich sogleich mehrere Fußbodenplatten und ließen sie in die Tiefe stürzen.
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