Kapitel 40
Ich spürte, wie mich jemand trug. Starke Arme hielten mich unter meiner Kniekehle und am Rücken. Bei jedem weiteren Schritt, wippte mein Kopf mit, da er etwas herunterhing. Meine Augen bekam ich kaum geöffnet. Und wenn, dann war meine Sicht komplett verschwommen. Aufgrund des Gases war ich immer noch vernebelt und fühlte mich schlapp. Mein Körper wollte sich weiter ausruhen und mich wieder dazu bringen meine Augen zu schließen, doch ich kämpfte dagegen an. Mit halb geöffneten Augen sah ich auf den Boden und bemerkte schwarze Stiefel. Nachdem ich die Kraft dazu fand meinen Kopf nach oben zu drehen und meine Augen wieder einen Spalt zu öffnen, sah ich ein männliches Gesicht vor mir. Angestrengt versuchte ich meine Sicht etwas klarer zu bekommen, um zu erkennen, wer mich trug, aber es gelang mir nicht. Meine Kräfte verließen mich schlagartig wieder und meine Augen drohten sich erneut zu schließen, doch dann drehte sich das Gesicht zu mir. Ich erkannte besorgte grüne Augen, die mich von oben herab ansahen. Das war das einzige, was ich noch erhaschen konnte, bevor ich wieder in einen traumlosen Schlaf fiel.
*~*~
Ich vernahm einen sehr starken Geruch, welcher mich sofort dazu brachte, meine Augen schlagartig zu öffnen und meinen Kopf nach links wegzudrehen.
,,Na endlich", hörte ich eine brummige Stimme neben mir.
Mit noch schläfrigen Augen drehte ich meinen Kopf wieder zurück und blickte in braune Augen. Das war alles, was ich vom Gesicht sah. Alles andere verdeckte eine schwarze Sturmmaske.
,,Wer bist du?", brachte ich krächzend heraus. Meine Stimme war noch deutlich angeschlagen. 'Wie lange war ich bewusstlos gewesen? Eine Stunde? Zwei?'
Der Unbekannte zog mit einem Ruck seine Maske vom Kopf und gab mir freie Sicht auf sein komplettes Gesicht. Lange Wimper, buschige Augenbrauen, schmale Lippen und glatt rasierte Wangen kamen zum Vorschein.
Immer noch verwirrt, blicke ich ihn an.
,,Mein Name ist Dexter. Ich bin der Führer dieser Sturmgruppe", er zeigte auf die Männer, welche um uns herum standen. ,,Dein Name ist Mira, richtig?"
Ich nickte leicht, nicht verstehend, woher er meinen Namen kannte.
,,Wir müssen etwas zusammen besprechen", meinte Dexter und half mir mich aufzusetzen. Ich befand mich auf dem kalten Betonboden in einem Raum, welcher keinerlei Möbel hatte. Er war leer und erinnerte mich an einen der Kellerräume, in welchem ich und Kayl mal waren.
,,Wo sind alle anderen?", fragte ich und hielt mir den Kopf, als mich ein leichter Schwindel überkam.
,,In Sicherheit", versicherte Dexter. ,,Wir brauchten nur dich".
Ich schluckte. ,,Was heißt das?".
,,Komm, steh erst mal auf. Der Boden ist kalt". Dexter hielt mir seine Hand hin, welche ich sofort dankend ergriff.
,,Ich bin schon seit ein paar Jahren auf der Spur dieser Mistkerle. Die Wissen, sich zu verstecken. Bis jetzt konnte ich nur wenige von ihnen festnehmen, doch auch die waren völlig nutzlos. In unsere Hände glitten nur diejenigen, welche nicht eingeweiht wurden. Sie wussten meistens nur, was sie zu tun hatten. Nie weshalb. So wie die Security-Männer hier im Schloss. Nahmen einen vermeintlich harmlosen Job an und verrichteten ihre Arbeit", er schüttete verärgert seinen Kopf.
,,Wer sind diese Menschen, hinter denen ihr her seid?", wollte ich wissen.
,,Die, die das alles planen. Die, die hinter all dem stecken", antwortete er mir.
,,Aber wozu das alles?", fragte ich.
,,Ein Experiment. Sie erforschen das Verhalten von Menschen in den verschiedensten Situationen. Tun es aber maximal gewalttätig und ohne Gnade. Dabei gehen Menschen ums Leben oder werden psychisch instabil.", erklärte er.
Ungläubig blickte ich ihn an. ,,Das jetzt...", ich schluckte. ,,....ist also ein illegales Experiment?". Ich erinnerte mich sogleich an eines der Ordner auf dem Laptop, mit dem Namen ,,Projekt Stewart", in welchem sich die Steckbriefe von allen im Schloss befanden.
Er nickte. ,,Es ist ein Teil davon. Wir denken, dass der extreme Teil erst beginnt, wenn nur noch eine der Kandidatinnen übrig bleibt. Wenn sie so zu sagen gewinnt".
,,Warte, warte", stoppe ich ihn. ,,Ihr habt die ganze Zeit über uns im Auge behalten? Wusstet was hier vor sich geht und seid nicht eingeschritten?"
,,Nein, ehrlich gesagt, wussten wir überhaupt nicht, dass das ganze wieder begonnen hat. Einer unserer Leute hat sich hier eingeschleust und uns erst vor ein paar Tage kontaktieren können. Er hat uns kurz und knapp darüber informiert und den Standort genannt", gab er zu.
,,Wer?". Meine Stimme war nur ein Flüstern. Ich hatte so eine Vorahnung, wer das sein könnte. Erinnerte mich schlagartig an grüne Augen, welche zu den starken Armen gehörten, die mich trugen. Augenblicklich sah ich mich um. Blickte in jedes Gesicht der Männer in diesem Raum.
'Es war er. Es muss er gewesen sein.'
Mein Herz donnerte gegen meine Brust. 'Er lebt. Kayl lebt'
,,Kayl Folt. Vielleicht kennst du ihn ja. Er gab sich als einer der Security-Männer aus.", sagte Dexter und neigte seinen Kopf leicht zur Seite.
,,Wo ist er?'', fragte ich sofort, nachdem ich ihn unter keinem der Männer finden konnte.
Er räusperte sich unbehaglich. ,,Es tut mir leid, aber während er uns die ganzen Informationen überbrachte, gab es eine Explosion und der Kontakt zu ihm brach ab"
Kurz dachte ich, mein Herz würde stehen bleiben. Der Hoffnungsschimmer, welchen ich Sekunden zuvor verspürt hatte, verflog genauso schnell wie er gekommen war. Und es tat weh. Deutlich stärker und intensiver als an dem Abend der Explosion. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte mich zusammenzureißen. Schluckte die aufkommenden Tränen herunter.
,,Wer hat mich hergetragen?"
Dexter nickte in die Richtung eines Mannes, welcher sogleich seine rechte Hand als Begrüßung hob. Er war groß, hatte in etwa den gleichen muskulösen Körperbau wie Kayl und grüne Augen. Grüne verfluchte Augen.
*~*~
,,Ich weiß, du bist vielleicht nicht wirklich in Stimmung, aber wenn du gleich dein Kleid siehst, wird die Stimmung von selbst kommen, das versichere ich dir!". Theo zog etwas an meinen Haaren und band diese schließlich zu einem strengen Zopf nach hinten. ,,Der Vorfall gestern war schrecklich und wenn ich nur daran denke....", er schüttelte sich. ,,Aber uns wurde versichert, dass so etwas nie wieder vorkommen wird. Ich habe heute Morgen schon gesehen, wie doppelt so viele Security-Männer nun draußen Wache schieben. Kein einziger Fan wird es mehr schaffen, hier auch nur einen Fuß reinzusetzen! "
Meine Augenbraue zuckte kurz leicht auf und ab. Es war so absurd, dass er die Geschichte mit den Fans abgekauft hatte. Aber irgendwie nahm ich es ihm nicht übel. Er hat die Eindringlinge schließlich nicht gesehen und die Sache mit dem Schlafgas, wurde mit dem Verrücktheitsgrad der "Fans" von Thalila begründet. Als wir nach dem Überfall alle in den Versammlungsraum gerufen wurden und Thalila vor uns stand, konnte ich nur belustigt meinen Kopf über ihre einstudierten Worte schütteln, die sie uns überbrachte.
Während des Eindringens von Dexter und seinem Team, wurde jede der Kandidatinnen, wie ich von Emma und ihren Freundinnen erfuhr, von Security-Männern in Sicherheit gebracht. So wie ich bereits vermutet hatte, gab es in jedem der Zimmer einen geheimen Raum oder Durchgang.
Der Trupp war da, um das Schloss zu stürmen, jedoch wurde nicht damit gerechnet, dass es so viele Security-Männer im Schloss geben würde. Kayl kam nicht dazu, sie darüber zu informieren. Wozu er aber kam, war es von mir zu erzählen. Das war auch der Grund dafür, warum es einen Plan B gab. Ich war ihr Plan B.
,,Und?". Theo blickte mich aufgeregt an. ,,Jetzt sag schon was! Gefällt's dir?''
Ich bemerkte erst jetzt, dass Theo mein heutiges Kleid vor sich hielt und es fröhlich, leicht hin und her schaukelte.
Das Kleid war knöchellang, aus rotem Leder und mit Beinschlitz. Einen ziemlich gewagten Beinschlitz, wenn es nach mir ginge. Dafür war der Ausschnitt des Kleides aber akzeptabel, was mich freute.
Nachdem wir es mir mit viel Aufwand und Kraft übergezogen haben, da das Leder kaum nachgab und ich mit meinen Kurven somit enorme Schwierigkeiten hatten, dort hineinzugelangen, kombinierte er dezente Ohrringe und hohe Schuhe, welche man zuschnüren musste, dazu. Die Schnüre gingen mir bis zu den Oberschenkel. Es war so ziemlich das unbequemste Kleid und Schuhe, die mir Theo je übergezogen hatte. Während Theo noch an meinem Aussehen feilte, schweifte ich ab.
Flashback
,,Das ist ein Peilsender. Ich denke, du weißt, wozu er gut ist?". Dexter hielt eine winzige, schwarze Kugel, welche an einer Stelle flach war, zwischen seinen Fingern.
Ich nickte als Antwort.
,,Der hier wurde extra für Menschen angefertigt. Ich klebe dir diesen auf die Innenseite deiner Vorderzähne mit einem speziellen Zahnkleber fest. Es wird anfangs stören, aber du wirst dich daran gewöhnen. Der Kleber sollte den Peilsender für minimum sechs Monate an Ort und Stelle halten, also habe keine Angst, dass du ihn verschlucken könntest", erklärte er und trug auch schon nebenbei den Kleber auf die glatte Seite des kleinen Dingens auf.
Verstört weiteten sich meine Augen. ,,Und was, wenn der Kleber sein Versprechen nicht hält und ich den Peilsender doch verschlucken sollte?"
,,Solange er sich in deinem Körper befindet, werden wir dich orten können. Sobald du ihn jedoch ausscheidest, natürlich nicht mehr", er zuckte leicht mit seinen Schultern, als wäre es das normalste der Welt. ,,Er wird dich weder verletzten noch töten, sollte er in deinen Magen gelangen. Also keine Sorge", beruhigte er mich, nachdem er meinen Blick bemerkte. Zögerlich öffnete ich daraufhin meinen Mund und ließ Dexter mir den Peilsender ankleben.
,,Wir müssen dich jetzt wieder du den anderen bringen, bevor sie aufwachen und merken, dass du weg bist. Vorher aber noch etwas....'', eindringlich sah er mich an. ,,Ich weiß, dass du Angst hast. Deine Angst ist berechtigt. Aber ich bitte dich, halte noch bis zum zweiten Teil durch. Erstens, müssen wir herausfinden, wo genau dieser stattfindet und zweitens, wird es für uns so einfacher die anderen ausgeschiedenen Kandidatinnen zu finden. Bis dahin holen wir Verstärkung und dann hat das Ganze hier endlich ein Ende."
Flashback Ende
,,So, nun bin ich zufrieden", sprach Theo, nachdem er fünf Runden um mich gedreht und dabei hier und da herumgezupft hatte. ,,Jetzt komm, wir haben noch ein paar Schritte zu laufen". Er nahm mich an der Hand und zog mich aus dem Ankleidezimmer.
Ich runzelte meine Stirn. ,,Was soll das heißen?". Beunruhigt blickte ich ihn an.
,,Das Mira, soll heißen, die Zeremonie wird dieses Mal etwas anders ablaufen. Und vor allem, woanders", erklärte er.
Sogleich wurde ich nervös und schluckte.
,,Sag mir, wo?", forderte ich.
,,Wirst du gleich...", ich ließ ihn nicht aussprechen. ,,Theo, WO?!". Ich war kurz davor, mich zu verlieren. Diese Ungewissheit zerrte an meinen letzten, noch vorhandenen Nerven und Theo machte es noch schlimmer.
,,Im Erdgeschoss hat jede der Kandidatinnen einen Raum zugeteilt bekommen. Ich führe dich gerade zu deinem. Ich denke, Brandon will einfach mit jeder von euch alleine reden". Er drehte sich mit verwirrter Miene zu mir um. ,,Was ist nur los mit dir?"
,,Nichts", sagte ich leise und atmete zittrig aus. Ich ließ meine Hand aus seiner gleiten und lief voraus. Ich wollte nicht, dass er meinen ängstlichen Gesichtsausdruck sah. Wollte nicht, dass er bemerkte, wie ich zitterte. Ich wusste nicht, wie ich es ihm erklären sollte, falls er Fragen stellen würde. Wobei sich das vielleicht sogar als ziemlich einfach herausgestellt hätte, wenn man bedenkt, dass er die Geschichte mit den verrückten Fans abgekauft hat.
Den gesamten Weg ins Erdgeschoss, redete ich mir ein, dass ich es schaffen würde. Ich würde die letzten paar Wochen schon irgendwie durchstehen. Ich musste. Für Angelina, für mich, für Kayl, für Cole, verdammt, für alle in diesem Schloss! Ich war der Plan B. Es gab kein Plan C, kein Plan D. Alles lag nur noch an mir. Und alles, was ich nun musste, war es irgendwie durchzuhalten. Durchzuhalten bis zum Schluss.
,,Hier musst du rein", hörte ich die beleidigte Stimme von Theo hinter mir als wir an einer der Türen ankamen.
Ich presste meine Lippen aufeinander. Ich hatte keine Ahnung, was mich hinter dieser Tür erwarten würde. Konnte es mir noch nicht einmal denken.
Leise Schritte entfernten sich von mir. Theos Schritte. Er ging, ohne sich zu verabschieden oder mir Glück zu wünschen, so wie er es eigentlich immer tat. Ich hatte ihn wohl mit meiner Art verletzt. Doch das war nur ein weiteres Problem, welches seinen Platz in der langen Schlange meiner Probleme ganz hinten einnehmen musste. Ich hatte keine Zeit, mich um die Gefühle anderer zu kümmern. Ganz besonders nicht, wenn so viel auf dem Spiel stand.
Ich legte meine Hand auf den goldenen Türknauf und öffnete die Tür. Der Raum wurde sehr dunkel gehalten. Nur in der Mitte des Raumes stand ein grauer Stehtisch, welcher von oben herab beleuchtet wurde. Ich erkannte eine rote Rose darauf. Vorsichtig schritt ich auf diese zu. Es war so dunkel, dass ich noch nicht mal sehen konnte, was genau sich um mich herum befand.
Waren es Regale oder einfach nur kahle Wände? Ich traute mich nicht es zu überprüfen. Wollte nicht aus dem einzig beleuchteten Kreis treten.
Die Tür schlug hinter mir unerwartet zu und wurde von außen abgesperrt. Sogleich verfiel ich in Panik. Hektisch blickte ich mich um, doch es war unmöglich für mich überhaupt irgendwas zu erkennen.
,,Hallo Mira", hörte ich eine mir allzu bekannte Stimme. Erschrocken drehte meinen Kopf nach links und sah wie Brandon aus der Dunkelheit hervortrat. Oder war es Nolen?
,,Nun, da du mittlerweile weißt, wer ich bin, kann ich mich dir endlich richtig vorstellen", er grinste und kam mir mit ausgestreckter Hand näher. ,,Mein Name ist Nolen Leen, aber du kanntest mich bis jetzt nur als Mister X".
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