▫▪Kapitel 6▪▫
TAEHYUNG
"Ich werde euch morgen einen Besuch abstatten und mir das Ganze ansehen", sprach ich in das Telefon, das seinen Platz an meinen Ohr gefunden hatte. Nebenbei sortierte ich einige Akten, musste zwischen Rechnungen und Bewerbungen unterscheiden und alles an seinen richtigen Platz legen. Ein leises Seufzen entkam mir, der heutige Arbeitstag zog sich viel zu sehr in die Länge. Dieser Anruf ebenso, weshalb ich ihn mit weiteren, knappen Worten beendete und das Telefon beinahe schon mit Gewalt zurück in seine Anlage steckte.
Mit einer flüchtigen Handbewegung strich ich meine dunklen Haarsträhnen aus meinem Gesicht, ehe mein Blick erneut auf den ganzen Papierkram fiel, den ich noch zu erledigen hatte. Doch statt mich diesem zu widmen, lehnte ich mich in meinem großen Sitz zurück und schloss für einen Moment meine Augen. Zwar hatte ich keine wirkliche Zeit für eine Pause, es war bereits Nachmittag und ich hatte nur wenig Lust auf Überstunden, jedoch war meine Konzentration gerade ohnehin gestört.
Ich rief mir die gestrige Situation in der Bar Revue und erinnerte mich an diesen merkwürdigen Typen, mit dem ich mehr weniger gewollt Bekanntschaft geschlossen hatte. Lange hatten wir unser bizarres Gespräch nicht geführt, auch waren keine nennenswerte Worte gefallen, die mir wirklich im Kopf geblieben waren. Viel mehr musste ich an sein Verhalten denken, denn noch immer war es ungewöhnlich, dass er mich ohne wirklichen Grund angesprochen hatte und in ein Gespräch verwickelt.
Dennoch hatten wir uns später ohne besondere Vorkommnisse voneinander verabschiedet und waren unsere Wege gegangen, somit hatte ich also keinen Grund, mir den Kopf darüber zu zerbrechen. Deswegen richtete ich mich nun auch wieder auf und zog den Stapel der Bewerbungen, die ich in den letzten Tagen erhalten hatte, zu mir. Aus meiner Kaffetasse nahm ich einen großzügigen Schluck, in der Hoffnung, dadurch an neuer Energie zu gewinnen und produktiver sein zu können. Viel helfen tat es zwar nicht, aber das war auch bloß reines Wunschdenken gewesen.
Eine Bewerbung nach der anderen ging ich durch und sah mir an, was die Person für einen Posten haben wollte und besonders, was sie zu bieten hatte. Einige stempelte ich ab und legte sie auf einen weiteren Stapel, damit ich sie an verschiedene Firmenchefs weiterleiten konnte, andere landeten direkt auf dem Rücksendestapel. Gerade die Bewerbungen, in denen man die Position meines persönlichen Sekretärs anstrebte, erhielten allesamt Absagen, denn dieser Platz wurde für nur eine einzige Person freigehalten.
Jungkook.
Womöglich würden mich einige nun naiv denken, andere gar dämlich, doch es war keine wirkliche Hoffnung, die mich dazu gebracht hatte, diese Entscheidung zu fällen. Nein, es war der Blick Jungkooks gewesen, das rebellische Funkeln in seinen Augen, die abfällige Tonart, die er mir vor die Füße gespuckt hatte. Alles an ihm hatte danach geschrien, wie ein Magnet auf mich zu wirken und ich wusste, dass es ihm nicht anders ergehen konnte. Aus diesem Grund war es keine Hoffnung - es war Wissen.
"Woojin?" Mein Finger betätigte einen Knopf auf der Anlage, wodurch ich meinen jungen Mitarbeiter anfunken konnte. Er war noch nicht allzu lange angestellt, erst ein halbes Jahr, und aufgrund des ausgefallenen Sekretärs hatte er die ehrenvolle Aufgabe erhalten, meine zweite Hand zu sein. Für gewöhnlich arbeitete er an der Rezeption unten im Eingangsbereich des Hauptsitzes, in dem sich ebenfalls mein Büro befand, somit hatte er nun viel mehr zu tun, als ihm lieb war. Ich hatte bereits befürchtet, dass er es nicht unter einen Hut bekommen würde und Überstunden beantragen, doch erstaunlicherweise hatte er es bisher gepackt. Glück für ihn, ein richtiger Arbeiter unter meiner Aufsicht musste nämlich mit zusätzlicher Arbeit zurecht kommen. Und außerdem erhielt er einen kleinen Zuschuss zu seinem eigentlichen Gehalt als Entschädigung, schließlich wollte ich meine Mitarbeiter auch gerecht behandeln.
"Ich habe hier einige Bewerbungen, die zurückgeschickt werden müssen und möchte mich jetzt endlich den Rechnungen widmen, darum möchte ich, dass du sie in den nächsten fünf Minuten abholst", befahl ich ihm über die Anlage und wartete einen Moment lang auf seine Antwort. Ich erwartete ein einfaches "Mach ich", wie es immer von ihm kam, da er es nicht einmal wagte, meine Autorität infrage zu stellen, allerdings erhielt ich heute eine andere Antwort.
"Aber Chef, in einer Viertelstunde ist die Bewerberin da, die sich als Ihre Sekretärin beworben hat", meinte er etwas vorsichtig. Sogleich zog ich meine Stirn kraus, suchte in meinen Erinnerungen nach einer Zustimmung einer Bewerbung. Meines Wissens nach hatte ich bisher keinen potentiellen Neuling entdeckt gehabt, abgesehen von Jungkook natürlich, aber leider war es möglich, dass ich es gerade wegen diesem schlicht und ergreifend vergessen hatte.
"Bist du dir sicher?", wollte ich wissen und starrte auf den teuren Teppich, der damals meinem Büro etwas von seiner Kälte hatte nehmen sollen. Geklappt hatte es nicht, doch das konnte auch an meiner Wenigkeit liegen.
"Ja, es steht auf ihrem Terminkalender", bestätigte Woojin und entlockte mir dadurch ein leises Seufzen. Kurz schloss ich meine Augen und rieb mit Daumen und Zeigefinger über mein Nasenbein, überlegend, ob ich es nicht einfach absagen konnte. Jedoch war mir bewusst, dafür war es bereits zu spät. Wohl oder übel musste ich da durch, auch wenn es mir absolut nicht gefiel.
"Okay, begleite sie hoch, sobald sie da ist. Dann kannst du direkt die Bewerbungen mitnehmen", sagte ich ihm und erhielt nun seine mir allzu bekannte Antwort. Mit einem weiteren, leisen Seufzen ließ ich den Knopf der Sprechanlage los und lehnte mich zurück, ließ meinen Blick über meinen überfüllten Schreibtisch wandern. Das sollte ich wohl aufräumen, bevor ich meinen Besuch erhielt, denn auch wenn ich sie abweisen musste, durfte ich keinen schlechten Eindruck riskieren. So etwas wurde schneller zur Debatte, als mir lieb war.
-
"Gut. Sie sind also...?", fragte ich die junge Dame, die gegenüber von mir Platz genommen hatte und ließ eine Augenbraue nach oben wandern. Ihr Gesicht kam mir in keinster Weise bekannt vor, ich hatte nicht das Gefühl, sie jemals gesehen zu haben. Doch der Schein könnte auch trügen, Bilder vertuschten gerne die Wahrheit. Und dass eine Frau wie sie, schmale Lippen, Unreinheiten und eine große Nase, sich Bildbearbeitung zunutze gemacht hatte, war nicht gerade unwahrscheinlich.
"Mein Name ist Gyeon Haeun", stellte sie sich vor und deutete eine Verbeugung an, auf die ich nicht einging. Sie fuhr sich durch ihre langes, braunes Haar und setzte ein Lächeln auf, freundlich, aber nicht ehrlich. Ich wusste nicht, was ich von ihr halten sollte, sie schien selbst nicht unbedingt hier sein zu wollen. Dabei war sie es doch gewesen, die hier arbeiten wollte und eine Bewerbung gesendet hatte.
"Und wieso wollen Sie diese Stelle haben, Gyeon Haeun?", fragte ich weiter und legte leicht meinen Kopf schief. Mich interessierte, wie ausgefallen die Antworten einiger Leute werden konnten, wenn ich diese Frage stellte. In seltenen Fällen war etwas Gutes dabei, doch meistens bewies es mir nur, hinter wie vielen Lügen und Masken sich die Menschen versteckten, um Anerkennung zu erhalten und in diesem Fall einen Beruf. Verstehen tat ich das nicht wirklich, trotz meines - für den Kopf einer kompletten Elektronik-Firma - jungen Alters hatte ich mich mit Leichtigkeit durch Fleiß und Geld an die Spitze gearbeitet. Dafür brauchte man nun wirklich keine Lügen.
Die Worte der jungen Frau mir gegenüber waren recht knapp, sie hielt sich kurz und antwortete auf meine Fragen nur mit dem Nötigsten. Ihre Desinteresse war deutlich, sie wollte den Job ganz gewiss nicht haben, weil sie qualifiziert dafür war. Vermutlich war sie eine der vielen, die einfach auf einen gutaussehenden Chef gehofft hatte, mit dem sie Spaß auf der Arbeit haben konnte, doch obgleich ich ersteres erfüllte, meine Arbeit hatte für mich die höchste Priorität. Und keine Frau der Welt würde dies jemals ändern, da konnte sie noch so schön und hinreißend sein.
Doch auch wenn ich mich während dieses ätzenden Gesprächs nicht hatte amüsieren können, musste ich zumindest kein schlechtes Gewissen haben, wenn ich ihr per E-Mail mitteilte, dass sie die Stelle nicht erhalten hatte. Wahrscheinlich hätte es mich ebenso wenig interessiert, wenn sie hochmotiviert gewesen wäre, aber da das nicht der Fall war, brauchte ich keinen weiteren Gedanken mehr an diese Frau zu verschwenden, kaum war sie aus meinem Büro verschwunden. Stattdessen wanderten meine Gedanken zu Jungkook und ich fragte mich, wie lange ich wohl noch darauf warten musste, ihm wieder gegenüber zu stehen.
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