12. Kapitel
Schon seit zwei Stunden liege ich in meinem Bett. Dauerhaft liegt mein Blick auf der Decke oder einer meiner Wände.
Genervt werfe ich meinen Kopf auf mein Kissen und drehe mich auf die andere Seite, wo mein Fenster ist. Ich brauche dringend Schlaf für das Konzert morgen – heute – damit ich dort gut bin und die Energie richtig rüberbringen kann. Aber wie ging noch einmal der Griff? Kurz bin ich gewillt aufzustehen und noch einmal in Ruhe die Lieder durchzugehen, verwerfe den Gedanken aber sofort. Meine Eltern wollen schlafen. Leicht hebe ich meine Hände, spiele in der Luft. Nach den ersten zwei Takten höre ich auf. Es hat keinen Sinn, das so zu machen, ich brauche dafür meine Noten, aber die sind in der Schule, damit ich sie nicht vergesse.
Erneut drehe ich mich um und starre meine Wand an, welche in der Dunkelheit aus einzelnen Pixeln zu bestehen scheint. Was ist nur los mit mir? Vor dem letzten Auftritt konnte ich auch in Ruhe schlafen.
Als ich auf mein Handy anschalte, muss ich die Augen zusammenkneifen, damit es mich nicht zu sehr blendet. Was steht dort? 00:23. In sechs Stunden muss ich wieder aufstehen, um meine Medizin rechtzeitig zu nehmen. Dabei beginnt die Schule heute erst später.
Ein weiteres Mal stemme ich mich hoch und lasse mich auf den Bauch sinken. Als ich mein Ohr auf mein Kissen lege, halte ich inne. Mein Puls ist viel zu schnell. Tastend fahre ich über meine Brust, um meinen Herzschlag spüren zu können. Unsicher schweift mein Blick durch die Gegend. Seit wann schlägt mein Herz so schnell? Was ist los? Sollte ich Mama Bescheid sagen? Aber dann macht sie sich Sorgen und ich wecke sie. Kurz denke ich darüber nach, wäge die Vor- und Nachteile ab und entscheide mich dafür, es für mich zu behalten. Sonst spreche ich es morgen Abend an, wenn das Konzert vorbei ist und sie noch wach sind.
Wieder bette ich mich anders und ziehe mein Kissen vor mich, um es zu umklammern. Dann schließe ich meine Augen, damit zumindest die Chance besteht, dass ich einschlafe.
Als ich aufwache, ist die Welt schwarz. Keine Pixel, nur schwarz. Sofort setze ich mich auf, um einzuatmen. Ich- Was? Mit meiner Hand schlage ich auf meinen Brustkorb. Hat mich etwas zugeschnürt? Warum ist mir so schwindelig? Aber da ist nichts, außer mein Shirt. Einatmen! Erneut versuche ich es. Kaum etwas kommt in meine Lunge und ich merke, wie mein Körper sich nach hinten sinken lassen möchte. Nein! Warum ist es so? Ich- Hilfe! „Hilfe!", schreie ich, aber nur ein Krächzen verlässt meinen Mund. Schnell rutsche ich an meine Bettkante, stelle mich hin. Augenblicklich schwanke ich und fange mich an der Wand ab. Mein Herz pocht unangenehm gegen meine Rippen. Aber es schlägt! Mit meinen Händen taste ich mich bis zu meiner Tür, reiße sie auf. Wo muss ich hin? Wo schlafen meine Eltern? Meine Beine brechen unter mir weg und ich sinke auf den Boden. Flackernd geht unser Licht an. Die Hälfte meines Sichtfelds bleibt tiefschwarz und der Nebel zieht sich immer dichter. Als ich erneut versuche einzuatmen, fängt meine Lunge an zu brennen. Ich muss zu meinen Eltern! Jetzt! Wo sind sie? Schnell ruckt mein Kopf umher, weshalb mir sofort schwindelig wird und ich eine Hand vor den Mund presse. Oh Gott! Auf allen Vieren krieche ich weiter, ziehe mich nach vorne, bis ich an der nächsten Tür ankomme. Mehrmals klatscht meine Hand dagegen. Hilfe! Ich stütze mich vom Boden hoch, um die Türklinke zu erreichen. Im nächsten Moment schwingt sie auf und offenbart das Schlafzimmer meiner Eltern. Ich muss weiter. Stolpernd ziehe ich mich zum Bett, wo ich sofort anfange, meine Mutter zu rütteln. Meine Lunge brennt so sehr! Mein Gesicht verzieht sich, als ich noch einmal versuche einzuatmen. Viel zu wenig Luft kommt in meine Lungen.
„Mary, Schatz ... okay?" Ihre Stimme klingt wie in Watte eingepackt. So weit fern ... Als meine Finger die Decke berühren, möchte ich mich nur noch hinlegen. Warum ist das so weich? „Mary?" Blinzelnd schaue ich zu ihr, mein Kopf kippt zur Seite weg. Bevor mein Körper folgt, stütze ich mich an der Wand ab. „Schatz, was ist los?"
Dann sinke ich auf die Knie.
Das Nächste, was ich mitbekomme, ist Licht, welches mich blendet. Blinzelnd schlage ich meine Lider auf, aber immer wieder werden sie durch Gewicht heruntergedrückt. Was ist los? Etwas greift nach meiner Hand und drückt sie. Dann beugt sich jemand über mich und ein noch helleres Licht scheint mir in die Augen. Sofort schließe ich sie wieder und lasse meinen Kopf zur Seite sinken. Was ist los? Was passiert hier?
Entfernt nehme ich Stimmen wahr, aber verstehen, was sie sagen, kann ich nicht. Das Gesicht über mir geht weg und sofort legt sich jemand über mich.
„Mama?", will ich wispern, sobald ich sie erkenne, aber nichts kommt aus mir raus. Irgendetwas ist auf meinem Gesicht, hält mich vom Reden ab! Als ich meinen Arm heben will, fühlt er sich viel zu schwer an. Nur mühsam hieve ich in auf meinen Körper bis zu meinem Mund. Bevor ich den Teil meines Gesichts berühren kann, stoße ich auf etwas gummiartiges, was sich über meine Nase und meinen Mund legt. Was ist hier los? Wild reiße ich meinen Kopf umher. Wo bin ich? Was passiert hier? Aber erkennen tue ich nichts. Rechts von mir ist bloß eine weiße Wand, davor steht jemand in heller Kleidung, welche mir in den Augen wehtut. Links von mir sind meine Mutter und irgendwelche Geräte. „Wo bin ich?", versuche ich hervorzubringen, aber es geht nicht. Scheiß Ding! Mit meiner Hand greife ich nach dem Gummi und versuche es von meinem Gesicht wegzuziehen.
„Nicht!", ertönt die viel zu schrille Stimme meiner Mutter, während die Person in oranger Kleidung meine Hand entfernt und die Maske wieder richtet.
„Hey, Mary." Leicht geht sie in die Hocke. „Du brauchst keine Angst zu haben, wir sind gleich im Krankenhaus, dann bekommst du die Atemmaske ab." Auf dem Gesicht der Frau ist ein leichtes Lächeln, als sie die Hand aus meinem Gesicht nimmt.
Aber auch wenn ich still bin, überschlagen sich die Gedanken in meinem Kopf und schlagen wie Wellen über mir zusammen. Warum fahre ich ins Krankenhaus? Womit überhaupt? Und warum habe ich eine Atemmaske auf? Was ist passiert? Ich konnte doch in Frieden atmen, solange ich mich nicht zu viel bewegt habe! Erneut versuche ich die Maske von meinem Gesicht zu entfernen, werde aber sofort wieder gestoppt. „Was ist los?", bringe ich hervor. Kurz herrscht Stille und die Frau in Neon schaut auffordernd zu meiner Mutter, weshalb ich meinen Blick auf sie richte.
Ihre Augen scheinen glasig in dem Licht, dann fängt sie stotternd an zu erzählen. „Du bist in unser Zimmer gekommen und konntest nicht mehr atmen."
Tastend fahre ich über meine Brust, merke einen Schlauch, welcher auf hellblauem, dünnen Stoff liegt. Mein Schlaf-Shirt. Aber warum? Es ging mir doch gut!
„Wir ... wir haben sofort einen Krankenwagen gerufen." Mit der einen Hand holt sie ein Taschentuch aus ihrer Pullitasche und wischt sich über die Augen, mit der Anderen streicht sie sanft über meinen Handrücken. „Dein Vater fährt uns mit dem Auto hinterher."
Im nächsten Moment geht ein Ruck durch das Auto, signalisiert mir, dass wir angehalten haben. Fest greife ich nach der Hand von Mama.
Sobald die Türen vor mir geöffnet werden, möchte ich aufstehen. Aber als ich versuche mich aufzusetzen, fängt meine Welt sich wieder an zu drehen, aber bevor ich gar kein Gleichgewicht mehr finde, werde ich nach hinten gedrückt.
„Bleib liegen, Schatz", bittet sie. „Dein Kreislauf ist noch zu durcheinander, als dass du gut laufen könntest." Während die Liege, auf welcher ich liege, aus dem Rettungswagen heruntergehoben wird, bleibt sie neben mir. Kalte Luft weht über mich hinweg, lässt mich frösteln. Eilig reibe ich mit meinen Händen über meine Arme, damit sie ein wenig Wärme bekommen.
Aber innerhalb von einer Minute bin ich wieder im Warmen, sodass die Gänsehaut an meinen Armen langsam verschwindet. Sobald ich durch die Tür geschoben werde, werfe ich meinen Kopf von einer Seite zur Anderen, auf der Suche nach etwas Bekanntem. Schon früh bemerke ich die Anmeldung, an welcher meine Mutter und ich erst vor Kurzem für einen Termin bei Herrn Dr. Klee standen. Niemand sitzt an ihr und beleuchtet wird sie auch nicht. Wie spät haben wir? Auf der anderen Seite ist nur eine Wand, an welche mehrere Tiere gemalt wurden, um die Kinder vom deprimierenden Krankenhaus abzulenken.
Sobald meine Liege in den Fahrstuhl geschoben wird, halte ich inne und schaue zu der Rettungssanitäterin. „Du wirst erst einmal auf die Krebsstation gebracht und dort richtig angeschlossen. Die Besprechung wie es weitergeht, wird dann mit deinem Arzt gemacht, sobald er da ist", erklärt sie, als sie meinen Blick bemerkt.
Krebsstation? Kann ich nicht einfach auf eine normale Station und morgen früh in Frieden nach Hause? Wo ist denn das Problem? Mir geht es doch gut! Ich tippe mit meinem Finger auf den Unterarm, knapp über das Handgelenk und schaue fragend zwischen meiner Mutter und der anderen Frau hin und her.
„Wir haben", prüfend zieht meine Mutter den Ärmel ihres blauen Pullis hoch, „3:40." Wie, als hätte das auf die Uhr schauen die Müdigkeit in ihr geweckt, gähnt sie.
Als der Fahrstuhl oben ankommt und ich herausgeschoben werde, leuchten flackernd die Lichter auf und führen uns zu einer Station - zur Krebsstation. Wird das mein neues Zuhause sein? Bei dem Gedanken muss ich schlucken und wische mir mit meiner Hand über meine Augen, um eventuelle Tränen zurückzuhalten.
Als die Doppeltür aufgeht und ich hindurchgeschoben werde, schaue ich mich um. Links ein Tresen, jemand sitzt dahinter. Rechts Wände ... noch mehr Wände. Ein Kicker! Und dahinter ein graues Sofa. Wir biegen ab. Zu meiner rechten sind immer wieder Türen mit verschiedenen Türen. Vor der letzten Tür im Gang halten wir an. Ein Eisbär ist auf ihr gemalt und schaut mich mit einem viel zu freundlichen Gesicht an. Wie viele Menschen hier schon verstorben sind?
Die Frau in neonorange öffnet die Tür und dann werde ich in die Dunkelheit geschoben. Kurz danach geht das Licht auf einen Schlag an, weshalb ich meine Augen zusammenkneife. Sobald sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt haben, schaue ich mich wieder um. Zwei Betten stehen im Raum, beide leer. Neben ihnen steht je ein Tisch, darüber sind irgendwelche Geräte, welche aber ausgeschaltet sind. An der kleinen Fensterfront steht ein weißer Tisch mit zwei ebenso weißen Stühlen. Aber viel mehr ist hier nicht. Und es ist alles weiß in weiß, kein netter Eisbär schaut mich mehr an. Nicht einmal die Wände haben eine Farbe, sondern sind in einem schlichten Weiß gestrichen. Hier soll ich leben? In dieser viel zu ... weißen Umgebung? Wobei ich wahrscheinlich heute später hier weg kann und nicht hierbleiben muss. Bestimmt nicht. Das war nur dreimal so, dass ich so etwas hatte, dementsprechend geht es mir gut. Und ich kann bestimmt auch atmen, ohne so eine dämliche Atemmaske aufzuhaben, welche zudem noch scheußlich viel nach Gummi riecht.
„Es ist alles gut, Schatz." Erneut drückt meine Mutter meine Hand.
Dann kommt die Liege, auf welcher ich bin neben dem einen Bett zum Stehen. Die Frau macht das Gitter herunter und fährt das Bett hoch, sodass es auf derselben Höhe wie die Ebene ist. „Du musst dich einmal hier rüber legen, okay? Ich helfe dir dabei."
Als ich mich aufsetze, fängt wieder alles an sich zu drehen und Übelkeit steigt in mir hoch. Aber ich darf mich nicht wieder hinlegen, dann komme ich nicht mehr hoch. Also stütze ich mich mit meinen Armen auf die Matratze, welche sich nur ganz leicht unter mir senkt und hebe mich auf das Bett. Die Rettungssanitäterin greift, sobald ich sitze, nach meinen Beinen und legt sie auf die Decke.
Sobald mein Sichtfeld anfängt zu verschwimmen, lege ich mich hin und schließe meine Augen, in der Hoffnung, wieder etwas Kontrolle gewinnen zu können.
„Ich schließe dich noch einmal an ein paar Geräte an. Morgen kommt dein Arzt zu dir und dort wird alles Wichtige besprochen."
Das letzte, was ich merke, bevor ich einschlafe ist, dass Mama noch einmal meine Hand drückt.
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