5.
"Nein", meldete sich Hae zum ersten Mal in der Stunde zu Wort.
"Was?", fragte das Mädchen, das ihre Pläne ihnen unterbreitet hatte.
Alle Köpfe drehten sich zu ihnen und Hae verzog leicht den Mund: "Nein. Einfach nein. Ich dachte, es soll eine Halloweenparty werden! Kein Ball, der allen Kupplern und einsamen Mauerblümchen zu einem Partner verhilft. Kein Maskenball!"
Zustimmendes Geflüster ertönte, aber auch vehemente Abstreitungen und Ablehnungsverhalten machte sich breit.
"Was willst du sonst, Warley? Kostüme? Horror?", fragte das Mädchen vorne. Sie schürzte ihre knallroten Lippen und ihre dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen.
"Ja."
"Ohne mich",ertönte eine Stimme aus den hinteren Reihen und Hae drehte sich zu dem Störenfried um, der sie mit einer provozierenden Miene angrinste: "Ich bin doch kein Kind."
Solch eine überzeugende Argumentation.
"Außerdem soll es ja etwas werden, wo wir viel Geld einnehmen können. Die Lehrer wollen, dass sich niemand betrinkt und wir die vollkommene Kontrolle über das Geschehen haben", wandte ein anderes Mädchen freundschaftlich ein, "eine Party wäre zu unübersichtlich."
"Aber ich wette, es würden eine Menge Leute kommen. Ich meine, du kannst dich natürlich auch als Prinzessin Marie Antoinette verkleiden - was zwar mehr am Ende, wie Fasching aussehen würde, aber du musst nicht gleich in einem Horrorkostüm auftauchen.", versuchte Leon Haes Ansicht zu verteidigen. Hae sah ihn kurz an, lächelte für einen Augenblick und wandte sich mit einer neutralen Miene nach vorne: "Es wäre ein Anlass, wo alle mal locker lassen können. Sonst bei all diesen anderen Bällen benehmen sich alle so, wie als würden wir einen Ball im 18. Jahrhundert veranstalten."
"Und Jüngere würden sicher noch mehr Spaß haben", fügte Leon hinzu, "eine Abwechslung. Wir haben den Winterball, den Sommerball. Und noch diesen Valetins-keine-Ahnung-was...aber keine schulinterne Party!"
"Wir können ja mal abstimmen", meinte Hae mit einem Lächeln, das undeutbar war, aber sie hatte es gemerkt. Leon spürte es mit jeder Faser seines Körpers. Er war angespannt und konnte sich vor Aufregung kaum auf dem Stuhl halten. Er bekam die Wette zum Laufen. Er würde als Erster von allen Shawns Riesenklappe zum Verstummen kriegen. Leon lehnte sich etwas weiter in seinem Stuhl zurück, um Hae zu beobachten, wie sie sich weit nach vorne lehnte, ihren Kopf auf der linken Hand gestützt.
Das Mädchen vorne verzog missbilligend ihren Mund, aber ließ alle abstimmen.
"Wer ist für einen Maskenball?"
Etwa die Hälfte hob zögerlich die Hand - größtenteils Jungs, die versuchten bei der Barbie zu punkten. Leon verdrehte die Augen und hob beim zweiten Mal schnell die Hand. Hae drehte ihren Kopf leicht zu ihm und er spürte, wie ihr Blick vorsichtig über ihn glitt. Dann lächelte sie langsam und verschränkte ihre Arme: "Ich enthalte mich"
Leonard konnte seinen Ohren nicht trauen. Warum?
Warum stimmte sie einfach nicht ab, dann sah er wieso. Sie hatten gewonnen. Um eine Stimme, Hae grinste sichtlich triumphierend, dann lehnte sie sich weit hinter zu ihm: "Danke"
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Leon konnte Hae nicht recht beurteilen. Ihre Zunge war kritisch und scharf, wie ein geschliffenes Messer und um kein einziges Wort verlegen. Sie und das Mädchen mit den roten Lippen, sie stellte sich als eine Lucinda heraus, lieferten sich einen verbitterten Machtkampf. Lucinda war ein hübsches Mädchen mit einem Körper, der die Jungen ständig in ihre Fantasien abdriften ließ. Das konnte nicht einmal die langweilige Schuluniform mit langen, dunklen Hosen und den unförmigen Pullover verhindern. Aber in Leons Ohren schmerzte ihre Stimme grell und unnachgiebig, wie bei einem Instrument, das unsauber gestimmt war.
Hae dagegen ließ sich nicht das letzte Wort nehmen und trieb ihre Mitschülerin geradezu in den Wahnsinn. Aber dafür war sie grottenschlecht in Schule und hatte einen Hang zu ausgeprägter Faulheit und einem Abwehmechanismus. Stets war sie gegen alles. Sie konnte sich nie einigen, ihre Meinung hatte zu zählen. Bei der Berechnung der Kosten verrechnete sie sich fünfmal am Stück-trotz des Taschenrechners.
"Fünf Jahre zuvor soll es auch eine Halloweenparty gegeben haben. Vielleicht gibt es unten noch etwas im Keller", meinte einer der Jungen. Heute ging die Besprechung um die Organisation der Dekoration.
"Ich geh runter", meldete sich Lucinda zu Wort, aber auch Hae war aufgestanden. Hae und Leonard hatten sich angewöhnt zwar nie nebeneinander, aber stets in der Nähe des anderen zu sitzen. Es war eine Art stumme Regel und die Sitzungen des Orga-Teams waren für Leon so eine Gewohnheit geworden, dass er sich fragte, was er machen würde, wenn in der nächsten Woche die Party stieg. Würden sie ihren Kontakt halten? Das hoffte er sehr. Er wusste, das war die einzige Chance wirklich aus Bekannten Vertraute zu machen. Sie musste sich nur in ihn verlieben. Nur ein bisschen. Und ihm irgendeine Art von Liebesbeweis machen. Er bezweifelte zwar stark, dass sie der Kitschtyp von Ich-Liebe-Dich-Für-Immer-Und-Ewig war, aber...aber was?
"Ich komm mit runter", meldete sich einer der Jungen von Lucinda zu Wort. Sie schenkte dem Jungen ein sanftes Lächeln, aber Leon stand in dem Moment polternd auf: "Ich...ich meine, ich gehe auch mit runter."
Lucindas Lächeln schmolz, wie Eis in der Sonne dahin und sie hob kurz die Augenbraue: "Der Kämpfer unserer lieben Hae"
"Ach halt doch die Klappe, Luc", meinte Hae und Leon bedachte sie mit einem dankbaren Lächeln, aber sie würdigte ihn keines Blickes, um voran allen anderen in dem Keller zu verschwinden.
Ihre High School war relativ jung, erst vor paar Jahren gebaut worden, aber da es nur eine Schule tausende von Meilen von wichtig und Millionen Meilen von bekannt entfernt war, hatte sich der Staat und das Bauunternehmen ein wenig Geld gespart.
Der Keller war dürftig verputzt und abgedichtet ständig sickerte Wasser aus den Wänden zwischen die ganzen Ablageregale. Es stank nach Schimmel und egal wie oft die Schulleitung auch versuchte ihn zu beseitigen - sie waren gescheitert. Er kam immer zurück.
"Ekelhaft", murmelte Hae, als sie Tür zu einem der Lagerräume öffnete. Der Raum war relativ groß, aber unübersichtlich und der Gestank wurde hier immer stärker.
"Ihr geht links und wir rechts rum", schlug Lucinda vor und schnappte sich kurzerhand den Jungen, um nach wenigen Schritten von den Regalreihen verschluckt zu werden.
Große Kisten voller Akten stapelten sich neben antiken Computern und Elektrotechnik. Von Dekomaterial war keine Sicht.
"Denkst du die Glühbirne schafft das?", wollte Hae wissen, als sie das Ende der Regale erreicht hatten. Die Schritte der anderen konnten sie schon lange nicht hören.
Leon zuckte zusammen: "Ich?"
"Die Glühbirne"
"Natürlich. Wir sind nicht in einem Horrorfilm"
Sie grinste verschmitzt und stellte sich auf die Zehenspitzen, dann drehte sie sich mit etwas in den Händen um und er lächelte schief. Hae hatte die Halloweendekorationen tatsächlich gefunden. Es war eine Maske eines Horrorclowns oder was auch immer es darstellen sollte. Aufjedenfall war es weder gruselig noch verschreckend. In dem leicht gedimmten Licht der altersschwachen Glühbirne hatte es sogar etwas komisches an sich.
"Sieht toll aus", meinte er ironisch und trat auf das Regal zu, um den restlichen Karton runter zu hieven.
"Mann...hättest du dich nicht erschrecken können?", maulte sie, aber lachend trugen sie den Karton wieder zu der Tür vor.
Weder Lucinda noch der Junge waren in Sicht.
"Wir haben das Zeug gefunden!", rief Hae. Keine Antwort.
"Hallo! Wir haben das Zeug gefunden..." Sie trat einen Schritt zwischen die Regalreihen, aber weit und breit war nichts zu sehen. Nach einem Moment, aber knackte etwas neben Ihnen gefährlich und das Licht ging aus.
"Wo ist der Lichtschalter?", wollte Hae unwirsch wissen, aber sie hielt mitten in ihrer Bewegung inne. Ihr war anscheinend ein kleines Licht angegangen. Lucindas Stimme drang zu ihnen und sie klang gar nicht erfreut: "Habt ihr das Licht ausgemacht?"
"Nein", antwortete Leon anstatt Hae, sie aber hielt ihm danach rasch den Mund zu. Er spürte die kleine Hand auf seinen Lippen ruhen, dann zog sie ihn Schritt für Schritt weiter. Haes Geruch umnebelte ihn und Leon schluckte schwer. Selten-genau genommen noch nie-hatte er einem Mädchen so nahe gestanden. Und geschweige denn ihre Brüste an seinem Rücken gespürt.
Sie führte ihn immer weiter aus den Regalen dann blieb sie stehen. Über der Kellertür war ein grünliches Zeichen angebracht, als Notausgang und Haes Gesicht tauchte gespenstisch hellgrün neben ihm auf: "Sh"
Dann packte sie eine der Masken und hielt sie ihm hin. Ihr Grinsen war breit und ein ausgelassene Zufriedenheit glitzterte in ihren Augen.
"Was hast du vor?", wisperte er so leise er konnte. Sie hörten, wie das Rumpeln und das Tappen von Schritten immer näher kam. Hae setzte sich die andere Maske auf und presste sich hinter eine der Regalreihen. Leon hatte langsam ihren Plan verstanden, beäugte ein wenig skeptisch seine Geistermaske und verschwand hinter einer anderen. Er kam sich vollkommen albern vor, aber das kribbelnde Gefühl von Abenteuer speiste seine Nerven und nach einer Weile passierte Lucinda tatsächlich seine Regalreihe. Er konnte sie zwischen all den Kartons und den unordentlich aufeinandergestapelten Töpfen erkennen. Neben ihr her ging der Junge und beide sahen nicht sonderlich erfreut aus.
"Buh!", brüllte Hae und auch Leon sprang aus seinem Versteck hervor. Der Junge neben Lucinda zuckte sichtlich zusammen, sie dagegen seufzte und machte die letzten Schritte zu der Tür. Lucinda schaltete das Licht an und musterte sie beide für einen Moment: "Euer Ernst?"
Es war albern. Keine Frage. Aber Hae liebte alberne Ideen und schämte sich für keine von ihnen. Und das bewunderte Leon so an ihr, egal wie abwegig ihre Ideen auch waren. Sie sagte es einfach. Oder besser: sie tat es. Sie schämte sich nicht für ein falsches Wort. Oder eine schlechte Anmerkung. Selbst wenn alle sagten: "Halt die Klappe" oder "Was hast du denn für dumme Ideen?"-sie nahm es hin. Und sie liebte es.
Hae und er sahen sich an und brachen in Lachen aus. Und wie er es liebte. Leon liebte das Duett der erheiterten Stimmen, die seinen Kopf von jeder Sorge und jeder Wette frei wusch. Jetzt gab es nur das ausgelassene Lachen, das Gefühl der Wirklichkeit.
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