3.
Als sie endlich reingelassen wurden, bemühte er sich, so langsam wie möglich zu gehen. Wenn Leon sich schon auf die behinderte Wette eingelassen hatte, dann sollte er vielleicht auch wissen, wie Hae so genau tickte.
Sie hatte sich sofort zu den anderen Mädchen des Kurses gesellt und dennoch sprach sie lachend immer wieder mit Jungen. Auch mit den Jungen, die sie angeblich mal geküsst haben soll.
Ehe er sich es versah, stand er direkt hinter ihr, als sie sich umdrehte und plötzlich irgendetwas sagte.
"Ich?", entfuhr es ihm. Anscheinend hatte sie mit Rob neben ihm geredet und nicht mit ihm, wie es für ihn auf dem ersten Augenblick gewirkt hatte. Peinlich. Peinlich. Peinlich. Er spürte, wie sein Mut, die Wette zu gewinnen, sofort in den Keller rutschte.
Rob neben Leon griff sich an die Stirn, bemüht nicht einfach loszuprusten. Hae dagegen beäugte ihr mit einem interessierten Gesichtsausdruck: "Ich bin Hae Warley. Schön dich kennen zu lernen..."
"Leonard", antwortete er nach einer bedrückenden Stille. Er spürte, wie er rot anlief und biss die Zähne zusammen. Wenn er den ersten Eindruck so versaute, dann konnte er sich glatt von Shawn als Idiot abstempeln lassen. Er musste diese Chance am Schopfe packen und komme was da wolle.
Leonard musste sich eingestehen, nachdem er die Wette abgeschlossen hatte, hatte er gedacht, er würde nie wieder in den normalen Schulalltag hinein kommen. Er hatte wirklich die reine Panik bekommen, aber nach einer Nacht voll Schlaf und einem Gespräch mit seinem großen Bruder Percy war das wieder abgeklungen. Egal wie oft er ihn auch anrief, er vermisste seinen Bruder. Ja, er hatte noch Tristan und Svenja, aber sie waren beide jünger als er. Eher hörte er sich ihre Sorgen an, als das er sie mit seiner lächerlichen Wette ansprang.
Hae lächelte ihn breit an und er musste anmerken, dass sie tatsächlich nicht wirklich hübsch war.
Sie war eines der Mädchen, die man auf der Straße traf und sich nichts dabei dachte. Ihre dunklen Haare waren wild und einige der kaffebraunen Strähnen standen aus ihrem Pagenschnitt ab. Sie war relativ klein, mit breiten Schultern und einem aufrechten Gang, der einem Soldaten angemessen wäre. Mit einer etwas ungelenken und drolligen Bewegung setzte sie sich in die zweite Reihe neben einem Jungen und Rob stieß Leonard heftig zwischen die Schulterblätter.
"Was soll das?", zischte er seinem besten Freund zu.
"Ich dachte, du Großmaul, willst auch die Wette gewinnen. Dann setz dich zu ihr!"
Rob drängte ihn zu dem Platz und Leonard setzte sich ohne zu widersprechen neben Hae. Sie sah nur kurz auf, um ihn zu notieren, wandte sich wieder ab, um das Gespräch mit ihrem Gegenüber aufzu nehmen. Rob hatte ihm nach dem Gespräch mit Shawn in der Umkleide ordentlich den Kopf gewaschen. Er war fuchsteufelswild gewesen und hatte Leonard allerlei Schimpfwörter an den Kopf geworfen.
Nicht zu vergessen, wie entnervt er reagiert hatte, als Leon ihm um Hilfe gebeten hatte. Noch immer beherrschte ein unwilliger Zug den Mund seines Freundes und Leon packte schnell aus, bedacht darauf Hae nicht zu berühren.
Ihr Gesicht war eher herzförmig mit einer kleinen Stirn, einer Stupsnase und Sommersprossen, die das ganze gebräunte Gesicht bedeckten. Ihre Lippen waren eher dick und lagen unförmig zusammengekniffen unter ihrer Nase. Das Kinn war etwas kriegerisch nach vorne geschoben, aber plötzlich kräuselte ein leicht triumphierter Zug ihre Lippen.
Rob stieß ihn heftig in die Seite und er drehte sich nach vorne.
"Du hast es anscheind nicht verstanden, wie man Mädchen verarscht?", wisperte sein bester Freund. Seine dunklen braunen Augen funkelten und Leon verdrehte die Augen: "Es tut mir ja Leid dich in dieses..."
"Halt die Fresse", knurrte er nur. Schlecht gelaunt wie eh und je. Leon würde an seinen Fingern die Tage abzählen können, an denen er schon vom Morgen an, gut gelaunt war.
"Aber viel Erfahrung mit Mädchen verarschen hast du ja auch nicht. So weit ich mich erinnern kann, war Bella dein zweiter Kuss und erste feste Partnerin", fuhr nun Leonard seine Krallen aus. Er verstand es nicht ganz, was für ein Problem Rob nun jetzt schon wieder hatte. Klar, er hasste es bei solchen Wetten beteiligt zu sein, aber es war ja nicht seine, sondern Leons Wette und er würde sie auf jedenfall gewinnen. Koste es was es wolle.
"Halt die Klappe", fauchte Rob und vergrub seinen Kopf in seinen Armen, "ich hab gestern fast gar nicht schlafen können"
"Habt ihr gefickt?", fragte Leon ohne mit einer Wimper zu zucken. Ihm war bewusst, dass Hae jedes Wort mitlauschte, also war es sicher nicht schlecht ein wenig zu imponieren.
Rob hob kurz seinen Kopf, dann verdrehte er die Augen: "Nein"
Das hatte er erwartet, laut Rob war es etwas, was sie nur tun würden, wenn sie sich vollkommen vertrauten. In Leonards Augen eine sinnlose Ausrede. Er wusste, dass Rob einfach nur Komplexe hatte, während Bella ihm doch schon seit dem ersten Augenblick vertraut hatte. Es war offensichtlich und trotzdem wollte Rob es sich nicht eingestehen.
Egal, wie taff sein Freund sich auch ausgab, auch Rob Wisons hatte Ängste. Und Robs größte Angst war es vermutlich sich zu Blamieren.
"Jungengespräche", murmelte Hae neben Leonard abfällig und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
"Ich kann dich hören", kam es dumpf von Rob, "außerdem hat Leon angefangen"
"Ihr kennt euch?"
Leon versuchte sich daran zu erinnern, wie es in den Stunden vor dieser gewesen war, aber er konnte wirklich nicht einordnen, ob sie je gesprochen hatten.
Hae lächelte kurz: "Bin mit Bella und Rob in vielen Kursen"
"Oh"
"Der Unterricht hat begonnen, meine Damen und Herren!", warnte ihr Lehrer sie und Leon drehte sich schnell nach vorne. Hae und Rob kannten sich also.
Noch besser. Vielleicht konnte er sich über Rob Hae nähern. Leonard schüttelte den Kopf, über was dachte er nach? Es war schon eine Scheißidee gewesen die Wette abzuschließen.
Sein Blick wanderte durch den Rest ihres Kurses. Mehrere Jungen aus Basketball saßen an den Tischen und sahen ihn frohlockend an. Leon wurde beinahe schlecht von dem Gefühl, sodass sich seine Eingeweiden zusammen krampften. Er hasste Schuldgefühle. Sollte er das weiße Tuch werfen, würde er nie wieder beim Baskteball auftauchen können. Nie, nie wieder. Es war nicht, dass niemand die Eier hätte, ihn vor Shawn zu verteidigen. Rob würde es tun, egal wie wütend er war und auch er konnte sich vor dem Idioten wehren, aber Leon wusste, wenn er einen Kampf gegen Shawn ansagen würde, dann gab es kein zurück mehr. Und es war eigentlich so gut, wie klar, dass er verlieren würde. Er würde jede Art des Machtkampfs zwischen ihnen verlieren, aber wenn er Hae...
"Miss Warley!?", rief der Lehrer, "und Mister Thompson! Ich bitte sie um höchste Aufmerksamkeit. Wie Sie alle wissen, steht das Schuljahr bevor und Sie alle sind ja gut reingestartet bis jetzt. Aber Sie sind auch die Vorbilder..."
Leons Gedanken drifteten ab, während die Stimme des Lehrers immer mehr ausgeblendet wurde, bis er sich beinahe einbildete, das Rauschen der Blätter der Bäume zu hören, die draußen vor dem Fenster sich hin und her wiegten.
"Leon!", zischte Rob leise in seine Richtung, gleich darauf ging Haes Arm nach oben und er sah irrietiert seinen besten Freund an: "Was?"
"Meld dich. Das ist das Orga-Team von der Halloweenparty"
"Warum?" Rob deutete rasch ein Nicken in Haes Richtung an und Leon hielt die Luft an. Er wusste, dass es so gut wie nie eine Gelegenheit geben würde, Hae alleine zu erwischen. Auch Shawn würde sein bestes geben. Aber Shawn würde niemals bei einem freiwilligen Orga-Team mitmachen. Und das hatte er auch immer von sich gedacht.
"Noch irgendwelche Freiwilligen?", fragte der Lehrer und Leon hob zögerlich den Arm. Dass einzige, was er in diesem Moment spürte, war der brennende Fleck von Haes Blick. Rasch ließ er die Hand sinken, jetzt erst bewusst, worin er sich reingeritten hatte.
Aber um es zu bereuen war es zu spät. Der Lehrer lächelte sein Halblächeln und klappte sein Notizblock zu.
"Die Hausaufgaben", verkündete er und widmete sich ihrem heutigen Thema, "wir sind letztes Mal in der Biologie bei der Fotosynthese und Zellatmung stehen geblieben...Miss Warley? Würden Sie bitte ihre Weisheiten mit uns teilen?"
Hae hörte auf mit ihrem Banknachbar zu flüstern und setzte ein allerliebstes Lächeln auf: "Darf ich?"
"Ich bitte drum", höhnte der Lehrer nur und Hae lächelte strahlend, als sie ihren Hefter aufschlug.
Dann räusperte sie sich und grinste schelmisch in die Runde: "Zellatmung,
Die Zellatmung ist ein Vorgang, den jedes Lebewesen braucht. So weit so gut, es läuft in unseren Kraftwerken den Mitochondrien ab. Man kann die Vorgänge in den Mitochondrien mit den Vorgängen in einem Wärmekraftwerk vergleichen. Die Arbeiter müssen anständig bezahlt werden, damit etwas ordentliches rauskommt. Die Währung in unserem Kraftwerk heißt ATP, das bedeutet Altertrientputsch, es bezieht sich auf den Putsch, der am alten Trient einst vor mehreren Jahren stattfand, da die Arbeiter nicht richtig bezahlt wurden..."
"Miss Warley", grummelte der Lehrer und ein leises Kichern ging durch den Kurs. So eine absurde Lügengeschichte hatte sonst nie jemand präsentiert, nicht in dem Abschlussjahr.
"Mit dem ATP kann ganz einfach bezahlen, ein ATP kann man nutzen, um ein Mädchen, ein Essen und ein gutes Bier zu kaufen. Da die Arbeiter alle 34 ATP pro Tag bekommen, lässt sich damit anständig leben. In den Mitochondrien, ist nämlich der Mindestlohn eigentlich einhunderstel ATP", las Hae mit lauter Stimme vor. Leon warf ihr einen kurzen Blick durch seinen Haarvorhang zu, ihre Lippen waren von einem Grinsen umspielt, was ihrem Gesicht ein wenig Schönheit verlieh. Ein wenig, aber nur. Das was ihn aber beeindruckte, war der Rückgrat und das Selbstbewusstsein, dass sie zeigte.
"Hae Warley - bitte...uns ist klar, worauf das hinauslaufen soll. Mr. Wisons. Sind Sie eingeschlafen? Darf ich um die richtige Hausaufgabe bitten?"
Rob las also die Standarderklärung vor, die man in jedem Buch und auf Wikipedia fand, aber mitten drin, lehnte sich Hae leicht zu Leon: "Ich verstehe nichts davon"
"Warum hast du auch Bio Leistungskurs genommen", fragte er sie, wagte es aber nicht sie anzusehen.
Hae grinste, als sie antwortete: "Die Jungenauswahl hier war am besten. Denkst du nicht auch?"
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