Ein barmherziger Mann
Balthasar war zwar aus der Kirche ausgetreten, doch tat er immer noch das, was ein Mann des Glaubens so tat. Er reiste durch die Lande und brachte Erlösung den Bösen und Frieden den Unschuldigen. Und in Sachen Erlösung war er nicht zimperlich. Wer einmal einem Priester der Sonne einen Segen hat sprechen sehen, der sollte dankbar dafür sein, dass eben jener Priester ihn nicht verdammt hatte. Zusammen mit Cathleen brachte er das Wort in die Randgebiete. Mit Rauchfass und Gebeten.
Etliche Meilen von Schlehendorn, einer kleinen Gemeinde irgendwo nahe den Windebenen,folgte eine Kutsche gemächlich dem Weg nach Ester. Post und Vorräte hatte sie geladen. Der Kutscher, ein alter Mann, der die Wege kannte wie die Innenseite seiner Hände, führte die Pferde auf sicheren Pfaden durch die Ebenen.
Cathleen hatte ihr Klemmbrett auf ihrem Schoß und blickte aus dem kleinen Seitenfenster der Kutsche. Sie mochte die Ebenen. Nicht zuletzt, weil man nur schwer überfallen werden konnte, ohne die Räuber nicht schon meilenweit zu sehen. Darüber hinaus war die Aussicht genau das was sie brauchte, um ihren Geist zu beruhigen. Strigae sollten diesen Landstrich unsicher machen und der Kutscher hatte darum gebeten, dass sie ihn begleiten. Natürlich konnte ihr Meister dem nicht widerstehen. Unter dem Mantel des Schutzes und der Aufopferung, verbarg sich nur sein Interesse für diese Kreaturen. Strigae waren selten und noch seltener war, dass sie so offen gegen die Menschen vorgingen. Normalerweise waren sie eher unter sich und schlugen nur alle paar Monate mal Beute, wenn ihr Hunger sie übermannte.
Cathleen blickte zu Balthasar, der dösend ihr gegenüber saß, seinen Hut ins Gesicht gezogen. Der cremefarbende Dandy stand ihm wirklich gut, wie sie immer wieder anmerkte. Für einen Stillen hatte er Stil und mehr noch, er roch wesentlich angenehmer als die meisten anderen aus dem Orden. Der Blick der jungen Frau richtete sich auf ihre Klemmbrett. Sie hatte es immer zur Hand, um ihrem Herrn seine Termine aufzusagen. Balthasar war in der Hinsicht furchtbar nachlässig und würde sich ohne sie rettungslos verzetteln. Zumindest redete sie sich das immer wieder ein.
Die Kutsche fuhr über einen kleinen Stein und schüttelte sie gut durch. Balthasar schnarchte nur leise und döste weiter. Er nahm viele Sachen wesentlicher entspannter als Cathleen. War er doch immer Meinung, dass die Sonne schon auf ihre Gläubigen aufpassen würde. Und bisher hatte der Erfolg ihm recht gegeben.
Wieder blickte sie aus dem Fenster und sah eine Gestalt am Horizont. Sie kniff ein ein wenig die Augen zusammen, um die besser erkennen zu können. Weiblich. Doch mehr war nicht zu sehen. Doch die Art wie sie dastand, wie sie sie beobachtete, ließen ihr die Nackenhaare zu Berge stehen. Da war etwas an ihr, dass sie nicht ganz benennen konnte und das ließ Cathleen nervös werden. Sanft berührte sie Balthasar am Knie und schüttelte etwas an seinem Bein. Der ehemalige Kardinal legte ihr seine Hand auf ihre und drückte sie zärtlich.
„Ich weiß.", sagte er nur und machte keine Anstalten, seine Position zu ändern. Cathleen verstand und ließ ihn los. Sie richtete ihren Blick wieder gen Fenster und die Gestalt war verschwunden. Natürlich war sie verschwunden. Diese Kreaturen spielten oftmals mit ihrer Beute und wollte sie in Angst und Schrecken versetzen. Neben dem Blut, war dies ihre weitere Nahrungsquelle. Viele Kreaturen ernährten sich von den Menschen, auf mannigfaltige Weise. Gefühle, Fleisch, der Geist, die Psyche und so weiter. Die meisten von ihnen lebten in einer Art friedlichen Symbiose, doch gab es immer wieder welche, die aus der Reihe tanzen mussten. Wie nun diese Strigae.
Die Kutsche legte noch etliche Meilen zurück und die Sonne versank langsam hinter dem Horizont. Über die Ebenen legte sich die Stille der Nacht und tauchte den ganzen Landstrich in ein tiefes dunkles Blau. Selbst das Funkeln der Sterne wirkte blass und ausgewaschen. Es war eine jener Nächte in denen üble Dinge geschahen. Und in denen die Schwangerschaften Hochkonjunktur feierten.
Plötzlich hielt die Kutsche an. Cathleen spähte in die Dunkelheit und sah... nichts. Nur die schattengetränkten Ebenen und der breite staubige Weg, der sie nach Ester geleiten sollte. Bis sie das Rauschen von Flügeln hörte.
Balthasar löste sich aus seinem falschen Schlummer und richtete sich auf. Er setzte sich seinen Hut richtig auf und schenkte seiner Gefährtin ein warmes Lächeln.
„Dann wollen wir doch mal sehen, was diese Herrschaften von uns wollen, nicht wahr?", sprach der Stille und öffnete die Tür der Kutsche. Er stieg aus, strich sich seine Weste glatt und richtete sich seine schwarze dünne Schleife. Aus der Ferne kamen drei Schatten schnell näher. Auf großen Schwingen getragen, flogen sie durch die Nacht, gleich den Göttern des Todes, auf der Jagd nach menschlichen Seelen.
Balthasar ging nach vorn zum Kutschbock und sah, dass der Kutscher bleich vor Angst und Panik war. „Habt keine Furcht, guter Mann. Ich bin sicher, sie wollen uns nur einen guten Abend wünschen.", sprach Balthasar unbeschwert und holte eine kleine, kunstvoll verzierte, weiße Pfeife aus seiner Jackentasche. Als er sich gerade abklopfte, auf der Suche nach Tabak, erschien neben ihm ein Beutel, gehalten von Cathleen. „Vielen Dank." Er griff hinein und stopfte locker den Kopf, ehe ihm seine Gefährtin ein Streichholz anzündete und er ein wenig paffte. Nachdem das Ritual seinen Abschluss fand und Cathleen, dass erkaltete Streichholz weggeworfen hatte, fragte sie ihn, „Was willst du jetzt tun?"
„Was schon? Ihnen einen guten Abend wünschen und fragen, was sie von uns wollen.", antwortete der ehemalige Kardinal und zog leicht an seiner Pfeife.
„Und wenn sie uns angreifen?"
Balthasar schwieg. Wenn es nach ihm ging, würde er die Angelegenheit unblutig regeln. Sollten sie dennoch zum Angriff übergehen, würden sie schon sehr bald feststellen, dass Sol ihre Anhänger niemals im Stich lässt.
Die drei Geflügten kamen näher. Frauen waren sie, durchaus attraktiv, wären die langen Klauen an ihren Händen und der grimmige Gesichtsausdruck nicht gewesen. Sie landeten elegant, nur wenige Meter vor der Kutsche und kamen zielstrebig näher.
„Sieh an, sieh an. Was haben wir denn hier?", fragte die Erste. Es waren derartige Fragen, die Balthasar schon oft gehört hatte. Meistens begleitet mit einer nachträglichen Sauerei und horrenden Reinigungskosten für seinen Dandy.
Die Pferde wieherten nervös, als die Strigae näher kamen und Balthasar nach vorn ging.
„Guten Abend, meine werten Damen." Er verneigte sich elegant und zwinkerte den anderen beiden zu, als er sich wieder aufgerichtet hatte. "Darf man fragen, was ihr hier draußen so treibt? Ein kleiner Ausflug mit den Schwestern vielleicht?"
Die Erste kam ihm so nahe, dass er den Duft von Wind, Erde und Blut riechen konnte. „Wir sind wegen dem Festmahl gekommen.", erwiderte sie in einem düsteren Ton.
„Verstehe. Ja, ihr Strigae seid bekannt, dass ihr Menschen jagt. Blut und Eingeweide, nicht wahr? Ich habe mal etwas derartiges gelesen."
Der Blick der Ersten kam etwas ins wanken. Die Ausstrahlung dieses Mannes, seine Unbeschwertheit und gelassenen Wesen waren neu für sie. Normalerweise hatten die Menschen die Hose gestrichen voll, wenn sie sie holen kamen, aber nicht der hier. Und das wiederum machte sie nervös.
„Wer bist du?", fragte die Strigae und neigte ihren Kopf leicht zur Seite.
„Balthasar Ivan Naral. Mitglied des Ordens der Stillen und damit beauftragt, dass ihr eure Beutezüge einstellt.", stellte er sich vor und nickte ihr höflich zu.
Die Strigae wich etwas zurück und fletschte ihre Zähne. „Die Stillen?" Ihre Gefährtinnen taten es ihr gleich und entfalteten zusätzlich ihre Flügel.
„So ist es. Also, dann sagt doch mal: Warum holt ihr euch in letzter Zeit soviel Beute?Normalerweise sind es doch nur ein oder zwei Menschen alle paar Monate. Was ja auch in Ordnung ist. Aber durch eure Gier sind die Menschen... na, sagen wir nervös geworden. Und da haben sie uns, meine bezaubernde Begleiterin und mich gefragt, ob wir uns die Sache nicht mal ansehen könnten. Und da wären wir.", beendete er seine Erklärung mit einem Lächeln und nahm einen weiteren Zug von seiner Pfeife. Die Strigae beruhigten sich etwas. Was auch immer dieser Mann an sich hatte, aber sie spürten das von ihm eine Gefahr ausging, die sich nicht einzuschätzen vermochten. Als Stiller gebot er über Mächte, die ihnen gefährlich werden konnten, aber seine ganze Ausstrahlung war so völlig anders, als die der anderen Stillen, die ihnen ab und an zum Opfer gefallen waren. Er klagte sie weder an, noch hatte er sie direkt angegriffen. Stattdessen suchte er das Gespräch mit ihnen. Eine Erfahrung, die völlig neu für die Frauen war. Und sie machten eine Veränderung durch, wie sie alle seltsam Beschämten durchmachten. Sie falteten ihre Flügel zusammen, fuhren ihre Klauen ein und blickten irgendwie betreten zu Boden.
Die Erste fing sich schneller als ihre Schwestern und sah Balthasar in die Augen. „Unsere Schwester ist schwanger. Sie steht kurz vor der Entbindung und ohne die zusätzliche Nahrung, würden weder sie, noch das Kind die Geburt überstehen."
„Herzlichen Glückwunsch.", erwiderte der ehemalige Kardinal freudig und klopfte ihr freundschaftlich auf die Schulter. „Dann wirst du ja bald Tante, was?"
„Äh... ja."
„Unter diesen Umständen, kann ich natürlich verstehen, warum ihr soviel mehr benötigt habt. Dennoch habt ihr das Gleichgewicht damit durcheinander gebracht. Ein neues Leben, kann die vielen genommenen leider nicht aufwiegen."
Die Strigae wich wieder zurück. „Dann wirst du also töten, nicht wahr?"
„Wann habe ich das gesagt?" Balthasar zog ein letztes Mal an seiner Pfeife und klopfte sie an seinem Stiefel aus, welchen er anhob und wieder aufsetzte, als sie leer war.
„Wie bitte?" Die Verwirrung der Ersten wuchs immer mehr.
„Ich habe nie behauptet, euch deswegen ein Leid anzutun. Ich habe nur gesagt, dass das Gleichgewicht wieder ins Lot kommen muss. Ich halte jedoch wenig davon, dieses mit Blut zu erreichen. Stattdessen möchte ich euch anbieten, dass ihr den Menschen helft. Bei den Leben, die ihr genommen habt, sollte ein halbes Jahr ausreichen."
Die Strigae versuchte in seinem Gesicht, in seinen Worten, irgendwelche Fallen oder Fallstricke zu erkennen, doch alles was sie sah, war Ehrlichkeit und Güte. Er wollte sie am Leben lassen. Zeigte ihnen Alternativen auf und ließ sie wählen.
„Wir könnten euch auch einfach umbringen und damit wäre die Sache ebenfalls erledigt.", erwiderte die Erste mit wankendem Trotz. Es war weniger eine Drohung, als vielmehr ein Abstecken ihrer Möglichkeiten.
„Könntet ihr wohl. Doch solltet ihr wissen, dass wir nicht kampflos untergehen werden. Cathleen hier, ist eine leidlich gute Schützin und meine Wenigkeit..." Er schenkte ihr Lächeln, dass ihr den Rest beantwortete. Ein Lächeln, dass sagte: Es wäre furchtbar schade, wenn das Kind ohne seine drei Tanten aufwachsen müsste.
Und die Strigae glaubte ihm das. Dieser Mann war außergewöhnlich. Seine Macht nicht einzuschätzen. Sein Wesen offen und barmherzig. Und alles untermalt von einer Gefahr, die wie ein Sonnenaufgang in der Luft schwebte. Nicht greifbar, aber zu spüren.
Die Erste seufzte leise. Sie konnte ihre Schwester und das Neugeborene nicht im Stich lassen, in dem sie sich umbringen ließ. Ein halbes Jahr Frondienst, für das Leben ihrer Familie. Es war gar nichts. Eine Lappalie.
„In Ordnung. Wir akzeptieren."
„Wunderbar. Ach und... es wäre schön, wenn ihr euch für dieses halbe Jahr von Tieren ernähren könntet. Um die Waage auch wirklich auszugleichen. Dies gilt natürlich nicht für eure Schwester. Sie hat nichts getan, um das Gleichgewicht zu kippen. Dennoch möchte ich, dass ihr ihr sagte,dass das kein Freibrief ist. Sollte sie über die Strenge schlagen, werden wir wiederkommen und schließlich auch ein ernstes Wort mit ihr reden.", sprach Balthasar und schenkte den drei Strigae einen ernsten Blick.
„Soll es denn sein.", erwiderte die Erste.
"Soll ich euch binden? Damit ihr diese Abmachung auch wirklich einhaltet?", fragte der ehemalige Kardinal sie und er sah, wie die drei Kreaturen darüber nachdachten. Sie konnten leicht in Versuchung geführt werden, so nah bei den Menschen. Und die Versuchung wäre groß.
Die Erste nickte und Balthasar griff nach ihrer Hand. "Ihr beiden bitte auch." Die beiden anderen Strigae traten an den Stillen heran und legte ihre Hände in die seinen. Balthasar schloss seine Augen und intonierte, "Schont, ihr nächtlichen Vögel, die Eingeweide der Menschen. Das zarte Tier wird für den zarten Knaben und Mädchen geopfert. Herz nehmt für Herz, Eingeweide für Eingeweide. Diese Leben geben wir euch, für ein halbes Jahr, für das Bessere."
Dann ließ er sie los und lächelte sie freundlich an, „Sehr schön. So könnt ihr keinen Unfug mehr anstellen, bis eure Arbeit getan ist. Ach ja...", er ließ sie los, "Solltet ihr Hilfe bei der Entbindung benötigen, so würden wir euch gerne helfen."
Die Erste schenkte ihm ein Lächeln und schüttelte leicht den Kopf. „Das werden wir machen. So wie es die Tradition verlangt. Trotzdem... danke."
Balthasar nickte und die drei Strigae erhoben sich wieder in die Lüfte. „Verstehe dies nicht falsch Stiller, aber ich hoffe, wir werden uns nicht wiedersehen.", sprach die Erste und dann flogen die Strigae davon.
„Das hoffe ich auch.", flüsterte er sanft und gab den Frauen noch ein letztes Lächeln. Dann wandte er sich zum Kutscher und klopfte gegen Bock.„Na dann, guter Mann. Weiter geht's."
Der Kutscher konnte nicht wirklich glauben, von was er gerade Zeuge geworden war, wagte es aber nicht, die Entscheidung des Stillen anzuzweifeln. Auch wenn er sich etwas vorgestellt hatte.
Und so fuhr die Kutsche weiter. Begleitet vom sanften Nachtwind und dem Versprechen von Flügeln.
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